JudikaturOLG Wien

31Bs176/25x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
08. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Richter Mag. Spreitzer LL.M. als Vorsitzenden sowie die Richter- innen Mag. Wilder und Mag. Marchart als weitere Senatsmitglieder in der Maßnahmenvollzugssache des A* wegen Widerrufs einer bedingten Entlassung über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. Juni 2025, GZ B*-73, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4. Juli 2019, AZ C*, wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (nunmehr: ein forensisch-therapeutisches Zentrum [in der Folge: FTZ]) eingewiesen, weil er am 20. Mai 2019 in ** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer akuten Psychose im Rahmen einer bestehenden paranoiden Schizophrenie (F20 ICD-10), durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe D* fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz abnötigte, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er unter Vorhalt einer Gaspistole Bargeld forderte, woraufhin A* die Kassa öffnete und ihm 861,89 Euro aushändigte, somit eine Handlung begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und ihm, wäre er zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen, als das Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB zuzurechnen gewesen wäre. Nach der Person des Betroffenen, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat war konkret und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass A* unter Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen, ähnlich der verfahrensgegenständlichen Tat – zB schwere Körperverletzungen, auch durch Waffen oder bewaffnete Überfälle begehen werde, wobei als potentielle Opfer zufällige Dritte anzusehen waren - begehen werde (ON 29 im angeschlossenen Akt des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, AZ C*).

Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 8. Jänner 2024, GZ B*-16, wurde der Genannte gemäß § 47 Abs 1 und 2 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von zehn Jahren bedingt entlassen. Gleichzeitig wurde Bewährungshilfe angeordnet und dem Betroffenen – mit seiner Zustimmung (ON 2.3 und ON 16, 2) - die Weisungen erteilt, seine weitere Unterkunft in der vollbetreuten Wohneinrichtung des Vereins E* „**“ unter Einhaltung der Hausordnung (beinhaltend Drogen- und Alkoholkarenz) zu nehmen, zwecks Tagesstrukturierung und schrittweiser Einbindung in eine Arbeitstätigkeit eine regelmäßige Beschäftigungstherapie aufzunehmen, eine regelmäßige psychiatrische Betreuung in einer forensisch-psychiatrischen Einrichtung in Anspruch zu nehmen, die verordnete Medikation (inkl Depot) regelmäßig einzunehmen samt monatlicher Blutspiegelkontrolle, regelmäßige Psychotherapie im erforderlichen Ausmaß in Anspruch zu nehmen und Abstinenz von psychotropen Stoffen (Drogen, Alkohol) mit stichprobenartigen Kontrollen einzuhalten sowie alle drei Monate dem Gericht unaufgefordert Weisungsnachweise vorzulegen.

Nach seiner Entlassung aus dem FTZ am 1. Februar 2024 kam es – wie bereits vom Erstgericht im bekämpften Beschluss detailliert dargestellt (BS 2 ff) – zunächst zu einer positiven Entwicklung und Stabilisierung des A* (ON 26 und ON 31). Ab August 2024 kam es aber wiederholt zu Verstößen des Betroffenen gegen die Hausordnung und die Betreuungsvereinbarung (ON 39 und ON 41), weshalb er im Dezember 2024 erstmals förmlich gemahnt wurde (ON 1.47 und ON 42; nachweislich zugestellt am 3. Jänner 2025). Diese Mahnung entfaltete keine verhaltenssteuernde Wirkung (ON 48), weshalb im Februar 2025 die zweite förmliche Mahnung erfolgte (ON 1.51 und ON 50; nachweislich ausgefolgt am 12. Februar 2025). Dennoch kam es zu wiederholten Weisungverstößen. So fielen ab März 2025 durchgeführte Drogenharntests wiederholt positiv aus (ON 54) und der Nachweis der Medikamenteneinnahme misslang, weil lediglich ein reduzierter Medikamentenspiegel unterhalb des therapeutischen Bereichs für Olanzapin nachgewiesen werden konnte (ON 55). Dem Betroffenen wurde daher am 3. April 2025 in einer persönlichen Anhörung die dritte förmliche Mahnung erteilt (ON 59). Nach erfolgter Mahnung und der Befundaufnahme bei der Sachverständigen am selben Tag – bei der er neuerlich einen auf multiplen Substanzmissbrauch hinweisenden Drogenharntest abgab (ON 66.1, 10) - zeigte sich A* zwar etwas kooperativer, auffällig waren aber weiterhin sein unregelmäßiger Schlafrhythmus und das teilweise entgrenzte Verhalten gegenüber dem Personal und den Mitbewohnern in der Betreuungseinrichtung (ON 63).

Bei A* liegt aktuell eine schwere und nachhaltige psychische Störung vor, und zwar eine durch Drogen induzierte Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis und eine zerfallen wirkende strukturschwache Persönlichkeitsstörung sowie eine psychische Störung und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzmissbrauch. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Betroffene unter dem maßgeblichen Einfluss dieser psychischen Störungen in absehbarer Zukunft - ab sofort – wiederum eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen das heißt eine gegen Leib und Leben gerichtete Handlung begehen wird, insbesondere schwere Körperverletzungen und qualifizierte Drohungen, die abrupt umgesetzt werden, oder eine Wiederholung des Anlassdelikts. Diese neuerlich akut bestehende, durch den Suchtmittelkonsum ausgelöste Gefährlichkeit kann derzeit nicht mehr extramural hintangehalten werden (ON 66.1, 20 f).

Zum Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Entlassung (ON 1.70) äußerte sich der Bewährungshelfer im Wesentlichen dahingehend, dass der Betroffene im Kontakt freundlich wirkt und motiviert scheint, seine weiteren Weisungen einzuhalten, im Hinblick auf das vorliegende Gutachten aber keine wesentlichen Gründe gegen einen Widerruf vorgebracht werden könnten (ON 68).

Im anlässlich des beantragten Widerrufs (ON 1.70) übermittelten Verlaufsbericht der Betreuungseinrichtung (ON 69) wurde zwar neuerlich bestätigt, dass er sich seit der vorangegangenen förmlichen Mahnung und der Befundaufnahme bei der Sachverständigen kooperativer zeigte, es aber weiterhin zu Verstößen - wenn auch nur geringfügigen - gegen die Hausordnung kam, der Betroffene zwischenzeitlich mit erratischem Verhalten betreffend die Bekleidung auffiel und er sich vermehrt zurückzog.

Der Betroffene ersuchte anlässlich seiner Anhörung zum beantragten Widerruf von diesem abzusehen (ON 71).

Am auf die Anhörung folgenden Tag gab er neuerlich einen auf Amphetamine und Cannabis positiven Drogenharntest ab (ON 72).

Mit dem angefochtenen Beschluss widerrief das Landesgericht für Strafsachen Wien durch einen Drei-Richter-Senat (§ 162 Abs 3 StVG) die mit Beschluss vom 8. Jänner 2024 angeordnete bedingte Entlassung.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Betroffenen, in der er sinngemäß vorbringt, dass die Therapie sehr gut angeschlagen habe, er „rehabilitiert“ worden sei, wieder zu sich selbst zurückgefunden habe und die Weisungen nicht mehr notwendig seien (ON 75).

Rechtliche Beurteilung

Nach erfolgter Beschlussfassung berichtete die Betreuungseinrichtung mit Schreiben vom 18. Juni 2025 (ON 74; zur Berücksichtigung von Neuerungen im Beschwerdeverfahren vgl Tipold in Fuchs/Ratz, WK StPO § 89 Rz 8) von einem auf Cannabis, Amphetamin und Kokain positiven Drogenharntest vom 17. Juni 2025 sowie einem immer erratischeren Verhalten des Betroffenen, der Unterwäsche und Socken auf dem Kopf trägt, sowie in Gesprächen unbeteiligt und nicht greifbar wirkt.

Die bedingte Entlassung aus einer vorbeugenden Maßnahme ist unter anderem dann zu widerrufen, wenn der Rechtsbrecher während des vom Gericht bestimmten Zeitraums eine Weisung trotz förmlicher Mahnung mutwillig nicht befolgt oder sich beharrlich dem Einfluss des Bewährungshelfers entzieht (§ 54 Abs 1 iVm § 53 Abs 2 StGB). Weiters ist erforderlich, dass sich aus den die Widerrufsvoraussetzungen erfüllenden Umständen ergibt, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, noch besteht und außerhalb des Maßnahmenvollzugs nicht substituierbar ist. Die Gefährlichkeit muss sich aus einer der Widerrufsvoraussetzungen des § 53 StGB ergeben; der Umstand muss also symptomatisch für den Fortbestand der Gefährlichkeit sein. Nicht verlangt ist, dass die Befürchtung daraus allein abgeleitet wird (vgl Haslwanter in Höpfel/Ratz, WK² § 54 Rz 4/1 ff; Pieber aaO StVG § 180 Rz 14).

Aus dem schlüssigen Gutachten der Sachverständigen Dr. F* (ON  66.1) ergibt sich zweifelsfrei, dass beim Betroffenen aktuell eine schwere und nachhaltige psychische Störung vorliegt, und zwar eine durch Drogen induzierte Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis und eine zerfallen wirkende strukturschwache Persönlichkeitsstörung sowie eine psychische Störung und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzmissbrauch und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass der Betroffene unter dem maßgeblichen Einfluss dieser psychischen Störungen in absehbarer Zukunft - ab sofort – wiederum eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen das heißt eine gegen Leib und Leben gerichtete Handlung begehen wird, insbesondere schwere Körperverletzungen und qualifizierte Drohungen, die abrupt umgesetzt werden, oder eine Wiederholung des Anlassdelikts. Diese neuerlich akut bestehende, durch den Suchtmittelkonsum ausgelöste Gefährlichkeit kann derzeit nicht mehr extramural hintangehalten werden (ON 66.1, 20 f).

Zudem hat der Beschwerdeführer mutwillig ihm erteilte Weisungen nicht befolgt und somit einen Widerrufstatbestand nach §§ 54 Abs 1 iVm 53 Abs 2 StGB gesetzt, indem er sich trotz förmlicher Mahnungen (ON 42, ON 50 und ON 59) weigerte diese einzuhalten, weil er wiederholt gegen die Hausordnung verstieß, Suchtmittel (Morphine, THC, Cannabis Amphetamin, MDMA, Buprenorphin, Benzodiazepine, Kokain und Opiate) konsumierte (ON 54, ON 55, ON 63, ON 66.1, ON 72 und 74) und die auferlegte Medikamenteneinnahme nicht einhielt, wie sich aus dem reduzierten Medikamentenspiegel ergab (ON 55).

Bei dem Betroffenen, bei dem unter anderem eine durch Drogen induzierte Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis besteht (ON 66.1, 20) und bei dem schon anlässlich der bedingten Entlassung auf die Notwendigkeit der Einhalten von Struktur und Grenzen hingewiesen wurde, damit sich nicht unbemerkt ein dissozial akzentuiertes Verhalten einschleicht (ON 14, 17 und ON 66.1, 18), wurde diese neuerlich akut bestehende Gefährlichkeit gerade durch den Suchtmittelkonsum und die Nichteinhaltung der Weisungen ausgelöst. Eine Alternative zu einem intramuralen Setting um die Gefährlichkeit hintanzuhalten besteht derzeit nicht.

Da die Widerrufsvoraussetzungen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Erstgericht gegeben waren und nach wie vor vorliegen, war der Beschwerde ein Erfolg zu versagen.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

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