JudikaturOLG Wien

19Bs137/25y – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
26. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Baumgartner als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen §§ 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 9. Mai 2025, GZ **-53.1, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Begründung:

Text

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 3. Oktober 2023 (ON 15.4) wurde A* der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Weiters wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die ihm mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 19. November 2020 zu AZ ** gewährte bedingte Strafnachsicht sowie die mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 26. November 2021 zu AZ ** gewährte bedingte Entlassung widerrufen.

Nachdem ihm die Aufforderung zum Strafantritt am 22. Oktober 2024 zugestellt worden war (Zustellnachweis zur Endverfügung ON 21.1), beantragte A* am 20. November 2024 – unter Vorlage eines Befundes des Psychotherapeuten B* (ON 26.3) - die Gewährung von Strafaufschub infolge Vollzugsuntauglichkeit. Er sei nicht haftfähig, weil er an einer krankheitswertigen Störung in Form eines Psychosyndroms durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen leide (ON 26.2).

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 53.1) wies das Erstgericht dieses Begehren, gestützt auf das eingeholte psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. C* (ON 51.2), ab.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Verurteilten (ON 54.2), welche nicht berechtigt ist.

Vollzugsuntauglichkeit liegt vor, wenn ein dem Wesen der Freiheitsstrafe (§ 20 StVG) entsprechender Strafvollzug wegen einer Krankheit oder Verletzung, wegen Invalidität oder eines sonstigen körperlichen oder geistigen Schwächezustands auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer Strafvollzugsortsänderung (§ 10 StVG) mit den Einrichtungen der in Betracht kommenden Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen nicht durchführbar ist oder im Hinblick auf einen dieser Zustände das Leben des Verurteilten durch die Überstellung in die betreffende Anstalt gefährdet wäre (§ 5 Abs 1 StVG). Dies ist der Fall, wenn der Strafgefangene aufgrund eines geistigen oder körperlichen Leidens einschließlich Invalidität vorübergehend oder dauerhaft in einem Zustand ist, der ihn für eine nachhaltige erzieherische Beeinflussung untauglich macht. Es müssen manifeste Krankheitsformen vorliegen. Suizidalität stellt keinen Aufschubsgrund dar, sofern dieser durch Beobachtung und Therapie im Vollzug begegnet werden kann ( Drexler/Weger, StVG 5 § 5 Rz 4).

Die Zwecke des Strafvollzugs bestehen darin, dem Verurteilten zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepassten Lebenseinstellung zu verhelfen, ihn abzuhalten, schädlichen Neigungen nachzugehen und ihm und der rechtstreuen Bevölkerung den Unwert des der Verurteilung zugrunde liegenden Verhaltens aufzuzeigen. Dazu ist der Strafgefangene von der Außenwelt abzuschließen und erzieherisch zu beeinflussen. Der Resozialisierung dienen neben der Erlernung der Einhaltung von Tagesstrukturen durch Arbeit, Fortbildung oder sinnvolle Freizeitbeschäftigung auch das Angebot an seelsorglicher, sozialarbeiterischer, psychologischer und psychotherapeutischer Betreuung ( Pieber in Höpfel/Ratz, WK² StVG § 5 Rz 1).

Die Beurteilung der Vollzugstauglichkeit stellt eine vom Gericht zumeist auf Basis eines einzuholenden Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen zu lösende Rechtsfrage dar. Trifft der Sachverständige eine solche Äußerung, ist diese nicht Bestandteil des Gutachtens im technischen Sinn, sondern ist diese als „Rat“ oder „Empfehlung“ für die Strafverfolgungsorgane aufzufassen ( Hinterhofer in Fuchs/Ratz , WK StPO § 127 Rz 23).

Unter Zugrundelegung des schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. C*, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 8. Mai 2025 (ON 51.2) ist in Übereinstimmung mit dem Erstgericht Vollzugstauglichkeit des A* anzunehmen.

Der Sachverständige gelangte in seiner Expertise logisch deduziert zum Schluss, dass die dem Beschwerdeführer zu attestierende Psychische und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch/Abhängigkeitssyndrom (F19.2) sowie Belastungsreaktion im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Haft (F43.0) keine schwerwiegenden oder nachhaltigen psychischen Störungen darstellen, weshalb der Verurteilte als vollzugstauglich einzustufen sei. Die erforderliche psychotherapeutische Unterstützung des Beschwerdeführers sei ebenso wie der notwendige Entzug in Haft möglich (ON 51.2, insbesondere S 10 f).

Unter Berücksichtigung der durch den Sachverständigen erhobenen Sachverhaltsgrundlagen ist somit davon auszugehen, dass die Durchführung eines dem Wesen der Freiheitsstrafe entsprechenden Strafvollzugs möglich ist, weshalb Vollzugsuntauglichkeit im Sinne des § 5 StVG nicht vorliegt.

Wenn die Beschwerde das Gutachten insofern als mangelhaft erachtet, als dieses den vorgelegten Befund des Psychotherapeuten samt dessen Diagnose nicht gebührend berücksichtigt habe, übergeht sie, dass der – seit vielen Jahren in der Gerichtssachverständigenliste für die Fachgebiete Neurologie sowie Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin eingetragene – Experte sogar explizit auf die dort dargestellte Diagnose (ON 26.3: Psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen, im akuten Rausch [F19.0], mit Verdacht auf ein Abhängigkeitssyndrom) einging, das behauptete Psychosyndrom jedoch als nicht feststellbar verwarf (ON 51.2 S 10).

Rückverweise