32Bs88/25p – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen § 107 Abs 1 StGB über die Berufung des Genannten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 16. Jänner 2025, GZ ** 12.4, nach der am 24. Juni 2025 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Seidl im Beisein der Richterinnen Dr. Vetter und Mag. Marchart als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Vertreterin der Oberstaatsanwaltschaft Staatsanwältin Mag. Gansterer sowie des Angeklagten A* und seiner Verteidigerin Mag. Alexandra Ehrenhöfer durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem bekämpften Urteil wurde A* des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 105 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen à 45 Euro, insgesamt sohin 6.300 Euro, im Nichteinbringungsfall zu 70 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt, wobei gemäß § 43a Abs 1 StGB ein Teil der verhängten Geldstrafe im Ausmaß von 70 Tagessätzen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* am 29. Oktober 2024 in ** Verfügungsberechtigte der B* AG durch die Ankündigung, bei seiner nächsten Fahrt mit einem Bus der B* AG zwei Sitze mit einem Stanleymesser aufzuschlitzen, außer das Unternehmen würde ihn kulanterweise entschädigen, zu einer Handlung, nämlich der Auszahlung eines ihm seines Erachtens zustehenden Entschädigungsbetrags infolge einer Verspätung an ihn, zu nötigen versucht.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht den bisherigen ordentlichen Lebenswandel und den Umstand, dass die Tathandlung im Versuchsstadium verblieben ist, als mildernd, erschwerend hingegen keinen Umstand.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 13.2) und fristgerecht ausgeführte Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10a), Schuld und Strafe (ON 14.2).
Rechtliche Beurteilung
Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.
Was die Reihenfolge der Behandlung der Berufungspunkte anbelangt, geht eine wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung einer Rüge wegen der Z 9 bis 10a des § 281 Abs 1 (§ 468 Abs 1 Z 4) StPO vor, jener wegen formeller Nichtigkeitsgründe jedoch nach ( Ratz , WK StPO § 476 Rz 9).
Der daher zuerst zu behandelnden Schuldberufung ist vorauszuschicken, dass die freie Beweiswürdigung ein kritisch-psychologischer Vorgang ist, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungssätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind (RIS-Justiz RS0098390; Mayerhofer , StPO 6 § 258 E 30 f; Kirchbacher , StPO 15 § 258 Rz 8). Auch die Frage der Glaubwürdigkeit von Angeklagten und Zeugen sowie der Beweiskraft ihrer Aussagen ist der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten, wobei das Gericht nur zu einer gedrängten Darlegung seiner Gründe, nicht jedoch dazu verhalten ist, jedes Verfahrensergebnis im Einzelnen zu analysieren (RIS-Justiz RS0104976). Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, so tut dies nichts zur Sache. Selbst der Grundsatz „in dubio pro reo“ stellt keine negative Beweisregel dar, die das erkennende Gericht – im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen – verpflichten würde, sich durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (RIS-Justiz RS0098336). Es ist daher als Akt der freien Beweiswürdigung durchaus statthaft, wenn sich der Tatrichter mit plausibler Begründung für eine für den Angeklagten ungünstigere Variante entschieden hat ( Mayerhofer , aaO § 258 Rz 45).
Ausgehend von diesen Prämissen bestehen keine Bedenken an der Tragkraft der angestellten Beweiswürdigung, weil das Erstgericht alle relevanten Beweisergebnisse gewürdigt und mit logisch nachvollziehbarer Begründung dargetan hat, wie es zu den getroffenen Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite gelangte. Insbesondere konnte sich der Tatrichter einen unmittelbaren Eindruck vom Angeklagten verschaffen.
Die subjektive Tatseite leitete er - bei leugnenden Tätern ohne weiteres rechtsstaatlich vertretbar und methodisch gar nicht zu ersetzen ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 452; RIS-Justiz RS0116882) - aus dem äußeren Geschehen, insbesondere dem Verfassen der Nachricht und deren Bedeutungsgehalt ab.
Indem der Berufungswerber, der neuerlich darauf verweist, dass er niemanden in Furcht und Unruhe versetzen und bloß seinem Ärger Luft machen habe wollen und sich aufgrund seines Schreibens auch keine Entschädigung erwartet habe, und weiters ausführt, dass es der allgemeinen Lebenserfahrung entspreche und realitätsnah sei, dass Passagiere, die eine Verspätung zu beklagen hätten, aufgebracht seien, ihrem Ärger Luft machen wollen und in Rage Aussagen treffen würden, die sie nicht ernst meinen, und angesichts der Verspätung des Busses entspreche dies der allgemeinen Lebenserfahrung, vermag er keine Zweifel an der Beweiswürdigung des Erstgerichts, welches sich auch mit dieser Verantwortung des Angeklagten ausführlich auseinandergesetzt und schlüssig dargelegt hat, wieso es dieser nicht gefolgt ist (US 3f), zu wecken.
Mit Blick auf die vom Angeklagten verschickten und aktenkundigen E-Mails vom 6. und 29. Oktober 2024 (ON 2.3 und 2.4) bestehen - den Berufungsausführungen zuwider - an den Urteilsannahmen, insbesondere auch in Bezug auf den Bedeutungsgehalt des E-Mails vom 29. Oktober 2024 sowie die subjektive Tatseite, auch unter Berücksichtigung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten keine Bedenken.
Das Rechtsmittelgericht hat daher im Rahmen der - bei der Überprüfung der Beweiswürdigung anzustellenden - Gesamtbetrachtung keinen Zweifel an der erstrichterlichen Lösung der Schuldfrage, weshalb der Schuldberufung ein Erfolg zu versagen war.
Auch die Diversionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 10a StPO) erweist sich als nicht berechtigt.
Nach § 281 Abs 1 Z 10a StPO ist ein Urteil dann nichtig, wenn die Urteilsfeststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion in Ansehung der genannten Taten nicht zu tragen vermögen oder wenn Ergebnisse der Hauptverhandlung auf einen Umstand hindeuten, der für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäbe, das Gericht dazu aber keine Feststellungen getroffen hat (vgl RIS-Justiz RS0117211 und RS0119091).
Die gesetzmäßige Ausführung einer Diversionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 10a StPO) erfordert eine methodisch korrekte Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellungen unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS Justiz RS0124801, RS0116823; 14 Os 52/17d; 13 Os 18/17x).
Diese Kriterien verfehlt das Berufungsvorbringen, indem es die Ausführungen des Erstgerichts zu den gegen eine diversionelle Erledigung sprechenden spezialpräventiven Erwägungen übergeht.
Den Berufungsausführungen zuwider beschränkte sich das Erstgericht keineswegs auf die Begründung, dass es sich bei der Verantwortung des Angeklagten um ein bloßes Lippenbekenntnis gehandelt habe, sondern schloss ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück aufgrund der – sich auch bereits aus den beweiswürdigenden Erwägungen ergebenen – mangelnden Verantwortungsübernahme des Angeklagten aus spezialpräventiven Gründen aus. Begründend führte das Erstgericht aus, dass sich der Angeklagte bereits eingangs nicht schuldig bekannt hatte und seine inhaltlichen Einlassungen keinerlei Verantwortungsübernahme für die Begehung einer strafbaren Handlung hätten erkennen lassen, sodass seine Aussage, er übernehme die Verantwortung „dafür“ erst nach dem Hinweis des Einzelrichters auf eine Diversionsmöglichkeit und vor dem Hintergrund, dass er bloß kurze Zeit später neuerlich darauf beharrt habe, keine gefährliche Drohung ausgesprochen und keine strafbare Handlung begangen zu haben, als bloßes Lippenbekenntnis zu werten gewesen sei (US 5).
Die Diversionsrüge macht auch nicht klar, weshalb diese vom Erstgericht zutreffend nicht als Verantwortungsübernahme gewerteten Einlassungen des Angeklagten, der nicht nur ein bereits von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren übermitteltes Anbot zum vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr und Zahlung eines Kostenbeitrages in Höhe von 150 Euro (aus welchen Gründen auch immer) nicht angenommen, sondern auch in der Hauptverhandlung - auch noch nach Erörterung der Möglichkeit einer diversionellen Erledigung - jegliches strafrechtlich relevante Fehlverhalten geleugnet hat, keine spezialpräventiven Bedenken begründen sollte (vgl RIS-Justiz RS0124801, RS0116299). Zwar ist ein Schuldeinbekenntnis hinsichtlich aller das Unrecht der vorgeworfenen Tat betreffenden Begleitumstände – wie vom Berufungswerber insoweit zutreffend ausgeführt – nicht Voraussetzung für ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück, sondern reicht es vielmehr, dass der Beschuldigte die ihm angelastete Tat dem Grunde nach als Fehlverhalten einbekennt ( Schroll / Kert , WK-StPO § 198 Rz 36/3). Davon kann fallkonkret, auch wenn der Angeklagte zwischendurch eingeräumt hat, Verantwortung „dafür“ (ON 12.3 S 6) zu übernehmen, im Hinblick auf die Gesamtheit seiner angesprochenen und bis zuletzt getätigten Aussagen jedoch nicht die Rede sein. Vielmehr beantragte er bis zuletzt seinen Freispruch, sodass eine Bereitschaft Verantwortung für das ihm zur Last gelegte Tatgeschehen zu übernehmen, tatsächlich nicht zu erkennen ist.
Der Strafberufung ist voranzustellen, dass Grundlage für die Strafbemessung die Schuld des Täters ist. Dabei hat das Gericht die Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen und auf die Auswirkungen der Strafe und anderer zu erwartender Folgen der Tat auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft Bedacht zu nehmen. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte (§ 32 Abs 2 StGB).
Davon ausgehend erweist sich auch die Strafberufung als nicht berechtigt.
Den Berufungsausführungen zuwider kann dem Angeklagten der Milderungsgrund der Tatbegehung aus Unbesonnenheit nach § 34 Abs 1 Z 7 StGB nicht zugestanden werden. Unbesonnen idS handelt, wer spontan einem augenblicklichen Willensimpuls folgt, der aus besonderen Gründen der Lenkung durch das ruhige Denken entzogen ist und ohne diese unterdrückt worden wäre ( Riffel , WK 2 § 34 Rz 18). Davon kann hier angesichts des Umstandes, dass die vom Angeklagten zu verantwortende Tathandlung am 29. Oktober 2024 per E-Mail als Reaktion auf eine erfolgte Busverspätung am 7. August 2024 sowie nach einem zuvor bereits von ihm am 6. Oktober 2024 übermittelten E-Mail, sohin trotz langer Abkühlungsphase gesetzt wurde, nicht die Rede sein.
Der weiters vom Berufungswerber hervorgehobene geringe Handlungs-, Erfolgs- und Gesinnungsunwert wurde vom Erstgericht ohnehin zu seinen Gunsten berücksichtigt.
Bei rechtbesehener Abwägung der vom Erstgericht demnach vollständig erfassten besonderen Strafzumessungsgründe und der allgemein im Sinn des § 32 Abs 2 und Abs 3 StGB anzustellenden Erwägungen erweist sich die – ausgehend von einem zur Verfügung stehenden Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen – über den Angeklagten mit 140 Tagessätzen ohnehin im untersten Fünftel des möglichen Rahmens verhängte und zur Hälfte bedingt nachgesehene Geldstrafe den spezial- und generalpräventiven Erfordernissen entsprechend und daher weder einer Reduktion noch einer weitergehenden – dh einer über das ohnehin gewährte Ausmaß hinausgehenden – bedingten Strafnachsicht zugänglich.
Die – vom Berufungswerber nicht explizit bekämpfte -Tagsatzhöhe hat das Erstgericht basierend auf den festgestellten Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Angeklagten (vgl dazu US 2) zutreffend ermittelt (vgl Lässig in WK² StGB § 19 Rz 9 ff). Die für den Nichteinbringungsfall festgesetzte Ersatzfreiheitsstrafe gründet auf § 19 Abs 3 StGB.
Damit war der Berufung insgesamt ein Erfolg zu versagen.