23Bs149/25t – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Aichinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Staribacher und den Richter Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* und B* wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Beschwerde des A* gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom (richtig:) 19. Mai 2025, GZ **, sowie jene des B* gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom (richtig:) 19. Mai 2025, GZ **, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Den Beschwerden wird mit der Maßgabe nicht Folge gegeben, dass der Antrag des B* vom 12. Mai 2025 (ON 7) auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zurück- und nicht abgewiesen wird.
Text
Begründung:
Mit Strafantrag vom 14. April 2025 (ON 5) legt die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt dem am ** geborenen österreichischen Staatsbürger A* und dem am ** geborenen österreichischen Staatsbürger B* je ein als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB beurteiltes Verhalten, B* darüber hinaus auch ein als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB beurteiltes Verhalten zur Last.
Demnach haben am 7. März 2025 in **
„I. einen anderen im Zuge wechselseitiger, teils im Stiegenhaus, teils auf der Straße vor der Liegenschaft ** stattfindender, körperlicher Attacken vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar
1. A* den B*, indem er dem Genannten Stöße versetzte, mit ihm rangelte und ihm Schläge gegen Kopf, Hals und Rippen versetzte, ihn am Hals erfasste und zudrückte sowie ihm einen Schlag gegen die Hand versetzte und ihn in den Unterarm biss, wodurch B* Prellungen im Bereich des rechten Brustkorbs, der rechten Schulter und des rechten Schlüsselbeins sowie Kratzwunden am Hals und eine Bisswunde und Kratzwunde am rechten Unterarm erlitt;
2. B* den A*, indem er dem Genannten Stöße sowie Tritte und Schläge gegen den Körper versetzte und mit ihm rangelte, wodurch A* Schwellungen im Bereich des Beckens und des Kopfes erlitt;
II. B* den A* gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihm – sinngemäß eine Verletzung am Körper in Aussicht stellend – im Anschluss an die unter Pkt. I. beschriebenen körperlichen Attacken ankündigte, er werde ihn umbringen, fünf Leute würden ihn bereits finden und ihn niederschlagen, er werde ihm den Schädel einschlagen.“
Im Vorfeld der für den 19. Mai 2025 anberaumten Hauptverhandlung (ON 1.3) übermittelte B* dem Erstgericht am 12. Mai 2025 ein E-Mail mit dem Betreff „Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe“, welchem ein weder datierter noch unterfertigter „Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Vermögensbekenntnis“ (ZPForm 1) angeschlossen war (ON 7). A* wiederum stellte mit beim Erstgericht am 16. Mai 2025 eingelangter und eigenhändig unterfertigter Eingabe (ON 8) einen „Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Vermögensbekenntnis“ (ZPForm 1), mit welcher er erkennbar die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers begehrte (S 2: „Pflichtverteidiger, Verfahrenshilfe“).
Mit den angefochtenen, im Rahmen der (in weiterer Folge auf unbestimmte Zeit vertagten) Hauptverhandlung gefassten Beschlüssen wies die Erstrichterin diese Anträge jeweils mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 61 Abs 2 StPO ab (ON 9.3 S 2, ON 10 und ON 11).
Dagegen richten sich die seitens der Angeklagten jeweils unmittelbar nach Beschlussverkündung (erkennbar) erhobenen, in Folge nicht näher ausgeführten Beschwerden (ON 9.3 S 3 und S 4).
Rechtliche Beurteilung
Zunächst ist zum Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers des B* festzuhalten, dass zufolge § 84 Abs 2 StPO Rechtsmittel, Rechtsbehelfe und alle sonstigen Eingaben schriftlich, per Telefax oder im elektronischen Rechtsverkehr (§ 89a GOG) eingebracht werden können. Eine Eingabe per E-Mail stellt nach § 6 ERV 2021 nur dann eine zulässige Form der elektronischen Übermittlung dar, wenn dieser Übermittlungsweg durch besondere gesetzliche Regelungen oder im Verordnungsweg ausdrücklich angeordnet wird, was in Ansehung des gegenständlichen Antrags nicht der Fall ist (vgl zur Einbringung einer Berufung 22 Ds 7/23h und 22 Ds 1/24b bzw [zu § 5 Abs 1a ERV 2006] RIS-Justiz RS0127859; Kirchbacher , StPO 15 § 84 Rz 6; Murschetz , WK-StPO § 84 Rz 12). Der per E-Mail übermittelte Antrag des B* entspricht demnach nicht der in der StPO vorgesehenen Form und wäre solcherart – zumal sich auch eine Wiederholung (in Form eines „Aufrechterhaltens“) in der Hauptverhandlung vor Beschlussfassung dem bezughabenden Protokoll (entgegen den Ausführungen im erstgerichtlichen Beschluss) gerade nicht entnehmen lässt (ON 9.3 S 2) - zurückzuweisen gewesen.
Dessen ungeachtet hat das Gericht bei wirtschaftlicher Bedürftigkeit eines (hier:) Angeklagten nur dann zu beschließen, dass diesem ein Verfahrenshilfeverteidiger beizugeben ist, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist. Dies ist (abgesehen von hier nicht relevanten Konstellationen) jedenfalls dann der Fall, wenn der Angeklagte schutzbedürftig ist (weil er an einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfähigkeit leidet und er deshalb nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen) oder eine schwierige Sach- oder Rechtslage vorliegt (§ 61 Abs 2 StPO).
Anhaltspunkte dafür, dass einer der Angeklagten an einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung der Entscheidungsfähigkeit leiden würde und deshalb nicht in der Lage wäre, sich selbst zu verteidigen, liegen fallbezogen ausgehend von der Aktenlage nicht vor. Die bloß unsubstantiierte Behauptung des Erstangeklagten, „nicht in psychischer Verfassung“ zu sein, sich „ausreichend verteidigen zu können“ (ON 8 S 2), reicht nicht hin, um eine Schutzbedürftigkeit im Sinne des § 61 Abs 2 Z 2 lit b StPO zu begründen.
Was als schwierige Sach- und Rechtslage anzusehen ist, hat der Gesetzgeber nicht definiert, vielmehr dem Gericht einen Spielraum zur sachgerechten - vor allem am Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung orientierten - Einzelfallbeurteilung eröffnet ( Soyer/Schumann , WK-StPO § 61 Rz 66 mwN). Eine schwierige Sach- und Rechtslage liegt etwa bei komplexer Beweiserhebung, der Klärung von Tatfragen durch Sachverständige (insbesondere aus den Fachgebieten Medizin, Technik, Bilanzierung), aufwendigen Tat- und/oder Rechtsfragen, einer Mehrzahl von verfahrensgegenständlichen Taten sowie der Glaubwürdigkeitsbeurteilung von (insbesondere minderjährigen) Zeugen mit sachverständiger Hilfe vor ( McAllister/Wess, LiK-StPO § 61 Rz 18 mwN). Eine solche ist vorliegend nicht gegeben, zumal weder die unter Anklage gestellten wechselseitigen Körperverletzungen noch die inkriminierte gefährliche Drohung eine komplexe Beweiserhebung erfordern und in diesem Zusammenhang auch keine aufwendigen Rechtsfragen zu klären sind.
Die Beigebung von Verfahrenshilfeverteidigern ist somit fallbezogen jeweils im Interesse der Rechtspflege und einer zweckentsprechenden Verteidigung nicht erforderlich, weswegen den Beschwerden im Ergebnis – ausgehend von den eingangs dargestellten Erwägungen mit der im Spruch ersichtlichen Maßgabe - ein Erfolg zu versagen war.