JudikaturOLG Wien

22Bs118/25a – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen § 241e Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts Krems a.d. Donau vom 26. Februar 2025, GZ **-46.3.2, sowie seine gegen den nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschluss gerichtete Beschwerde nach der am 24. Juni 2025 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Mathes, im Beisein des Richters Mag. Gruber und der Richterin Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart des Oberstaatsanwalts Mag. Wohlmuth, LL.M. sowie in Anwesenheit des Angeklagten und seiner Verteidigerin Mag. Ehrnhofer durchgeführten Berufungsverhandlung

Spruch

I) zu Recht erkannt:

Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht , hingegen jener wegen Strafe Folge gegeben und die verhängte Freiheitsstrafe auf 15 Monate herabgesetzt .

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

II) aus Anlass der Abänderung des Strafausspruchs wird der gemäß § 494a Abs 1 StPO gefasste Beschluss aufgehoben und der

B e s c h l u s s

gefasst:

Gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO wird die dem Angeklagten mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 4. Juni 2024, AZ B*, gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen.

Mit seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen - auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden - Urteil wurde der am ** geborene A* der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel, der Entwendung und des Diebstahls nach §§ 241e Abs 1; 15, 141 Abs 1; 15, 127 StGB sowie jenes des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a zweiter Fall SMG schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung der §§ 28 Abs 1, 29 und 39 Abs 1 StGB nach § 27 Abs 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt.

Gemäß § 26 Abs 1 StGB iVm § 34 SMG wurden die sichergestellten Tabletten eingezogen.

Unter einem fasste das Erstgericht den Beschluss, die dem Angeklagten mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 4. Juni 2024, AZ B*, gewährte bedingte Strafnachsicht gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO zu widerrufen.

Nach dem Schuldspruch hat der Angeklagte

I./ am 25. Juli 2024 sich in ** ein unbares Zahlungsmittel, nämlich die Bankomatkarte des C*, über das er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz verschafft, dass er durch dessen Verwendung im Rechtsverkehr unrechtmäßig bereichert werde, indem er diese aus der an der Hausmauer angebrachten Zeitungsrolle nahm und sich damit entfernte;

II./ am 26. August 2024 in D* ** aus Not und zur Befriedigung eines Gelüstes Sachen geringen Wertes, nämlich vier „Exquisa Snack Riegel“ und einen „Beefburger“ im Gesamtwert von EUR 5,93 mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, Berechtigten des Unternehmens E* versucht zu entziehen, indem er die Waren in seinem Hemd verbarg und das Geschäft ohne zu bezahlen verlassen wollte, wobei es aufgrund des Beobachtens und der Anhaltung durch den Ladendetektiv beim Versuch geblieben ist;

III./

A./ am 2. Oktober 2024 in ** fremde bewegliche Sachen, nämlich Lebensmittel (Krapfen und Kokosbusserl) sowie eine „Nivea Creme“ im Gesamtwert von EUR 12,84 Gewahrsamsträgern des Unternehmens F* mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;

B./ am 30. Dezember 2024 in ** D*, Gewahrsamsträgern des Unternehmens G*, eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Nagelschere im Wert von EUR 2,25, mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen versucht, indem er die Ware in seiner Jacke verbarg und das Geschäft ohne zu bezahlen verlassen wollte, wobei er unmittelbar nach Passieren des Kassabereiches vom Ladendetektiv betreten wurde, sodass es beim Versuch blieb;

IV./ am 20. Jänner 2025 in D* öffentlich, somit in Anwesenheit eines größeren Personenkreises von mehr als zehn Personen, vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar ein Stück Compensan à 300 mg, in einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anlage, nämlich vor dem Eingang der Bahnhofshalle **, an CI H* gegen ein Entgelt von EUR 15,-- überlassen, indem er sie zunächst fragte "Brauchst a Comal?" und ihr nach Übergabe des Geldes eine lose Tablette Compensan übergab.

Nach den wesentlichen erstgerichtlichen Feststellungen befand sich der vielfach einschlägig vorbestrafte Angeklagte in der Zeit zwischen Sommer 2024 und dem Jahreswechsel aufgrund seiner Sucht in einer finanziell sehr angespannten Lage, weswegen er die im Spruch angeführten Tathandlungen setzte. Dabei wollte er durch die spätere Verwendung der Bankomatkarte widerrechtlich Geld erlangen (I.), sich durch die Wegnahme der Gegenstände unrechtmäßig bereichern (II. und III.) bzw. überließ er an einem öffentlichen Ort Suchtmittel in Form einer morphinhaltigen Tablette (IV.). Beim Faktum II. habe der Angeklagte die Lebensmittel mitgenommen, weil er Hunger hatte und aufgrund seiner Mittellosigkeit wirtschaftlich nicht in der Lage war, sich die genannten Lebensmittel auf legale Weise zu verschaffen. Bei den zum Faktum III. angeführten Lebensmitteln habe der Angeklagte ebenfalls aus „Hunger“ gehandelt, währenddessen er die Kosmetikprodukte ohne ersichtlichen dringenden Bedarf wegnahm.

In ihrer Beweiswürdigung stützte sich die Tatrichterin auf die polizeilichen Erhebungen und das damit in Einklang stehende Geständnis des Angeklagten, der sämtliche Tathandlungen zugegeben hatte, wenngleich seine Erinnerungen zu einzelnen Vorgängen nur vage waren. Im Übrigen seien die Feststellungen zur subjektiven Tatseite zwanglos dem äußeren Geschehensablauf zu entnehmen.

Bei der Strafbemessung wertete die Erstrichterin den raschen Rückfall und die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit, das Zusammentreffen mehrerer Vergehen sowie die über die Voraussetzungen des § 39 Abs 1 StGB hinausgehenden, auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen als erschwerend, mildernd demgegenüber das umfassende und reumütige Geständnis sowie den Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben war. Davon ausgehend erachtete die Tatrichterin eine zweijährige Freiheitsstrafe als schuld- und tatangemessen. Im Hinblick auf den raschen Rückfall trotz des getrübten Vorlebens erweise sich auch ein Widerruf der zuletzt gewährten bedingten Strafnachsicht durch das Bezirksgericht Innere Stadt Wien zusätzlich als notwendig.

Dagegen richtet sich die vom Angeklagten rechtzeitig mit umfassendem Anfechtungsziel angemeldete (ON 47) und fristgerecht wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) und Strafe ausgeführte Berufung samt Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss (ON 48.2).

Rechtliche Beurteilung

Lediglich die Strafberufung erweist sich als berechtigt.

Was die Reihenfolge der Behandlung der Berufungspunkte und Nichtigkeitsgründe anbelangt, geht eine wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung einer Rüge wegen der Z 9 bis 10a des § 281 Abs 1 (§ 468 Abs 1 Z 4) StPO vor, jener wegen formeller Nichtigkeitsgründe jedoch nach (vgl. Ratz, WK-StPO § 476 Rz 9).

Zur somit zunächst zu behandelnden, schriftlich nicht zur Darstellung gebrachten Schuldberufung ist in Übereinstimmung mit der Oberstaatsanwaltschaft Wien auszuführen, dass bei der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung keine Hinweise vorhanden waren, welche auf eine Fehlbeurteilung hindeuten würden, zumal der in der Hauptverhandlung geständige Rechtsmittelwerber in seiner Berufungsschrift die getroffenen Feststellungen inhaltlich nicht kritisiert. Insbesondere hatte er vor Gericht deponiert, dass er die Nagelschere wahrscheinlich im Drogenrausch genommen und „irgendetwas entwendet oder gestohlen“ habe (ON 46.2,79). Er wäre auch ohne Creme und Nagelschere über den Tag gekommen (ON 46.2,6 f). Hinsichtlich der Nagelschere hatte er vor der Polizei angegeben, dass er die Tat begangen habe, weil er sich seine Nägel kürzen wollte, jedoch circa 100 Euro Bargeld bei sich gehabt habe (ON 34.2.6,4).

Die Schuldberufung verschlägt daher.

Die Berufung wegen Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 10 iVm § 468 Z 3 und § 489 Abs 1 StPO teilt dieses Schicksal.

Das Wesen einer Rechts- bzw. Subsumtionsrüge besteht darin, anhand methodischer Ableitung aus dem Gesetz (RIS-Justiz RS0116565, RS0116569) darzulegen, dass der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt (RIS-Justiz RS0099810) eine von der bekämpften Entscheidung abweichende rechtliche Beurteilung verlange, wobei im Fall der Z 10 die angestrebte Subsumtion ausdrücklich zu bezeichnen ist (RIS-Justiz RS0118415 [T3]).

Diesen Anforderungen wird die Berufung insofern nicht gerecht, als das Erstgericht zu den in Punkt III. angeführten Taten keine Feststellungen traf, welche eine Anwendung des § 141 Abs 1 StGB rechtfertigen würden.

Zusätzlich zu den übrigen Tatbestandsvoraussetzungen verlangt § 141 StGB - gegenständlich von Relevanz – nämlich ein besonderes berücksichtigungswürdiges Motiv für die Straftat. Der Täter muss aus Not, Unbesonnenheit oder zur Befriedigung eines Gelüstes gehandelt haben. Es genügt, dass alternativ eines dieser privilegierenden Motive vorliegt ( Salimi in WK² StGB § 141 Rz 40 mwN).

Keiner dieser privilegierenden Umstände wurde bei den Fakten zum Spruchpunkt III. festgestellt, hielt die Erstrichterin doch fest, dass der Angeklagte zwar eine Packung Krapfen und eine Packung Kokosbusserl weggenommen habe, weil er „Hunger“ hatte, demgegenüber eine Packung „Nivea-Creme“ (Faktum III./A.) und eine Nagelschere (Faktum III./B.) stahl, obwohl er auch ohne diese Kosmetikartikel „über den Tag gekommen“ wäre. Somit wurde aber keine Tatbegehung aus Not, Unbesonnenheit oder zur Befriedigung eines Gelüstes konstatiert.

Entsprechende Feststellungen war anhand der vorliegenden Beweisergebnisse auch nicht indiziert, weil vorliegend keine Notlage vorlag:

Zum einen deponierte der Angeklagte explizit, er habe die ihm ausbezahlte Notstandshilfe lieber für Suchtgift ausgegeben, als für Nahrungsmittel (ON 46.2,5), zum anderen hatte er nach eigenen Angaben beim Faktum III./B genug Geld bei sich (ON 34.2.6,4). Demgemäß lag - der Rechtsprechung folgend - keine Notlage im Sinne des § 141 Abs 1 StGB vor (vgl. Salimi aaO Rz 46). Der teilweise vertretenen Ansicht, wonach die Art des Zustandekommens der „Notsituation“ irrelevant sei, wird vom erkennenden Senat nicht gefolgt, weil sonst auch finanziell ausreichend ausgestattete Personen durch „Verprassen“ ihres Einkommens für Suchtmittel oder Glücksspiel jederzeit eine Privilegierung niederschwelliger Eigentumsdelikte herbeiführen könnten, ohne dass sie eigentlich Not leiden müssten. Somit war im vorliegenden Fall bei objektiver Betrachtung keine Not gegeben (vgl. Salimi aaO Rz 50).

Für Unbesonnenheit liegen noch weniger Hinweise vor, zumal der Angeklagte vielfach Eigentumsdelikte begangen hatte (Strafregisterauskunft ON 11) und aktuell innerhalb weniger Monate weitere vier beging, mithin ein krimineller Hang zur Tatbegehung erkennbar ist, der die Unbesonnenheit ausschließt ( Salimi aaO Rz 54 mwN).

Auch ein Gelüst wurde vom Erstgericht zum Spruchpunkt III. nicht konstatiert, weil der bloße Umstand, dass jemand Hunger hat, noch kein besonderes Gelüst im Sinne der zitierten Gesetzesstelle darstellen muss. Insbesondere hatte der Angeklagten (zum Strafantrag ON 34.3) deponiert, er sei in einem Drogenrausch gewesen und habe „irgendetwas entwendet oder gestohlen“, weshalb die Wegnahme mehr auf den Rausch als auf ein Gelüst zurückzuführen wäre. Auch beim Faktum III./A war A* augenscheinlich stark durch Drogen beeinträchtigt (ON 22.7,2). Hinsichtlich der „Nivea-Creme“ und der Nagelschere bestehen für die Stillung eines dringenden Bedürfnisses laut vorliegendem Beweisverfahren gar keine Hinweise, welche durch bloße Spekulationen im Rechtsmittel nicht ersetzt werden können.

Die Berufung wegen Nichtigkeit musste daher erfolglos bleiben.

Demgegenüber kommt jener wegen des Ausspruchs über die Strafe Berechtigung zu.

Zunächst ist den Berufungsausführungen, dass durch die Heranziehung der einschlägigen Vorverurteilungen bei Strafschärfung nach § 39 Abs 1 StGB gegen das Doppelverwertungsverbot verstoßen worden sei, unter Verweis auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0130193) zu widersprechen.

Weiters ist anzumerken, dass die Tatbegehung während offener Probezeit bei der Gewichtung der persönlichen Schuld des Angeklagten zu berücksichtigen ist, aber keinen eigenen Erschwerungsgrund darstellt (RIS-Justiz RS0090597, RS0091096 [T1]).

Darüber hinaus ist dem Berufungswerber jedoch beizupflichten, dass der von ihm verursachte bzw. beabsichtigte Schaden äußerst niedrig war und er nur eine einzige suchtgifthaltige Tablette weitergegeben hat, mithin der Erfolgswert seiner Taten sehr gering war. Hinzu kommt, dass sein Verhalten durch die Suchtkrankheit geprägt ist, was im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungsgründe nach § 32 Abs 1 und 2 StGB mildernd zu werten ist.

Selbst unter Berücksichtigung des schwer einschlägig getrübten Vorlebens und des raschen Rückfalls konnte daher mit einer Sanktion von 15 Monaten das Auslangen gefunden werden, weil das Ausmaß der verhängten Strafe in einer realistischen Relation zum Unrechts- und Schuldgehalt der konkreten Tat bleiben muss (RIS-Justiz RS0090854), selbst wenn es sich um einen Wiederholungstäter handelt.

Unter Berücksichtigung der vorgenannten spezialpräventiven Umstände erweist sich jedoch ein Widerruf der bedingten Strafnachsicht durch das Bezirksgericht Innere Stadt Wien als zusätzlich notwendig, delinquierte A* doch nur rund sieben Wochen nach seiner Verurteilung durch das vorgenannte Bezirksgericht erneut einschlägig (Faktum I./).

Zufolge Abänderung des Strafausspruchs war daher der gemäß § 494a Abs 1 StPO gefasste Beschluss aufzuheben und mit der neuen Straffestsetzung auch eine neue Entscheidung im Sinne des § 494a StPO zu treffen (RIS-Justiz RS0101886, RS0100194 [insbesondere T1, T2, T5, T7]; Jerabek , WK StPO § 498 Rz 8), aber erneut mit einem Widerruf vorzugehen.

Mit seiner Beschwerde war der Rechtsmittelwerber auf diese Entscheidung zu verweisen.

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