19Bs124/25m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 6. März 2025, GZ **-18.4, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Baumgartner, im Beisein der Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart des Oberstaatsanwalts Mag. Wohlmuth, LL.M. (WU), ferner in Anwesenheit der Verteidigerin Mag. Margit Buchegger und der Privatbeteiligtenvertreterin Mag. Andrea Brosch, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten A* durchgeführten Berufungsverhandlung am 10. Juni 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung des Angeklagten wird nicht Folge gegeben.
Hingegen wird in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft die Freiheitsstrafe auf vier Jahre erhöht .
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen, auch unbekämpft gebliebene Privatbeteiligtenzusprüche enthaltenden Urteil wurde A* der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 206 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt.
Danach hat er in ** zu nicht mehr festzustellenden Zeitpunkten zwischen 1. Jänner 2018 und 31. Dezember 2019
A./ in Bezug auf die am ** geborene und sohin zu den Tatzeitpunkten unmündige B* C*
I./ zumindest ein Mal mit ihr eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er sich hinter sie legte, sodann mit seiner Hand über ihren Körper griff und zunächst ihren Schambereich mit seinen Fingern oberhalb der Kleidung streichelte und massierte, anschließend seine Hände in ihre Unterhose bewegte und ihren nackten Schambereich und ihre Schamlippen mit einem seiner Finger streichelte und massierte, wobei er einen seiner Finger im weiteren Verlauf auch zwischen die Schamlippen bewegte und ihre Vagina mit seinem Finger penetrieren wollte, wobei ihm dies jedoch nicht gelang;
II./ an ihr geschlechtliche Handlungen
1./ vorgenommen, und zwar in zumindest vier weiteren Angriffen, indem er sich hinter sie legte, sodann mit seiner Hand über ihren Körper griff und zunächst ihren Schambereich mit seinen Fingern oberhalb der Kleidung streichelte und massierte, anschließend seine Hände in ihre Unterhose bewegte und ihren nackten Schambereich und ihre Schamlippen mit einem seiner Finger streichelte und massierte;
2./ zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt auf der Couch vorzunehmen versucht (§ 15 StGB), indem er mit seinen Händen in die Unterhose in Richtung ihres Schambereichs gelangen wollte, um ihre Schamlippen zu massieren, es jedoch beim Versuch blieb, weil B* C* ihr T-Shirt prophylaktisch in ihre Unterhose gestrickt hatte und er sohin nicht zum nackten Schambereich gelangte;
B./ in Bezug auf die am ** geborene und sohin zu den Tatzeitpunkten unmündige D* C*
I./ zumindest ein Mal mit ihr eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er sich hinter sie legte, seine Hand in ihrer Unterhose bewegte und ihren nackten Schambereich und ihre Schamlippen mit einem seiner Finger in kreisenden Bewegungen streichelte und massierte, wobei er einen seiner Finger im weiteren Verlauf auch zwischen die Schamlippen bewegte und ihre Vagina mit seinem Finger penetrierte;
II./ an ihr in wiederholten, mehrmals wöchentlich stattfindenden Angriffen geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er sich hinter sie legte, sodann mit seiner Hand entweder über ihren Körper griff oder von hinten seine Hände in ihrer Unterhose bewegte und ihren nackten Schambereich und ihre Schamlippen mit einem seiner Finger in kreisenden Bewegungen streichelte und massierte.
Bei der Strafzumessung wertete der Schöffensenat das Zusammentreffen zahlreicher Verbrechen, das junge Alter der Opfer, die Tatbegehung gegenüber mehreren Opfern und zum Nachteil von Angehörigen sowie die zahlreichen Übergriffe erschwerend, mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel, das lange Zurückliegen der Taten und das teilweise Geständnis des Angeklagten. Im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen wurde die Ausnützung des zwischen dem Angeklagten und den Opfern im Tatzeitraum bestehenden Vertrauensverhältnisses schulderhöhend berücksichtigt (US 15).
Nach Zurückweisung der vom Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde (ON 19) mit rechtskräftigem Beschluss der Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 17. April 2025 (ON 28) ist nunmehr über die rechtzeitig angemeldeten Berufungen des A* (ON 19) und der Staatsanwaltschaft (ON 20) zu entscheiden. Die Anklagebehörde strebt mit ihrem Rechtsmittel eine Erhöhung der Sanktion an (ON 21), während der Angeklagte eine Reduktion der verhängten Strafe begehrt (ON 27).
Rechtliche Beurteilung
Wie vom Angeklagten reklamiert, sind die erstgerichtlichen Strafzumessungsparameter zunächst um den Milderungsgrund des teilweise Verbleibens der Taten im Versuchsstadium zu ergänzen (Faktum A./II./2.).
Die Staatsanwaltschaft weist wiederum zutreffend darauf hin, dass der Erschwerungsgrund des langen Deliktszeitraums hinzuzutreten hat, welcher neben dem Zusammentreffen von strafbaren Handlungen erschwerend angenommen werden kann, weil § 33 Abs Z 1 StGB mehrere Erschwerungsumstände aufzählt, die verschiedene Kriterien gesteigerter (Strafbemessungs-)Schuld (demonstrativ) aufzeigen (RIS-Justiz RS0091200; Riffel in Höpfel/Ratz , WK² StGB § 33 Rz 4 mwN). Wie vom Angeklagten kritisiert, hat jedoch die aggravierende Wertung der „zahlreichen Übergriffe“ zu entfallen, weil diese im angenommenen Erschwerungsgrund des Zusammentreffens zahlreicher Verbrechen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) aufgehen.
Im Recht ist die Staatsanwaltschaft auch, wenn sie die Heranziehung des Erschwerungsgrundes nach § 33 Abs 2 Z 1 erster Fall StGB (Tatbegehung als Volljähriger zum Nachteil zweier minderjähriger Personen) fordert. Dieser kann ohne Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot berücksichtigt werden, weil die inkriminierten Delikte nicht nur durch volljährige Täter, sondern auch durch Minderjährige begangen werden können.
Ebenso zutreffend weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass dem teilweisen Geständnis nicht nur angesichts der erdrückenden Beweislage (RIS-Justiz RS0091512), sondern auch, weil der Angeklagte die Begehung der strafbestimmenden Delikte nach § 206 Abs 1 StGB zur Gänze in Abrede stellte, nur geringes Gewicht beigemessen werden kann. Nicht zu folgen ist hingegen der Auffassung der Anklagebehörde, der Angeklagte habe durch die Leugnung eines sexuellen Bezugs seiner Taten die subjektive Tatseite de facto bestritten, setzen doch der erste und der zweite Deliktsfall des § 207 Abs 1 StGB keine auf geschlechtliche Befriedigung gerichtete Absicht des Täters voraus (RIS-Justiz RS0095226).
Die in der Hauptverhandlung gezeigte Gleichgültigkeit des Berufungswerbers (US 12) durfte – wie vom Erstgericht auch richtigerweise unterlassen – nicht zu dessen Nachteil berücksichtigt werden ( Riffel in Höpfel/Ratz , WK² StGB § 32 Rz 43).
Nicht korrekt ist die Ansicht des Angeklagten, dass sein Anerkenntnis mildernde Wirkung entfaltet ( Riffel in Höpfel/Ratz , WK² StGB § 34 Rz 33).
Bei objektiver Abwägung der solcherart korrigierten Strafzumessungslage erweist sich in Anbetracht des zur Verfügung stehenden Strafrahmens von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe die vom Erstgericht ausgemittelte Sanktion, die die Strafbefugnis nicht einmal zur Hälfte ausschöpft, als leicht korrekturbedürftig, weswegen sie im spruchgemäßen Ausmaß zu erhöhen war. Mit der neu bemessenen Strafe wurde nicht nur dem bislang ordentlichen Lebenswandel, sondern auch den für die Bekämpfung von gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gerichteten strafbaren Handlungen gewichtigen generalpräventiven Gesichtspunkten (vgl zur Zulässigkeit der Berücksichtigung solcher Aspekte bei der Strafbemessung RIS-Justiz RS0090600) entsprechend Rechnung getragen, gilt es doch ebenso potentiellen Tätern im Milieu und Lebenskreis des Angeklagten die besondere Verwerflichkeit derartiger, die sexuelle Integrität argloser Kinder aus dem persönlichen Umfeld negierender Sexualstraftaten aufzuzeigen, um sie von der Begehung solcher sexualbezogener Umtriebe abzuhalten.
Die Gewährung einer auch nur teilweise bedingten Strafnachsicht scheitert bereits an den zeitlichen
Voraussetzungen der §§ 43 und 43a StGB.