JudikaturOLG Wien

20Bs126/25p – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
28. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Jilke als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Neubauer und Mag. Wolfrum, LL.M., als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 12 zweiter Fall, 15, 288 Abs 1 und Abs 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 5. Mai 2025, GZ ** 18, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss ersatzlos aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens gegen A* aufgetragen.

Begründung:

Text

Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt lastet dem am ** geborenen österreichischen Staatsbürger A* mit Strafantrag vom 21. März 2025 (ON 10) an, er habe in **

I.) am 21. Dezember 2024 B* dazu zu bestimmen versucht, vor Gericht oder in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung vor der Kriminalpolizei als Zeugin bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache falsch auszusagen, indem er ihr vorschlug, sie solle sagen, dass sie C* beschimpft hätte und daher sei er „ausgezuckt“ und habe sie geschlagen, sodass sie selbst schuld daran sei.

II.) am 22. Dezember 2024 B* durch gefährliche Drohung zu Handlungen, nämlich zur Zurückziehung der Anzeige gegen C* sowie zu der unter Punkt I. beschriebenen strafbaren Handlung, zu nötigen versucht, indem er sinngemäß zu ihr sagte, C* würde sie nicht umbringen, wenn sie ihre Anzeige zurückziehe und er dadurch aus der Haft entlassen werde, jedoch werde der Genannte sie nach seiner Entlassung umbringen, wenn sie ihre Anzeige nicht zurückziehe und er in Folge im Gefängnis bleiben müsse;

III.) im Zuge der unter Punkt I. und II. beschriebenen Taten C*, der mit Strafe bedrohte Handlungen, nämlich die Vergehen der Nötigung nach den §§ 105 Abs 1, 15 StGB und das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB begangen hat, der Verfolgung absichtlich ganz oder zum Teil zu entziehen versucht.

Der Angeklagte wurde in der Hauptverhandlung über die mögliche Einstellung des Strafverfahrens nach Zahlung eines Geldbetrages (§ 200 Abs 4 StPO) in Höhe von 90 Tagessätzen á  9 Euro zuzüglich 250 Euro Pauschalkosten (insgesamt 1.060 Euro) informiert, nahm dieses Diversionsangebot verbal an (ON 14.3, 17) und bezahlte den Geldbetrag am 28. April 2025 (ON 16).

Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Erstgericht das Strafverfahren gegen A* wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 288 Abs 1 und Abs 4 StGB, des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB sowie der Vergehen der Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs 1 StGB ein, verwies auf einen hinreichend geklärten Sachverhalt im Sinne des § 198 Abs 1 StPO und führte weiters begründend aus, dass der bislang gerichtlich unbescholtene Angeklagte Verantwortung für seine Handlungen übernommen habe, keine schwere Schuld vorliege und auch generalpräventive Gründe einer diversionellen Erledigung nicht entgegenstünden, weil eine Diversion mit Geldbuße auch zur öffentlichen Rechtsbewährung beitrage.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt (ON 19), der Berechtigung zukommt.

Gemäß §§ 199 iVm 198 Abs 1 StPO hat das Gericht das Verfahren bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen, wenn aufgrund hinreichend geklärten Sachverhalts feststeht, dass eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommt, eine Bestrafung jedoch im Hinblick auf eine der in § 198 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO genannten Maßnahmen - unter anderem die Zahlung eines Geldbetrags (§ 200 StPO) - nicht geboten erscheint, um den Angeklagten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Ein solches Vorgehen ist nach § 198 Abs 2 StPO jedoch nur dann zulässig, wenn die Tat nicht mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist (Z 1), die Schuld des Beschuldigten nicht als schwer (§ 32 StGB) anzusehen wäre (Z 2) und die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat (Z 3). Die spezialpräventiven Anwendungsgrenzen der Diversion orientieren sich an der Erwartung, dass im Fall der Erfüllung einer vom Angeklagten freiwillig übernommenen Verpflichtung eine zusätzliche justizielle Einwirkung auf den Angeklagten nicht (mehr) nötig ist, um ihn künftig von strafbaren Handlungen abzuhalten (Schroll/Kert, aaO § 198 Rz 35). Bei sämtlichen Diversionsarten ist die Verantwortungsübernahme des Beschuldigten notwendig, die Schuldeinsicht und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein voraussetzt (RIS-Justiz RS0126734 [insb T3] und RS0116299). Es ist daher zwar kein Schuldeinbekenntnis hinsichtlich aller das Unrecht der vorgeworfenen Tat betreffenden Begleitumstände notwendig, der Beschuldigte muss aber die ihm angelastete Tat dem Grunde nach zumindest als Fehlverhalten einbekennen. Die Übernahme der Verantwortung muss spätestens bei der diversionellen Erledigung vorliegen (Schroll/Kert, aaO § 198 Rz 36/2 und 36/3).

Im konkreten Fall erweist sich die erstgerichtliche Einschätzung, wonach der Angeklagte für sein Verhalten Verantwortung übernommen habe (ON 14.3, 17), als nicht aktenkonform. Anlässlich seiner Vernehmung durch die Polizei verantwortete sich der Angeklagte leugnend (ON 6.4), und auch in der Hauptverhandlung gab er zuerst an, einzig die Versöhnung von C* und B* im Sinn gehabt zu haben (ON 14.3, 3f). Auf weiteres Nachfragen räumte er lediglich ein, B* geraten zu haben, bei der Polizei anzugeben, sie habe es nicht so gemeint, sie habe ihn eigentlich herausgefordert, wobei er nur ein einziges Mal persönlich mit ihr gesprochen habe (ON 14.3, 5f). Ansonsten gab er durchgehend ausweichende Antworten bzw. behauptete, es nur gut gemeint zu haben (ON 14.3, 8). Damit kann aber von einer von Unrechtsbewusstsein getragenen Verantwortungsübernahme des Angeklagten als Diversionsvoraussetzung (RIS-Justiz RS0126734) nicht ausgegangen werden (vgl. 14 Os 63/23f).

Bei der Bewertung des Grads der Schuld als „schwer“ ist von jenem Schuldbegriff auszugehen, der nach §§ 32 ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet, wobei stets nach Lage des konkreten Falles eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände vorzunehmen ist. Demnach müssen sowohl Handlungs-, Erfolgs- als auch Gesinnungsunrecht insgesamt eine Unwerthöhe erreichen, die im Wege einer überprüfenden Gesamtwertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist. Dabei kommt auch der vom Gesetzgeber in der Strafdrohung zum Ausdruck gebrachten Vorbewertung des deliktstypischen Unrechts- und Schuldgehalts eine Indizwirkung für die Schuldabwägung zu (RIS-Justiz RS0116021 [T8], [T17]). Mag die Schuld des Angeklagten fallkonkret trotz zweier Angriffe in Bezug auf ein Opfer, das durch C* über einen längeren Zeitraum sowohl körperliche als verbale Gewalt erlebt hatte (vgl. ON 9), gerade noch als nicht schwer einzustufen sein, scheitert ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO zusätzlich zur fehlenden Verantwortungsübernahme aber an generalpräventiven Aspekten. Unter dem Aspekt der Generalprävention setzt eine Diversion voraus, dass es unter Berücksichtigung der einzusetzenden diversionellen Maßnahme der Bestrafung des Angeklagten nicht bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Dabei ist auf die Eingriffsintensität der Diversionsmaßnahme Bedacht zu nehmen. Selbst wenn grundsätzlich eine für den Angeklagten spürbare Reaktion wie die Zahlung einer Geldbuße der Öffentlichkeit ein Signal der Rechtsbewährung vermitteln mag, ist fallkonkret die Abschreckung potenzieller Nachahmungstäter die Durchführung eines förmlichen Strafverfahrens und Sanktionierung durch urteilsmäßige Erledigung geboten, versuchte doch der Angeklagte das drohende Strafverfahren gegen seinen Freund insofern zu beeinflussen, indem er das Opfer wiederholt kontaktierte und es teilweise unter in Aussichtstellung von Gewalt zu einer wahrheitswidrigen Aussage anzustiften versuchte. Zieht man neben dem unbedingt erforderlichen Schutz von Opfern von Straftaten ins Kalkül, dass durch die Falschaussage strafbare Handlungen eines mehrfach einschlägig vorbestraften Gewalttäters gedeckt werden sollten, ist der Staatsanwaltschaft beizupflichten, dass mit Blick auf die enorme Bedeutung der Richtigkeit von Aussagen unter Wahrheitspflicht für die korrekte Arbeit der Strafverfolgungsbehörden ein diversionelles Vorgehen ein völlig verfehltes Signal darstellt.

Da die Strafrechtspflege im höchsten Maße auf die Richtigkeit und Vollständigkeit von Zeugenaussagen angewiesen ist, muss der Allgemeinheit, die falsche Zeugenaussagen all zu oft als Kavaliersdelikte empfindet, unmissverständlich signalisiert werden, dass bei falschen Beweisaussagen regelmäßig mit Verurteilungen zu rechnen ist.

Der Beschluss war daher ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.

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