JudikaturOLG Wien

18Bs166/25f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
02. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Frohner als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Primer und Dr. Hornich, LL.M., als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 287 Abs 1 StGB über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 13. Juni 2025, GZ ** 22, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die über A* verhängte Untersuchungshaft wird aus den Haftgründen der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit b, lit c und lit d StPO fortgesetzt.

Die Wirksamkeit dieses Beschlusses ist durch eine Haftfrist nicht begrenzt (§ 175 Abs 5 erster Halbsatz StPO).

Text

Begründung:

Über den am ** geborenen serbischen Staatsangehörigen A* wurde nach Einbringung eines Strafantrags, in welchem unter einem gemäß § 22 Abs 1 StGB die Unterbringung des Genannten in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher beantragt wurde (ON 14), und seiner gerichtlich angeordneten Festnahme (ON 17) am 11. Juni 2025, 14.50 Uhr (ON 20.6, 2) dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend (ON 1.11) nach dessen Einlieferung am selben Tag um 16.00 Uhr (20.2, 1) mit dem angefochtenen Beschluss vom 13. Juni 2025 (ON 21, 5 und ON 22) die Untersuchungshaft wegen des dringenden Verdachts der Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB (§§ 107 Abs 1, 109 Abs 1, 125 StGB) aus dem Haftgrund der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b, lit c und lit d StPO verhängt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die unmittelbar nach der Verkündung angemeldete, unausgeführte Beschwerde des A*.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Die Untersuchungshaft darf nur verhängt oder fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte einer bestimmten Tat dringend verdächtig ist, sohin mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter ist. Ein solcher Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. Dringender Tatverdacht ist mehr als eine bloße Vermutung und mehr als einfacher oder gewöhnlicher Verdacht ( Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 173 Rz 3).

Ausgehend davon, dass das Oberlandesgericht seine Entscheidung reformatorisch zu treffen hat (RIS-Justiz RS0116421, RS0120817), ist A* dringend verdächtig, er habe sich in B* zumindest fahrlässig durch den Genuss von Alkohol und den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels, nämlich Kokain, Cannabisharz und Cannabiskraut (Punkt I./) bzw zumindest Tramal (Punkt II./), in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch mit psychoseartigen Symptomen versetzt, wobei er im Rausch, indem er

I./ am 7. März 2025

1./ den Eintritt in die von C* D*, E* D* und F* bewohnte Wohnung, sohin in die Wohnstätte eines anderen, mit Gewalt erzwang, indem er mehrmals unter Anwendung seiner Körperkraft gegen die Eingangstüre schlug bzw. trat, sodass diese aufsprang, und er in weiterer Folge den Vorraum der Wohnung betrat und für die Dauer von einigen Minuten dort verweilte;

2./ durch die unter Punkt I./1. angeführte Tathandlung eine fremde Sache, nämlich die Wohnungstüre des C* D* und der E* D*, im Bereich der Schlossfalle am Türstock beschädigte, wodurch ein Schaden in Höhe von 240,96 Euro entstand;

II./ am 16. März 2025 G* mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedrohte, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er den Genannten mehrmals an seinem Unterarm packte und in aggressivem Ton ankündigte, ihn zu schlagen, wobei er ihn zur Untermauerung seiner verbalen Drohung gegen eine Wand drückte,

Handlungen beging, die ihm außer diesem Zustand als das Vergehen des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs 1 StGB (I./1./), als das Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (I./2./) und als das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II./) zugerechnet würden.

Dabei steht A* in subjektiver Hinsicht im dringenden Verdacht, er habe es an den Tattagen ernsthaft für möglich gehalten und sich damit abgefunden, durch den Konsum erheblicher Mengen alkoholischer Getränke von Alkohol und den Gebrauch anderer berauschender Mittel, nämlich Kokain, Cannabisharz und Cannabiskraut (Punkt I./) bzw zumindest Tramal (Punkt II./) einen seine Diskretions und/oder Dispositionsfähigkeit ausschließenden Zustand zu erwirken und in diesem den Eintritt in die Wohnstätte seiner Nachbarn mit Gewalt, nämlich durch Schlagen und Treten gegen die Eingangstüre zu erzwingen und dabei die Tür zu beschädigen (I./) sowie mit der Absicht, den Adressaten seiner verbalen Drohung in Furcht und Unruhe zu versetzen und beim Bedrohten den Eindruck einer ernst gemeinten Ankündigung eines bevorstehenden Anschlags auf dessen körperliche Integrität zu erwecken, indem er diesem Schläge androhte und ihn gegen die Wand drückte (II./), sohin strafbedrohte Handlungen begangen, die ihm außer dem Vollrausch als strafbare Handlung zugerechnet würden.

In rechtlicher Hinsicht ist A* daher dringend verdächtig, zu I./ das Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§§ 109 Abs 1; 125) StGB (RIS-Justiz RS0095936) und zu II./ das Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§ 107 Abs 1) StGB begangen zu haben.

Diese verdichtete Verdachtslage folgt in objektiver Hinsicht aus den Berichten der Landespolizeidirektion H*, SPK B*, PI B*, ** (ON 2, ON 8), insbesondere den darin enthaltenen belastenden Angaben der Zeugen C* D* (ON 2.8), E* D* (ON 2.9), G* (ON 2.7) und J* (ON 2.6) sowie den Videos zu I./ (ON 8).

Dabei schilderten C* D* (ON 2.8) und E* D* (ON 2.9), die auch die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 109 Abs 2 StGB erteilten (siehe ON 2.14 bis 2.16), im Wesentlichen übereinstimmend, dass der Angeklagte, der die Wohnung über ihnen bewohnt, schon längere Zeit Probleme mache, psychisch krank sei und es bereits einige Polizeieinsätze seinetwegen gegeben habe. Am 7. März 2025 habe er zunächst herumgetrampelt und auf den Boden geschlagen. Gegen 2 Uhr in der Früh habe er so lange gegen die Wohnungstür geschlagen, bis diese aufgegangen sei. Er habe nach einer Frau gerufen und sei davon ausgegangen, dass sich diese in der Wohnung aufhalte. Er sei unter Substanzeinfluss gestanden.

Der Angeklagte gab zunächst bei seiner polizeilichen Einvernahme an, er habe eine schreiende Frau gehört, der er helfen habe wollen, er habe zunächst geklopft, doch es habe niemand geöffnet, er habe dann einmal mit der Schulter gegen die Tür gestoßen, weil er sie habe aufbrechen wollen, um der Frau zu helfen, wodurch die Tür aufgegangen sei (ON 2.5).

Gegenüber dem Sachverständigen führte er aus, dass er davon ausgehe, dass die Nachbarn eine sadomasochistische Beziehung haben. Er sei vorbei gegangen, noch ein Stockwerk runter, habe Zigaretten holen wollen und habe gehört, wie sie zu ihm gesagt habe: „Bitte tu mir nicht weh“ und das mache sie nur, um ihn sexuell zu erregen und dann sei es leise geworden. Er habe gedacht jemand tue jemandem weh. Er habe dann nachgefragt, nachdem er die Tür mit der linken Schulter aufgedrückt hatte. Die Tochter sei hinten gestanden, dann die Frau, davor sei der Mann in der Unterhose gewesen, der sei am Körper ganz rot gewesen und er habe nur gefragt, ob hier jemandem weh getan werde oder ob alles in Ordnung sei (ON 14, 10 f und 25).

Der Zeuge G* (ON 2.7) schilderte, dass der Angeklagte zunächst im Stiegenhaus gelegen sei und er ihm seine Hilfe angeboten habe. Dieser sei daraufhin direkt auf ihn losgegangen und habe ihn am linken Unterarm gepackt. Nach der Aufforderung, ihn loszulassen, habe er dies gemacht, habe ihn aber mit dem Schlagen bedroht, sei aggressiv gewesen und habe ihn gegen die Wand gedrückt. Danach habe er kurz von ihm abgelassen, habe er ihn aber erneut am Unterarm gepackt und mit dem Schlagen bedroht. Er habe nach Alkohol gerochen.

Zu diesem Vorfall gab der Beschwerdeführer an, Alkohol getrunken zu haben und sich nicht erinnern zu können (ON 2.5, 4; ON 12.1, 11).

Dass der Angeklagte, der nach der schlüssigen Einschätzung des beigezogenen Sachverständigen Univ. Doz Dr. K* an einer Polytoxikomanie (ICD 10, F 19) sowie einer alkohol- und drogenbedingten Wesensänderung (ON 12.1, 22) leidet, um die Wirkung von Alkohol (auch in Kombination mit anderen berauschenden Mitteln) Bescheid wusste, erschließt sich aus seinem langen Substanzmissbrauch (ON 12.1, 14), der bereits im Jahr 2021 zu einer Verurteilung wegen § 287 Abs 1 StGB führte (Punkt 3. der Strafregisterauskunft ON 2.3) . Ausgehend von den widersprüchlichen Erklärungen zur Tat am 7. März 2025 und von den eine Erinnerung an die angelastete Tat am 16. März 2025 in Abrede stellenden Angaben des Angeklagten und unter Berücksichtigung der Tatmodalitäten legte der Sachverständige nachvollziehbar dar, dass die – vom Angeklagten zum Tatzeitpunkt 16. März 2025 auch eingestandene - Berauschung jeweils derart gravierend gewesen sei, dass sie an beiden Tattagen zu einem Verlust der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit geführt habe (ON 12.1, 27).

Vorliegend indiziert das objektive Geschehen (Schlagen und Treten gegen die Wohnungstür, wodurch diese aufsprang; Wortlaut der verbalen Drohung; Aggressionshandlungen) und die sich nach außen manifestierende Erkrankung des Betroffenen auch die Annahme einer qualifizierten Verdachtslage im Hinblick auf das Vorliegen der subjektiven Tatseite der strafbedrohten Handlungen, was rechtsstaatlich vertretbar und bei einem leugnenden Täter methodisch gar nicht zu ersetzen ist ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 452; RIS-Justiz RS0116882).

Ausgehend von der dargestellten dringenden Verdachtslage liegen auch die Haftgründe der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b, lit c und lit d StPO vor.

Aufgrund der bestehenden Polytoxikomanie (ICD 10, F 19) sowie einer alkohol- und drogenbedingten Wesensänderung (ON 12.1, 22) und seines erheblich einschlägig getrübten, eine beträchtliche Gewaltbereitschaft dokumentierenden Vorlebens (ON 2.3; vgl auch RIS-Justiz RS0091492) besteht die Gefahr, A* werde angesichts der mehrfachen Tatbegehung gegen Nachbarn – auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat geführten Strafverfahrens strafbedrohte Handlungen im Zustand voller Berauschung mit nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind wie die ihm angelasteten Straftaten mit nicht bloß leichten Folgen, wobei ihm wiederholte Handlungen vorgeworfen werden und er wegen solchen Taten bereits vier Mal verurteilt wurde (§ 173 Abs 2 Z 3 lit b und lit c StPO).

Tatausführungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit d StPO ist gegeben, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat geführten Strafverfahrens die ihm angelastete versuchte oder angedrohte Tat ausführen ( Kirchbacher/Rami , aaO Rz 38). Dieser Haftgrund dient der Verhinderung einer konkreten Tat, wobei die Androhung dieser Tat Gegenstand eben des Verfahrens ist, in dem der Haftgrund Anwendung findet. Das Packen am Unterarm und Drücken des Tatopfers gegen die Wand sowie die aggressive Ankündigung gegenüber dem Tatopfer, er werde ihn schlagen, lässt in Zusammenschau mit der psychischen Verfassung des Angeklagten konkret befürchten, er werde auf freiem Fuß belassen die gegenüber dem Nachbarn angekündigte Tat auch ausführen. In den angelasteten Tathandlungen manifestiert sich ein hohes Aggressionspotential und eine beträchtliche Gewaltbereitschaft des Beschuldigten, die insbesondere im Hinblick auf seine weiterhin bestehende Polytoxikomanie und seine alkohol- und drogenbedingte Wesensänderung (ICD 10, F 19) die Gefahr der neuerlichen Begehung von vergleichbaren Straftaten nahelegen.

Angesichts der bisher nicht beherrschbaren schweren Suchterkrankung des Angeklagten und des Umstandes, dass die Rauschzustände mittlerweile zu psychoseartigen Symptomen führen, wobei noch nicht das Vollbild einer paranoiden Psychose im Sinne einer paranoiden Schizophrenie erfüllt ist (ON 12.1, 27), seiner sich aus der kontinuierlichen Delinquenz über viele Jahre (ON 2.3) und der aus der Expertise des Sachverständigen (ON 12.1, 27 ff) erschließenden hohen Rückfallwahrscheinlichkeit sind die angezogenen Haftgründe bei realitätsbezogener Betrachtung in einer derartigen Intensität gegeben, dass sie auch durch die Anwendung von gelinderen Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) nicht effektiv hintangehalten werden können. Insbesondere ist zu beachten, dass eine unbehandelte Suchterkrankung, die mittlerweile gefährliche Auswirkungen auf der Ebene der Persönlichkeit und in Richtung Psychoseentwicklung zeitigt, vorliegt und der Angeklagte bezüglich dieser Entwicklungen unkritisch ist. Es gibt keine gesicherte Behandlung, keinen sozialen Empfangsraum, die klinische Perspektive ist an sich sehr ungünstig, angesichts des Lebensstils ebenso die Legalprognose (ON 12.1, 28). Deshalb kann zur Beherrschung der komplexen gesundheitlichen Problematik mit einer ambulanten Behandlung nicht das Auslagen gefunden werden (ON 12.1, 29).

Mit Blick auf die ohnehin zeitnah für den 4. August 2025 anberaumte Hauptverhandlung (ON 1.22) und die Bedeutung der gegenständlichen Sache ist ausgehend von dem im Falle eines Schuldspruchs relevanten, zufolge Anwendung des § 39 Abs 1 StGB (nach Einsichtnahme in die IVV verbüßte der Angeklagte die über ihn mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu AZ ** verhängte Freiheitsstrafe bis 3. März 2023 und aufgrund des erfolgten Widerrufs den zu AZ ** des Landesgerichts für Strafsachen Wien verhängten restlichen Strafteil bis 5. April 2024) auf bis zu eineinhalb Jahre Freiheitsstrafe erhöhten Strafrahmen Unverhältnismäßigkeit der seit 13. Juni 2025 andauernden Untersuchungshaft nicht gegeben.

In Ansehung des vorliegenden Strafantrags entfällt eine Haftfrist (§ 175 Abs 5 StPO).

Rückverweise