JudikaturOLG Wien

30Bs89/25w – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
27. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Edwards als Vorsitzende sowie die Richterinnen Dr. Steindl und Dr. Hornich, LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen §§ 146, 147 Abs 2 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Korneuburg gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 17. Februar 2025, GZ ** 64, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Strafverfahrens aufgetragen.

Begründung:

Text

Mit Strafantrag vom 9. Oktober 2024 legte die Staatsanwaltschaft Korneuburg der am ** geborenen österreichischen Staatsangehörigen A* das Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB zur Last. Demnach habe sie im März 2022 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte der B* durch Vorgabe, zahlungsfähige und zahlungswillige Bankkundin zu sein und zwar insbesondere durch Vortäuschung einer längerfristigen Angestelltenposition mithin durch Täuschung über Tatsachen zur Zahlung einer Kreditsumme im Rahmen eines von ihr mit der B* am 9. März 2022 abgeschlossenen Konsumentenkreditvertrags verleitet, wodurch die B* im Betrag von 56.262 Euro am Vermögen geschädigt worden sei (ON 42).

Das Verfahren war ursprünglich seitens der Staatsanwaltschaft am 5. März 2024 mit der wesentlichen Begründung eingestellt worden, die Beschuldigte habe seit 2021 eine aufrechte Gewerbeberechtigung für das Handels und Gastgewerbe vorweisen können, sodass die Kreditaufnahme im Rahmen der aufrechten Gewerbetätigkeiten naheliegend sei. Die Beschuldigte sei erst ein halbes Jahr nach Vertragsabschluss zahlungsunfähig geworden, sodass ein Betrugsvorsatz im Zeitpunkt des Kreditvertragsabschlusses nicht nachzuweisen sei (ON 1.20; ON 32).

Einem daraufhin eingebrachten Fortführungsantrag der Privatbeteiligten B* (ON 33.2) gab ein Drei Richter Senat des Landesgerichts Korneuburg mit Beschluss vom 21. Mai 2024 Folge (ON 35.3).

In der Hauptverhandlung vom 9. Jänner 2025 bot die Erstrichterin ein diversionelles Vorgehen gemäß § 200 StPO, nämlich Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 600 Euro an. Die Staatsanwaltschaft Korneuburg hatte bei wiederholter Befragung keine Einwände erhoben, sodass die Hauptverhandlung zwecks Durchführung der Diversion auf unbestimmte Zeit vertagt wurde (ON 59.3, 4f, 8).

Mit Eingabe vom 13. Jänner 2025 erstattete die Privatbeteiligte eine „dringende Anregung“ und sprach sich mangels Schadensgutmachung und wegen schwerer Schuld der Angeklagten vehement gegen die in Aussicht genommene Diversion aus (ON 60).

Am 24. Jänner 2025 erlegte die Angeklagte die aufgetragene Geldbuße in Höhe von 600 Euro und das Erstgericht stellte das Strafverfahren mit dem angefochtenen Beschluss gemäß §§ 200 Abs 5 iVm 199 StPO ein.

Dagegen richtet sich nunmehr die rechtzeitig eingebrachte Beschwerde der Staatsanwaltschaft Korneuburg, in der das 11 fache Übersteigen der Qualifikationsgrenze des § 147 Abs 2 StGB, der sich aus der Täuschung mittels verfälschter Arbeitsbestätigung und dem genauen Tatplan ergebende hohe Gesinnungsunwert sowie eine mangelnde Verantwortungsübernahme releviert werden. Es liege insgesamt schweres, diversionsausschließendes Handlungs und Erfolgsunrecht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde, die der Staatsanwaltschaft unabhängig vom Inhalt einer zuvor abgegebenen Stellungnahme offen steht (RIS-Justiz RS0117071; Schroll/Kert in WK-StPO § 209 Rz 8), ist im Ergebnis berechtigt .

Gemäß §§ 199 iVm 198 Abs 1 StPO hat das Gericht das Verfahren bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen, wenn aufgrund hinreichend geklärten Sachverhalts feststeht, dass eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommt, eine Bestrafung jedoch im Hinblick auf eine der in § 198 Abs 1 Z 1 bis Z 4 StPO genannten Maßnahmen hier die Bezahlung einer Geldbuße nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten (Angeklagten) von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Ein solches Vorgehen ist nach § 198 Abs 2 StPO – soweit hier relevant - nur zulässig, wenn die Tat mit nicht mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist (Z 1) und die Schuld der Angeklagten nicht als schwer (§ 32 StGB) anzusehen wäre (Z 2).

Bei der Bewertung des Grades der Schuld als „schwer“ ist von jenem Schuldbegriff auszugehen, der nach §§ 32 ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet, wobei stets nach Lage des konkreten Falls eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts und schuldrelevanten Tatumstände vorzunehmen ist. Für die Bewertung der Schuld als schwer müssen Handlungsunwert und Gesinnungsunwert insgesamt eine Unwerthöhe erreichen, die im Wege einer überprüfenden Gesamtbewertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist (RIS Justiz RS0116021). Die Schuldabwägung orientiert sich primär an der gesetzlichen Strafdrohung, in welcher der Gesetzgeber eine generelle Wertung des Unrechts und Schuldgehalts des betreffenden Deliktstypus zum Ausdruck bringt. Dieser Ansatz ist im Hinblick auf die Diversionsgrenzen des § 198 Abs 2 Z 1 StPO dahingehend zu präzisieren, dass nicht der typische Schuldgehalt der der Anzeige zugrundeliegenden Straftat bzw. des im Verhältnis dazu bestehenden Grunddelikts als Vergleichsbasis zu einem noch nicht schweren Verschulden heranzuziehen ist, sondern eine nicht schwere Schuld an der für eine Diversionserledigung möglichen Strafobergrenze von fünf Jahren Freiheitsstrafe gemessen wird. Vergleichsmaßstab bilden daher alle einer Diversion zugänglichen Delikte.

Bei einem fünf Jahre Freiheitsstrafe erreichenden Strafrahmen signalisiert bereits die Tatbestandsverwirklichung in der Regel ein hohes Maß an krimineller Energie sowie einen erheblichen sozialen Störwert und damit einen gesteigerten Unrechtsgehalt. Bei dem hier zur Verfügung stehenden Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe (§ 147 Abs 2 StGB) ist hingegen in der Regel von einem im Vergleich zum Einzugsbereich diversionsfähiger Straftaten bloß durchschnittlichen Unrechtsgehalt derartiger Taten auszugehen (siehe zu all dem Schroll/Kert in WK StPO § 198 Rz 28ff).

Die konkrete Vorgangsweise der Täuschung mittels gefälschter Lohnbestätigung sowie der zwar keineswegs geringfügige, andererseits aber auch nicht exorbitant hohe Schadensbetrag sind deliktstypisch und weisen im Vergleich zu anderen Fällen des Kreditbetrugs keinen überdurchschnittlichen Schuldgehalt auf. Den insofern erwartbaren Erschwerungsgründen des mehrfachen Überschreitens der Qualifikationsgrenze sowie der zweifachen Qualifikation (§ 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2) stehen der bisher ordentliche Lebenswandel sowie das nach ursprünglicher Aussageverweigerung vor der Polizei (ON 41.4) in der Hauptverhandlung abgelegte volle Geständnis (ON 59.3, 3, 5) gegenüber, das über die für ein diversionelles Vorgehen erforderliche Verantwortungsübernahme sogar hinausging. Dass die Angeklagte abgesehen von der allgemeinen Erläuterung, das Geld sei für den Auf- und Umbau eines von ihr eröffneten Lokals verwendet worden, keine (konkreten) Angaben zum Verbleib des Geldes machte, ist mangels Relevanz für die Schuld- und Straffrage auch für die Diversion unbeachtlich.

Aus diesem Blickwinkel ist grundsätzlich ein diversionelles Vorgehen rechtlich und tatsächlich keineswegs ausgeschlossen.

Die Pflicht des Beschwerdegerichts zur umfassenden Prüfung des angefochtenen Beschlusses (RIS-Justiz RS0129435) führt jedoch zur Überlegung, dass eine diversionelle Verfahrensbeendigung selbst unter den gesetzlich gegebenen Prämissen nur dann möglich ist, wenn eine Bestrafung im Sinn einer gerichtlichen Verurteilung im Hinblick auf die zu ergreifende diversionelle Maßnahme aus spezial- oder generalpräventiven Gründen nicht notwendig ist. Insofern sind die Angemessenheit der dem Beschluss konkret zugrundeliegenden Diversionsart und/oder deren Ausgestaltung und eine damit allenfalls einhergehende fehlende Präventionseignung einer meritorischen Prüfung durch das Beschwerdegericht zu unterziehen ( Leitner in Schmölzer/Mühlbacher StPO 2 § 209 Rz 13f; 12 Os 84/12p). Präventive Diversionshindernisse sind anhand einer umfassenden Fallbewertung unter Einbeziehung der Wirkung einer vom Beschuldigten zu erfüllenden Verpflichtung zu prüfen. Die Wahl der Diversionsart und deren konkrete Ausgestaltung muss sich vordringlich an den Erfordernissen der Spezial und Generalprävention orientieren ( Leitner in Schmölzer/Mühlbacher aaO; Schroll/Kert aaO § 198 Rz 33f; Rz 209 10ff).

§ 200 Abs 3 StPO sieht vor, dass der Rücktritt von der Verfolgung nach Zahlung eines Geldbetrags – soweit nicht aus besonderen Gründen darauf verzichtet werden kann - davon abhängig zu machen ist, dass der Beschuldigte binnen einer zu bestimmenden Frist von höchstens sechs Monaten den aus der Tat entstandenen Schaden gut macht und dies unverzüglich nachweist (siehe dazu Schroll/Kert aaO § 200 Rz 7; Kirchbacher StPO 15 § 200 Rz 4). Aus welchen besonderen Gründen das Erstgericht von einem Auftrag zur Schadensgutmachung zur Gänze absah, ist weder dem konkreten Diversionsanbot in der Hauptverhandlung (ON 59.3, 8) noch dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen, sodass wesentliche Aspekte nicht nur des Opferinteresses (§ 206 Abs 1 StPO) sondern auch der präventiven Wirksamkeit unerörtert blieben.

Das Erstgericht wird daher über eine mögliches Vorgehen im Sinne der §§ 198ff StPO unter Berücksichtigung und Erörterung der Vorgaben des § 200 Abs 2 und Abs 3 StPO neuerlich zu entscheiden haben, wobei die Bindungswirkung der auf Verfahrensfortsetzung lautenden Rechtsmittelentscheidung ein erneutes Diversionsanbot in einer anderen Diversionsart bzw. zu anderen Bedingungen nicht ausschließt ( Leitner in Schmölzer/Mühlbacher aao Rz 14 mwN).

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass im angefochtenen Beschluss die im Diversionsverfahren geltende Kostenersatzpflicht (§ 388 StPO; hier § 200 Abs 2 StPO) unbeachtet blieb.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

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