23Bs158/25s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Aichinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Staribacher und den Richter Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen Dr. A* B* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 erster Fall und Abs 4 zweiter Fall StGB über die Beschwerde der Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. Mai 2025, GZ **-, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Text
Mit seit 7. Dezember 2023 rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. Jänner 2023 (ON 45.2, ON 64.5) wurde Dr. A* B* des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 erster Fall und Abs 4 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür nach dem ersten Strafsatz des § 107b Abs 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurde sie überdies dazu verhalten, C* B* 100 Euro binnen 14 Tagen zu zahlen.
Danach hat sie in D* vom (US 4:) 9. Dezember 2017 bis zum 4. Februar 2022 gegen ihren am ** geborenen Sohn C* B*, sohin gegen eine unmündige Person, länger als ein Jahr fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem sie ihm wiederholt, und zwar vom Dezember 2017 bis zum Jahr 2019 ein Mal wöchentlich, ab dem Jahr 2019 zwei bis drei Mal wöchentlich, mit der flachen Hand und mit der Faust in das Gesicht schlug, ihn an den Haaren und Ohren zog, Gegenstände nach ihm warf, ihm Fußtritte gegen den Körper versetzte, ihn ein Mal gegen eine Wand stieß, sodass er sich den Kopf anschlug, und ihn zuletzt am 4. Februar 2022 zu Boden stieß, sich, als er am Rücken lag, auf dessen Oberkörper setzte und ihm Schläge gegen das Gesicht und Tritte gegen den Körper versetzte sowie ihm mit einem Gefäß gegen den Kopf schlug (US 6 f), wodurch C* B* wiederholt Hämatome, Rötungen (US 5 f), eine Schwellung am Kopf und Kratzer erlitt.
Bei der Strafzumessung wurden erschwerend die Begehung der fortgesetzten Gewaltausübung zum Nachteil eines Angehörigen, der – über das Qualifikationsmerkmal des § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB weit hinausgehende – lange Tatzeitraum und das junge Alter des Opfers von noch sieben Jahren ganz zu Beginn der inkriminierten Handlungen, mildernd hingegen der ordentliche Lebenswandel gewertet. Die außerordentliche Strafmilderung nach § 41 Abs 3 iVm § 43 bzw. § 43a StGB im Sinne des Unterschreitens der Mindeststrafe oder der Verhängung einer teil- oder gänzlich bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe kam bereits vor dem Hintergrund, dass die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe nicht beträchtlich überwogen, nicht in Betracht.
Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2025 (ON 215) beantragte die Verurteilte die nachträgliche Milderung der über sie verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 31a Abs 1 StGB aufgrund des Verlusts der Wohnmöglichkeit, praktisch des vollständigen Einkommens (bei einem früheren Bruttoeinkommen iHv ca. 200.000 Euro) und der Berufsausübung im erlernten Beruf. Denn sie habe von Gesetz wegen ihren Kassenvertrag mit der ÖGK, damit ihre Einkommensquelle verloren, die Ordination schließen müssen und derzeit nur noch ein Einkommen aus einer Invaliditätsentschädigung iHv 600 Euro. Ohne ausreichendes Einkommen habe sie die Kreditraten und die Betriebskosten ihres Hauses nicht mehr finanzieren können, das Haus daher verkaufen müssen. Sie sei nun obdachlos und komme meistens bei Freundinnen unter. Die ÖGK verweigere die Zahlung für tatsächlich erbrachte Leistungen in Höhe von rund 73.000 Euro, was die finanzielle Not nach den enormen Ausgaben für die Strafverteidigung enorm verschärfe. Im Disziplinarverfahren vor der Disziplinarkommission der Ärztekammer für D* sei die (bekämpfte) Disziplinarstrafe der Streichung aus der Ärzteliste verhängt worden.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies der Erstrichter – in Übereinstimmung mit der ablehnenden Stellungnahme der Staatsanwaltschaft (ON 216.2) - den Antrag auf nachträgliche Strafmilderung ab (Punkt 1) und sprach aus, dass der angeordnete Vollzug der über Dr. A* B* verhängten Freiheitsstrafe nicht gehemmt wird (Punkt 2). Zur Begründung führte er aus, dass die von der Verurteilten nunmehr angesprochenen Ereignisse allesamt keine der nachträglichen Strafmilderung iSd § 31a StGB zugänglichen Umstände, sondern bloße Konsequenzen der rechtskräftigen Verurteilung darstellen. Das Disziplinarverfahren sei noch nicht rechtskräftig erledigt und schon deshalb nicht geeignet, eine nachträgliche Milderung der Strafe herbeizuführen. Darüber hinaus sei – mit Blick auf die Verhängung der Mindeststrafe - eine allfällige rechtskräftige Streichung von der Ärzteliste ohnehin bereits in die Strafzumessung eingeflossen. Mangels neuer Milderungsgründe habe auch die Anwendung des § 41 StGB verwehrt bleiben müssen, wobei eine ebenso erforderliche günstige Zukunftsprognose bei ihr nicht vorliege.
Von der Hemmung des Strafvollzuges bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung sei gemäß § 410 Abs 3 StPO abzusehen gewesen, weil angesichts der eindeutigen Gesetzeslage samt der zu § 41 StGB fallkonkret vom zuständigen Rechtsmittelgericht ergangenen Entscheidung eine offenbare Aussichtslosigkeit vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde von Dr. A* B* (ON 221), der keine Berechtigung zukommt.
Wenn die Beschwerdeführerin zunächst die Entscheidungskompetenz des Einzelrichters negiert, ist festzuhalten, dass über die nachträgliche Strafmilderung gemäß § 410 StPO jenes Gericht entscheidet, welches in erster Instanz erkannt und die Strafe ursprünglich verhängt hat. Nach § 32 Abs 3 StPO kommt die Zuständigkeit außerhalb der Hauptverhandlung, sofern in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt wird, dem Vorsitzenden allein zu. Demgemäß entscheidet über eine nachträgliche Strafmilderung im kollegialgerichtlichen Verfahren der Vorsitzende (Haidvogl, LiK zur StPO § 410 Rz 3).
Der Erstrichter stellte im bekämpften Beschluss die Voraussetzungen für die nachträgliche Milderung der Strafe nach § 31a StGB wie auch der außerordentlichen Strafmilderung bei Überwiegen der Milderungsgründe nach § 41 StGB treffend fest, weshalb darauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
Mit dem Postulat, die entsozialisierenden Folgen einer Strafe möglichst gering zu halten, wird eine generelle Milderung der Strafe nicht zwangsläufig angestrebt (Mayerhofer, StGB 6 § 32 Anm 2).
Der Beschwerdeführerin ist jedoch dahin beizupflichten, dass eine „allfällige rechtskräftige Streichung von der Ärzteliste“ tatsächlich bislang nicht in die Strafzumessung eingeflossen ist.
Nach § 32 Abs 2 StGB hat das Gericht bei Bemessung der Strafe die Erschwerungs- und die Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen und auch auf die Auswirkungen der Strafe und anderer zu erwartender Folgen der Tat auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft Bedacht zu nehmen. Zu den Auswirkungen der Strafe und den zu erwartenden Folgen der Tat, die das künftige Leben des Täters in der Gemeinschaft (nachhaltig) beeinflussen können, sind die mit einer Verurteilung allenfalls verbundenen Rechtsfolgen zu zählen, wie etwa der Amtsverlust (15 Os 72/01, 11 Os 135/06x), Suspendierung und Versetzung (RZ 2006 EÜ 235), Verlust des Gewerberechtes, der Berufsausübung und des Pensionsbezuges. Weiters sind ernstlich zu besorgende Nachteile aus einem wegen der Tat durchgeführten Disziplinarverfahren, Aufkündigung eines Kassenvertrages gegenüber einem straffällig gewordenen Arzt udgl zu berücksichtigen ( Riffel in WK 2 StGB § 32 Rz 34).
Dessen ungeachtet, kommt in casu selbst bei Bedachtnahme auf den Verlust des Kassenvertrages und die Streichung aus der Ärzteliste eine – nur im Wege des § 41 StGB mögliche - Unterschreitung der Mindeststrafe oder teilbedingte Nachsicht der verhängten Freiheitsstrafe nach wie vor nicht in Betracht. Denn abgesehen davon, dass die solcherart ergänzten Milderungsgründe die vorliegenden Erschwerungsgründe nach wie vor nicht beträchtlich überwiegen, dient § 41 StGB – wie schon zu AZ 23 Bs 297/23d (= ON 64.5) ausgeführt - als Korrektiv von im Einzelfall zu hohen Mindeststrafdrohungen etwa bei untergeordneter Beteiligung oder in Fällen atypisch leichter Verwirklichung schwerwiegender Straftaten (RIS-Justiz RS0102152). Seine Anwendung ist auf Ausnahmekonstellationen beschränkt, die insbesondere angesichts des langen (nämlich mehr als vierjährigen) Tatzeitraums – selbst im Falle der erheblichen beruflichen Belastung von Dr. A* B* und ihres Bemühens um die Schulausbildung ihres Sohnes - in dem konkreten Fall nicht zu ersehen sind.
Damit entspricht der angefochtene Beschluss im Ergebnis aber der Sach- und Rechtslage und war der Beschwerde ein Erfolg zu versagen.