JudikaturOLG Wien

23Bs164/25y – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
01. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Aichinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Staribacher und den Richter Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A* wegen bedingter Entlassung aus einer Freiheitsstrafe über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 2. Juni 2025, GZ **-13.2, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* verbüßt nach Selbstantritt in der Justizanstalt ** unmittelbar aufeinander folgend zwei Freiheitsstrafen im Gesamtausmaß von zwei Jahren und acht Monaten mit dem errechneten Strafende am 25. Juni 2026. Zunächst verbüßte er bis 25. Juni 2024 eine vom Landesgericht Krems an der Donau zu AZ ** wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB verhängte achtmonatige Freiheitsstrafe. Nunmehr steht eine vom Landesgericht St. Pölten zu AZ ** wegen zweier Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 und 2 StGB und eines Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB verhängte, zunächst bedingt nachgesehene, dann widerrufene zweijährige Freiheitsstrafe in Vollzug. Er befindet sich im gelockerten Vollzug, seit dem 7. Mai 2025 im Entlassungsvollzug (ON 3 S 2). Die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach § 46 Abs 1 StGB liegen seit 25. Februar 2025 vor, zwei Drittel der Sanktionen werden am 4. August 2025 verbüßt sein.

Mit dem angefochtenen Beschluss ordnete das Landesgericht Krems an der Donau als zuständiges Vollzugsgericht - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Anstaltsleiters (ON 3 S 3), indes entgegen jener der mit mangelnder positiver Zukunftsprognose argumentierenden Staatsanwaltschaft (ON 1.3) - die bedingte Entlassung des Strafgefangenen am 4. August 2025 an, bestimmte die Probezeit mit drei Jahren und sah für diesen Zeitraum Bewährungshilfe vor. Auch wurde A* – bei Übernahme der Kosten der Therapie durch den Bund nach Maßgabe des § 179 (zu ergänzen:) a Abs 2 StVG - die Weisung erteilt,

1. an der Adresse ***, zu wohnen, dies bis zum 15. August 2025 nachzuweisen und jede Wohnsitzänderung bekannt zu geben;

2. dem Gericht die Aufnahme einer Beschäftigung bis zum 15. September 2025 oder die Meldung beim AMS nachzuweisen,

3. sich Alkohol zu enthalten und dem Gericht und dem Therapeuten durch Vorlage der GGT-Werte spätestens am 15. September 2025 und die Fortsetzung alle vier Monate an jedem 15. Jänner, 15. Mai und 15. September nachzuweisen,

4. eine ambulante Antigewalttherapie – auch unter Berücksichtigung seines Suchtverhaltens - zu beginnen bzw. fortzusetzen und dies dem Gericht und der Bewährungshilfe spätestens am 15. September 2025 und die Fortsetzung alle vier Monate an jedem 15. Jänner, 15. Mai und 15. September nachzuweisen.

Dagegen richtet sich die rechtzeitig erhobene, auf eine Ablehnung der bedingten Entlassung abzielende Beschwerde der Staatsanwaltschaft Krems an der Donau (ON 14).

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 46 Abs 1 StGB ist einem Verurteilten nach Verbüßung der Hälfte der verhängten zeitlichen Freiheitsstrafe der Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen, sobald unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB anzunehmen ist, dass er durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird. Nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe haben generalpräventive Erwägungen ausnahmslos außer Betracht zu bleiben, allein die spezialpräventiv geprägte Annahme nicht geringerer Wirksamkeit der bedingten Entlassung ist maßgebliches Entscheidungskriterium ( Jerabek/Ropper , WK 2 StGB § 46 Rz 17). Diese Prognose künftigen Verhaltens erfordert eine Gesamtwürdigung aller dafür maßgeblichen Umstände, so insbesondere die Art der Tat, das private Umfeld des Verurteilten, sein Vorleben und seine Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit. Besonderes Augenmerk ist darauf zu legen, inwieweit sich die Verhältnisse seit der Tat durch die Einwirkung des Vollzugs positiv geändert haben bzw. ob negative Faktoren durch Maßnahmen nach §§ 50 bis 52 StGB ausgeglichen werden können ( Jerabek/Ropper , aaO Rz 15/1).

Mit der Neufassung der Voraussetzungen der bedingten Entlassung durch das StRÄG 2008 verfolgte der Gesetzgeber die Zielsetzung, erhöhte Sicherheit bei gleichzeitiger Zurückdrängung der Haftverbüßung zu erreichen. Der Schwerpunkt der Änderung liegt vor allem in der verstärkten Betreuung und Kontrolle nach der Haftentlassung, wobei mögliche Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB in den Vordergrund gerückt werden, um in der für Rückfälle kritischen Phase nach der Haftentlassung und Reintegration in die Gesellschaft ein Gegengewicht zu der breiteren Formulierung der Kriterien für die bedingte Entlassung zu schaffen und durch zu erstellende Prognosen darüber zu befinden, inwieweit durch solche Maßnahmen eine zukünftige Deliktsfreiheit erreicht bzw. die Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen substituiert werden kann (EBRV 302 BlgNR 23. GP, 7). Demnach soll auch die Anwendung des § 46 Abs 1 StGB nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe aus Sicht des Gesetzgebers der Regelfall sein, die vollständige Verbüßung hingegen auf (Ausnahme-)Fälle evidenten Rückfallrisikos des Rechtsbrechers beschränkt bleiben ( Jerabek/Ropper , aaO Rz 17). Von solch einem Ausnahmefall evidenten Rückfallrisikos ist bei A* – in Übereinstimmung mit dem Erstgericht - nicht mehr auszugehen.

Das Erstgericht stellte im bekämpften Beschluss das getrübte Vorleben des Strafgefangenen, seine langjährige Alkoholkrankheit und die ihm auch in diesem Zusammenhang bereits gewährten Resozialisierungshilfen, weiters seine Aufführung in Haft (keine Ordnungswidrigkeiten, regelmäßige forensische Einzeltherapie seit 24. Jänner 2024, Gruppen- und Einzelausgänge ohne Vorkommnisse, Therapiecompliance), die Stellungnahmen des psychologischen (ON 6 und ON 12.2: Stabilisierung im intramuralen Setting) und des sozialen Dienstes (ON 12.3. Wohnmöglichkeit bei der Mutter, in Aussicht eines Arbeitsplatzes bei der B* in ** ab September 2025 samt Mitfahrgelegenheit), somit die wesentliche Sachlage treffend fest, weshalb darauf (BS 3 ff) identifizierend verwiesen wird (zur Zulässigkeit vgl 12 Os 137/07z; RIS-Justiz RS0098568).

Das Beschwerdemonitum, die über den Strafgefangenen verhängten Freiheitsstrafen hätten offensichtlich keinerlei Eindruck hinterlassen und ihn auch nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten, mit Blick auf die Anlasstaten und den fehlenden Respekt vor der Integrität anderer Personen liege keine positive Prognose vor und sein Verhalten im Strafvollzug und seine Absichtserklärungen betreffend sein zukünftiges Erwerbsleben würden angesichts seines sozialschädlichen Verhaltens in der Vergangenheit (bei äußerst geringer Hemmschwelle zur Begehung von Delikten samt gravierendem Charakterdefizit und auffallender wertwidriger Einstellung) kein ausreichendes Gegengewicht zu den massiven spezialpräventiven Vorbehalten gegen seine bedingte Entlassung darstellen, greift zu kurz.

Das Institut der bedingten Entlassung ist ein wichtiges Element der (Re)Sozialisierung im Strafvollzug ( Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 46 Rz 3). Die Gewährung einer bedingten Entlassung stellt einen Vertrauensvorschuss dar, der in Zusammenhang mit dem weiter schwebenden restlichen Vollzug, der Bestellung eines Bewährungshelfers und der Erteilung von Weisungen geeignet ist, die Motivation für eine künftig rechtschaffene Lebensführung zu stärken. Die Wirksamkeit dieses unterstützenden Effektes lässt sich jedoch nicht beliebig vermehren und hängt wesentlich von der Persönlichkeit des betroffenen Rechtsbrechers ab. So gesehen ist die bedingte Entlassung – im Regelfall aus einer zeitlichen Freiheitsstrafe – vor allem ein Instrument der Wirtschaftlichkeit, das bewirkt, dass bei Erreichung der Vollzugszwecke vor dem rechnerischen Strafende die Möglichkeit besteht, den teuren und ab nun nicht mehr effektiven Vollzug vorerst zu beenden. Dazu kommt, dass die Bestellung eines Bewährungshelfers und Erteilung von Weisungen es rechtlich ermöglichen, den Betroffenen auch außerhalb des Vollzuges in einer im § 20 StVG umschriebenen Entwicklung zu unterstützen. Aus Sicht des Vollzuges ist die Möglichkeit, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden einer der wichtigsten Motivatoren, den Strafgefangenen zu bewegen, an der Erreichung der Vollzugszwecke mitzuarbeiten. Es ist daher besonders wichtig, dass positive Entwicklungen während der Haft in der Entscheidung über die bedingte Entlassung entsprechend gewürdigt werden. Ohne die Bedeutung statischer Faktoren wie Tathergang und Vorstrafen zu leugnen, verlangt der Umstand, dass § 20 StVG ausdrücklich einen Betreuungsvollzug mit Resozialisierungsziel statuiert, dass den dynamischen Faktoren in der Entwicklung eines Strafgefangenen zumindest ebensolche Bedeutung beigemessen wird. Ständiges Verweisen auf Umstände, die nun einmal nicht mehr zu ändern sind und das geflissentliche Ignorieren mittlerweile stattgefundener positiver Veränderungen entsprechen somit nicht dem Gesetz ( Drexler/Weger , StVG 5 § 152 Rz 2).

Hängt die bisherige Delinquenz des Strafgefangenen vor allem mit seiner langjährigen Alkoholerkrankung zusammen, ergaben sich in der (nunmehr bereits mehr als ein Jahr und fünf Monate währenden) Therapie fassbare Änderungen, die eine Reduktion des Rückfallrisikos bedeuten (ON 6 S 2). Unter Berücksichtigung der unter Einbeziehung des psychologischen Dienstes eine bedingte Entlassung befürwortenden Stellungnahme des Anstaltsleiters der Justizanstalt ** ist aufgrund der dokumentierten intensiven Mitarbeit des A* an der Erreichung der Vollzugsziele bei psychotherapeutischer Auseinandersetzung mit sein Leben negativ beeinflussenden Faktoren (wobei er selbst um Gespräche mit dem psychologischen Dienst angesucht und die Exploration bereitwillig durchgeführt hat, seit 24. Jänner 2024 regelmäßig eine forensische Einzeltherapie absolviert und die Delinquenzentwicklung ausgehend vom erlittenen Trauma hin zum Alkoholismus erkannt hat), seiner Beschäftigung bei sehr guter Arbeitsleistung und beanstandungsloser Führung in der Küche (ON 3 S 2), seiner Bewährung bei 15 mit Freiheit verbundenen Vollzugslockerungen in Form von unbewachten Aufenthalten außerhalb der Anstalt sowie 5 Gruppenausgängen (ON 3 S 2) sowie seiner intramural erlangten Stabilität, dem vom Erstgericht erstellten Kalkül einer offenkundigen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 46 Abs 4 StGB beizutreten.

All dies stellt den Beschwerdeausführungen zuwider nunmehr ein ausreichendes Gegengewicht zu den aus seinem Vorleben ableitbaren spezialpräventiven Vorbehalten dar, sodass nicht mehr von einem evidenten Rückfallrisiko gesprochen werden kann. In Verbindung mit der Anordnung der Bewährungshilfe und den auf Bekämpfung seiner Alkoholkrankheit abzielenden Weisungen ist die bedingte Entlassung vielmehr als geeigneter anzusehen, A* von der Begehung neuerlicher Straftaten abzuhalten, als die Verbüßung der Freiheitsstrafe zur Gänze. Denn die vom Vollzugsgericht angeordneten Maßnahmen nach §§ 50, 52 StGB vermögen jedenfalls länger verhaltenssteuernd zu wirken als der bloße Vollzug der Freiheitsstrafe bis zum Ende der Strafzeit. Die Prognose, A* werde durch die Entlassung zumindest nicht weniger als durch den weiteren Vollzug von der neuerlichen Begehung strafbarer Handlungen abgehalten, ist in casu somit vertretbar, weshalb ihm noch einmal die Möglichkeit eingeräumt werden kann, sich zu bewähren.

Der Beschwerde war somit ein Erfolg zu versagen.

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