15R192/24a – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Schaller als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Nigl und die Richterin Mag. Schmied in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Dr. Alexander Amann, LL.M., Rechtsanwalt in Gamprin-Bendern, Liechtenstein, gegen die beklagte Partei B* AG , **, Deutschland, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen zuletzt EUR 13.750 s.A. und Feststellung (EUR 10.000) im Verfahren über die Berufungen der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 18.250) und der beklagten Partei (Berufungsinteresse EUR 5.500) gegen das Urteil des Landesgerichts Krems vom 8.10.2024, ** 77, in nicht öffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über die vom vom Obersten Gerichtshof am 19.2.2025 zu 7 Ob 163/24g (EuGH C-175/25), am 18.3.2025 zu 10 Ob 71/24z (EuGH C251/25), am 27.2.2025 zu 8 Ob 99/24b (EuGH C 182/25), sowie vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 27.10.2023 zu 2 O 331/19 ua (EuGH C-666/23 ) , gestellten Anträge auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Die Fortsetzung des Verfahrens erfolgt nur auf Antrag.
Text
Begründung:
Im Verfahren 7 Ob 163/24g (RS0135300) hat der Oberste Gerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union (C-175/25) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1. a) Sind Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 3 Durchführungs-VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass bei einem unter die VO 715/2007/EG fallenden Dieselfahrzeug, in dem Systeme der Abgasrückführung (AGR-System) und Abgasnachbehandlung (SCR-System) verbaut sind, für die Qualifikation als Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG darauf abzustellen ist, ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit (unter Einschluss aller jeweils vorhandener Systeme der Abgasrückführung und -nachbehandlung) verringert wird, oder darauf, ob die Wirksamkeit einzelner Konstruktionsteile (zB „Thermofenster“, SCR-Katalysator) als jeweils eigene Emissionskontrollsysteme verringert wird?
b) Sind Art 3 Nr 10, Art 5 Abs 1 und 2 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass für die Qualifikation als unzulässige Abschalteinrichtung die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen – sei es eines einzelnen Konstruktionsteils, sei es der Gesamtheit des Systems (siehe Frage 1. a) – allein entscheidend ist, oder ist zusätzlich erforderlich, dass (zumindest) einer der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte überschritten wird?
2. Für den Fall, dass auf das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit abzustellen ist:
a) Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Behauptungslast dahin auszulegen, dass der Erwerber eines Dieselfahrzeugs seiner Behauptungslast zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung entspricht, wenn er vorbringt, dass ein Konstruktionsteil (zB „Thermofenster“) vorliegt, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, und trifft dann den Hersteller die Behauptungslast dafür, dass das Gesamtsystem insgesamt zu keiner Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems führt, oder muss der Käufer auch vorbringen, dass keine anderen Konstruktionsteile vorliegen, die den nachteiligen Effekt ausgleichen?
b) Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG im Fall der Behauptungslast des Käufers für das Gesamtsystem und der daraus im nationalen Recht resultierenden Beweislast dahin auszulegen, dass selbst eine nationale Regelung, die den Hersteller in diesem Fall zur Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet, dennoch nicht dem Unionsrecht, insbesondere dem Effektivitätsgrundsatz, entspricht, sodass deshalb insoweit unionsrechtlich der Hersteller die Beweislast zu tragen hat?
3. Sind Art 3 Nr 10, Art 4 Abs 2, Art 5 Abs 1 und Abs 2 VO 715/2007/EG (iVm Art 3 Durchführungs-VO 692/2008/EG) dahin auszulegen, dass die Bauteile eines Dieselfahrzeugs, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sein müssen, dass die Einhaltung der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte nicht nur bei den vorgeschriebenen Tests im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens (hier: Neuer Europäischer Fahrzyklus-Test), sondern auch unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeugs (im Realbetrieb) gewährleistet ist?"
Diese Fragen wurden beinahe wortident vom Obersten Gerichtshof auch im Verfahren zu 10 Ob 71/24z (RS0135343) am 18.3.2025 an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt (C-251/25).
Darüber hinaus hat der Oberste Gerichtshof im Verfahren 8 Ob 99/24b (RS0135307) am 27.2.2025 dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (C-182/25):
„1.a. Sind Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 3 Durchführungs-VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass bei einem unter die VO 715/2007/EG fallenden Fahrzeug mit Dieselmotor, in dem
- ein Stickoxidspeicherkatalysator samt Dieselpartikelfilter und weiters
- nur ein (in seiner Steuerung und Wirksamkeit von verschiedenen Faktoren wie Umgebungstemperatur, Leistungsanforderung, Gaspedalstellung, Drehmoment, Seehöhe, Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft, Fahrverhalten des Fahrers sowie Temperatur am und im Triebwerk und im Abgasrückführungssystem selbst abhängiges) System der Abgasreduktion (AGR-System) verbaut ist, welches
- ein „Thermofenster“ (eine temperaturabhängige Reduktion der AGR-Rate), bezüglich dessen zwar feststeht, dass die AGR-Rate bei Temperaturen unter -24°C und über +70°C reduziert wird, allerdings nicht feststellbar ist, ob eine Reduktion der AGR-Rate auch innerhalb des Temperaturbereiches von -24°C bis +70°C stattfindet,
- eine „Höhenschaltung“ (eine Reduktion der AGR-Rate in einer Betriebshöhe von über 1.000 Metern über dem Meeresspiegel), und
- eine „Taxischaltung“ (eine Reduktion der AGR-Rate bei einem Betrieb im Leerlauf über einen Zeitraum von mehr als 15 Minuten) aufweist, für die Qualifikation als Abschalteinrichtung im Sinne von Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG darauf abzustellen ist,
i. ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit (unter Einschluss aller jeweils vorhandenen Systeme der Abgasrückführung und -nachbehandlung) verringert wird, oder darauf,
ii. ob die Wirksamkeit einzelner Konstruktionsteile (zB „Thermofenster“, SCR-Katalysator) als jeweils eigene Emissionskontrollsysteme verringert wird?
1.b. Sind Art 3 Nr 10, Art 5 Abs 1 und 2 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass
i. es sich bei der Wendung in Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG „... unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind …“ - um einen Teil der Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung, oder - um eine diesbezügliche Ausnahmeregelung vom Bestehen einer Abschalteinrichtung oder Verbotsausnahme, welche erst beim Nachweis des Nichtvorliegens solcher Bedingungen die Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung bewirkt, handelt?
ii. für die Qualifikation als unzulässige Abschalteinrichtung die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems eines Dieselfahrzeuges unter gewöhnlichen Fahrbedingungen – sei es eines einzelnen Konstruktionsteiles, sei es der Gesamtheit des Systems (siehe Frage 1.a.) – allein entscheidend ist, oder ist zusätzlich erforderlich, dass (zumindest) einer der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte überschritten wird?
iii. eine Abschalteinrichtung jedenfalls dann zulässig im Sinne des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ist, wenn unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeuges die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems eines Dieselfahrzeuges zwar verringert wird, jedoch die in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden?
2. Für den Fall, dass im Sinne der zu Punkt 1. gestellten Fragen auf das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit abzustellen ist:
2.a. Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Behauptungslast dahin auszulegen, dass der Erwerber eines Dieselfahrzeuges seiner Behauptungslast zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung entspricht, wenn er vorbringt, dass ein Konstruktionsteil (zB „Thermofenster“) vorliegt, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, und trifft dann den Fahrzeughersteller die Behauptungslast dafür, dass das Gesamtsystem insgesamt zu keiner Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems führt, oder muss der Käufer auch vorbringen, dass keine anderen Konstruktionsteile vorliegen, die den nachteiligen Effekt ausgleichen?
2.b. Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Beweislast dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, nach der den klagenden Käufer die Beweislast für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung und somit nicht nur dafür trifft, dass ein Konstruktionsteil im Fahrzeug verbaut ist, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, sondern auch dafür, dass keine anderen Konstruktionsteile verbaut sind, die diesen nachteiligen Effekt ausgleichen, aber der beklagte Fahrzeughersteller zur Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhaltes verpflichtet ist – wobei die Konsequenz einer Nicht-Mitwirkung nur darin liegt, dass das Gericht diesen Umstand in seine freie Beweiswürdigung einfließen lässt –, gegen Unionsrecht verstößt, sodass bei der Feststellung des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit eine Zuweisung der Beweislast hierfür an den beklagten Fahrzeughersteller unionsrechtlich geboten ist?
2.c. Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass die Behauptungs- und Beweislast für den konkreten Temperaturbereich, in dem eine im Fahrzeugmotor vorhandene Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters nicht aktiv ist, den Fahrzeughersteller trifft?
3.a. Sind Art 3 Nr 10, Art 4 Abs 2, Art 5 Abs 1 und Abs 2 VO 715/2007/EG in Verbindung mit Art 3 Durchführungs-VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass die Bauteile eines Dieselfahrzeuges, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sein müssen, dass die Einhaltung der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte nicht nur bei den vorgeschriebenen Tests im Rahmen des jeweils anzuwendenden Typgenehmigungsverfahrens (hier: Neuer Europäischer Fahrzyklus-Test), sondern auch unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeuges (im Realbetrieb) gewährleistet ist?
3.b. Falls die Frage 3.a. zu bejahen ist: Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 5 Abs 1 und Art 4 Abs 3 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass nicht der klagende Käufer, sondern der beklagte Fahrzeughersteller die Beweislast für die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte im Realbetrieb trägt?“
Des weiteren hat das Landgericht Ravensburg (Deutschland) im Verfahren 2 O 331/19 ua dem Gerichtshof der Europäischen Union (C-666/23) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1. Kann der Schadenersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller wegen fahrlässigen Inverkehrbringens eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 mit der Begründung verneint werden,
a) dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Herstellers vorliege? wenn ja:
b) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständige Behörde die eingebaute Abschalteinrichtung tatsächlich genehmigt hat? wenn ja:
c) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die Rechtsauffassung des Fahrzeugherstellers von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bei entsprechender Nachfrage von der für die EG- Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung)?“
Rechtliche Beurteilung
Das vorliegende Verfahren betrifft einen vergleichbaren Sachverhalt, weshalb diese Fragestellungen auch für die Beurteilung des hier geltend gemachten Schadenersatzanspruchs insbesondere im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast sowie des Zusammenspiels mehrerer bei der Abgasreduktion eingesetzter Komponenten relevant sind. Ebenso beruft sich die Beklagte auch im vorliegenden Verfahren auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum.
Der Oberste Gerichtshof geht von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus und wendet diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall an. Es ist daher zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die bereits gestellten Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das gegenständliche Verfahren zu unterbrechen (RS0110583).
Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren auf Antrag einer Partei fortgesetzt werden. Eine amtswegige Fortsetzung ist nicht erforderlich, weil diese der Disposition der Parteien unterliegt. Diese können daher zum gegebenen Zeitpunkt zunächst selbst ihre Schlüsse aus der dann vorliegenden Vorabentscheidung ziehen (4 Ob 211/08w, 10 Ob 2/23a vom 21.2.2023 [139]).“