20Bs176/25s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Jilke als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Neubauer und Mag. Wolfrum, LL.M., als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* B* wegen § 107 Abs 1 und 2 (ergänze erster Fall) StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gegen den Beschluss der Einzelrichterin des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 6. Juni 2025, GZ **-9, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Anordnung der Hauptverhandlung aufgetragen.
Text
Begründung:
Mit Strafantrag vom 6. Juni 2025 (ON 6) legt die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt dem am ** geborenen A* B* zur Last, er habe in **
I./ am 7. April 2025 seine Ehegattin C* B* durch Packen am Hals und die Äußerung „Soll ich dich gleich erwürgen, du scheiß Weib“ gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;
II./ seit einem noch festzustellenden Zeitpunkt im Jahr 2021 bis 8. April 2025 unbefugt eine Langwaffe, Marke „**“, Kaliber 22, somit eine Schusswaffe der Kategorie B besessen, indem er diese nach dem Verlust seiner Waffenbesitzkarte trotz Verpflichtung gemäß § 25 Abs 4 WaffG nicht binnen zwei Wochen bei der Behörde ablieferte,
und habe hiedurch (zu I./) das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 (ergänze erster Fall) StGB und (zu II./) das Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG begangen.
Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 9) wies die Erstrichterin diesen Strafantrag gemäß § 485 Abs 1 Z 2 iVm § 212 Z 3 StPO mit der Begründung zurück, dass die Staatsanwaltschaft ärztliche Befunde und ein Gutachten aus dem neurologisch-psychiatrischen Fachbereich einzuholen gehabt hätte, weil sich auf Basis des Akteninhalts massive Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten ergeben würden.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen rechtzeitig erhobene Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 10) ist berechtigt.
Gemäß § 485 Abs 1 Z 2 StPO hat das Gericht den Strafantrag vor Anordnung der Hauptverhandlung zu prüfen und im Fall des § 212 Z 3 StPO zurückzuweisen. Der Einspruchsgrund des § 212 Z 3 StPO kommt zum Tragen, wenn eine ausreichende Grundlage an Ermittlungsergebnissen zur Durchführung einer Hauptverhandlung noch nicht vorliegt und von zweckentsprechenden weiteren Ermittlungen eine solche erwartet werden kann (Birklbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 212 Rz 14). Damit der Einspruchsgrund des § 212 Z 3 StPO nicht vorliegt, muss ein einfacher Tatverdacht eine Verurteilung nahe legen und die Ermittlungen müssen auch sonst soweit gediehen sein, dass sie die Anordnung einer Hauptverhandlung rechtfertigen. Dazu gehört, dass die für die Hauptverhandlung relevanten Beweismittel überblickt werden können und so vorbereitet sind, dass sie in der Hauptverhandlung ohne wesentliche Verzögerung unmittelbar durchgeführt werden können (Birklbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 212 Rz 16). Eine teilweise Zurückweisung eines Strafantrags aus dem Grund des Abs 1 Z 2 iVm § 212 Z 3 ist unzulässig (Bauer in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 485 Rz 4/2 mwN).
Wer zur Zeit der Tat wegen einer Geisteskrankheit, wegen einer geistigen Behinderung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, handelt nicht schuldhaft (§ 11 StGB).
Bloße Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten rechtfertigen eine Zurückweisung gemäß § 485 Abs 1 Z 2 iVm § 212 Z 3 StPO grundsätzlich (noch) nicht. Erst wenn ein Ausschluss der Diskretions- und/oder Dispositionsfähigkeit des Angeklagten im (maßgeblichen) Tatzeitpunkt aufgrund objektiver aktenkundiger Anhaltspunkte bereits in einem Ausmaß indiziert ist, dass eine Verurteilung (iS eines Schuldspruchs) nicht mehr nahe liegt, ist es erforderlich, die Frage der Zurechnungs(un)fähigkeit bereits im Ermittlungsverfahren zu klären (vgl Bauer, aaO Rz 4/2).
Derart klare Hinweise und Indizien, der Angeklagte wäre am 7. April 2025 nicht fähig gewesen, das Unrecht seines Verhaltens zu erkennen und danach zu handeln, finden sich weder im Abschlussbericht der Polizeiinspektion ** vom 9. April 2025 (ON 2, 2: „beginnende Demenz“) noch in den Angaben der C* B* (ON 2.7), wonach der Angeklagte ihr gegenüber schon immer aggressiv und gewalttätig gewesen sei und sie gewürgt, geschlagen und gestoßen habe. Dem Opfer zufolge sei beim Angeklagten vor drei Jahren Demenz diagnostiziert worden, woraufhin sich sein aggressives Verhalten gesteigert habe; allerdings befinde er sich erst in Pflegestufe 1, wobei nicht klar sei, ob man ihm aufgrund seiner Krankheit oder Faulheit helfen müsse.
Auch aus den strukturierten Angaben des A* B* anlässlich seiner Beschuldigtenvernehmung am 8. April 2025 (ON 2.5), im Verlauf derer er scheinbar problemlos in der Lage war, Fragen des Exekutivbeamten zu beantworten, lassen sich prima vista keine erheblichen Bedenken an seiner Zurechnungsfähigkeit im Zeitpunkt des Vorfalls am 7. April 2025 erwecken, die ein Ausmaß erreichen, dass eine Verurteilung nicht mehr nahe liegt. So war er ohne Weiteres imstande, seine persönlichen Daten anzugeben, gestand wiederholte Streitereien mit seiner Ehefrau zu, auch eine fünfzig Jahre zurückliegende Handgreiflichkeit, und konnte sich an den gegenständlichen Vorfall und dessen Ursache erinnern, wobei er einräumte, es könne sein, dass er seine Frau dabei gestoßen habe. Seine darüber hinausgehenden Angaben, wonach er ihr gegenüber sonst nicht gewalttätig sei und nicht verstehe, weshalb sie nun die Polizei kontaktiert habe, da er sich nicht daran erinnern könne, sie gewürgt zu haben, werden in der Hauptverhandlung zu würdigen sein, könnten sie doch, zumal sie sich ausschließlich auf die die Strafbarkeit begründenden Details des Vorfalls beziehen, auch als Schutzbehauptung verstanden werden. Gleiches gilt für die zweite Beschuldigtenvernehmung am 10. April 2025 (2.6), anlässlich derer er die Beiziehung seines Sohnes als Vertrauensperson ablehnte und durchaus in der Lage war, Fragen zur inkriminierten Schusswaffe zu beantworten, wobei er sich erneut leugnend verantwortete.
Die vorliegenden Beweisergebnisse berücksichtigend ist entgegen der Ansicht des Erstgerichts von einem hinreichend geklärten Sachverhalt und einem für die Durchführung der Hauptverhandlung ausreichenden Tatverdacht bzw einer (gesteigerten) Verurteilungs-wahrscheinlichkeit auszugehen. Somit stellen sich die massiven Zweifel des Erstgerichts an der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten fallkonkret als spekulativ dar. Eine allenfalls nur eingeschränkte Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit führt auch nicht zwangsläufig zur Verpflichtung zur Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens, sondern obliegt dem Erstgericht im Zuge der rechtlichen Beurteilung im Hauptverfahren. Falls das Erstgericht vom Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes jedoch dermaßen überzeugt ist, spricht nichts dagegen, eine psychiatrische Untersuchung zwischen der Ausschreibung und der Hauptverhandlung selbst vornehmen zu lassen.
Letztlich bleibt darauf hinzuweisen, dass der Zeitpunkt des – iS des § 50 Abs 1 Z 1 WaffG strafrechtlich relevanten – Erwerbens und Besitzes der Langwaffe teilweise vor der hier vom Erstgericht argumentierten Demenzerkrankung liegt, sodass zum Anklagefaktum II./ eine Straflosigkeit des Angeklagten infolge einer Zurechnungsunfähigkeit bereits von vornherein nicht in Betracht käme. Mangels einer § 215 Abs 5 StPO entsprechenden Regelung in § 485 StPO wäre also selbst bei begründeten Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit zum Vorwurf der gefährlichen Drohung vom 7. April 2025 eine auch nur teilweise Zurückweisung des Strafantrags unzulässig.
Der Beschwerde war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Anordnung der Hauptverhandlung aufzutragen.