JudikaturOLG Wien

23Bs83/25m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
15. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen der Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 22. Oktober 2024, GZ ** 92.2, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Dr. Aichinger, im Beisein der Richterin Mag. Staribacher und des Richters Mag. Trebuch, LL.M. als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Gretzmacher MAS LL.M., des Angeklagten und seines Verteidigers DDr. Michael Dohr, LL.M., LL.M. durchgeführten Berufungsverhandlung am 15. Mai 2025 zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben und die verhängte Freiheitsstrafe auf 20 Jahre herabgesetzt.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Entscheidungsgründe:

Text

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden, auch Adhäsionserkenntnisse und einen Verweis der Privatbeteiligten mit ihren übrigen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg enthaltenden Urteil wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* - unter aktenkonformer Vorhaftanrechnung - zweier Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (A./I./ und II./) und des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (B./) schuldig erkannt und unter Anwendung der §§ 28 Abs 1, 39 Abs 1 und Abs 1a, 39a (Abs 1 Z 4) StGB nach § 75 StGB zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt sowie nach § 21 Abs 2 StGB in einem forensisch therapeutischen Zentrum untergebracht.

Danach hat er am 18. Mai 2024 in ** mit einem Küchenmesser mit einer 20 cm langen Klinge

A./ Nachgenannte vorsätzlich zu töten versucht, nämlich

I./ B*, indem er ihm mehrfach in den Nacken stach und auf ihn einschlug;

II./ C*, indem er mehrfach in Richtung dessen Kopfbereichs stach,

wodurch sie im Urteil näher beschriebene Verletzungen erlitten;

B./ D* eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt, indem er ihm mehrfach in die Oberarme stach, wodurch dieser im Urteil beschriebene Verletzungen, nämlich insgesamt eine an sich schwere Körperverletzung verbunden mit einer 24 Tage übersteigenden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit erlitt.

Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht das Zusammentreffen von drei Verbrechen, die Verwendung einer Waffe, die einschlägigen, auch rückfallsbegründenden Vorstrafen und den raschen Rückfall nach seiner letzten Entlassung als erschwerend, als mildernd hingegen den Umstand, dass es zweimal beim Versuch geblieben ist, die Minderung der Dispositionsfähigkeit und den Beitrag zur Wahrheitsfindung.

Nach Zurückweisung der vom Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde durch Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 26. Februar 2025, GZ 15 Os 149/24m 4, ist vorliegend über die sich gegen die Strafbemessung richtende Berufung des Angeklagten (ON 101), welcher seine ebenso angemeldete Berufung gegen die Unterbringung in einem forensisch therapeutischen Zentrum ausdrücklich zurückgezogen hat, zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Der Berufung kann Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Grundlage für die Bemessung der Strafe ist die Schuld des Täters, wobei das Gericht Erschwerungs und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen und auch auf die Auswirkungen der Strafe und anderer zu erwartender Folgen der Tat auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft Bedacht zu nehmen hat. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte. Im Allgemeinen ist die Strafe umso strenger zu bemessen, je größer die Schädigung oder Gefährdung ist, die der Täter verschuldet oder die er zwar nicht herbeigeführt, aber auf die sich sein Verschulden erstreckt hat, je mehr Pflichten er durch seine Handlung verletzt, je reiflicher er seine Tat überlegt, je sorgfältiger er sie vorbereitet oder je rücksichtsloser er sie ausgeführt hat und je weniger Vorsicht gegen die Tat hat gebraucht werden können. Belange der Generalprävention sind bei der auszumessenden Strafe ebenso zu berücksichtigen (Leukauf/Steininger/Tipold, StGB 4 § 32 Rz 9; Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 14 § 32 Rz 7).

Zunächst sind die angezogenen Strafzumessungsgründe zum Nachteil des Angeklagten dahingehend zu ergänzen, dass die schweren Verletzungen des B* und des C* zusätzlich erschwerend ins Gewicht fallen, zumal diese beim Verbrechen des versuchten Mordes nicht tatbestandsessentiell sind (Mayerhofer, StGB 6 § 32 E 17a und E 22a).

Auch erweist sich das Eintreten mehrerer Erfolge des § 84 Abs 1 StGB bei Faktum B./ zusätzlich erschwerend (Mayerhofer, aaO § 32 E 22i, E 22j).

Der besondere Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 17 StGB wird durch einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung (RIS-Justiz RS0091585 [T3]) begründet. Für die Frage eines wesentlichen Beitrags zur Wahrheitsfindung stellt das Gesetz nicht auf die innerliche Umkehr des Täters, sondern auf die Bedeutung seiner Aussage für die Beweisführung ab (13 Os 71/09d). Worin dieser wesentliche Beitrag, der sich maßgeblich auf die Beweiswürdigung ausgewirkt hat (RIS-Justiz RS0091585 [T14]), liegen soll, ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen.

Da der Angeklagte anlässlich der von ihm begangenen Tathandlungen eine beträchtliche Körperverletzung, nämlich einen offenen Bruch der linken Augenhöhle, einen verschobenen Bruch des linken Jochbeins mit Dislokation eines Frakturfragmentes in die linke Augenhöhle hinter dem Augapfel, einen unverschobenen Bruch der linken Kieferhöhle, einen unverschobenen Nasenbeinbruch, Schnittverletzungen, Prellungen und Abschürfungen erlitt, wobei die Brüche operativ versorgt werden mussten (ON 29.2, 13), liegt zu seinen Gunsten der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 19 StGB vor.

Dem Angeklagten gelingt es in seiner Berufung nicht, weitere Milderungsgründe für sich ins Treffen zu führen.

Nach Lage des Falls kann dem Angeklagten kein reumütiges Geständnis zu Gute gehalten werden, weil er kein volles Geständnis hinsichtlich aller ihm zur Last liegenden Fakten abgelegt hat (Mayerhofer, aaO § 34 E 49). So bekannte er sich am Beginn der Hauptverhandlung (ON 85.1, 3) zu den Fakten A./I./ und II./ zu einer absichtlich schweren Körperverletzung und zu Faktum B./ zu einer schweren Körperverletzung bloß formal für schuldig, um dies in der Folge dahingehend zu relativieren, nicht gezielt auf jemanden hingestochen zu haben, in Panik geraten zu sein und gesehen zu haben, wie er von drei Leuten attackiert werde (ON 85.1, 7).

Die weiters reklamierte Selbststellung, welche eine leicht wahrzunehmende Fluchtmöglichkeit oder die Wahrscheinlichkeit, dass die Tat sonst unentdeckt bleibt, voraussetzt, ist dann nicht mildernd, wenn die Entdeckung des Täters unmittelbar bevorstand (RIS Justiz RS0091452). Aus dem Umstand, dass der Angeklagte der Polizei über Anruf seinen Standort mitteilte, kann nicht ohne weiteres auf das Vorliegen des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 16 StGB geschlossen werden.

Nach Meinung des Berufungswerbers und dessen Schilderung lag gegenständlich eine Notwehrsituation vor (ON 85.1, 8). Mit seinem Vorbringen, er wäre ebenso zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden, wenn er sich nicht geständig gezeigt hätte, übergeht der Berufungswerber geflissentlich, dass gerade zum strafsatzbestimmenden Delikt kein reumütiges Geständnis vorliegt.

Dem weiteren Vorbringen des Angeklagten, durch die lebenslange Freiheitsstrafe sei seine Zukunft mehr als ungewiss und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft unwahrscheinlich, ist zu entgegnen, dass mit dem Postulat, die entsozialisierenden Folgen einer Strafe möglichst gering zu halten, eine generelle Milderung der Strafe nicht zwangsläufig angestrebt wird (Mayerhofer, aaO § 32 Anm 2). Jedoch ist das vom Angeklagten gezeigte Nachtatverhalten - er nimmt überaus aktiv an der psychologischen Behandlung teil und verzeichnet eine sehr positive Entwicklung und hohe Veränderungsbereitschaft, hat während der Untersuchungshaft erfolgreich einen Gebäudereinigerkurs absolviert, den Staplerschein gemacht und leistet als Hausarbeiter in der JA ** ausgezeichnete Arbeit, wobei seine Erste-Hilfe Maßnahmen nach einem Suizidversuch eines anderen Häftlings besonders hervorzuheben sind - im Rahmen der allgemeinen Strafbemessungskriterien des § 32 StGB mildernd zu berücksichtigen (Riffel, WK 2 StGB § 32 Rz 37 ff).

Bei objektiver Abwägung dieser korrigierten bzw ergänzten Strafzumessungslage und allgemeiner Strafbemessungserwägungen im Sinne des § 32 Abs 2 und 3 StGB erweist sich die vom Erstgericht bei einem zur Verfügung stehenden Strafrahmen von 10 bis zu 20 Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe ausgemessene Sanktion mit Blick darauf, dass die strafsatzbestimmenden Tathandlungen letztendlich im Versuchsstadium verblieben sind und der Angeklagte ein besonders positives Nachtatverhalten zeigt, als zu hoch bemessen. In Stattgebung der Berufung war diese daher auf ein allen Strafzwecken gerecht werdendes Ausmaß im spruchgemäß Umfang herabzusetzen.

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