31Bs120/25m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Richter Mag. Weber LL.M. als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Spreitzer LL.M. und die Richterin Mag. Marchart als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* und weitere Angeklagte wegen §§ 15, 146, 148 erster Fall StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom 24. April 2025, GZ **-9, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die Staatsanwaltschaft St. Pölten legt den rumänischen Staatsangehörigen A*, geboren am **, B* B*, geboren am **, und C*, geboren am **, mit Strafantrag vom 14. April 2025, AZ **, das Vergehen des gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 15, 146, 148 erster Fall StGB zur Last.
Demnach haben die Genannten am 17. März 2025 in ** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 1 StGB) mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, D* durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die Arbeiten mit Produkten der Marke E* durchzuführen, und ihren Willen, die angebotenen Leistungen zum vorher vereinbarten Preis von 100 Euro pro Quadratmeter oder auch nur ansatzweise korrekt und werthaltig durchzuführen, zu einer Handlung, nämlich zur Übergabe eines tatsächlich nicht zustehenden Werklohns zu verleiten versucht, die diesen in einem Betrag in Höhe von 1.900 Euro am Vermögen schädigen sollte, indem sie sich eigeninitiativ als Dachdecker anboten, die oben angeführten Angaben zu Preis und Qualität machten und schließlich wertlose „Arbeiten“ mit billigen Materialien verrichteten (ON 8).
Mit dem angefochtenen Beschluss erachtete sich der Einzelrichter des Landesgerichtes zur Durchführung des Hauptverfahrens gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO in Verbindung mit § 450 StPO für sachlich unzuständig. Begründend führte der Erstrichter im Wesentlichen aus, dass sich aus den bisherigen Ermittlungsergebnissen keine Anhaltspunkte ergäben, die eine gewerbsmäßige Tatbegehung unter Einsatz besonderer Fähigkeiten oder Mitteln, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen (§ 70 Abs 1 Z 1 StGB), nahelegen, weshalb die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes vorläge.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 12), die nicht berechtigt ist.
Gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO hat das Gericht den Strafantrag vor Anordnung der Hauptverhandlung zu prüfen und im Fall seiner örtlichen oder sachlichen Unzuständigkeit gemäß § 450 StPO vorzugehen, somit seine Unzuständigkeit mit Beschluss auszusprechen. Trotz Verweis auf § 450 StPO, der nur höher qualifizierte Gerichte anspricht, ist bei a-limine-Prüfung des Strafantrags die sachliche Unzuständigkeit des Einzelrichters uneingeschränkt – somit auch in Betreff einer Zuständigkeit des Bezirksgerichtes – wahrzunehmen ( Bauer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 485 Rz 3). Bezugspunkt (auch) der sachlichen Zuständigkeitsprüfung ist der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand (Sachverhalt). Bei dieser Prüfung hat das Gericht die rechtliche Beurteilung des angeklagten Sachverhalts selbständig anhand der Verdachtslage (im Sinn eines Anschuldigungsbeweises; zum Begriff vgl RIS-Justiz RS0124012 und RS0098830) vorzunehmen, wie sie sich aus dem Strafakt ergibt. Eine Bindung an die Subsumtion in der Anklage besteht somit nicht (vgl RIS-Justiz RS0131309 [insb T2]; siehe auch Oshidari aaO § 38 Rz 2/1 und Bauer aaO § 450 Rz 2).
Im konkreten Fall ist hier von einem Anschuldigungsbeweis auszugehen, wonach am 17. März 2025 A*, der als Chef der F* GmbH auftrat, gegenüber D* behauptete, dessen Dach müsse erneuert und die Dachrinne getauscht werden. Weiters bot er diesem eine Erneuerung des Daches und der Regenrinne mit Material der Marke E* an (ON 2.8, 4, ON 2.9 und ON 4.3). Aufgrund der Angaben von A* unterschrieb D* einen Vertrag (ON 2.8, 4), in dem als herzustellendes Werk eine Dachsanierung mit Blech zu einem Quadratmeterpreis von 100 Euro, „Kant 100lfm, Dachrinne 150lfm, First 90lfm“ vereinbart wurde. Ein (erwarteter und) zu leistender Werklohn ist dem Vertrag nicht zu entnehmen (ON 4.5). Unmittelbar nach Unterschriftleistung durch D* begann ein Arbeiter, das Dach abzudecken, während A* mit einem weiteren Arbeiter losfuhr, um Arbeitsmaterialien zu besorgen. Kurz nachdem A* losgefahren war, trafen ein von C* gelenkter Kastenwagen (darin zumindest ein weiterer Arbeiter) und eine Mulde des Unternehmens G* beim Wohnhaus ein (vgl ON 2.8, 4 und ON 2.9, 2). Durch die Intervention der Ehegattin von D* und dessen Töchtern wurden die Arbeiten beendet. Zu diesem Zeitpunkt waren ca 2m² Ziegel abgedeckt und ein Teil der Dachrinne erneuert (ON 2.7, 4 und ON 2.8, 4). Während des Einschreitens der Polizei kam A* in Begleitung von H* B* zurück und diese begaben sich so wie B* B* und C* zwecks Befragung zur Polizeiinspektion (ON 2.9, 2). Nach der Polizeiintervention kehrten „die Arbeiter“ und A* noch einmal zum Wohnhaus von D* zurück und forderten für die Montage der Dachrinne 1.900 Euro (vgl ON 2.7, 4, ON 2.8, 4 und ON 2.9, 2). Die F* GmbH hat ihren Sitz in ** und ist seit 22. April 2024 im Firmenbuch eingetragen. Geschäftsführer und Alleingesellschafter ist A* (ON 4.2, 1).
Das Dach am Wohnhaus des D* ist zwar am Ende seiner technischen Nutzungsdauer, es erfüllt aber trotz des fortgeschrittenen Zustandes noch seinen vorgesehenen Zweck, nur an der westseitigen Traufe ist eine kleine Reparatur erforderlich. Im Zuge der Arbeiten am 17. März 2025 wurde an der ostseitigen Traufe die Rinne ausgetauscht und ein neuer Rinnenkessel und Vorkopf wurden montiert. Bei den zur Werkausführung verwendeten Materialien handelt es sich um keine Markenprodukte, sondern um minderwertige Materialien. Die Arbeiten wurden zudem nicht sachgerecht durchgeführt. Bei sach- und fachgerechter Erneuerung der ostseitigen Dachrinne ist mit Kosten von 850 Euro netto (zzgl 20% USt sohin 1.020 Euro) zu rechnen (ON 6.2 bis ON 6.4).
Nach dieser Verdachtslage ist das Grunddelikt des § 146 StGB erfüllt. Denn einen Betrug begeht, wer mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, jemanden durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt. Fallkonkret wurde D* über die Notwendigkeit der Sanierung seines Daches und der Regenrinne getäuscht und weiters durch die tatsachenwidrige Behauptung, für die Sanierung würden Markenprodukte verwendet werden, zum Anschluss eines Werkvertrages verleitet, der ihn nach Durchführung der Arbeiten zur Leistung eines nicht konkret vereinbarten Werklohns verpflichtet hätte. Durch das Auftreten von A* für einen im Firmenbuch eingetragenen Dachdeckerbetrieb wurde auch der Eindruck vermittelt, die Werkausführung erfolge fach- und sachgerecht. Tatsächlich wurden für die Arbeiten aber minderwertige Produkte verwendet und diese wurden nicht fach- und sachgerecht durchgeführt. Dennoch forderten die Angeklagten für die „Werkausführung“ 1.900 Euro und D* wäre bei Zahlung mit diesem Betrag am Vermögen geschädigt und die Angeklagten unrechtmäßig bereichert worden.
Ein Verdacht der Qualifikation nach § 148 erster oder zweiter StGB liegt hingegen nicht vor. Diese erfordert nämlich die gewerbsmäßige Begehung eines Betruges oder eines schweren Betruges nach § 147 Abs 1 oder 2 StGB. Soweit hier wesentlich handelt gewerbsmäßig nach § 70 Abs 1 Z 1 StGB, wer eine Tat in der Absicht ausführt, sich durch ihre wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, und unter Einsatz besonderer Fähigkeiten oder Mittel handelt, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen.
Diese Fähigkeiten oder Mittel sind dann „besonders“, wenn ihr Beherrschen oder ihr Mitführen situationsbezogen ungewöhnlich und durch die geübte bzw wohlüberlegte Herangehensweise des Täters zu erklären ist (RIS-Justiz RS0132006). Laut den Gesetzesmaterialien sollen dabei jene Fälle erfasst werden, in denen der Täter professionelles Werkzeug beispielsweise zur Begehung von Einbrüchen oder auch besonders präparierte Taschen zur Begehung von Diebstählen verwendet. Darüber hinaus sollen auch besondere Fähigkeiten, wie sie unter anderem bei einer Begehung von Taschen- oder Trickdiebstählen eingesetzt werden, erfasst werden (689 BlgNR 25. GP 14). Im Einzelfall wurden ein zugespitztes Flacheisenstück zum Aufzwängen einer Terrassentür, eine Brechstange, ein nicht für den Personentransport zugelassener Lieferwagen und ein zur Vortäuschung der Pflegebedürftigkeit verwendeter Rollator als „besondere Mittel“ angesehen ( Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 70 Rz 13/2). In einem abstrakteren Sinn wurden als solche „Mittel“ darüber hinaus nicht nur körperliche Gegenstände, sondern etwa auch Scheinfirmen oder Strohmänner, die regelmäßig überwiegend zum Zweck der Begehung von Straftaten eingerichtet oder bestellt werden, angesehen (RIS-Justiz RS0132006 [T2]). Die Fähigkeiten oder Mittel müssen tatsächlich verwendet werden, wenn auch nicht mit Erfolg. Ob sie eigens für die Tatbegehung angeschafft wurden, ist nicht relevant (RIS-Justiz RS0132006 [T4]). Verneint wurde die Verwendung eines besonderen Mittels gemäß § 70 Abs 1 Z 1 StGB bei (Versicherungs-)Betrug unter Bezugnahme auf ein operativ tätiges Unternehmen und Verwendung von Scheinrechnungen, die der Täter als Geschäftsführer dieses Unternehmens erstellt hat, weil die Benützung von Beweismitteln – mag deren Beschaffung auch durch die Funktion als Geschäftsführer erleichtert worden sein – bei der Begehung eines Betrugs zur Steigerung dessen Erfolgsaussichten gleichfalls nicht als untypisch anzusehen ist und daher eine wiederkehrende Begehung gleichartiger strafbarer Handlungen nicht nahelegt (RIS-Justiz RS0132006 [T3]; 14 Os 3/18z).
Im konkreten Fall traten die Angeklagten für ein real existierendes Dachdeckerunternehmen auf, dessen Geschäftsführer und Alleingesellschafter A* ist (vgl 4.2 und ON 4.3) und wandten dabei eine häufig eingesetzten modus operandi an. Derartige Handlungsweisen, bei denen die Täter Kunden eigeninitiativ auf ihr vermeintlich reparaturbedürftiges Dach ansprechen, wobei der wortgewandte Täter durch Beharrlichkeit und Täuschung über Preis und Material die Kunden in den Vertragsabschluss „hineinmanövriert“, und schließlich sofort mit den „Arbeiten“ begonnen und Arbeitsmaterial herangeschafft wird, bedürfen aber weder einer besonderen Fähigkeit noch eines besonderen Mittels im Sinne des § 70 Abs 1 Z 1 StGB. Dass die Täter, deren Wortführer Geschäftsführer und Alleingesellschafter eines real existierendes Dachdeckerunternehmens ist, dabei mit einem Kastenwagen samt Firmenaufdruck (vgl ON 4.3, 2) auftraten und rasch Dachdeckermaterialien sowie eine Mulde für den Bauschutt parat hatten, kann im Sinne der dargestellten Judikatur auch nicht als Einsatz eines besonderen Mittels nach § 70 Abs 1 Z 1 StGB betrachtet werden.
Da sich aus dem Akt auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer der Qualifikationen des § 147 StGB ergaben, insbesondere nicht zum intendierten Schaden der im Versuchsstadium stecken gebliebenen Tat, war der Beschwerde der Staatsanwaltschaft ein Erfolg verwehrt.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.