JudikaturOLG Wien

21Bs171/25p – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
20. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Krenn als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Sanda und Mag. Frigo als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 288 Abs 1 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. April 2025, GZ ** 23, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit Strafantrag vom 6. September 2024 (ON 12) legte die Staatsanwaltschaft Wien dem am ** in ** geborenen afghanischen Staatsangehörigen A* das Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB zur Last.

Im Rahmen der am 23. September 2024 vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien durchgeführten Hauptverhandlung wurde mit dem Angeklagten die Möglichkeit einer diversionellen Erledigung seines Strafverfahrens in Form der Erbringung gemeinnütziger Leistungen im Ausmaß von 70 Stunden innerhalb von sechs Monaten gemäß § 201 Abs 1 StPO erörtert, zu der er ausdrücklich seine Zustimmung erteilte (ON 17.2, 3).

Nachdem die Vertreterin der Staatsanwaltschaft keine Erklärung abgegeben hatte (ON 17.2, 3), stellte das Erstgericht mit Beschluss das Strafverfahren gemäß § 201 Abs 1 StPO (ergänze: iVm § 7 Abs 3 JGG) zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen im Ausmaß von 70 Stunden binnen sechs Monaten ein. Die konkrete Ausgestaltung der gemeinnützigen Leistungen (Auswahl der Einrichtung und Vermittlung) wurde der B* Jugendgerichtshilfe übertragen (ON 18).

Mit Schreiben vom 30. Oktober 2024 (ON 19) teilte die Jugendgerichtshilfe mit, dass dem Angeklagten A* und seinem gesetzlichen Vertreter Rechtsbelehrung erteilt worden sei und der Angeklagte sich am 23. Oktober 2024 bereit erklärt habe, die unter Berücksichtigung des Delikts, seiner Persönlichkeitsmerkmale und der gegebenen Rahmenbedingungen vermittelten gemeinnützigen Leistungen der Kategorie „Unterstützung bei den organisatorischen Abläufen“ im Nachbarschaftszentrum im ** des B* Hilfswerks bis zum 23. März 2025 im Ausmaß von 70 Stunden zu erbringen.

Bereits mit Schreiben vom 19. Februar 2025 (ON 20) berichtete die B* Jugendgerichtshilfe, dass A* im Zeitraum vom 7. November 2024 bis 9. Jänner 2025 die ihm aufgetragene gemeinnützige Leistung lediglich im Ausmaß von 18,5 Stunden abgeleistet habe. Bereits Mitte Dezember habe das Nachbarschaftszentrum erstmals mitgeteilt, dass es Probleme mit dem Jugendlichen gebe und er nicht erreichbar sei. Sowohl der Onkel, der seine Eltern vertreten habe, als auch der Jugendliche seien von der B* Jugendgerichtshilfe mehrfach informiert worden, dass A* sich eigenständig um neue Termine kümmern müsse. Am 15. Jänner 2025 sei der B* Jugendgerichtshilfe mitgeteilt worden, dass mit dem Jugendlichen vereinbart worden sei, jeden Donnerstag gemeinnützige Leistungen zu erbringen und in den Semesterferien mehr Stunden abzuleisten. Er habe sich seither jedoch nicht mehr gemeldet, sei nicht erschienen und nicht erreichbar gewesen. Eine Fortsetzung der gemeinnützigen Leistungen werde daher seitens der Einrichtung abgelehnt. Am 14. Februar 2025 sei der Jugendliche telefonisch seitens der B* Jugendgerichtshilfe informiert worden, dass dieser Umstand dem Gericht berichtet werde. A* habe sich bezüglich seines Verhaltens in Hinblick auf die eigene Verantwortung nicht einsichtig gezeigt. Daher werde der Akt negativ geschlossen.

Auf Ersuchen des Gerichts vom 19. Februar 2025, bekannt zu geben, ob er bereit sei, die gemeinnützigen Leistungen noch zu erbringen (ON 1.8), teilte der Angeklagte mit E Mail vom 12. März 2025 mit, dass er seine schulischen Pflichten wegen der Erbringung der gemeinnützigen Leistungen vernachlässigt und er sich daher entschlossen habe, die Stunden nicht mehr abzuleisten und sich auf die Schule zu konzentrieren (ON 21).

Auf die neuerliche schriftliche Belehrung des Gerichts vom 12. März 2025, dass die nicht vollständige Erbringung der gemeinnützigen Leistungen zur Folge habe, dass das Strafverfahren fortgesetzt werde (ON 22), äußerte sich der Angeklagte nicht mehr.

Die Staatsanwaltschaft Wien beantragte daher am 7. April 2025 die nachträgliche Fortsetzung des Verfahrens nach § 205 Abs 2 Z 1 StPO (ON 1.10).

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 23) setzte das Erstgericht gemäß dem Antrag der Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen A* gemäß § 205 Abs 2 Z 1 StPO iVm § 7 Abs 3 JGG nachträglich mit der Begründung fort, der Angeklagte habe die gemeinnützigen Leistungen weder vollständig noch rechtzeitig erbracht.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Angeklagten (ON 24), mit der er die Aufhebung des Beschlusses zusammengefasst unter Hinweis darauf, dass er die Sozialstunden im Nachbarschaftszentrum nicht weiter absolviert habe, weil er mit den Leuten Schwierigkeiten gehabt habe, er immer wieder kritisiert worden sei, nicht gewusst habe, wie er sich verhalten solle und die ihm zugewiesenen Aufgaben nicht ganz verstanden habe bzw ihm diese auch nicht gefallen hätten, beantragt.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Grundsätzlich ist ein Strafverfahren, in welchem die Staatsanwaltschaft bzw das Gericht wegen der Annahme eines Anbots, gemeinnützige Leistungen zu erbringen, vorläufig von der Verfolgung der Straftat zurückgetreten ist (§ 201 Abs 1 und Abs 4 StPO), fortzusetzen, wenn der Beschuldigte die gemeinnützigen Leistungen nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erbringt (§ 205 Abs 2 Z 1 StPO).

Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Frist des § 201 Abs 1 StPO eine Höchstfrist darstellt.

Nach Abs 3 des § 205 StPO kann von der Fortsetzung eines solchen Verfahrens abgesehen werden, wenn dies aus besonderen Gründen vertretbar erscheint. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Umstände vorliegen, die auch bei einer nachträglichen Milderung der Strafe nach § 31a Abs 1 StGB von Bedeutung wären, oder wenn trotz einer bloß geringfügigen Fristüberschreitung oder vernachlässigbaren Minderleistung das erkennbar geänderte Verhalten des Beschuldigten ein künftig straffreies Leben erwarten lässt (vgl Schroll/Kert , WK StPO § 201 Rz 24).

Vorliegend gelang es A* in dem gesetzlich vorgegeben Zeitraum von sechs Monaten nicht, die ihm aufgetragenen gemeinnützigen Leistungen im Ausmaß von 70 Stunden zu erbringen, sondern er absolvierte über den Zeitraum von rund zwei Monaten lediglich 18,5 Stunden. Dem Bericht der Jugendgerichtshilfe ist weiters zu entnehmen, dass der Jugendliche auch für sie nicht mehr erreichbar gewesen sei.

§ 205 Abs 4 StPO normiert, dass die Staatsanwaltschaft (bzw das Gericht) die Verpflichtung angemessen ändern kann, wenn der Beschuldigte den übernommenen Verpflichtungen nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommen kann, weil ihn dies wegen einer erheblichen Änderung der für die Art oder den Umfang der Verpflichtungen maßgeblichen Umstände unbillig hart träfe. Damit kann auf neu hervorgekommene oder nachträglich eingetretene Umstände adäquat reagiert werden und durch die Staatsanwaltschaft bzw das Gericht ein den Lebensverhältnissen des Beschuldigten angepasstes neues Anbot erstellt werden (vgl aaO Rz 12/1).

Mit Blick auf das geschilderte Verhalten und das Vorbringen des Angeklagten, wonach er Schwierigkeiten mit den Leuten im Nachbarschaftszentrum gehabt und die Tätigkeit nicht verstanden habe bzw er im Winter drei Stunden draußen stehen habe müssen, um die Türe für die Kindergartenkinder zu öffnen und ihm das nicht gefallen habe, liegen weder die Voraussetzungen für eine nachträgliche Änderung der Verpflichtung nach § 205 Abs 4 StPO noch jene für ein Absehen von der Fortsetzung des Verfahrens nach § 205 Abs 3 StPO vor. Denn nachvollziehbare Hinweis darauf, aus welchen Gründen es dem Angeklagten unmöglich gewesen wäre, im gesetzlich vorgegebenen Zeitraum die angeordneten 70 Stunden gemeinnützige Leistungen zu erbringen, oder sich zumindest zeitgerecht mit dem Gericht wegen einer allfälligen Änderung der Anordnung in Verbindung zu setzen, sind weder der Beschwerde noch dem Akteninhalt zu entnehmen, zumal auch – wie das Erstgericht zutreffend ausführt – die Ableistung von 70 Stunden in einem vereinbarten Zeitraum von fünf Monaten objektiv nicht geeignet ist, die schulischen Leistungen zu beeinträchtigen. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass der Angeklagte trotz Verantwortungsübernahme sich der aufgetragenen und übernommenen Verpflichtungen zu entziehen trachtete.

Letztlich handle es sich nämlich um eine vom Angeklagten übernommene Verpflichtung („Bringschuld“), für deren Einhaltung in erster Linie er selbst verantwortlich ist, um negative Konsequenzen hintanzuhalten. Die in der Beschwerde vorgebrachte Bereitschaft zur Erbringung der aufgetragenen gemeinnützigen Leistungen war und ist nicht zu erkennen, zumal der Angeklagte mehrfach sowohl von der Jugendgerichtshilfe als auch vom Gericht aufgefordert wurde, die gemeinnützigen Leistungen fristgerecht zu erbringen und er auch über die Konsequenzen der Nichterbringung belehrt wurde.

Zusammengefasst liegen weder die Voraussetzungen für ein Absehen von der Fortsetzung aus besonderen Gründen nach Abs 3 noch für eine angemessene Änderung der Verpflichtung nach Abs 4 des § 205 StPO vor, weil auch die Höchstfrist von sechs Monaten bereits überschritten ist,

weshalb der Beschwerde insgesamt ein Erfolg zu versagen ist.

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