JudikaturOLG Wien

30Bs145/25f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
13. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Edwards als Vorsitzende sowie die Richterinnen Dr. Steindl und Dr. Hornich, LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A* wegen bedingter Entlassung aus einer Freiheitsstrafe über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 24. April 2025, GZ ** 15, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Begründung:

Text

Der am ** geborene türkische Staatsangehörige A* verbüßt in der Justizanstalt ** die mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 30. Mai 2023, GZ **, wegen §§ 201 Abs 1; 202 Abs 1; 105, 15 StGB verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren (ON 13.1, ON 13.2).

Der Entlassungszeitpunkt fällt auf den 14. September 2026, die Hälfte der Strafzeit war am 14. Dezember 2024 verbüßt, die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach Vollzug von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe treten am 14. Juli 2025 ein.

Mit Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 20. September 2024, AZ B*, bestätigt durch Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 4. Oktober 2024 (ON 14.2, ON 14.3) wurde die bedingte Entlassung des Strafgefangenen zum Hälfte Stichtag abgelehnt.

Mit dem angefochtenen Beschluss sprach sich das Landesgericht Krems an der Donau als zuständiges Vollzugsgericht in Übereinstimmung mit den Äußerungen der Staatsanwaltschaft Krems an der Donau (ON 1.3) sowie des Leiters der Justizanstalt ** (ON 11) auch gegen die bedingte Entlassung des Verurteilten nach Vollzug von zwei Dritteln der Strafe aus.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich die fristgerecht von einem bevollmächtigten Verteidiger eingebrachte Beschwerde (ON 18), der im Ergebnis Berechtigung nicht abgesprochen werden kann.

Dem Anlassurteil liegen zwei Vergewaltigungen und eine sexuelle Nötigung in den Jahren 2018/2019 zum Nachteil der damaligen Ehefrau des Verurteilten sowie deren zweimalige Nötigung an einem Tag im Jahr 2022, nachdem die Ehe bereits geschieden war, zur Last. Sowohl Familienleben als auch Tathandlungen fanden damals in Vorarlberg statt.

Das Erstgericht begründet die Ablehnung der bedingten Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit – auch wenn eine positive Entwicklung und tadelloses Vollzugsverhalten zugestanden wurden - im Wesentlichen damit, dass der Strafgefangene im Juli 2024 in einem Gespräch mit dem Psychologischen Dienst die Vergewaltigung weiterhin in Abrede gestellt hatte. Eine notwendige und indizierte Einzelpsychotherapie habe er erst im November 2024 begonnen. Die Tathandlungen seien vor dem Hintergrund patriarchalischer Einstellungen zu verstehen, deren Veränderung nur im Rahmen einer längerfristigen Psychotherapie gelingen könne, weshalb die Weiterführung der begonnenen Psychotherapie wegen des nach wie vor erhöhten Risikos für ein neuerliches Gewaltdelikt im Beziehungskontext zwingend notwendig erscheine. Den Ausführungen der BEST, die eine bedingte Entlassung mit Begleitmaßnahmen gegenüber einer unbedingten Entlassung präferiert und dabei auf die Möglichkeiten der Anordnung von Bewährungshilfe, Weisungen und allenfalls gerichtlicher Aufsicht (§ 52a StGB) verweist, wurde vom Erstgericht entgegengehalten, dass das Strafende auf den 14. September 2026 falle und die Fortsetzung der dringend indizierten Psychotherapie im kontrollierten Setting der Strafhaft weitaus gesicherter sei als im Falle einer Entlassung.

Eine (neuerliche) persönliche Anhörung, die der Strafgefangene ausdrücklich ebenso wie bereits im Vorverfahren AZ B* des Landesgerichts Krems an der Donau (dort ON 3, 2) wiederum beantragt hatte (ON 3, 2) und dies in der Beschwerde wiederholt (ON 18.1, 7), erachtete das Erstgericht insbesondere im Hinblick auf die am 20. September 2024 anlässlich der Entscheidung über die Hälfte Entlassung erfolgte Anhörung als entbehrlich.

Nach der erkennbaren Intention des Gesetzgebers (StRÄG 2008) soll die Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe der Regelfall sein, der Vollzug der gesamten Freiheitsstrafe hingegen auf (Ausnahme-)Fälle evidenten Rückfallsrisikos des Rechtsbrechers beschränkt bleiben. Die Prognose künftigen Verhaltens in spezialpräventiver Hinsicht erfordert dabei eine Gesamtwürdigung aller dafür maßgeblichen Umstände, so insbesondere die Art der Tat, das private Umfeld des Verurteilten, sein Vorleben und seine Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit. Besonderes Augenmerk ist darauf zu legen, inwieweit sich die Verhältnisse seit der Tat durch die Einwirkung des Vollzugs positiv geändert haben bzw. ob negative Faktoren durch Maßnahmen nach §§ 50 bis 52 StGB ausgeglichen werden können. Hat etwa der Verurteilte eine Tat unter Einfluss einer Therapiebedürftigkeit begangen, kommt der Bereitschaft, eine bereits während der Haft begonnene Behandlung auch in Freiheit fortzusetzen, bei der Prognoseentscheidung gewichtige Bedeutung zu ( Jerabek/Ropper in WK² StGB § 46 Rz 15/1; Rz 17).

Die Äußerung der Anstaltsleitung bestätigt, dass der Strafgefangene während seiner gesamten Anhaltezeit nicht negativ in Erscheinung trat, in der Sonderabteilung für den Erstvollzug zu keinen Beanstandungen Anlass gab und die damit verbundenen Lockerungen in keiner Weise missbrauchte. Er wird als ruhiger und disziplinierter sowie den Zwecken des Strafvollzugs völlig aufgeschlossener Insasse beschrieben (ON 11, 1).

Laut Einschätzung der BEST liegt beim Verurteilten ein unterdurchschnittliches Risiko für die Begehung eines neuerlichen allgemeinen Sexualdelikts vor, ebenso ist das Risiko für allgemeine Gewaltdelikte niedrig, jenes für ein neuerliches Gewaltdelikt im Beziehungskontext sei allerdings erhöht (ON 10, 2), wobei jedoch ein besonderes Ausmaß dieses Risikos nicht näher spezifiziert wurde. Die Tathandlungen seien vor allem vor dem Hintergrund patriarchalischer Einstellungen zu verstehen, deren Veränderung nur im Rahmen einer längerfristigen Psychotherapie gelingen könne. Eine bedingte Entlassung mit Begleitmaßnahmen werde prognostisch günstiger eingeschätzt als eine unbedingte Entlassung (ON 10, 2).

Der aktuellen Stellungnahme des psychologischen Dienstes ist zu entnehmen, dass der Strafgefangene, der in der Hauptverhandlung im Mai 2023 noch sämtliche Tathandlungen in Abrede gestellt hatte (ON 10, 1; ON 13.1, 9), im Rahmen eines Gespräches mit dem psychologischen Dienst am 18. Juli 2024 zwar weiterhin eine Vergewaltigung geleugnet, die verurteilten Nötigungshandlungen jedoch mittlerweile eingestanden habe. Seit 22. November 2024 absolviere er eine Einzelpsychotherapie in türkischer Sprache. Für den Fall einer bedingten Entlassung erscheine die Fortführung dieser therapeutischen Maßnahme jedenfalls sinnvoll, wegen der vorhandenen Sprachbarriere sei dies jedoch ausschließlich in türkischer Sprache möglich (ON 8).

Der Stellungnahme des Sozialen Dienstes wiederum ist zu entnehmen, dass die vom Verurteilten in Aussicht gestellte (ON 3, 1) Wohnmöglichkeit bei seinem Cousin in ** und das Angebot einer geringfügigen Beschäftigung bei einem Unternehmen in ** bestehe. Eine Rückkehr des Verurteilten nach Vorarlberg sei angesichts der Verurteilung und wegen des Bruchs zu den Familienangehörigen nicht (mehr) geplant (ON 9).

Der aktenkundigen Chronologie ist daher zu entnehmen, dass der Angeklagte, der tatsächlich im Zuge der Hauptverhandlung am 30. Mai 2023 noch sämtliche Tathandlungen bestritten und wiederholt geäußert hatte, die Anschuldigungen nicht zu akzeptieren (ON 13.1, 9), zwischenzeitig im Sommer 2024 im Rahmen des Gesprächs mit dem psychologischen Dienst zumindest teilweise Einsicht und Verantwortungsübernahme erkennen ließ.

Selbst ohne therapeutische Begleitung war der Verurteilte daher unter dem Einfluss des Vollzugs ein Jahr nach der Hauptverhandlung bereits imstande, partiell Einsicht zu zeigen und von seiner gänzlich leugnenden Haltung abzurücken. Auch wenn er zu jenem Zeitpunkt die sexuellen Übergriffe zum Nachteil seiner damaligen Ehefrau weiterhin leugnete, fand all dies vor Beginn der nunmehr bereits seit mehr als einem halben Jahr absolvierten therapeutischen Behandlung statt. Es bedarf daher einer aktuellen Einschätzung des psychologischen Dienstes, allenfalls nach dessen Rücksprache mit dem betreuenden Psychotherapeuten, ob und inwieweit durch die bisherige Behandlung eine Änderung der Verhältnisse und der Haltung des Strafgefangenen eingetreten ist.

Ganz grundsätzlich ist darauf zu verweisen, dass die gesetzlichen Vorgaben des § 46 Abs 1 StGB nicht davon ausgehen, dass eine bedingte Entlassung nur dann zu gewähren ist, wenn von vornherein sämtliche spezialpräventiven Bedenken ausgeräumt sind, sondern vielmehr die Frage zu stellen ist, ob und wie weit allenfalls noch vorhandene Risiken durch Begleitmaßnahmen ausgeglichen werden können. Insofern lässt der angefochtene Beschluss nachvollziehbare Ausführungen vermissen, inwiefern dem sich durchwegs wohl verhaltenden und als diszipliniert beschriebenen Ersttäter zu unterstellen sei, dass er auf freiem Fuß befindlich zielführende Anordnungen und Weisungen nicht ausreichend befolgen und davon präventiv nicht weiter profitieren werde. Das Argument, die Fortsetzung der begonnenen Psychotherapie sei „im geregelten und kontrollierten Setting der Strafhaft weitaus gesicherter“, erweist sich demnach als individuell ungenügend untermauerte pauschale Allgemeinerklärung.

Es werden in diesem Sinn ergänzende Stellungnahmen der Institutionen im Strafvollzug, vor allem der Anstaltsleitung bzw. des Psychologischen Dienstes über die seit dem Gespräch im Sommer 2024 allenfalls feststellbaren Fortschritte in der persönlichen Haltung zur Delinquenz, über die im Falle einer bedingten Entlassung bestehende Möglichkeit der Fortführung der Therapie bei dem bereits behandelnden (oder einem anderen) türkischsprachigen Psychotherapeuten und ob (bzw. warum nicht) diesbezügliche präventiv wirksame Verlässlichkeit des Insassen bei der Weisungsbefolgung zu erwarten wäre, einzuholen sein. Auch die Frage nach Sinnhaftigkeit und Zweckmäßigkeit einer allfälligen gerichtlichen Aufsicht nach § 52a StGB wird im Hinblick auf spezialpräventive Erfordernisse, die im Sinne des § 46 Abs 1 StGB eine bedingte Entlassung ermöglichen könnten, zu stellen sein. Erforderlichenfalls wird in Bezug auf die Verlässlichkeit des Beschwerdeführers auch die nochmalige Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in einer Anhörung ins Auge zu fassen sein.

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