23Bs211/25k – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Richterin Mag. Staribacher als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Pasching und den Richter Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. Juli 2025, GZ **-34, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Die über A* verhängte Untersuchungshaft wird aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a, lit b und lit c StPO fortgesetzt.
Die Wirksamkeit dieses Beschlusses ist durch eine Haftfrist nicht mehr begrenzt (§ 175 Abs 5 StPO).
Text
Begründung:
Mit – nicht rechtskräftiger - Anklageschrift vom 4. Juli 2025 (ON 22) wird dem am ** geborenen iranischen Staatsangehörigen A* das Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB zur Last gelegt. Darnach steht er in Verdacht, am 23. Februar 2025 in B* „durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) dem Taxilenker C* fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in Höhe von zumindest EUR 70,00, mit dem Vorsatz weggenommen“ zu haben, „sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er den Raub unter Verwendung einer Waffe, nämlich einem Messer mit einer ca 9 cm langen Klinge, verübt“ habe, „indem er sich zur Fahrerseite des Taxis von C* stellte, durch das geöffnete Fenster mit dem Messer Stichbewegungen in Richtung des Genannten machte und Geld von diesem verlangte“.
Nach Festnahme am 16. Juli 2025, 17.30 Uhr (ON 27.2 S 2), und Einlieferung in die Justizanstalt ** am 17. Juli 2025, 1.20 Uhr (ON 28 S 1), wurde über ihn noch am selben Tag wegen des dringenden Tatverdachts nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB - dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend (ON 1.20 iVm ON 29) – die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a, lit b und lit c StPO verhängt (ON 33 S 3; ON 34).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die sogleich nach Verkündung erhobene (ON 33 S 3) und nicht ausgeführte Beschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Die Untersuchungshaft darf nur verhängt oder fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte (hier Angeklagte) einer bestimmten Tat dringend verdächtig, sohin mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter ist. Ein solcher Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. Dringender Verdacht ist mehr als eine bloße Vermutung und mehr als ein einfacher oder gewöhnlicher Verdacht ( Kirchbacher/Rami in WK-StPO § 173 Rz 3 mwN). Es ist die Kenntnis von Tatsachen, aus denen nach der Lebenserfahrung auf die Begehung eines Vergehens oder Verbrechens geschlossen werden kann, ein Schuldbeweis ist nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0107304).
Unter Berücksichtigung, dass das Oberlandesgericht Wien seine Entscheidung reformatorisch zu treffen hat (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0116421; RS0120817), besteht (im Sinne höherer Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung) der dringende Verdacht, A* habe am 23. Februar 2025 in B* mit Gewalt gegen eine Person unter Verwendung einer Waffe dem Taxilenker C* eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz abgenötigt, durch deren Zueignung sich unrechtmäßig zu bereichern, indem er durch die offene Fahrzeugtüre mit einem Messer mit ca 9 cm langer Klinge in der Hand Geld von ihm forderte und schließlich mehrfach mit dem Messer auf ihn einzustechen versuchte, woraufhin der Genannte ihm aus Angst 70 bis 80 Euro übergab.
Weiters besteht in subjektiver Hinsicht der qualifizierte Verdacht, er habe gewusst, dass er unter Einsatz von Gewalt unter Verwendung einer Waffe dem Taxilenker eine fremde bewegliche Sache abnötigt, dies auch gewollt und dabei mit unrechtmäßigem Bereicherungsvorsatz gehandelt.
Der solcherart dringende Tatverdacht nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB gründet sich zum Tathergang auf die Schilderungen des Opfers C* (ON 2.4; vgl auch AV ON 2.10) und des Zeugen D* (ON 2.3; vgl auch AV ON 2.10), die den Täter auf Lichtbildern von einer Überwachungskamera vom ** (vgl. ON 2.2 S 3) zu hundert Prozent wiedererkannt haben.
Nach Veröffentlichung eines der Lichtbilder in der Zeitung „**“ wurde A* von zwei Zeuginnen zu 99 Prozent als (in einem Asylheim in E* aufhältiger; vgl. hiezu ON 11 S 2) Täter wiedererkannt (ON 4.2 S 2; ON 4.8). Das Opfer erkannte den Genannten auf den aus der Fremdeninformation stammenden, am 10. Jänner 2023 erstellten (vgl. Lichtbild 3 in ON 4.7 und ON 35.2 S 3) Lichtbildern zu 90 Prozent bzw. einem weiteren Lichtbild „mit einer weiblichen Person“ zu 80 Prozent als Täter wieder (ON 4.5 S 3 f).
Nach dem gesichtsbiometrischen Gutachten des Sachverständigen Ao.Univ.-Prof. Dr. F* (ON 20.2) ergab ein Abgleich der Abbildung des Angeklagten auf dem oberwähnten Lichtbild 3 in ON 4.7 und den EDE-Lichtbildern in ON 17 S 2 mit den Lichtbildern und Videos der Überwachungskameras (vgl. GA-Seite 4), dass für das Gesicht des Angeklagten keine relevante Verwechslungsgefahr besteht, d.h. die Suche in der Baseline-Datenbank nach einem Individuum mit einer durchschnittlichen biometrischen Distanz ≤ 1% zum Angeklagten eine leere Menge ergab. Darnach besitzt dessen Gesicht biometrisch signifikante Eigenschaften, die eine substanzielle Abweichung vom Bevölkerungsdurchschnitt ergeben. Aus biometrischer Sicht handelt es sich mit mittlerer substantieller Übereinstimmung beim Angeklagten um die gesuchte Person (Kappa = 68 %, Vertrauensgrundsatz = 88 %).
Der Verfahrensautomation Justiz ist zu AZ ** der Landesgerichts Eisenstadt die damalige Vollzugsinformation samt Abbildung des Angeklagten zu entnehmen, auf welcher er (anders als auf den Lichtbildern in ON 4.7 bzw. ON 17) bereits längere (gelockte) Haare und damit (soweit auf den Überwachungsbildern erkennbar) dieselbe Frisur wie der Täter hat.
Mag A* auch bestreiten, die Person auf den vorliegenden Bildern bzw. Videos der Überwachungskameras zu sein, ist mit Blick auf das erwähnte Sachverständigengutachten, insbesondere aber den Umstand, dass er von zwei Personen, die regelmäßig mit ihm zu tun hatten und ihn daher nicht bloß flüchtig kennen, zu 99 Prozent und vom Opfer mit immerhin 90 Prozent wiedererkannt wurde, mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er auch tatsächlich der Täter ist.
Die subjektive Tatseite lässt sich - was bei leugnenden Angeklagten rechtsstaatlich vertretbar und methodisch gar nicht zu ersetzen ist ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 452; RIS-Justiz RS0116882) – auf das äußere Geschehen und die nach seiner Haftentlassung (nur wenige Tage vor der Tat) am 5. Februar 2025 (ON 32 S 2) prekäre finanzielle Situation (Drogensucht, ohne Beschäftigung, 40 Euro Taschengeld von der G*) stützen.
Neben dem als dringend einzustufenden Tatverdacht in Richtung §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB liegen auch die Haftgründe der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a, lit b und lit c StPO vor.
Fluchtgefahr ist anzunehmen, weil der Angeklagte iranischer Staatsangehöriger ohne soziale Integration im Inland ist und sich nicht nur an seiner Meldeadresse in E* aufhält, sondern auch in der B* Suchtgiftszene bewegt (vgl. ON 33 S 3; ON 27.1 S 2). Davon ausgehend besteht unter Miteinbeziehung der (hohen) Strafobergrenze von – unter Anwendung des § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB - 20 Jahren Freiheitsstrafe ein enormer Fluchtanreiz und sohin die evidente Gefahr, A* werde sich auf freiem Fuß belassen der weiteren Strafverfolgung entziehen bzw sich verborgen halten.
Das der dringenden Verdachtslage zufolge durch den Angeklagten begangene Verbrechen war nach allen konkreten Tatauswirkungen – jedenfalls aber unter Berücksichtigung der vorliegendenfalls geübten massiven Gewalt durch mehrfache Versuche auf sein Opfer einzustechen - und im Hinblick auf den schon im Strafrahmen zum Ausdruck kommenden Störwert mit schweren (sohin begriffsimmanent auch nicht bloß leichten) Folgen verbunden (vgl 12 Os 80/01 mwN). Das Vorleben des Angeklagten, der – unter Berücksichtigung einer Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB – drei einschlägige Vorstrafen aus den Jahren 2020, 2021 und 2024 aufweist, aber auch seine prekäre finanzielle Situation und der nach der Verdachtslage äußerst rasche Rückfall nach seiner letzten Haftentlassung lassen die massive Gefahr bejahen, er werde auf freiem Fuße belassen ungeachtet des wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat gegen ihn geführten Strafverfahrens abermals – zur Finanzierung seines Lebensunterhalts und seiner Sucht – strafbare Handlungen mit schweren Folgen und einer Strafdrohung von mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind wie die ihm angelastete Straftat, nämlich insbesondere weitere Verbrechen des Raubes, wobei er wegen gegen dieselben Rechtsgüter (Vermögen, Leib und Leben) gerichteter Straftaten bereits mehr als zweimal verurteilt worden ist.
Angesichts eines relevanten Strafrahmens von einem bis zu zwanzig Jahren Freiheitsstrafe steht die bislang erst eine Woche andauernde Untersuchungshaft im Sinne der §§ 173 Abs 1; 177 Abs 2 StPO weder außer Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe noch zur Bedeutung der dem Angeklagten angelasteten strafbaren Handlung.
Die Haftgründe sind – unter Bedachtnahme auf obige Ausführungen – als so gewichtig anzusehen, dass sie durch
gelindere Mittel des § 173 Abs 5 StPO nicht wirksam substituiert werden können.
Der Beschwerde war daher ein Erfolg zu versagen.
Ein Ausspruch über die Haftfrist entfällt mit Blick auf die eingebrachte Anklageschrift (§ 175 Abs 5 erster Satz StPO; vgl Kirchbacher/Rami aaO § 175 Rz 18).