JudikaturOLG Wien

18Bs136/25v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
03. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Frohner als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Heindl und den Richter Mag. Lehr als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A* B* wegen bedingter Entlassung über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 6. Mai 2025, GZ **-17, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der am ** geborene A* B* verbüßt derzeit in der Justizanstalt ** die über ihn mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 22. September 2021, rechtskräftig seit 3. Mai 2022, AZ **, wegen §§ 206 Abs 1; 207 Abs 1; 202 Abs 1; § 205a Abs 1 und 212 Abs 1 Z 1 StGB verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren.

Das urteilsmäßige Strafende fällt auf den 25. Juli 2026; die zeitlichen Voraussetzungen für die bedingte Entlassung nach § 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 1 StVG liegen seit 25. Jänner 2024 vor, Zwei Drittel Stichtag ist der 25. November 2024.

Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Landesgericht Korneuburg als zuständiges Vollzugsgericht nach Anhörung des Strafgefangenen gemäß § 152a StVG in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Anstaltsleiters (ON 5) und jener der Staatsanwaltschaft Korneuburg (ON 1.4) den Antrag des Strafgefangenen auf bedingte Entlassung spezialpräventiven Erwägungen ab.

Zuletzt war die bedingte Entlassung des Strafgefangenen mit Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg vom 24. September 2024 zur GZ **, in Rechtskraft erwachsen durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 28. Oktober 2024, AZ 18 Bs 323/24t, aus spezialpräventiven Gründen abgelehnt worden.

Gegen den nunmehr ergangenen Beschluss des Vollzugsgerichts (ON 16 und 17) richtet sich die unmittelbar nach Verkündung des Beschlusses erhobene (ON 16), in der Folge zu ON 18 ausgeführte Beschwerde des A* B*, der keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 46 Abs 1 StGB ist nach Verbüßung der Hälfte der im Urteil verhängten zeitlichen Freiheitsstrafe oder des nicht bedingt nachgesehenen Teils einer solchen Strafe, der Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen, sobald unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB anzunehmen ist, dass der Verurteilte durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird. Nach § 46 Abs 2 StGB ist ein Verurteilter, der die Hälfte, aber noch nicht zwei Drittel der Freiheitsstrafe verbüßt hat, trotz Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 solange nicht bedingt zu entlassen, als es im Hinblick auf die Schwere der Tat ausnahmsweise des weiteren Vollzuges der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Die Prognose künftigen Verhaltens erfordert eine Gesamtwürdigung aller dafür maßgeblichen Umstände, so insbesondere der Taten, des privaten Umfelds des Verurteilten, seines Vorlebens und seiner Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit. Dabei ist nach § 46 Abs 4 StGB besonderes Augenmerk darauf zu legen, in wieweit durch den bisherigen Vollzug der Strafe eine positive Änderung der Verhältnisse, unter denen die Tat begangen wurde, eingetreten ist oder ob negative Faktoren durch Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB ausgeglichen werden können. Hat der Verurteilte eine Tat unter Einfluss einer Therapiebedürftigkeit indizierenden Besonderheit begangen, kommt der Bereitschaft, eine bereits während der Haft begonnene Behandlung auch in Freiheit fortzusetzen, bei der Prognoseentscheidung gewichtige Bedeutung zu ( Jerabek/Ropper, WK² § 46 Rz 15/1). Nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe sind generalpräventive Erwägungen ausnahmslos nicht mehr zu berücksichtigen. Allein die spezialpräventiv geprägte Annahme nicht geringerer Wirksamkeit der bedingten Entlassung ist maßgebliches Entscheidungskriterium ( Jerabek/Ropper , aaO Rz 17).

Wenngleich die bedingte Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe nach erkennbarer Intention des StRÄG 2008 der Regelfall sein soll, steht dieser jedoch beim Beschwerdeführer nach wie vor ein die Ausnahme dazu darstellendes evidentes Rückfallsrisiko ( Jerabek/Ropper , aaO Rz 17) unüberwindbar entgegen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs der Anlassverurteilung hat A* B*

A./ vom Sommer 2012 bis zum 18. März 2019 in **

I./ mit seiner am ** geborenen Stieftochter C* B*, also einer unmündigen Person, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er zweimal Oralverkehr von ihr an sich vornehmen ließ, weiters

II./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtlichen Handlungen an der genannten, somit unmündigen Person teils vorgenommen, teils von ihr an sich vornehmen lassen, indem er in einer Vielzahl von Angriffen teils ihre bekleidete, teils ihre unbekleidete Vagina betastete, mehrmals Handverkehr von ihr an sich vornehmen ließ und zumindest fünfmal seinen Penis an ihrer Vagina rieb, ferner

B./ im Sommer 2019 in ** mit C* B* gegen deren Willen eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er ihre Klitoris stimulierte und einen „Dildo“ in ihre Vagina einführte, obwohl sie „nein“ gesagt und ihn weggestoßen hatte, sowie

C./ vom 19. März 2019 bis Anfang Juli 2021 in ** C* B* außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er sie jeweils festhielt, die Bekleidung ihres Oberkörpers hochschob und ihre Brüste betastete und ableckte, und

D./ durch die zu A./, B./ und C./ beschriebenen Taten mit seinem minderjährigen Stiefkind geschlechtlichen Handlungen teils vorgenommen, teils von diesem an sich vornehmen lassen.

Der Beschwerdeführer weist außer der vollzugsgegenständlichen Verurteilung zwei weitere einschlägige Vorstrafen aus den Jahren 2009 und 2012, unter anderem wegen § 107a StGB auf, wobei jeweils bedingte Freiheitsstrafen von fünf Monaten – zuletzt in Kombination mit einer unbedingten Geldstrafe – verhängt wurden.

Der Anstaltsleiter der Justizanstalt ** sprach sich unter Hinweis auf die Stellungnahmen des Psychologischen und des Sozialen Dienstes sowie der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) trotz der dem bislang die Straftaten leugnenden und nicht therapiemotivierten Strafgefangenen attestierten hausordnungsgemäßen Führung weiterhin gegen eine bedingte Entlassung aus (ON 5), wobei zum Inhalt der Stellungnahme auf die zutreffenden Ausführungen im bekämpften Beschluss (ON 17, 3) verwiesen werden kann. Hervorzuheben ist, dass nach dem Bericht des Anstaltsleiters A* B* nunmehr erstmals nach vorherigen vergeblichen Anläufen seit 20. Dezember 2024 eine wöchentliche forensische Einzeltherapie in Anspruch nimmt, wobei auch ernsthafte Absichten zur Bearbeitung deliktsrelevanter Inhalte beim Strafgefangenen zu erkennen sind. Nach Einschätzung des Psychologischen Dienstes vom 13. März 2025 (ON 7) ist aufgrund der erst kurzen Dauer der Therapie davon auszugehen, dass die Gefährlichkeit, welche hinter den Delikten steht, noch nicht hinreichend abgebaut werden konnte, sodass eine bedingte Entlassung zum gegenwärtigen Zeitpunkt als verfrüht anzusehen sei.

Der Stellungnahme der BEST vom 18. April 2025 (ON 13) ist zu entnehmen, das dem statistisch-nomothetischen Kriminalprognosescreening zufolge bei B* ein unterdurchschnittliches Risiko für die Begehung eines neuerlichen Sexualdelikts, jedoch ein überdurchschnittliches Risiko für allgemeine Gewaltdelikte vorliege. Bei individueller Fallbetrachtung sei aus risikoprognostischer Sicht festzuhalten, dass eine bedingte Entlassung des Strafgefangenen deshalb mit einem vergleichsweise niedrigeren Risiko einhergehe als der weitere Vollzug der Strafe, weil im Zuge dessen über die Haftzeit hinausgehende strukturierende und kontrollierende Maßnahmen angeordnet werden können – etwa in Form einer Weisung zur weiterführenden forensischen Einzelpsychotherapie, der Anordnung von Bewährungshilfe und unter Umständen Wohnweisungen nach § 52a StGB.

In der mit dem gegenständlichen Antrag auf bedingte Entlassung vom Verteidiger vorgelegten Stellungnahme der Haftentlassenenhilfe Neustart vom 19. Februar 2025 wird die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers vor allem in Verbindung mit einer Therapieweisung und unter Unterstützung von Bewährungshilfe befürwortet (ON 14, 1).

Mit Blick auf die Anlasstaten, die über weite Strecken im Vollzug gezeigte mangelnde Schuldeinsicht und die bei B* bis Ende 2024 beobachtete Schuldumkehr sowie Abgabe der Verantwortung an das Opfer bei völliger Leugnung der Straftaten und die erst seit rund fünf Monaten durchgeführte Einzeltherapie, die ganz offensichtlich aus rein extrinsischer Therapiemotivation erfolgt (siehe Stellungnahme des sozialen Dienstes der JA ** (ON 12.1), sodass noch keine nennenswerten Ergebnisse in der Deliktsaufarbeitung erwartet werden können, in Kombination mit dem die Deliktsleugnung unterstützenden ungünstigen sozialen Umfeld (Frau), ist der Einschätzung des Erstgerichts beizupflichten, wonach beim Strafgefangenen nach wie vor spezialpräventive Umstände einer bedingten Entlassung unüberwindlich entgegenstehen und sich eine bedingte Entlassung somit als weniger geeignet erweist, den Beschwerdeführer von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, als der weitere konsequente Vollzug der Freiheitsstrafe.

An diesem Gesamtkalkül vermag der Umstand, dass der Beschwerdeführer nun nach dem Beschwerdevorbringen seine bisherige Sicht der Geschehnisse zu überdenken begann und sich zu einer Therapie entschloss, noch nichts Wesentliches zu ändern, ist doch evident, dass innerhalb von nur fünf Monaten eine verfestigte, die Deliktsbegehung bislang leugnende Grundhaltung noch nicht wesentlich verändert werden konnte. Dass sich der Beschwerdeführer um seine Familie sorgt und bereits dadurch nicht mehr rückfällig werden wird, ist angesichts der Tatbegehung im Familienkreis nicht überzeugend.

Weisungen, die geeignet wären, der spezialpräventiv noch immer bestehenden Gefahr einer neuerlichen Tatbegehung entgegenzuwirken, liegen nach dem Akteninhalt derzeit nicht vor. Vielmehr wird die begonnene Therapie vom Beschwerdeführer im Rahmen der Haft weiterzuführen und nach einer Dauer von rund einem Jahr neuerlich zu beurteilen sein, ob entsprechende Fortschritte beim Strafgefangenen erzielt werden konnten. Sodann kann entschieden werden, ob eine bedingte Entlassung mit entsprechenden Weisungen zur Therapiefortsetzung und Begleitung durch Bewährungshilfe und allfällige Wohnweisung bei A* B* spezialpräventiv vertretbar ist.

Im Übrigen zeigt die Beschwerde keine Argumente auf, die die vom Erstgericht festgehaltenen spezialpräventiven Bedenken, die nach wie vor gegen eine bedingte Entlassung des A* B* sprechen, entkräften.

Der Beschwerde ist daher ein Erfolg zu versagen.

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