18Bs158/25d – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* B* wegen § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG über die Berufung der Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. April 2025, GZ ** 38 sowie deren Beschwerde gegen den gleichzeitig gefassten Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO nach der am 26. Juni 2026 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Frohner, im Beisein der Richterinnen Mag. Heindl und Mag. Lehr als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin HR Mag. Sonja Riener, der Angeklagten A* B* und ihres Verteidigers Dr. Martin Bartlmä durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung
Spruch
I./ zu Recht erkannt:
Die Berufung wegen Nichtigkeit wird zurückgewiesen , jener wegen Schuld und Strafe wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
II./ den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am ** geborene serbische Staatsangehörige A* B* (alias A* C*) der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung der §§ 28 Abs 1, 39 Abs 1a StGB nach § 27 Abs 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt. Gleichzeitig fasste das Erstgericht den Beschluss auf Widerruf gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StGB der mit Entscheidung des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 13. Jänner 2022 zu AZ D* gewährten bedingten Entlassung (Strafrest: 16 Monate und 11 Tage, ON 34).
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* B* in E* gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) F* vorschriftswidrig Suchtgift überlassen, und zwar Heroin (darin enthalten Heroin, Kodein und Monoacetylmorphin), und zwar
I./ im Zeitraum von Mai 2024 bis 15. Juni 2024 in zumindest vier Angriffen zumindest 40g zu einem Preis von EUR 20,-- pro Gramm.
II./ am 16. Juni 2024 weitere 10g zu einem Preis von EUR 200,--.
Bei der Strafzumessung wertete der Erstrichter vier einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen von Vergehen und den raschen Rückfall als erschwerend, mildernd hingegen das teilweise reumütige Geständnis. Im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen wertete das Erstgericht zudem die Tatbegehung während laufender Probezeit als aggravierend.
Dagegen richtet sich die fristgerecht mit umfassenden Anfechtungsziel angemeldete, in der Folge jedoch nur wegen Schuld und Strafe ausgeführte Berufung der Angeklagten, mit der sie die Aufhebung des Urteils und eine Verurteilung lediglich nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 5 SMG anstrebt und die Herabsetzung der Freiheitsstrafe beantragt, sowie deren Beschwerde, mit der ein Absehen vom Widerruf der mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 13. Jänner 2022, AZ D*, gewährten bedingten Entlassung begehrt wird.
Rechtliche Beurteilung
Den Rechtsmitteln kommt keine Berechtigung zu.
Die Angeklagte meldete zwar rechtzeitig Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an, auf ihre Berufung wegen Nichtigkeit ist gemäß § 467 Abs 2 iVm § 489 Abs 1 StPO jedoch keine Rücksicht zu nehmen, weil sie weder bei der Anmeldung der Berufung noch in einer fristgerecht eingebrachten Berufungsschrift ausdrücklich erklärte, durch welche Punkte des Erkenntnisses sie sich beschwert findet und welche Nichtigkeitsgründe sie geltend machen will. Amtswegig wahrzunehmende Nichtigkeitsgründe gemäß §§ 290 Abs 1, 489 Abs 1 StPO haften dem Urteil nicht an. Wird das Rechtsmittel nicht gesetzmäßig ausgeführt, kommt es zur Zurückweisung (§ 285a Z 2 StPO, § 470 Z 1 StPO, § 489 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0101914; RS0101925; Hager/Meller/Hetlinger , Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung 5 21).
Auch die Berufung wegen Schuld ist nicht berechtigt.
Der Schuldberufung ist vorauszuschicken, dass die freie Beweiswürdigung ein kritisch psychologischer Vorgang ist, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungsgrundsätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind ( Kirchbacher StPO 15 § 258 Rz 8). Auch die Frage der Glaubwürdigkeit von Angeklagten und Zeugen sowie der Beweiskraft ihrer Aussage ist der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten, wobei das Gericht nur zu einer gedrängten Darlegung seiner Gründe, nicht jedoch dazu verhalten ist, jedes Verfahrensergebnis im Einzelnen zu analysieren (RIS-Justiz RS0104976). Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, so tut dies nichts zur Sache. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ stellt nämlich keine negative Beweisregel dar, die das erkennende Gericht - im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen - verpflichten würde, sich durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden, es kann sich vielmehr jede Meinung bilden, die den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung nicht widerspricht ( Mayerhofer , StPO 6 § 258 E 65; RIS-Justiz RS0098336).
Die Berufungswerberin bekämpft in ihrer Schuldberufung die Feststellung des Erstgerichts zum Nichtvorliegen der Privilegierung nach § 27 Abs 5 SMG, wonach es der an Heroin gewöhnten Angeklagten beim Verkauf des Suchtgifts nicht darauf angekommen sei, sich mit mehr als der Hälfte des Gewinns aus den Suchtgiftverkäufen in der Folge Suchtmittel oder Mittel zum Erwerb von Suchtmitteln für ihren persönlichen Verbrauch zu verschaffen, sondern sie vielmehr die Taten überwiegend zur Finanzierung ihres sonstigen Lebensunterhalts begangen habe. Dazu bringt die Berufungswerberin vor, dass ihr „sonstiger Lebensunterhalt“ darin bestanden habe, dass sie mit ihrem Lebensgefährten in einem Obdachlosenheim der Stadt E* in **, gewohnt habe, wofür weder sie noch der Lebensgefährte Entgelt gezahlt habe. Vor diesem Hintergrund seien die Feststellungen des Erstgerichts nicht lebensnah. In Wahrheit habe die Angeklagte wegen ihrer Drogensucht nicht einmal ein eigenes Quartier gehabt, sondern sei auf Hilfseinrichtungen der Stadt E* angewiesen gewesen. Die Ausgaben für den sonstigen Lebensunterhalt hätten sich daher auf Essen und Trinken beschränkt. Mögliche Vorstrafen der Angeklagten würden auf ihrer Sucht und der Notwendigkeit, sich dafür Geldmittel zu verschaffen, beruhen.
Die Feststellung des Erstgerichts, die Angeklagte habe aus ihrer unangemeldeten Beschäftigung als Krankenpflegerin einen Heroinkonsum finanziert, beruhe auf einem Irrtum, zumal die Angeklagte im Tatzeitraum, also von April bis Juni 2024 weder ein geringfügiges Einkommen aus der Pflege noch ein anderes gehabt habe. Bei richtiger Beweiswürdigung hätte das Erstgericht der Schilderung der Angeklagten, sie habe jeweils das Geld von den späteren Käufern inkassiert und an die Dealer quasi weitergereicht und lediglich dahingehend von den Verkäufen profitiert, dass sie gemeinsam mit den Käufern konsumiert habe bzw manchmal etwas von Suchtgift von den Käufern bekommen habe, Glauben schenken müssen. Ihre Angaben seien auch im Wesentlichen mit den Angaben des Zeugen F* im Einklang gestanden, wonach er ihr zunächst das Geld gegeben habe und dann ca. 10 bis 15 Minuten gewartet habe, bis sie mit der Ware wiederkam.
Dieses Vorbringen überzeugt nicht. Der Einzelrichter legt mit nachvollziehbarer Begründung unter Einbeziehung des von der in der Hauptverhandlung vernommenen Angeklagten gewonnenen persönlichen Eindrucks und unter Würdigung aller wesentlichen Ergebnisse des Beweisverfahrens ausführlich und nachvollziehbar dar, wie er zu den Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite gelangte. Dabei stützte er sich zum einen auf die unmissverständlichen Aussagen des Zeugen F*, der in seinen detaillierten kriminalpolizeilichen Vernehmungen und auch in der Hauptverhandlung die Angeklagte als seine Heroinbezugsquelle bezeichnete und dazu näher ausführte, er habe von ihr insgesamt 50 Gramm Heroin zum Preis von EUR 20,-- pro Gramm bezogen, wodurch sich der Zeuge selbst massiv belastete, weshalb dieser Deposition ein hoher Beweiswert beizumessen sei. Hingegen stufte der Erstrichter die Aussagen der Angeklagten als vom ersichtlichen Bemühen getragen ein, ihre Tathandlungen erheblich zu relativieren. Denn sie habe zum einen die Menge des von ihr an den Zeugen weitergegebenen Heroins heruntergespielt, zum anderen behauptet, sie habe die Übergaben ohne jeglichen Profit getätigt. Überzeugend legte der Erstrichter dazu dar, dass im Hinblick auf die einschlägige Vorstrafenbelastung der Angeklagten und das damit einhergehende hohe Risiko, im Fall einer Betretung zu einer erheblichen Strafe verurteilt zu werden, eine solche Vorgehensweise völlig lebensfremd sei. Aufgrund dieser überzeugenden Beweiswürdigung, der sich der Berufungssenat bedenkenlos anschließen kann, ging das Erstgericht zurecht davon aus, dass die Angeklagte – entgegen ihrer eigenen Aussage – sehr wohl einen Profit aus den Suchtmittelverkäufen erwirtschaftete, den sie überwiegend, nämlich mit mehr als der Hälfte, zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts verwendete. Die Berufungsausführungen, wonach die Angaben der Angeklagten zu ihrer im Tatzeitraum bestehenden Beschäftigung in der Pflege und zum daraus bezogenen Entgelt von rund 50 bis 100 Euro wöchentlich auf einem Missverständnis beruhen würden und sie gar kein eigenes Einkommen gehabt habe, sind aufgrund ihrer Aussage in der Hauptverhandlung, das Geld für den Eigenkonsum würde aus der Hilfe in der Pflege stammen (ON 38.2, 4), nicht überzeugend. Das Erstgericht ging daher im Einklang mit den Beweisergebnissen davon aus, dass die Angeklagte selbst Einkünfte in dieser Höhe erzielte, die sie zur Finanzierung ihrer Sucht aufwenden konnte, sodass der durch die Weitergabe des Heroins an den Zeugen F* erzielte Gewinn überwiegend zur Bestreitung ihres sonstigen Lebensunterhalts verwendet wurde.
Insgesamt hat die Angeklagte in ihren Berufungsausführungen im Wesentlichen die ihre eigenen Tathandlungen herunterspielende Verantwortung wiederholt und nichts vorgebracht, was geeignet wäre, die erstgerichtliche Beweiswürdigung sowie die darauf gegründeten Feststellungen in objektiver und subjektiver Hinsicht zu erschüttern. Das Berufungsgericht hegt bei der im Rahmen der Überprüfung der Beweiswürdigung in Erledigung der Schuldberufung anzustellenden Gesamtbetrachtung sohin keine Zweifel an der Richtigkeit der Lösung der Schuldfrage, weil das Erstgericht, das sich einen unmittelbaren Eindruck sämtlicher in das Tatgeschehen involvierten Personen machte, nach einem sorgfältigen Beweisverfahren und Würdigung aller relevanten Verfahrensergebnisse mit logisch nachvollziehbarer Begründung dargetan hat, warum es davon ausging dass die Angeklagte die ihr zur Last gelegten Taten in objektiver und subjektiver Hinsicht begangen hat. Indem die Angeklagte den in den Urteilsannahmen hinreichend begründeten und lebensnahen Schlussfolgerungen des Erstgerichts bloß abstrakt mögliche, für sie günstigeren Schlussfolgerungen entgegenhält, die sie im Wesentlichen auf ihre eigenen Angaben unter Ausblendung der übrigen Beweisergebnisse stützt, zeigt sie keine im Rahmen der Schuldberufung aufzugreifenden Mängel der erstgerichtlichen Beweiswürdigung auf.
Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ist ebenfalls nicht im Recht.
Grundlage für die Bemessung der Strafe ist die Schuld des Täters. Das Gericht hat dabei die Erschwerungs und Milderungsgründe soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen und auch auf die Auswirkungen der Strafe und anderer zu erwartender Folgen der Tat auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft bedacht zu nehmen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, inwieweit die Tat auf eine gegenüber den rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte (§ 32 Abs 2 StGB). Im allgemeinen ist die Strafe umso strenger zu bemessen, je größer die Schädigung oder Gefährdung ist, die der Täter verschuldet oder die er nicht herbeigeführt, aber auf die sich sein Verschulden erstreckt hat, je mehr Pflichten er durch seine Handlung verletzt, je reiflicher er seine Tat überlegt, je sorgfältiger er sich vorbereitet oder je rücksichtsloser er sie ausgeführt hat und je weniger Vorsicht gegen die Tat hat gebraucht werden können (§ 32 Abs 3 StGB).
Zur Nichtannahme des von der Berufungswerberin zusätzlich reklamierten Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 10 StGB ist auf die zutreffenden Urteilsausführungen (ON 38, 10) zu verweisen, die der Berufungssenat teilt.
Bei objektiver Abwägung der zutreffend konstatierten Strafzumessungslage und der allgemein im Sinne des § 32 Abs 2 und 3 StGB anzustellenden Erwägungen sowie unter Berücksichtigung generalpräventiver Belange (RIS Justiz RS0090600) erweist sich die vom Erstgericht bei einem zur Verfügung stehenden Strafrahmen von bis zu viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe gefundene Sanktion von 18 Monaten, mit der nicht einmal die Hälfte des zur Verfügung stehenden Strafrahmens ausgeschöpft wird, angesichts des einschlägig getrübten Vorlebens der Angeklagten und des raschen Rückfalls als schuld- und tatangemessen und ist einer Reduktion somit nicht zugänglich.
Schließlich kommt auch der Beschwerde keine Berechtigung zu.
Das vorgebrachte Argument, das Erstgericht habe sich über die Stellungnahme der Angeklagten hinweggesetzt, die sich gegen den Widerruf der bedingten Entlassung ausgesprochen hat, ist für die Beurteilung der Voraussetzungen des Widerrufs einer bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung unbeachtlich, wäre doch sonst ein solcher Widerruf gegen den Wunsch des Angeklagten niemals möglich. Voraussetzung für den Widerruf ist lediglich, dass der Angeklagte und allenfalls der Bewährungshelfer dazu gehört wird (§ 494a Abs 3 StPO), was im vorliegenden Fall erfolgte (ON 38.2, 5).
Die Angeklagte delinquierte neuerlich ungeachtet der ihr bereits mehrmals gewährten Rechtswohltaten in Form eines Schuldspruchs unter Vorbehalt der Strafe, mehrfacher Anordnung von Bewährungshilfe, bedingter Strafnachsicht und bedingter Entlassung, während offener Probezeit im raschen Rückfall nach der zuletzt erfolgten Verurteilung am 16. Februar 2024, sodass zusätzlich zu der nunmehr verhängten unbedingten Freiheitsstrafe auch der Widerruf der mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 6. Februar 2024, AZ **, gewährten bedingten Entlassung (16 Monate und 11 Tage) erforderlich ist, um sie von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten.
Ergänzend dazu sei angemerkt, dass die aggravierende Wertung der im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungsgründe zu berücksichtigenden Tatbegehung innerhalb offener Probezeit nach gefestigter Rechtsprechung selbst bei gleichzeitigem Widerruf der diesbezüglichen bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung nicht gegen das Doppelverwertungsverbot verstößt, weil die Delinquenz während offener Probezeit keine die Strafdrohung mitbestimmende Tatsache ist (RIS Justiz RS0091096 [T3, T4]; RS0111324).