22Bs104/25t – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* und einen anderen Angeklagten über die Berufung des Genannten wegen Nichtigkeit, Schuld, Strafe und des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 20. Jänner 2025, GZ ** 10.8, durch die Senatspräsidentin Mag. Mathes als Vorsitzende sowie den Richter Mag. Hahn und die Richterin Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder gemäß §§ 470 Z 3, 489 Abs 1 StPO nichtöffentlich zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wegen Nichtigkeit wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen .
Mit seiner Berufung wegen Schuld, Strafe und des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche wird der Angeklagte auf die Kassation verwiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch des Mitangeklagten B* enthaltenden Urteil wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig erkannt und hiefür (zu ergänzen: unter Anwendung des § 43a Abs 2 StGB) nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten sowie zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen á 4, Euro (gesamt 1.200, Euro), im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 150 Tagen verurteilt. Gemäß § 43a Abs 2 (richtig: § 43 Abs 1) StGB wurde der Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Zudem wurde A* gemäß § 369 Abs 1 (zu ergänzen: iVm § 366 Abs 2) StPO dazu verhalten, dem Privatbeteiligten B* 367, Euro binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* am 17. August 2024 in ** am Campingplatz B* am Körper verletzt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine an sich schwere Körperverletzung des Genannten herbeigeführt, indem er diesem zunächst mit der Faust auf den Kopf schlug, wodurch dieser gegen ein Fahrzeug stürzte, sodann dem am Boden Liegenden erneut mit der Faust auf den Kopf schlug und ihm zumindest einen weiteren Faustschlag im Bereich des Kiefers versetzte, wodurch der Genannte zwei Rissquetschwunden an der Lippe sowie den Verlust von vier Schneidezähnen erlitt.
Nach den wesentlichen erstgerichtlichen Feststellungen befanden sich der Angeklagte und B* vom 15. bis 17. August 2024 auf einem Campingplatz, wobei sichA * immer wieder zu der Gruppe von B* dazugesellt habe, welcher ihm signalisiert habe, damit keine große Freude zu haben. Zuletzt sei es zu einem verbalen Streit gekommen, bei dem B* A* aufgefordert habe, die Feuerstelle zu verlassen. B* habe A* zu seinem Zelt zurück begleitet und angekündigt, dass er ihn samt seinem Zelt vom Stellplatz entfernen werde, wenn er jetzt nicht gehe. Zur Verdeutlichung habe er begonnen, am Zelt des A* einen Hering zu lösen. Daraufhin habe ihm A* einen Faustschlag gegen die rechte Gesichtshälfte versetzt, sodass B* aufgrund des Schlages gegen das in der Nähe geparkte Fahrzeug gestürzt sei. Kurz darauf habe er ihm zumindest einen weiteren wuchtigen Faustschlag frontal ins Gesicht und den Bereich der Schneidezähne versetzt, sodass B* benommen am Boden zu liegen gekommen sei. B* habe durch die Schläge zwei Rissquetschwunden an der Lippe erlitten, zudem seien vier untere Schneidezähne durch die Heftigkeit des Schlages so gelockert gewesen, dass sie in der Folge entfernt werden mussten.
Zum Tathergang stellte das Erstgericht weiters fest, dass B* vor den Faustschlägen keinen Angriff gegen A* gesetzt oder angedroht und diesen auch nicht bedroht habe.
Zur subjektiven Tatseite hielt das Erstgericht fest, dass der Angeklagte es bei den Faustschlägen ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, dass er dadurch B* am Körper verletzt und eine an sich schwere Körperverletzung zufügt. A* habe gewusst, dass von B* kein Angriff auf sein Leben, seine Gesundheit, seine körperliche Unversehrtheit, sexuelle Integrität oder Selbstbestimmung, Freiheit oder Vermögen gegenwärtig ausgeführt wurde oder unmittelbar drohte und habe einen solchen auch nicht irrtümlich angenommen.
Beweiswürdigend erwog das Erstgericht, dass B* zuvor nicht – wie von A* behauptet - in die Faust des A* gebissen habe und gründete dies in erster Linie auf die für glaubwürdig befundene Aussage des B* sowie den Augenschein eines Gebissabdrucks desselben. Diesen Gebissabdruck verglich der Erstrichter im Zuge der Hauptverhandlung mit Verletzungen von auf Lichtbildern dokumentierten Verletzungen des A* an der Hand und schloss auf diesem Weg eine Verursachung der Verletzung durch die oberen Schneidezähne des B* mit Sicherheit aus.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht die Brutalität der Tathandlung aus nichtigem Anlass und die gravierenden Verletzungsfolgen von vier verlorenen Schneidezähnen als erschwerend, als mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 11), fristgerecht wegen Nichtigkeit, Schuld, Strafe und des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche ausgeführte Berufung des Angeklagten (ON 19).
Rechtliche Beurteilung
Schon der Berufung wegen Nichtigkeit kommt Berechtigung zu.
In Geltendmachung des Nichtigkeitsgrunds des § 281 Abs 1 Z 4 StPO rügt der Berufungswerber die zu Unrecht erfolgte Abweisung eines von ihm gestellten Beweisantrags. In diesem Zusammenhang verweist er darauf, dass er in der Hauptverhandlung den Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür stellte, „dass die am linken Handrücken des Erstangeklagten entstandenen Verletzungen mit dem von ihm geschilderten Tatablauf in Einklang zu bringen sind und die heute gemachte Vorführung deshalb unzureichend ist, weil die Gipsabdrücke nicht die gesamte Kiefersituation wiedergeben, insbesondere nicht das Scharnier, um das diese Kieferteile bewegt werden“.
Gemäß § 126 StPO sind Sachverständige zu bestellen, wenn für Ermittlungen oder für Beweisaufnahmen besonderes Fachwissen erforderlich ist, über welches die Strafverfolgungsbehörden durch ihre Organe, besondere Einrichtungen oder bei ihnen dauernd angestellte Personen nicht verfügen. Diese Wertung hat das Rechtsmittelgericht auf den Einzelfall bezogen vorzunehmen (RIS-Justiz RS0097283 [T3]).
Das Rechtsmittelgericht schließt sich der Ansicht des Berufungswerbers an, dass für eine seriöse Beurteilung der Tatfrage, ob die durch Lichtbilder dokumentierte (ON 2.19) und in einem Krankenhaus befundete (ON 2.14) Verletzung des A* an der Hand durch einen Biss des B* verursacht worden sein kann, gerichtsmedizinische Fachkenntnisse erforderlich sind, über die weder das Erstgericht noch das Rechtsmittelgericht verfügen. Der vom Erstgericht zur Darstellung gebrachten laienhaften Bewertung (US 6) im Zuge des Vergleichs des Gebissabdrucks mit den Lichtbildern ist nicht einmal zu entnehmen, von welchen beiden oberen Schneidezähnen es bei seinem Vergleich überhaupt ausging, könnte ein Abdruck doch nicht nur durch die tatsächlich etwas schräg zueinander stehenden ersten Schneidezähne, sondern beispielsweise auch durch den ersten und zweiten Schneidezahn einer Seite des Gebisses verursacht worden sein. Zudem steht auch nicht fest, dass von jedem Zahn die gesamte Schneidefläche als Abdruck sichtbar werden würde, zumal der horizontale Verlauf der Zahnkanten auf den Lichtbildern des Gebissabdrucks nicht ersichtlich ist. Dass ein medizinischer Sachverständiger „auch bloß die Lichtbilder abgleiche könne“, wie das Erstgericht die Abweisung des Antrags begründete (ON 10.7, 55), erweist sich als nicht überzeugend, könnte dieser doch vielmehr seine langjährige (medizinische) Fachkenntnis und Erfahrung einbringen.
Grundsätzlich zutreffend wies die Oberstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zwar darauf hin, dass davon ausgegangen wurde, dass der Verlust der Schneidezähne erst aus dem zweiten Schlag resultierte. Sollte ein vorangegangener Biss des B* jedoch nicht auszuschließen sein, wäre dennoch eine neue Bewertung der gesamten Situation erforderlich, zumal sich nicht nur die Frage nach dem tatsächlichen Vorliegen einer allfälligen Notwehrsituation, sondern damit im Zusammenhag auch Fragen nach einem allfälligen Notwehrexzess oder Putativnotwehr stellen würden. Zudem steht auch die Glaubwürdigkeit der weiteren Angaben der beteiligten Personen untrennbar mit diesen Umständen in Zusammenhang.
Die Abweisung des diesbezüglichen Beweisantrags, der das nicht offenkundige Beweisthema und Beweismittel § 55 Abs 1 StPO entsprechend benannte und der angesichts der Offensichtlichkeit seiner Eignung, das für die Beurteilung des Tatverdachts relevante (§ 55 Abs 2 StPO) Beweisthema, nämlich das allfällige Vorliegen einer Notwehrsituation, zu klären, keiner weiteren Begründung bedurfte, erfolgte daher zu Unrecht.
Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die vom Rechtsmittelwerber ebenfalls beanstandete Abweisung des Beweisantrags auf Vernehmung der Zeugen C*, D* und E* „zum Beweis für die Richtigkeit des vom Erstangeklagten angegebenen Zeitablaufs bis zum 17. August 2026, 00:00 Uhr, diese auch zum Beweis für die Richtigkeit des Vorbringens des Erstangeklagten über die Ankündigungen des Zweitangeklagten, sie würden am Abend keine Freude mit ihnen haben, wonach der Zweitangeklagte bereits beim ersten Kennenlernen angekündigt hat, dass es zu ablehnenden Reaktionen seinerseits kommen würde“, nicht zu beanstanden ist. Diese Beweismittel sind gegenständlich nicht geeignet, eine erhebliche Tatsache zu beweisen, zumal die als Zeugen beantragen Personen keine Wahrnehmungen zum Tathergang haben. Im Übrigen stellte das Erstgericht ohnedies fest, dass B* dem Angeklagten bereits am 15. August signalisierte, dass er und seine Gruppe keine große Freude haben, den Stellplatz teilen zu müssen und auch am 16. August abermals von der Anwesenheit des A* genervt war (US 3). Die Abweisung der Beweisanträge entsprach daher den Bestimmungen des § 55 Abs 2 Z 2 und 3 StPO.
Damit stand bereits vor Anordnung einer öffentlichen Verhandlung über die Berufung fest, dass das Urteil in Wahrnehmung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrunds nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO gemäß §§ 470 Z 3, 489 Abs 1 StPO nichtöffentlich aufzuheben und die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen war.
Dieses wird im fortgesetzten Verfahren dem Beweisantrag zu entsprechen und ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Gerichtsmedizin, nach Möglichkeit durch einen Sachverständigen mit traumatologischer Erfahrung, einzuholen haben und unter freier, vollständiger und ausführlicher Würdigung sämtlicher Beweisergebnisse neu zu entscheiden haben.