32Bs86/25v – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter Oberst Turner als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des A* über 1.) die Beschwerde des Genannten und 2.) die Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Justiz gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 13. Februar 2025, GZ * 4, nach § 121b Abs 2 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Den Beschwerden wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesgericht für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht eine Beschwerde des A* vom 29. Oktober 2024 (ON 1.7) gegen die Entscheidung des Leiters der Justizanstalt ** vom 28. Oktober 2024 (kundgemacht am selben Tag) betreffend Punkt 1 derselben (ON 1.5 S 2) als unzulässig zurück.
Das Vollzugsgericht hielt wortwörtlich fest wie folgt:
A* verbüßt derzeit in der Justizanstalt ** eine zeitliche Freiheitsstrafe mit errechnetem Strafende am 2. Juni 2026.
Nach dem Inhalt der Stellungnahme der Justizanstalt ** (siehe dazu ON 1.4) wurde A* aufgrund einer Vollzugsortsänderung am 19. September 2024 in der Justizanstalt ** vom zentralen Überstellungsdienst übernommen. Im Anschluss wurde er mit angelegten Handfesseln in die Justizanstalt ** verlegt. Das Anlegen der Handfesseln sei beim Transport einer Gruppe von Insassen, deren Risikopotential unbekannt sei, im Sinne des § 103 Absatz 4 StVG erforderlich gewesen.
Mit seiner an den Anstaltsleiter gerichteten Eingabe vom 22. September 2024 beschwerte sich A* zusammengefasst über das Anlegen der Handfesseln im Rahmen seiner Überstellung in die Justizanstalt **.
Der Leiter der Justizanstalt ** wertete diese Eingabe als Aufsichtsbeschwerde betreffend das Verhalten von Vollzugsbediensteten.
Am 28. Oktober 2024 wurde A* bekanntgegeben, dass die Entscheidung über das Anlegen der Handfesseln dem aufsichtsführenden Justizwachebeamten obliegt, weswegen seiner „Beschwerde nicht Folge gegeben werde“. Inhaltlich ist diese Entscheidung jedoch freilich dahingehend zu verstehen, dass der Leiter der Justizanstalt ** keinen Anlass zur Einleitung aufsichtsbehördlicher Maßnahmen sah.
Gegen diese Kundmachung richtet sich die Beschwerde des A* vom 29. Oktober 2024, eingelangt in der Justizanstalt ** am 6. November 2024, in welcher er sich neuerlich darüber beschwert, dass der Justizwachebeamte der Justizanstalt ** darauf bestanden habe, ihm Handfesseln anzulegen.
Rechtlich wurde - zusammengefasst - erwogen, dass aus dem Akteninhalt eindeutig abzuleiten sei, dass A* tatsächlich bloß das Verhalten von Justizwachebeamten anlässlich seiner Überstellung von der Justizanstalt ** in die Justizanstalt ** betreffend das Anlegen von Handfesseln kritisiere, womit kein dem Anstaltsleiter zuzurechnendes Verhalten thematisiert werde.
Aus ON 1.5 S 2 am Anfang sei eindeutig ersichtlich, dass A* letztendlich im Ergebnis mitgeteilt worden sei, dass die Entscheidung des Justizwachebeamten nicht zu kritisieren sei, somit zur Ergreifung aufsichtsbehördlicher Maßnahmen kein Anlass erblickt werden könne. Da der Beschwerdeführer mit seiner Eingabe vom 22. September 2024 (Eingabe Nr. 1) bloß das Verhalten von Justizwachebeamten kritisiert habe und ihm mitgeteilt worden sei, dass das Verhalten des betroffenen Justizwachebeamten nicht zu kritisieren sei, handle es sich bloß um die Mitteilung, wonach zur Ergreifung aufsichtsbehördlicher Maßnahmen kein Anlass erblickt werden konnte, und fehle es dieser Mitteilung an einem rechtsgestaltenden oder feststellenden Inhalt.
Da gegen solche Mitteilungen eine Beschwerde nicht zulässig sei, sei diese als unzulässig zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die fristgemäß sowohl von A* erhobene Beschwerde (ON 5) als auch die Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Justiz (ON 6.2).
Rechtliche Beurteilung
In seiner Beschwerdeausführung bringt A* im Wesentlichen vor, dass er mit Schriftsatz vom 22. September 2024 Beschwerde beim Leiter der Justizanstalt ** wegen Verletzung des subjektiv öffentlichen Rechts, bei Überstellungen nicht (pauschal) gefesselt zu werden, nach §§ 120 Abs 1, 121 ff StVG erhoben und ersucht habe, diese Verletzung seines subjektiv öffentlichen Rechts festzustellen. Am 28. Oktober 2024 sei ihm die (Sammel )Entscheidung des Leiters der Justizanstalt ** verkündet worden, worin dieser zu Punkt 1 ausführe, dass aus seiner Sicht das monierte Verhalten und die daraus folgende Rechtsverletzung nicht zu beanstanden sei. Sinngemäß habe er sohin seinen Willen zum Ausdruck gebracht, der Beschwerde nicht Folge zu geben.
Der Leiter der Justizanstalt ** habe die unangenehme Angewohnheit entgegen der Rechtsvorschriften niemals einen ordnungsgemäßen Bescheid zu einem Beschwerdeverfahren auszustellen, stattdessen treffe er eine Entscheidung (zumeist ablehnend), die er floskelhaft und schwammig in ein paar Zeilen ausführe. Weil der Leiter der Justizanstalt ** sehr wohl über eine Administrativbeschwerde und nicht über eine Aufsichtsbeschwerde entschieden habe, nehme dieser auch zu seiner Beschwerde gegen dessen Entscheidung Stellung (vgl Stellungnahme vom 18. Dezember 2024 = ON 1.4). Des Weiteren ergebe sich auch die Sinnfrage, wieso der Anstaltsleiter seine Entscheidungen zu einer erhobenen Administrativbeschwerde allesamt als Mitteilung nach § 122 StVG sehen sollte, diese jedoch nicht als solche bezeichnet. Folge man der (irrigen) Ansicht des Erstgerichts hinsichtlich einer lapidaren Mitteilung nach § 122 StVG, so könne man die Beschwerde zwar zurückweisen (weil Aufsichtsrecht), dies habe jedoch zur Folge, dass der Anstaltsleiter eben nicht über die Administrativbeschwerde abgesprochen habe und er dies noch tun müsse, weil er über eine ordnungsgemäß erhobene Administrativbeschwerde ex lege zwingend eine Entscheidung zu treffen habe. In der Sichtweise des Landesgerichts für Strafsachen Graz sei „der Wurm“ drin.
Weiters verweist der Beschwerdeführer bezüglich der Wertung von Bescheidqualität bloßer Mitteilungen auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 15. Jänner 2025, AZ 32 Bs 240/24i, in vergleichbarer Rechtssache.
Selbst wenn das Erstgericht mit der Mutmaßung recht hätte, dass der Anstaltsleiter lediglich eine Mitteilung hinsichtlich seines Aufsichtsrechts getätigt habe, so habe es dieser in einer Art und Weise getan, dass der Erledigung Bescheidqualität zukomme und diese bekämpfbar sei.
Die Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Justiz wiederum verweist - verkürzt zusammengefasst - darauf, dass das Erstgericht (grundsätzlich) zutreffend davon ausgegangen sei, dass Erledigungen nach § 122 StVG keinem Rechtszug unterlägen. Diese Rechtsansicht setze aber voraus, dass das in Rede stehende Anliegen zu Recht als Aufsichtsbeschwerde nach § 122 StVG gewertet worden sei. Gegenständlich habe sich A* darüber beschwert, dass ihm im Rahmen seiner Überstellung von der Justizanstalt ** in die Justizanstalt ** Handfesseln angelegt worden seien. Dieser spreche somit ein subjektives Recht an und behaupte in ebendiesem - durch Verhalten eines Bediensteten - verletzt worden zu sein. Das Vollzugsgericht habe sich mit der Frage, ob die Vollzugsbehörde erster Instanz die Beschwerde des A* als Aufsichts oder als Rechtsbeschwerde behandelt habe, nicht ausreichend auseinandergesetzt. Zwar könne aus dem angefochtenen Beschluss (ON 4 S 2) abgeleitet werden, dass das Erstgericht hier eine Aufsichtsbeschwerde erhoben und behandelt sehe, jedoch bleibe eine entsprechende Begründung für diese Einschätzung offen. Es könne daher nicht abschließend beurteilt werden, ob der monierte Sachverhalt zu Recht als Aufsichtsbeschwerde gewertet und folglich die Beschwerde des A* gegen die Entscheidung des Anstaltsleiters vom 28. Oktober 2024 zu Recht zurückgewiesen worden sei. Der angefochtene Beschluss sei daher rechtswidrig.
Nach § 16a Abs 1 Z 1 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat (Abs 2).
Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere wenn das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.
Die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach Erledigungen nach § 122 StVG keinem Rechtszug unterlägen und daher dagegen erhobene Beschwerden zurückzuweisen seien, ist grundsätzlich richtig, setzt aber voraus, dass das in Rede stehende Anliegen zu Recht als Aufsichtsbeschwerde nach § 122 StVG gewertet wurde. In Fällen, in denen fraglich ist, welchem Rechtsbehelf sich der Strafgefangene bedient, ist für die Qualifizierung eines Anbringens als Administrativbeschwerde oder als Aufsichtsbeschwerde deren tatsächlicher Inhalt (und nicht etwa die Rechtsansicht des Anstaltsleiters) entscheidend und eine Frage der Auslegung im Einzelfall. Es kommt darauf an, ob der Beschwerdeführer erkennbar darauf abzielt, dass eine jeweils bereits individuell eingetretene Rechtsverletzung bescheidmäßig festgestellt wird oder damit die Einleitung aufsichtsbehördlicher Maßnahmen durch die übergeordnete Behörde anstrebt, etwa künftige allgemeine Missstände abzustellen oder generelle Anordnungen für den Strafvollzug zu bekämpfen (Drexler/Weger, StVG 5 § 120 Rz 7).
Der Ansicht des Erstgerichts, dass es sich bei der Entscheidung des Leiters der Justizanstalt ** vom 28. Oktober 2024 (Punkt 1) um eine aufsichtsbehördliche Erledigung gehandelt habe, kann nicht beigepflichtet werden.
Nach § 121 Abs 1 Z 1 StVG ist zur Erhebung einer Beschwerde berechtigt, wer behauptet , in einem subjektiven Recht nach diesem Bundesgesetz verletzt zu sein. Gegen die Anordnung von besonderen Sicherungsmaßnahmen steht die Beschwerde nach § 120 StVG offen ( Drexler/Weger , StVG 5 § 103 Rz 29).
Entgegen der Ansicht des Erstgerichts kommt der Entscheidung des Leiters der Justizanstalt *µ vom 28. Oktober 2024 (Punkt 1) sehr wohl Bescheidqualität zu, weil damit zum Ausdruck gebracht wird, dass das von A* monierte Verhalten (Anlegung der Handfesseln durch einen Justizwachebeamten bei seiner Überstellung) als berechtigt angesehen wird ( Hengstschläger/Leeb , AVG § 58 Rz 10ff). Im Übrigen weist auch die Bezugnahme in der Entscheidung auf eine „Beschwerde des A* vom 22.9.2024 gegen Sicherheitsmaßnahmen nach § 103 Abs 4 StVG“ sowie die Formulierung „Der Beschwerde wird nicht stattgegeben.“ auf einen Bescheidwillen hin (vgl Hengstschläger/Leeb , AVG § 58 Rz 9 mwN).
Da nach dem Vorgesagten sohin eine Beschwerde nach § 121 StVG vorliegt, war der bekämpfte Beschluss wegen Rechtswidrigkeit gemäß § 121b Abs 2 StVG aufzuheben und die Angelegenheit an das Erstgericht zur neuerlichen (inhaltlichen) Entscheidung zurückzuverweisen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.