JudikaturOLG Wien

21Bs95/25m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
23. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hat am 23. Mai 2025 durch den Senatspräsidenten Dr. Krenn als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Sanda und Mag. Maruna als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufungen der Staatsanwaltschaft sowie des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Jugendschöffengericht vom 1. Oktober 2024, GZ ** 57.5, sowie über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft und jene (impliziert erhobene) des Angeklagten gegen die zugleich gefassten Beschlüsse gemäß § 494a StPO, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Gretzmacher, MAS LL.M., sowie in Anwesenheit des Angeklagten A* sowie seines Verteidigers Mag. Roland Schöndorfer durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung

I./ zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung des Angeklagten wird nicht, hingegen jener der Staatsanwaltschaft Folge gegeben und die verhängte Freiheitsstrafe auf sechs Jahre erhöht.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

II./ den

Beschluss

gefasst:

Den Beschwerden wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene und somit im Tatzeitraum 20-jährige nordmazedonische Staatsangehörige A* jeweils zweier Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (I./A./ und B./) sowie der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (II./ iVm I./A./ und B./) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 278b Abs 2 StGB unter aktenkonformer Vorhaftanrechnung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

Gemäß § 19a Abs 1 StGB wurden eine SIM Karte der Marke **, insgesamt neun Ringe und ein ** konfisziert.

Weiters fasste das Erstgericht gemäß § 494a StPO folgende Beschlüsse:

Gemäß § 53 Abs 1, Abs 3 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO wurde vom Widerruf der A*

1. mit am selben Tag rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 17. August 2023, AZ B*, gewährten bedingten Strafnachsicht und

2. mit Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 16. Oktober 2023, AZ C*, gewährten bedingten Entlassung

abgesehen, die Probezeit jedoch jeweils auf fünf Jahre verlängert.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* im Zeitraum von Dezember 2023 bis 3. April 2024 in ** und andernorts

I./ sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an terroristischen Vereinigungen (§ 278b Abs 3 StGB), die als auf längere Zeit angelegte Zusammenschlüsse von mehr als zwei Personen darauf ausgerichtet sind, dass von mehreren Mitgliedern der Vereinigungen terroristische Straftaten (§ 278c StGB), und zwar insbesondere Morde, Körperverletzungen und erpresserische Entführungen zum Nachteil von Personen, die nicht diesen Vereinigungen angehören, begangen werden, beteiligt, wobei er mit dem Wissen handelte, durch seine Beteiligung die terroristischen Vereinigungen oder deren strafbare Handlungen zu fördern, und zwar

A./ an der seit 1987 bestehenden palästinensisch sunnitisch-islamistischen Terrororganisation Hamas („**“), die die Vernichtung des Staates Israel und die Errichtung eines vom Islam als Staatsreligion geprägten Gottesstaates auf dem Staatsgebiet Israels und auf dem Territorium des Staates Palästina zum Ziel hat, indem er

1 ./ D* aufforderte, die Hamas zu unterstützen, da diese ihre Brüder und Schwestern verteidigen müsse, dies auch weiterzusagen und andere davon zu überzeugen;

2./ E* F*, G*, H* F*, I* und J* gegenüber wiederholt sinngemäß äußerte, dass die Hamas ihre Brüder und Schwestern in Palästina verteidige und das gut und richtig sei, dass Allah Juden vernichten und man deswegen die Hamas unterstützen müsse;

3./ durch die zu I./A./1./ genannten Handlungen in D* und durch die zu I./A./2./ genannten Handlungen in J* den Entschluss weckte, für die Hamas gegen Israel zu kämpfen;

B./ an der seit Juni 2014 als „Islamischer Staat (IS)“ bezeichneten radikal islamistischen Terrormiliz, die das Ziel verfolgt, weite Gebiete des Nahen und Mittleren Ostens umfassende radikal-islamische „Gottesstaaten“ auf Grundlage einer strikten Auslegung der Scharia zu errichten, indem er

1./ D* einen Siegelring mit dem (auch in der Flagge des Islamischen Staates vorkommenden) Siegel des Propheten Mohammed zum Tragen überließ;

2./ selbst für Dritte sichtbar einen derartigen Ring trug, um durch Zurschaustellen von vom IS verwendeter Symbolik seine Sympathie für den IS und die Ideologie des IS zu verbreiten;

3./ D*, E* F* , G* und H* F* sinngemäß dazu aufforderte, den IS zu unterstützen, sich ihm anzuschließen und in den Jihad zu ziehen, um die Brüder und Schwestern gegen Ungläubige zu verteidigen;

4./ I* gegenüber wiederholt sinngemäß äußerte, dass Schiiten und Christen Ungläubige seien, man den IS unterstützen müsse, weil dieser die Ungläubigen und Bösen bekämpfe und dies gut sei;

II./ sich durch die zu I./A./ und B./ genannten Taten an auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindungen einer größeren Zahl von Personen, und zwar nach militärischem Vorbild gegliederten Gruppierungen mit (zu I./A./) zumindest mehreren hunderten und (zu I./B./) mehreren zehntausenden Mitgliedern, die in mehreren Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, darunter Syrien, Irak und Afghanistan, den palästinensischen Autonomiegebieten, dem Libanon und Israel, aktiv sind,

• die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln ausgerichtet sind,

• die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang durch Erzielung von Einnahmen sowie durch Ausstattung mit Waffen und Kampfmitteln anstreben,

• und die andere, insbesondere politische Verantwortungsträger und sonstige ideologische Gegner, zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen suchen,

als Mitglied beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB).

Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen, zwei einschlägige Vorstrafen und den raschen Rückfall erschwerend, hingegen mildernd das Alter des Angeklagten unter 21 Jahren.

Zu den persönlichen Verhältnissen ist dem Ersturteil zu entnehmen, dass der in ** geborene A* nordmazedonischer Staatsangehöriger und zuletzt ohne Beschäftigung und ohne Einkommen gewesen sei. Er sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Nach seinem positiven Pflichtschulabschluss habe er ab Ende Oktober 2019 drei Probemonate als Lehrling zum Einzelhandelskaufmann bei der Firma K* absolviert und im Jänner 2020 eine Lehre in einem anderen Betrieb zum Einzelhandelskaufmann begonnen. Nach zwei Lehrjahren habe er in weiterer Folge gekündigt, weil er der Meinung gewesen sei, es werde schlecht über ihn gesprochen, wobei er sich in dieser Zeit radikalisiert habe. Nach Arbeitsbeginn bei der Firma L* im Oktober 2022 sei er dort im November 2022 bereits wieder gekündigt worden.

Zu seinen Vorstrafen ist den erstgerichtlichen Feststellungen aktenkonform Folgendes zu entnehmen:

Am 31. Jänner 2023, rechtskräftig seit 4. Februar 2023, fällte das Landesgericht St. Pölten, AZ **, wegen des am 16. September 2022 begangenen Vergehens der Gutheißung terroristischer Straftaten nach § 282a Abs 2 StGB einen Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe für eine Probezeit von drei Jahren unter Anordnung von Bewährungshilfe.

Weil er bereits im Sommer 2022 begonnen hatte, sich in propagandistischer Weise für die terroristische Vereinigung islamischer Staat zu betätigen und dies bis 4. Juli 2023 fortsetzte, wurde er mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 17. August 2023, rechtskräftig seit diesem Tag, AZ B*, wegen jeweils eines Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB sowie des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 1, Z 3, 15 StGB unter Einbeziehung des davor gegen ihn ergangenen Schuldspruchs unter Vorbehalt der Strafe zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, von der ein Teil im Ausmaß von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt. Neuerlich wurde Bewährungshilfe angeordnet.

Aus dem Vollzug des unbedingten Teils dieser Freiheitsstrafe wurde er mit Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 16. Oktober 2023, AZ C*, am 7. November 2023 unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung von Bewährungshilfe bedingt entlassen.

Den erstgerichtlichen Feststellungen ist zu seinen persönlichen Verhältnissen weiters zu entnehmen, dass er nach seiner bedingten Entlassung bei der Firma M* als Lehrling begonnen habe, der Dienstvertrag jedoch nach einem Tag wieder aufgelöst worden sei. Aufgrund einer fremdenrechtlichen Entscheidung habe er nunmehr keinen Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt mehr, sodass auch er keine Arbeitslosenunterstützung mehr erhält.

Lediglich einen Monat nach seiner bedingten Entlassung er erneut rückfällig geworden und habe begonnen, die dem verfahrensgegenständlichen Urteil zugrunde liegenden Verbrechen der terroristischen Vereinigung und der kriminellen Organisation zu begehen.

Nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des A* mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 25. Februar 2025, GZ 14 Os 5/25d 4, ist sowohl über die eine Reduktion der Freiheitsstrafe anstrebende Berufung des Angeklagten sowie über dessen implizit erhobene Beschwerde gegen die Verlängerung der Probezeit zu der bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe (AZ B*) sowie zu der bedingten Entlassung (AZ C*) (ON 65), als auch über die eine Erhöhung der Freiheitsstrafe anstrebende Berufung der Staatsanwaltschaft (ON 62) und deren Beschwerde gegen das Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht sowie der bedingten Entlassung zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Zu den Berufungen:

Zunächst ist der Erschwerungsgrund des Zusammentreffens von mehreren Verbrechen zum Nachteil des Angeklagten dahingehend zu präzisieren, dass es sich insgesamt um vier Verbrechen handelt. In Übereinstimmung mit den Beschwerdeausführungen der Staatsanwaltschaft fallen ihm innerhalb dieser jeweils tatbestandliche Handlungseinheiten darstellenden Verbrechen zudem jeweils mehrere Tatangriffe (zu A./3./ und zu B./4./) sowie die Begehung in Bezug auf sechs unterschiedliche Personen zur Last, was sowohl den Handlungs als auch den Erfolgsunwert im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen erhöht, zumal die zur Verurteilung gelangten Verbrechen jeweils bereits bei einer Tathandlung hinsichtlich einer Person erfüllt wären.

Ebenfalls zusätzlich erschwerend zu werten ist, dass der Angeklagte nicht nur im überaus raschen Rückfall, nämlich lediglich etwa einen Monat nach seiner bedingten Entlassung aus der erstmaligen Verbüßung einer Freiheitsstrafe, wieder spezifisch einschlägig rückfällig wurde, sondern dass er die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Taten auch ungeachtet zweier offener Probezeiten (RIS Justiz RS0111324, RS0090954) beging.

Tatbegehung während einer Probezeit hier während zweier Probezeiten stellt zwar keinen eigenen Erschwerungsgrund dar, indiziert aber einen besondere Nachhaltigkeit der Werteinstellung des Täters und ist damit im Rahmen allgemeiner Strafzumessungsgrundsätze (§ 32 Abs 2 und Abs 3 StGB) zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen (RIS Justiz RS0090954[T1]).

Die von der Staatsanwaltschaft zusätzlich als nachteilig reklamierte besondere Verwerflichkeit des Handelns des Angeklagten, weil er bewusst leicht zu beeinflussende Unmündige bzw mündige Minderjährige für die von ihm propagierten menschenverachtenden Ideologien zu begeistern versuchte, hat das Erstgericht bereits zutreffend und ausreichend im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen schuldaggravierend gewertet.

Nicht im Recht ist die Staatsanwaltschaft auch mit ihren Ausführungen zur Steigerung der kriminellen Energie durch den Angeklagten, vielmehr stellen sich die dem verfahrensgegenständlichen Urteil zugrunde liegenden Taten (bloß) als konsequente Weiterführung der auch dem vorangegangenen Urteil zugrunde liegenden (und nicht minder gravierenden) Tathandlungen dar.

Allerdings zeigt dies deutlich auf, dass der Angeklagte bisher nicht nur kein Interesse an seiner Resozialisierung gezeigt hat, sondern auch, dass staatliche Sanktionen bisher keinerlei Eindruck auf ihn gemacht haben und ihn nicht von seiner starken ideologischen Indoktrinierung abzubringen vermochten. Den Berufungsausführungen des Angeklagten zuwider ist auch keine positive Entwicklung in Richtung einer Deradikalisierung erkennbar. Die in der Berufung zitierten Aussagen des Angeklagten, dass er sich vom IS aufgrund der Tötung unschuldiger Menschen distanziert habe (ON 57.4,7), stellt sich aufgrund der sowohl aus seinen bisherigen Verurteilungen als auch aus dem gesamten Akt hervorgehenden tiefgreifenden Ideologisierung im Sinne jener des IS und der Hamas als bloße Schutzbehauptungen dar, die nicht geeignet sind, das Rechtsmittelgericht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte auch nur ansatzweise am Weg der Deradikalisierung sei. Inwiefern die behauptete Deradikalisierung durch ein gemeinsames Foto mit Polizeibeamten (siehe ON 65, 30) oder durch eines mit einer Polizeiuniform und Waffe (bei letzterem dürfte der Angeklagte zudem wesentlich jünger gewesen sein) belegt werden soll, erschließt sich dem Rechtsmittelgericht nicht.

Ausgehend von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe und unter objektiver Abwägung der lediglich zum Nachteil des Angeklagten veränderten Strafzumessungslage erweist sich - insbesondere angesichts des überaus raschen Rückfalls innerhalb zweier offener Probezeiten nach erstmaligem Verspüren des Haftübels in spezifisch einschlägige Delinquenz - die mit der Hälfte der Strafrahmenobergrenze bemessene Freiheitsstrafe weder tat noch schuldangemessen und wird auch spezialpräventiven Zwecken in nicht ausreichendem Maße gerecht. Die über A* verhängte Freiheitsstrafe war daher auf das spruchgemäße Ausmaß zu erhöhen.

Zu den Beschwerden der Staatsanwaltschaft sowie der implizierten des Angeklagten :

Der Umstand, dass der Angeklagte innerhalb offener Probezeit lediglich einen Monat nach seiner bedingten Entlassung vom Verspüren des Haftübels völlig unbeeindruckt nahezu nahtlos weitere spezifisch einschlägige strafbare Handlungen beging, zeigt deutlich auf, dass er sich des ihm gewährten Vertrauensvorschusses als unwürdig erwiesen hat. Allerdings bedarf es angesichts der nunmehrigen Erhöhung der Freiheitsstrafe auf sechs Jahre weder des Widerrufs der bedingten Entlassung noch der durch das Landesgericht St. Pölten hinsichtlich eines Teils von 16 Monaten gewährten bedingten Strafnachsicht (AZ B*), um den Angeklagten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten.

Allerdings ist es im Hinblick auf den raschen Rückfall zweckmäßig und notwendig, die Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern, um eine möglichst große Zeitspanne hindurch eine Überwachung des Verhaltens des Angeklagten gewährleisten zu können und im Fall der neuerlichen Delinquenz eine Handhabe für einen weiteren Widerruf zu haben.

Somit erweisen sich sowohl die Beschwerde der Staatsanwaltschaft als auch die als impliziert erhoben geltende Beschwerde des Angeklagten als nicht berechtigt.

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