JudikaturOLG Wien

7Rs11/25a – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
25. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richter Mag. Nigl und Mag. Derbolav-Arztmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Kmsr Stefan Varga und MMag. PhD Cornelia Axmann in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch die Höhne, In der Maur Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle **, **, vertreten durch Mag. Nicole Holzer, ebenda, wegen Versehrtenrente, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 18.9.2024, **-14, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Berufung selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Das Berufungsgericht hält die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhältig, erachtet hingegen die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend. Damit genügt eine auf die für das Berufungsverfahren wesentlichen Punkte eingeschränkte Begründung (§§ 2 Abs 1 ASGG, 500a zweiter Satz ZPO).

Mit Bescheid vom 25.4.2024 sprach die beklagte Partei aus, dass das Ereignis vom 27.12.2023 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde. Es bestehe kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung.

Der Kläger begehrt vorliegend, die beklagte Partei zu verpflichten, ihm rückwirkend mit Stichtag 27.12.2023 Leistungen aus der Unfallversicherung im gesetzlich zustehenden Ausmaß zu gewähren. Die beklagte Partei bestritt und beantragte Klagsabweisung.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger aufgrund eines Arbeitsunfalls ab 27.12.2023 eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die Gesundheitsstörungen des Klägers (Verrenkung der rechten Kniescheibe) Folge eines Arbeitsunfalls vom 27.12.2023 seien, ab und sprach aus, dass der Kläger seine Verfahrenskosten selbst zu tragen habe.

Auf den festgestellten Sachverhalt wird verwiesen und daraus Folgendes hervorgehoben:

Am 27.12.2023 arbeitete der Kläger im Warenlager des Betriebs und musste Waren von einem Regal herunterholen. Beim Absteigen vom Regal machte er beim Aufsetzen auf eine Staplergabel einen seitlichen Schritt, wodurch er sich das rechte Knie verdrehte.

Der Kläger erlitt dabei eine Verrenkung der rechten Kniescheibe. Der gegenständliche Unfallmechanismus war nicht geeignet, eine derartige traumatische Kniescheibenverrenkung hervorzurufen.

Die Verletzung ist auf die beim Kläger vorliegende habituelle Kniescheibenverrenkung beidseits zurückzuführen. ( bekämpfte Feststellungen ) Der Kläger hatte auch am linken Kniegelenk bereits mehrfache Kniegelenkverrenkungen, welche operativ behandelt wurden.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass die Gesundheitsstörung (Verrenkung der rechten Kniescheibe) auf der beim Kläger vorliegenden anlagebedingten habituellen Kniescheibenverrenkung beruhe. Mangels ursächlichem Zusammenhangs mit der Beschäftigung des Klägers bestehe daher kein Anspruch auf Versehrtenrente. Da nach § 82 Abs 5 ASGG ein auf einen Arbeitsunfall gestütztes Leistungsbegehren das Eventualbegehren auf Feststellung einschließe, dass die geltend gemachte Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls sei, sei mangels unfallkausaler Gesundheitsstörungen zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung auch das Feststellungsbegehren abzuweisen gewesen.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Berufung des Klägers aus den Gründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie des Verfahrensmangels gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1.) In seiner Tatsachenrüge bekämpft der Kläger die bei der Wiedergabe des Sachverhalts durch Fettdruck hervorgehobenen Feststellungen und beantragt stattdessen nachstehende Ersatzfeststellungen:

„Der gegenständliche Unfallmechanismus war geeignet, eine derartige traumatische Knieschiebenverrenkung hervorzurufen.“

„Die Verletzung ist auf das Ereignis am 27.12.2023 zurückzuführen.“

Der Kläger führt dazu aus, dass das Erstgericht die bekämpften Feststellungen ausschließlich auf die Seite 6 des Gutachtens des gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen (ON 6) sowie die mündliche Gutachtensergänzung in der Tagsatzung vom 18.9.2024 stütze, wonach beim Kläger eine anlagebedingte Kniescheibenverrenkung beidseits vorliege und der vom Kläger geschilderte Unfallmechanismus eine derartige traumatische Kniescheibenverrenkung nicht verursachen könne. Der Sachverständige lasse es in seinem schriftlichen Gutachten an jeglicher Begründung dahingehend fehlen, in welchem Zusammenhang der vom Kläger vorgebrachte MR-Befund vom 29.3.2023, in dem ein vollkommen intaktes Knie des Klägers - ohne Band- und Sehnenruptur sowie [mit] einer Patella in zentraler Führung – festgestellt worden sei, mit seiner Beurteilung stehe. Zudem unterlasse er jegliche, geschweige denn nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem MR-Befund oder Ausführungen darüber, weshalb er trotz dieses einwandfreien MR-Befundes zu seiner Schlussfolgerung komme. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten nicht einmal das richtige Jahr, in dem die MR-Untersuchung des rechten Kniegelenks erfolgt sei, datiert. Das zeuge bereits von der fehlenden Ernsthaftigkeit, mit welcher der Sachverständige das Untersuchungsergebnis in sein Gutachten einfließen lassen habe.

Ein begründetes Gutachten gemäß § 362 ZPO liege nicht vor. Der gerichtlich bestellte Sachverständige sei seiner Begründungspflicht – trotz Nachfragen durch den Klagevertreter – nicht nachgekommen. Es liege ein unbegründetes und ungenügendes Gutachten gemäß § 362 ZPO vor. Das Erstgericht habe seine unrichtigen Feststellungen auf die unbegründeten und nicht nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen gestützt, was „einen Berufungsgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung darstelle, welcher auch als Verfahrensmangel gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO gerügt werde“.

Vielmehr hätte das Erstgericht auf Basis des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen die angestrebten Ersatzfeststellungen treffen müssen.

2.) Die Beurteilung der Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens fällt - ebenso wie die allfällige Notwendigkeit einer Ergänzung oder eines Vorgehens nach § 362 Abs 2 ZPO - grundsätzlich in den Bereich der Beweiswürdigung (RS0113643). Auch die Beurteilung, ob ein Sachverständigengutachten getroffene Feststellungen stützt, dieses Gutachten erschöpfend ist oder an den Sachverständigen weitere Fragen zu richten gewesen wären, fällt in den Bereich der Beweiswürdigung (3 Ob 230/11m mwN; RS0043320, RS0113643, RS0040586, RS0043163, RS0043414; Lovrek in Fasching/Konecny ³ § 503 ZPO Rz 52). Die Unvollständigkeit eines Gutachtens kann allerdings auch auf Verfahrensfehlern beruhen, was als Mangelhaftigkeit zu rügen wäre (RS0113643, Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka ZPO 5 §§ 360 bis 362 Rz 6).

3.) Der Berufungswerber hat mit der Berufung keine gesetzmäßig ausgeführte, einer weiteren Behandlung zugängliche Beweisrüge erhoben. Dazu wäre es erforderlich anzugeben, a) welche konkrete Feststellung bekämpft wird, b) aufgrund welcher unrichtigen Beweiswürdigung diese getroffen wurde, c) welche (ersatzweise) Feststellung begehrt wird und d) aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen diese zu treffen gewesen wäre (RS0041835; Pimmer in Fasching/Konecny ³ § 467 ZPO Rz 40; A. Kodek in Rechberger/Klicka5 § 471 Rz 15 mwN).

Derartiges enthält die Berufung nicht. Insbesondere werden keine Beweisergebnisse angeführt, aus denen sich die begehrten Ersatzfeststellungen ableiten ließen und auch nicht dargelegt, aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen dazu diese zu treffen gewesen wären. Der wesentliche Aspekt, warum und aufgrund welcher Erwägungen das Erstgericht auf Basis des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen die angestrebten Ersatzfeststellungen treffen hätte müssen, wird in der Berufung nicht ausgeführt.

4.) Zur Mängelrüge führt der Kläger aus, dass sich der Sachverständige in seinem Gutachten nicht mit dem vom Kläger vorgelegten MR-Befund vom 29.3.2023, in dem ein vollkommen intaktes Knie - ohne Band- und Sehnenruptur sowie einer Patella in zentraler Führung - festgestellt worden sei, auseinandergesetzt habe. Der Sachverständige habe weder das MR-Befundergebnis in seinen wesentlichen Teilen wiedergegeben, noch sich kritisch mit diesem auseinandergesetzt bzw ausgeführt, weshalb er trotz dieses „einwandfreien MR-Befundergebnisses“ zu seiner Schlussfolgerung komme. Das Gutachten des Sachverständigen sei daher - selbst nach Gutachtenserörterung in der mündlichen Verhandlung vom 18.9.2024 - derart unbegründet und ungenügend, dass nicht beurteilt werden könne, wie der Sachverständige überhaupt zu der Schlussfolgerung komme, dass der vom Kläger angegebene Arbeitsunfall vom 27.12.2023 nicht geeignet sei, die Gesundheitsstörung (Verrenkung der rechten Kniescheibe) des Klägers zu verursachen.

Da sich das Gutachten als ungenügend erwiesen habe, wäre das Erstgericht gemäß § 362 Abs 2 ZPO von Amts wegen verpflichtet gewesen, eine neuerliche Begutachtung durch denselben oder durch einen anderen Sachverständigen anzuordnen. Dies habe das Erstgericht allerdings unterlassen. Das erstinstanzliche Verfahren sei daher gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO mangelhaft.

5.) Dem kommt keine Berechtigung zu.

5.1.) Es stellt eine rein medizinische Frage dar, welche Untersuchungen und sonstigen Grundlagen zur Feststellung des Gesundheitszustands bzw der Unfallkausalität und -folgen notwendig sind. Das Gericht kann sich daher darauf verlassen, dass keine notwendige oder zweckdienliche Erweiterung der Befundaufnahme unterbleibt, wenn sie vom Sachverständigen nicht angeregt oder vorgenommen wird. Das Gericht kann im Regelfall auch davon ausgehen, dass ein Sachverständiger so weitreichende Kenntnisse hat, um zu beurteilen, ob diese im Einzelfall zur endgültigen Einschätzung ausreichen oder die Beiziehung von weiteren Sachverständigen erforderlich ist (SVSlg 44.357, 44.369, 65.846 uva).

Dass das eingeholte Gutachten nicht das vom Kläger gewünschte Ergebnis erzielte, vermag einen Verfahrensmangel nicht zu begründen. Das Gericht ist jedenfalls nicht verpflichtet, solange Gutachten zu erörtern und neue Beweise aufzunehmen, bis ein für den Kläger akzeptables Ergebnis erreicht wird (SV-Slg. 54.822; 9 Rs 71/09s OLG Wien uva).

5.2.) Das Gericht ist auf das Fachwissen des gerichtlich beeideten Sachverständigen angewiesen. Es muss sich darauf beschränken, ein eingeholtes Gutachten nach allgemeinen Erfahrungssätzen und den besonderen im Zug der Sozialgerichtsbarkeit erworbenen Kenntnissen auf seine Nachvollziehbarkeit zu überprüfen. Aufgrund der die gerichtlichen Sachverständigen treffenden Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht kann das Gericht davon ausgehen, dass gutachterliche Schlussfolgerungen auf der Basis vorhandener Erkenntnisse und vorhandenen Wissens erfolgen (SVSlg 62.249 uva; OLG Wien 1 R 58/24t uva).

Sachverständige sind Hilfsorgane des Gerichts, die dem Richter kraft ihrer besonderen Sachkunde Kenntnisse von Erfahrungssätzen vermitteln, daraus Schlussfolgerungen ziehen und zufolge ihrer Sachkenntnisse streiterhebliche Tatsachen erheben. Den Sachverständigen trifft entsprechend dem von ihm abgelegten Eid die Verpflichtung, sein Gutachten nach dem letzten Stand der Wissenschaft abzulegen (OLG Wien 7 Rs 18/24d mwN uva). Weder eine unvollständige Anführung medizinischer Vorbehandlungen oder die Anführung unrichtiger – nicht durchlittener – Vorerkrankungen führen zu einer Unschlüssigkeit des Gutachtens (OLG Wien 7 Rs 105/24y). Dies muss umso mehr für die unrichtige Anführung eines Untersuchungszeitpunktes gelten.

Schlüssigkeit (eines Arguments) bedeutet im Allgemeinen dass dann, wenn angenommene Prämissen (zB Tatsachen) wahr sind, daraus eine bestimmte Konklusion logisch folgt. Angewandt auf die Beurteilung der Schlüssigkeit eines Gutachtens folgt daraus, dass das Gericht, dem zwar in der Regel die notwendige Kompetenz fehlt, ein Gutachten fachlich zu prüfen (nur, aber immerhin) zu beurteilen hat, ob der Sachverständige einen auch für einen Laien nachvollziehbaren Weg von einer in seinem Befund festgestellten bzw angenommenen Tatsache zu der daraus abgeleiteten Schlussfolgerung aufgezeigt hat. Das Gutachten muss für einen Laien im Gedankengang und für einen Fachmann in allen Schlussfolgerungen nachvollziehbar sein (OLG Linz 1 R 129/23f mwN ua). Dies ist vorliegend der Fall.

5.3.) Der Sachverständige Dr. B* hat im Rahmen der mündlichen Gutachtenerörterung angegeben, dass ihm der Unfallmechanismus beim Kläger bekannt war, dieser kann diese traumatische Kniescheibenverrenkung jedoch nicht verursachen, sondern muss es einen anderen Unfallmechanismus - und zwar einen viel dramatischeren - geben, damit eine solche Verletzung bei einem intakten Knie entstehen kann. Auch der Befund von März 2023 war ihm bekannt, spricht aber nicht gegen die Beurteilung, da man die Problematik im Bereich eines Knies darin nicht zwingend erkennen muss. Der anwaltlich vertretene Kläger hat danach keine weiteren Fragen an den Sachverständigen gerichtet.

Warum der gerichtlich bestellte Sachverständige seiner Begründungspflicht – trotz Nachfragen durch den Klagevertreter – nicht nachgekommen sein soll, ist damit nicht ersichtlich. Abgesehen davon, dass keine Fragen des Klagevertreters offen geblieben sind, hat der Sachverständige sich auch mit dem MR-Befund vom 29.3.2023 auseinandergesetzt und schlüssig dargelegt, dass dieser aus medizinischer Sicht seiner Einschätzung nicht entgegensteht. Dafür war es nicht erforderlich, das MR-Befundergebnis in seinen wesentlichen Teilen wiederzugeben.

Davon dass das Gutachten des Sachverständigen derart unbegründet und ungenügend wäre, dass nicht beurteilt werden könnte, wie der Sachverständige zu seinen Schlussfolgerungen kam, kann nicht die Rede sein. Der Sachverständige ist seiner Begründungspflicht nach § 362 ZPO im ausreichenden Maße nachgekommen, ohne dass er verpflichtet gewesen wäre, die auf Grund seines Fachwissens getroffenen Schlussfolgerungen in einem weitergehenden Ausmaß darzulegen.

6.) Damit liegen im Ergebnis weder eine unrichtige Tatsachenfeststellung, noch eine primäre Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor. Eine Rechtsrüge wurde nicht erhoben.

7.) Ein Kostenersatz gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil vorliegend Billigkeitsgründe weder behauptet wurden, noch sich aus dem Akt ergeben.

8.) Da wie ausgeführt eine Rechtsrüge nicht erhoben wurde, war die ordentliche Revision nicht zuzulassen. Hat die unterlegene Partei ihre Berufung nicht auch auf den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützt und ihn gesetzmäßig ausgeführt, so kann die versäumte Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgetragen werden (RS0043573 [T3, T30]; RS0043480; 10 Obs 12/24y; OLG Wien 15 R 163/23k, 15 R 31/24z uva).

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