30Bs192/25t – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Edwards als Vorsitzende sowie die Richterinnen Dr. Steindl und Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des B* gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 13. Juni 2025, GZ **-51.1, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Herstellung des Hauptverhandlungsprotokolls vom 9. April 2025 und die Zustellung einer Ausfertigung an B* gemäß § 271a Abs 3 zweiter Satz StPO aufgetragen.
Text
Begründung:
Mit rechtskräftigem Urteil vom 9. April 2025 wurde die am ** geborene österreichische Staatsbürgerin A* gemäß § 259 Z 3 StPO von der wider sie erhobenen Anklage (ON 26) freigesprochen und der Privatbeteiligte B* mit seinen Ansprüchen gemäß § 366 Abs 1 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen (ON 47).
Mit unmittelbar nach Urteilsverkündung und damit fristgerecht gestelltem Antrag beantragte B* die Herstellung einer Protokollsabschrift (ON 47.4, 3).
Mit Note vom 18. April 2025 (ON 49) trug die Erstrichterin dem Privatbeteiligten auf, bekanntzugeben, inwiefern ein besonderes rechtliches Interesse an der Übertragung der Aufnahme der Hauptverhandlung bestünde.
Mit Eingabe vom 2. Mai 2025 (ON 50) präzisierte der Antragsteller sein Begehren dahingehend, dass seiner Ansicht nach der Verdacht bestehe, dass der in der Hauptverhandlung vernommene Zeuge C* eine falsche Zeugenaussage abgelegt und sich nach § 288 Abs 1 StGB strafbar gemacht habe. Im Zusammenhang mit ihm bereits vorliegenden, unter einem vorgelegten Chat-Nachrichten bilde das Protokoll über die Hauptverhandlung einen Beweis dafür, dass sich die Angeklagte und der Zeuge widersprochen hätten und werde das Protokoll als Beweismittel für die Anstrengung von Straf- und Zivilverfahren gegen die genannten Personen, insbesondere eines Strafverfahrens gegen den Zeugen C*, benötigt.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag des B* ab (ON 51). Begründend stützte es sich darauf, dass es dem Antragsteller nicht gelungen sei, ein rechtliches Interesse an der Herstellung des Protokolls und der Zustellung einer Ausfertigung glaubhaft zu machen. Nachdem seitens der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt keine Protokollsabschrift beantragt worden sei, liege offenkundig kein Anfangsverdacht gegen den Zeugen C* vor. Ansonsten mache der Antragsteller nicht klar, welche Art zivilrechtlicher Ansprüche er konkret durchsetzen wolle und sei er ohnehin im Besitz der vorgelegten Chatnachrichten.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde des B* (ON 52).
Rechtliche Beurteilung
Dem Rechtsmittel ist Berechtigung nicht abzusprechen.
Gemäß § 271a Abs 3 StPO kann das Verhandlungsprotokoll durch einen vom Vorsitzenden zu unterschreibenden Vermerk ersetzt werden, der lediglich die in § 271 Abs 1 Z 1 bis 3 angeführten Angaben enthält, wenn – wie hier - der gesamte Verlauf der Hauptverhandlung nach Abs 1 aufgenommen wurde und die Beteiligten des Verfahrens auf ein Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der hiefür offenstehenden Frist kein Rechtsmittel anmelden. Sofern sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen, können die Beteiligten des Verfahrens binnen 14 Tagen nach Verkündung des Urteils die Herstellung des Protokolls und die Zustellung einer Ausfertigung verlangen.
Das rechtliche Interesse muss ein in der Rechtsordnung begründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht (RIS-Justiz RS0079198). Die Kenntnis vom Akteninhalt (hier: Protokolls) muss dabei geeignet sein, die Position des Antragstellers in einem – wenngleich noch nicht anhängigen – Verwaltungs- , Zivil- oder Strafverfahren zu fördern oder die Gefahr von Beeinträchtigungen seiner Rechtssphäre zu minimieren oder zu beseitigen ( Oshidari in WK StPO zum gleichen Begriff des rechtlichen Interesses in § 77 Rz 2).
Diesen Anforderungen wurde das Antragsvorbringen der Ansicht des Erstgerichts zuwider aber durchaus gerecht, legte der Antragsteller doch nachvollziehbar und konkret dar, dass das Hauptverhandlungsprotokoll (unter anderem) dem Zweck der Anstrengung eines Strafverfahrens gegen den Zeugen C* dienen solle. Dem Beschwerdeführer ist dahingehend beizupflichten, dass sich allein aus dem Umstand, dass der Sitzungsvertreter der Anklagebehörde nicht selbst eine Protokollsabschrift beantragt hat, nicht von vornherein eine gänzliche Aussichtslosigkeit seines Vorhabens der Einbringung einer Strafanzeige ableiten lässt, zumal der Antragsteller über weitere - auch bescheinigte -, dem Sitzungsvertreter nicht bekannt gewesene Beweismittel verfügt, sodass das Protokoll die Eignung aufweist, einen Widerspruch der Aussage des Zeugen zu diesen Unterlagen aufzuzeigen.
Der Beschwerde war daher Folge zu geben, der erstgerichtliche Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Übertragung des Hauptverhandlungsprotokolls und die Zustellung einer Ausfertigung an den Privatbeteiligten aufzutragen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).