JudikaturOLG Wien

31Bs108/25x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB über I. die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 25. November 2024, GZ ** 16.4, sowie II. dessen Beschwerde gegen den gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschluss nach der unter dem Vorsitz des Richters Mag. Weber LL.M., im Beisein des Richters Mag. Spreitzer LL.M. und der Richterin Mag. Marchart als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart des Oberstaatsanwaltes Mag. Hinterleitner sowie in Anwesenheit des Angeklagten A* und von dessen Verteidigerin Mag. Petra Diwok durchgeführten Berufungsverhandlung am 26. Juni 2025

I./ zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last;

II./ den

B e s c h l u s s

gefasst:

Aus Anlass der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss ersatzlos aufgehoben .

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen Teilfreispruch enthaltenden Urteil wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB schuldig erkannt und hiefür nach (richtig:) § 84 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt. Gemäß § 21 Abs 2 StGB wurde die Unterbringung in einem forensisch therapeutischen Zentrum angeordnet (siehe dazu Beschluss auf Urteilsangleichung ON 16, 14 bis 16 = ON 19). Weiters wurde gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO die dem Angeklagten mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. September 2023, AZ **, gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruches hat A* am 9. August 2024 in ** die Justizwachebeamtin Aspirantin B* während der Vollziehung ihrer Aufgaben am Körper verletzt, indem er sie am rechten Unterarm packte und ihr einen Faustschlag gegen den Kopf zu versetzen versuchte, wobei der Schlag durch einen weiteren Justizwachebeamten abgewehrt werden konnte, wodurch die Genannte ein Hämatom am rechten Unterarm erlitt.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht als erschwerend die Begehung der Tat während eines laufenden Strafverfahrens, als mildernd hingegen die Einschränkung der Dispositionsfähigkeit (welche jedoch als durch Verweigerung der Medikation vom Angeklagten selbst herbeigeführt angesehen wurde).

Nach Zurückweisung der vom Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 1. April 2025, GZ 11 Os 4/25k 12 (ON 26.1) liegt nunmehr die rechtzeitig angemeldete (ON 16.3, 17) und zu ON 18.2 ausgeführte Berufung des Angeklagten zur Entscheidung vor, mit der eine Herabsetzung der verhängten Strafe und eine gänzliche bedingte Nachsicht begehrt wird. Gegen den genannten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht ist die Beschwerde des Angeklagten gerichtet.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Erstgericht herangezogenen besonderen Strafzumessungsgründe sind zunächst dahingehend zu ergänzen, dass dem Angeklagten zusätzlich mehrere einschlägige Vorstrafen als erschwerend zur Last liegen (zur Einschlägigkeit von Verurteilungen wegen Delikten gegen Leib und Leben einerseits und nach dem SMG andererseits siehe RIS Justiz RS0091972). Im Übrigen wurden die Erschwerungs- und Milderungsgründe vollständig und richtig angeführt und auch zutreffend gewichtet. Wenn die Berufung - sinngemäß dem psychiatrischen Sachverständigen (siehe etwa ON 7.2, 31) folgend - vorbringt, die Zurechnungsfähigkeit beim Angeklagten sei erheblich herabgesetzt gewesen, so ist dazu auszuführen, dass das Erstgericht den damit angesprochenen Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 11 StGB (Umstände, die einem Schuldausschließungsgrund nahekommen) mit der „Einschränkung der Dispositionsfähigkeit“ ersichtlich ohnehin angenommen hat.

Eine in der Berufung geltend gemachte Unbesonnenheit läge dann vor, wenn die Tathandlung einem Willensimpuls entspringt, der aus besonderen Gründen der Lenkung durch das ruhige Denken entzogen ist und nach der charakterlichen Beschaffenheit des Täters in der Regel unterdrückt worden wäre (siehe Michel Kwapinski/Oshidari , StGB 15 § 141 Rz 4), wovon bei dem auch wegen Gewalttaten vorbestraften Angeklagten nicht gesprochen werden kann.

Mit dem Vorbringen, dass man angesichts der festgestellten Verletzungen des Opfers von bloß einem roten Fleck am Unterarm nicht von einer „Körperverletzung im eigentlichen Sinne“ sprechen könne, übergeht die Berufung die Wertung des Gesetzgebers, Körperverletzungen an Beamten wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben gleich streng zu bestrafen wie „gewöhnliche“ schwere Körperverletzungen.

Angesichts der nur zum Nachteil des Angeklagten korrigierten Strafzumessungslage und des Vorlebens des Angeklagten, der neben zahlreichen Verurteilungen überwiegend wegen Eigentumsdelikten in den letzten Jahren auch wegen schwerer Körperverletzung sowie eines Suchtgiftweitergabedeliktes verurteilt wurde (Punkte 15 und 16 der Strafregisterauskunft), und der nunmehr binnen zweier offener Probezeiten und nur rund zwei Wochen nach erstinstanzlicher Verurteilung in einem Parallelverfahren neuerlich rückfällig wurde, ist die vom Erstgericht gefundene Strafe, die den Strafrahmen zur Hälfte ausschöpft, durchaus tat und schuldangemessen und dem Unrechtsgehalt der Tat entsprechend. Eine auch nur teilweise bedingte Nachsicht ist auf Grund des Vorlebens des Angeklagten ausgeschlossen.

Der Ausspruch nach § 21 Abs 2 StGB wurde in der Berufung nicht ausdrücklich bekämpft. Bei amtswegiger Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ist zunächst auszuführen, dass § 21 Abs 2 StGB die Befürchtung voraussetzt, dass der Täter nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

Als relevante in der Person des Rechtsbrechers gelegene Umstände kommen neben Eigenschaften des Täters sein früheres Verhalten im Krankheitszustand und die Motive für die Begehung zurückliegender Delikte in Betracht. Das Krankheitsbild und die Krankheitseinsicht des Betroffenen sind aktuell zum Urteilszeitpunkt zu beurteilen. Die vom Gesetz verlangten schweren Folgen müssen aus einer einzigen Tat resultieren, wobei nicht nur die tatbestandsmäßigen Folgen, sondern darüber hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, somit Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch die Gesellschaft im Ganzen, der gesellschaftliche Störwert einschließlich der Eignung, umfangreiche und kostspielige Abwehrmaßnahmen auszulösen und weitreichende Beunruhigung und Besorgnisse herbeizuführen, zu berücksichtigen sind ( Haslwanter in Höpfel/Ratz , WK² StGB § 21 Rz 25 - 27; zu schweren Folgen siehe auch RIS-Justiz RS0108487).

Wenn - wie vorliegend - die angedrohte Freiheitsstrafe der Anlasstat drei Jahre nicht übersteigt, muss sich die Befürchtung (nach § 21 Abs 1 und 2 StGB) auf eine gegen Leib und Leben gerichtete, mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung oder auf eine gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gerichtete, mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohte Handlung beziehen (§ 21 Abs 3 zweiter Satz StGB). Dazu ist festzuhalten, dass mit der Berufung in einem Verfahren wegen der strafrechtlichen Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nur Ermessungsentscheidungen des Erstgerichtes bekämpft werden können ( Haslwanter aaO Vor §§ 21 - 25 Rz 8). An das festgestellte Vorliegen der gesetzlichen Unterbringungsvoraussetzungen ist das Oberlandesgericht gebunden (§ 295 Abs 1 StPO; vgl RIS Justiz RS0090341 [T12]).

Aufgrund des Gutachtens der psychiatrischen Sachverständigen Dr. C* (ON 7.2, erörtert in ON 16.3, 11 ff) stellte das Erstgericht fest (US 7): Beim Angeklagten A* bestehen eine schizoaffektive Störung, eine gegenwärtig gemischte Episode (F25.2 nach ICD10), eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (F21 nach ICD10) und eine Abhängigkeit von multiplen Substanzen (F19.2), aktuell unter laufender Substitutionstherapie mit Methadon, was psychiatrisch einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung entspricht. Die vorgenannte Tathandlung beging der Angeklagte unter dem maßgeblichen Einfluss dieser schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störungen. Er war jedoch zum Tatzeitpunkt fähig, Bedeutung und zu erwartende Folgen seines Handeln im Wesentlichen richtig einzuschätzen; seine Fähigkeit, sein Verhalten auch dieser Einsicht gemäß nach eigenem Willensentschluss zu steuern, war durch die erhöhte Impulsivität und herabgesetzte Frustrationstoleranz im Rahmen der psychischen Störungen (schizoaffektiven Psychose und kombinierte Persönlichkeitsstörung) zwar deutlich herabgesetzt, aber noch ausreichend gegeben, seine Dispositionsfähigkeit war nicht aufgehoben. Die Voraussetzungen einer Zurechnungsunfähigkeit nach § 11 StGB waren nicht erfüllt.

Mit unmittelbarem Bezug zu seiner schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung ist beim Angeklagten in Zukunft auch die Begehung von tätlichen Angriffen gegen andere, auch mit schweren Folgen wie etwa (an sich) schwere Körperverletzungen mit einer hohen Eintrittswahrscheinlichkeit zu erwarten. Es besteht im Rahmen seiner psychischen Erkrankungen ein hohes Risiko, dass er (insbesondere im nicht geschützten bzw überwachten extramuralen Bereich) auch künftig in Konfliktsituationen mit seinem Umfeld geraten würde, wobei als wesentliche Risikofaktoren neben seinen psychischen Krankheitssymptomen die fehlende Krankheitseinsicht und Behandlungscompliance, seine Suchterkrankung und der völlig fehlende soziale Empfangsraum anzuführen sind. Der Betroffene war bereits mehrfach in stationärer Behandlung, wurde aber immer wieder straffällig und fiel in den Suchtmittelmissbrauch zurück, setzte die notwendige Medikation eigenmächtig ab und erklärte auch zuletzt in der Hauptverhandlung, dass er aus seiner Sicht nicht psychisch krank sei und – außer Suchtmittelsubstitution, die er jedoch auch selbst besser bestimmen zu können glaubt als die behandelnden Ärzte und Ärztinnen – keine Medikamente benötige.

Diese Feststellungen konnte das Erstgericht nachvollziehbar aufgrund des genannten Gutachtens treffen, wobei der Angeklagte auch in der Hauptverhandlung weiterhin betonte, keine Medikamente zu benötigen (ON 16.3, 6). Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen eines vorläufigen Absehens vom Vollzug der Unterbringung im Sinne des § 434g Abs 1 StPO lassen sich dem Akteninhalt, insbesondere aufgrund der fehlenden Krankheits und Behandlungseinsicht, nicht entnehmen.

Zum Beschluss:

Die zu AZ ** vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 6. September 2023 ausgesprochene bedingte Strafnachsicht wurde bereits mit Beschluss desselben Gerichtes vom 24. Juli 2024, AZ **, widerrufen. Diese Entscheidung ist seit dem Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 13. Feber 2025, AZ 18 Bs 363/24z, rechtskräftig. Daher war der nunmehr gegenstandslose, im hier gegenständlichen Verfahren (neuerlich) gefasste Beschluss auf Widerruf ersatzlos zu beheben.

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