19Bs142/25h – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Baumgartner als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 27 Abs 2a SMG über deren Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. April 2025, GZ **-116, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
[1] Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Februar 2025 (ON 86) wurde A* hinsichtlich des am 7. Jänner 2025 wegen §§ 15 StGB, 27 Abs 2a SMG über sie verhängten unbedingten Strafteils von drei Monaten (einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe) sowie des unter einem ausgesprochenen Widerrufs der mit Urteilen des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu ** und zu ** jeweils gewährten bedingten Strafnachsicht gemäß § 39 Abs 1 SMG Strafaufschub bis 7. Jänner 2027 gewährt, um sich der notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme (§ 11 Abs 2 SMG), nämlich ärztliche Überwachung des Gesundheitszustandes, ärztliche Behandlung einschließlich der Entzugsbehandlung, Psychotherapie, klinisch-psychologische Beratung und Betreuung sowie psychosoziale Beratung und Betreuung, zu unterziehen, dies mit der Maßgabe, sich während der ersten sechs Monate einer stationären Behandlung und daran anschließend einer ambulanten Behandlung zu unterziehen, wobei der Beginn des Aufschubs mit Übernahme der Verurteilten aus der Justizanstalt ** in die stationäre Betreuung der Therapieeinrichtung „B*“ (folgend B*) am 13. Februar 2025, 08.00 Uhr festgesetzt wurde. A* wurde aufgetragen, unaufgefordert eine Bestätigung über den Beginn der gesundheitsbezogenen Maßnahme binnen eines Monats und über deren Verlauf alle drei Monate vorzulegen.
[2] A* wurde am 13. Februar 2025, 8.00 Uhr enthaftet und dem B* „übergeben“ (ON 94 iVm ON 88).
[3] Am 17. Februar 2025 teilte das B* mit, dass A* nach Aufnahme in die stationäre Therapie diese am 15. Februar 2025 abgebrochen habe (ON 97).
[4] Mit am 20. Februar 2025 von der Verurteilten persönlich übernommenen Schreiben vom 18. Februar 2025 erteilte das Erstgericht ihr eine förmliche Mahnung und forderte sie auf, sich einer Suchtgiftentwöhnungstherapie wie im Beschluss vom 4. Februar 2025 vorgesehen zu unterziehen und dies dem Gericht längstens binnen einer Woche nachzuweisen sowie Folgeberichte alle zwei Monate vorzulegen. Explizit wurde darauf hingewiesen, dass bei Nichtbefolgung der Aufforderung der Widerruf des Strafaufschubs geprüft werden müsse und im Ergebnis die Strafhaften in der Haftanstalt zu verbüßen wären (ON 100).
[5] Am 21. Februar 2025 teilte das B* mit, dass A* sich am 18. Februar 2025 in der Vorbetreuungsstelle gemeldet und Interesse an einer neuerlichen stationären Aufnahme gezeigt habe. Sofern sie den Vereinbarungen im Rahmen der Vorbetreuung zuverlässig nachkomme, könne eine Wiederaufnahme in die stationäre Therapie erfolgen (ON 102).
[6] Mit Note an die Verteidiger der A* vom 20. März 2025 ersuchte das Erstgericht diese um ehestmögliche Vorlage einer Therapiebestätigung mit Frist 27. März 2027 (ON 106).
[7] Am 27. März 2025 teilte das B* dem Erstgericht mit, dass sich A* nach wie vor laufend in Vorbetreuung bei B* befinde. Nachdem sie eine Krankmeldung ihres Arztes übermittelt habe, welche die für 25. März 2025 vorgesehene Aufnahme aufgrund von Erkrankung unmöglich gemacht habe, sei der Verurteilten nach Rücksprache mit ihr und ihrer Verteidigerin als letztmöglicher Aufnahmetermin der 15. April 2025 angeboten worden. Bei Nichtwahrnehmung könne keine Aufnahme bei B* erfolgen (ON 108).
[8] Mit Schreiben vom 15. April 2025 gab das B* bekannt, dass A* den Aufnahmetermin nicht wahrgenommen habe (ON 113).
[9] Über Antrag der Staatsanwaltschaft vom 15. April 2025 widerrief das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss gemäß § 39 Abs 4 SMG den gewährten Strafaufschub mit der Begründung, dass sich die Verurteilte beharrlich der Therapie entziehe und der Widerruf aufgrund der mehrfach einschlägigen Vorstrafenbelastung spezialpräventiv erforderlich sei.
[10] Gegen diesen – am 6. Mai 2025 aufgrund eines Schreibfehlers korrigierten - Beschluss erhob A* rechtzeitig Beschwerde (ON 126; ON 126.1).
[11]
Rechtliche Beurteilung
Vorauszuschicken ist, dass es das Erstgericht unterlassen hat, der Verurteilten vor der Beschlussfassung Gelegenheit zur Stellungnahme zum Widerrufsantrag der Anklagebehörde einzuräumen und sich zum Entscheidungsgegenstand zu äußern, wodurch die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf angemessenes rechtliches Gehör (§ 6 Abs 2 StPO) verletzt wurde. Da es A* jedoch freistand, in ihrem Rechtsmittel sämtliche gegen den Widerruf des Strafaufschubs sprechende Argumente vorzubringen, blieb dieser Rechtsfehler vor dem Hintergrund der im Beschwerdeverfahren geltenden Neuerungserlaubnis (vgl § 89 Abs 2b zweiter Satz StPO) fall-aktuell ohne Auswirkungen (OLG Wien 19 Bs 236/14s; 32 Bs 74/14p; 18 Bs 61/15z; 19 Bs 60/15k; 32 Bs 16/16m; 23 Bs 61/18s, 23 Bs 386/24v uvm).
[12] Der Aufschub ist gemäß § 39 Abs 4 Z 1 SMG zu widerrufen und die Strafe zu vollziehen, wenn der Verurteilte sich einer gesundheitsbezogenen Maßnahme, zu der er sich gemäß Abs 1 Z 1 leg.cit bereit erklärt hat, nicht unterzieht oder es unterlässt, sich ihr weiterhin zu unterziehen, und der Vollzug der Freiheitsstrafe geboten erscheint, um ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.
[13] Voraussetzung für den Widerruf ist die Therapieunwilligkeit, die sich nach außen hin durch konsequente Verweigerung des Antritts der Therapie oder einen dauerhaften Abbruch der gesundheitsbezogenen Maßnahme zeigen muss ( Schwaighofer in WK 2 SMG § 39 Rz 40). Zusätzlich zu diesen Voraussetzungen muss nach § 39 Abs 4 letzter Satz SMG für den Widerruf der Vollzug der Freiheitsstrafe geboten erscheinen, um den Verurteilten von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, wobei die gebotenen spezialpräventiven Erwägungen einzelfallbezogen vorzunehmen sind, vereinzelte und vorübergehende Rückfälle nicht einmal die Grundvoraussetzung der Therapieunwilligkeit verwirklichen und den Widerruf auch spezialpräventiv nicht erforderlich machen ( Schwaighofer aaO Rz 46). Vereinzelte Unterbrechungen der Therapie und Rückfälle in Form neuerlichen Suchtmittelgebrauchs sind für Suchtkranke geradezu typisch und müssen in Maßen – wie bei anderen chronischen Erkrankungen auch – toleriert werden ( Schwaighofer aaO Rz 41 mwN).
[13] Im vorliegenden Fall ist A* der Therapieweisung, sich vorerst für die Dauer von sechs Monaten einer stationären Behandlung, diese beginnend mit 13. Februar 2025, zu unterziehen, lediglich für drei Tage nachgekommen und verweigerte trotz förmlicher Mahnung und Hinweis auf die Konsequenzen ihres Handelns den Antritt der stationären Therapie nach nahezu zweimonatiger Vorbetreuung zum ihr letztmöglich angebotenen Termin 15. April 2025. Diese konsequente Weigerung der Absolvierung der in ihrem Fall eine Grundvoraussetzung der Gewährung des Strafaufschubs nach § 39 Abs 1 SMG bildenden, nach dem eingeholten Gutachten der in Fragen gesundheitsbezogener Maßnahmen bei Suchtgiftmissbrauch äußerst erfahrenen Sachverständigen Mag a C* unbedingt notwendigen (ON 77.1,20ff) stationären Therapie über einen Zeitraum von zwei Monaten lässt keinen anderen Schluss als darauf zu, dass sie – selbst mit Blick auf die in Schwebe über sie gehaltenen Sanktionen – nicht gewillt ist und sich beharrlich weigert, sich einer solchen zu unterziehen. Mit dem Prinzip „Therapie statt Strafvollzug“ soll der Verurteilte angeregt werden, sich behandeln zu lassen und die Therapie durchzustehen ( Matzka/Zeder/Rüdisser, SMG³ § 39 Rz 2). Es wäre an A* gelegen gewesen, das ihr unterbreitete Angebot einer zunächst unabdingbaren stationären Therapie – zu der sie sich durch ihre eigene Bewerbung um einen stationären Therapieplatz bei B* bereit erklärt hat (ON 85), wobei diese Zustimmung überhaupt erst die Grundlage für den gewährten Strafaufschub schuf (siehe ON 78) - zu nutzen und sich engmaschig betreut mit ihren Problemen auseinander zu setzen.
[14] Der von A* vorgelegte fachliche Befundbericht (ON 121,2) dient offenbar nur dazu, ihre Verweigerung der Fortsetzung der abgebrochenen stationären Therapie im Nachhinein zu rechtfertigen. Bezeichnend dafür ist, dass sie die den fachärztlichen Befundbericht erstellende Gruppenpraxis Dr. D* Dr. E* erstmals am 2. Mai 2025 (siehe im Befundbericht „Erstkontakt“), sohin nach Zustellung des mit einem Schreibfehler behafteten (und in der Folge nach Korrektur erneut zugestellten) Widerrufsbeschlusses (ON 116; ON 117) am 18. April 2025 an ihre Verteidiger, aufsuchte und vorher trotz förmlicher Mahnung jeglichen Kontakt mit dem Erstgericht unterließ, um ihre behaupteten Probleme mit der stationären Therapie zu besprechen. Im Übrigen ergibt sich aus diesem fachärztlichen Befundbericht nicht, dass eine stationäre Suchtgifttherapie als gesundheitsbezogene Maßnahme nicht notwendig ist, wird doch darin lediglich ausgeführt, dass eine solche nicht indiziert und notwendig sei, weil keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorliege . Es wird sohin auf die Notwendigkeit einer stationären Maßnahme aufgrund des Suchtgiftmissbrauchs gar nicht eingegangen. Wenn die Beschwerdeführerin schwere Ängste vor einer stationären Therapie behauptet, ist ihr zunächst entgegenzuhalten, dass sie solche gegenüber der Sachverständigen Mag a C* nicht erwähnte. Von einer erwartbaren Verschlechterung des psychopathologischen Zustandsbildes im Rahmen einer stationären Therapie ist gerade durch eine solche nicht auszugehen, beinhaltet diese doch die ärztliche Überwachung des Gesundheitszustandes, die ärztliche Behandlung einschließlich der Entzugs- und Substitutionsbehandlung, Psychotherapie, klinisch-psychologische Beratung und Betreuung sowie psychosoziale Betreuung, kurz gesagt eine umfassende, auf die Person des Patienten zugeschnittene Betreuung im oben angeführten Umfang, sohin solche Maßnahmen, die eine Verschlechterung des psychopathologischen Zustandsbildes nicht erwarten lassen.
[15] Mit Blick auf das unter Berücksichtigung einer Bedachtnahmeverurteilung zweifach einschlägig getrübte Vorleben (vgl. ON 47; der zu § 27 Abs 2a SMG einschlägigen Verurteilung wegen § 83 Abs 1 StGB zu AZ ** des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien lag eine Körperverletzung aufgrund eines Streits im Suchtgiftmilieu zugrunde [Einsicht VJ]) und der nach wie vor bestehenden Suchtmittelabhängigkeit erweist sich der Widerruf des gewährten Strafaufschubs tatsächlich angezeigt, um den gewünschten verhaltenssteuernden Effekt bei der letztlich als nicht paktfähig einzustufenden Verurteilten zu bewirken und sie solcherart von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Es bleibt der Beschwerdeführerin unbenommen, die in der Strafhaft nach § 68a Abs 1 lit a StVG gebotenen Möglichkeiten einer Entwöhnungsbehandlung zu nutzen.