JudikaturOLG Wien

22Bs51/25y – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
03. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Mathes als Vorsitzende sowie den Richter Mag. Gruber und die Richterin Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder in der Auslieferungssache gegen A* zur Strafvollstreckung an die Republik Nordmazedonien über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems a.d. Donau vom 29. Jänner 2025, GZ **-45, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Beim Landesgericht Krems a.d. Donau ist gegen den am ** geborenen nordmazedonischen Staatsangehörigen A* ein Auslieferungsverfahren zur Strafvollstreckung an die Republik Nordmazedonien anhängig.

Am 17. Jänner 2025 fand vor dem Erstgericht eine Verhandlung über die Zulässigkeit dieser Auslieferung statt, welche letztlich (entgegen § 9 Abs 1 ARHG iVm § 45 Abs 1 StPO) zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag gegen die Richterin durch den Präsidenten des Erstgerichts vertagt wurde (ON 38).

Mit Antrag vom 21. Jänner 2025 begehrte der (richtig:) Betroffene das „reich an sinnentstellenden Fehlern“ bzw. unvollständige Protokoll zu korrigieren, wobei er die auszubessernden Stellen im Text explizit anführte und insbesondere monierte, dass aufgrund der vorgekommenen Auslassungen nicht erkennbar sei, dass die Erstrichterin dem Betroffenen tatsächlich eine Fang- bzw. Suggestivfrage dahingehend gestellt hätte, wie er sich für den Fall verhalten würde, wenn ihm sein nordmazedonischer Anwalt mitteilen sollte, „man könne nichts mehr machen“ (ON 43).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht diesen Antrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass das Protokoll zwar einige Rechtschreibfehler enthalte, davon aber keine entscheidungswesentlichen Umstände erfasst seien.

Dagegen richtet sich die fristgerechte Beschwerde des Betroffenen, worin er sein Vorbringen wiederholt und – zusammengefasst - ausführt, dass kein sachlicher Grund erkennbar sei, die entsprechenden Korrekturen abzuwehren, zumal davon auch teilweise für die Auslieferung relevante Umstände, etwa dass er schon seit seinem dritten Lebensjahr in Österreich lebe, betroffen seien (ON 48.2).

Rechtliche Beurteilung

Dem Rechtsmittel kommt keine Berechtigung zu.

Gemäß dem nach § 9 Abs 1 ARHG anzuwendenden § 271 Abs 7 zweiter Satz StPO hat der Vorsitzende das Protokoll von Amts wegen oder auf Antrag einer zur Ergreifung von Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde berechtigten Partei nach Vornahme der erforderlichen Erhebungen durch Beschluss zu ergänzen oder zu berichtigen, soweit erhebliche Umstände oder Vorgänge im Protokoll der Hauptverhandlung zu Unrecht nicht erwähnt oder unrichtig wiedergegeben wurden. Eine Berichtigung des Protokolls ist allerdings nur insoweit erforderlich, als entscheidungswesentliche Tatsachen betroffen sind und insoweit fehlerhafte Protokollierung erweislich ist (RIS-Justiz RS0120683).

Bei der Relevanzprüfung wird im Allgemeinen ein großzügiger Maßstab anzulegen und allen Umständen oder Vorgängen Erheblichkeit zuzubilligen sein, die in irgendeiner Form für die Lösung der angesprochenen Schuldfrage, insbesondere das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache, von Bedeutung sein könnten. Erhebliche Umstände oder Vorgänge sind alle solche im Rahmen des § 271 Abs 1 Z 1 bis 7 und Abs 3 StPO, die für die Beurteilung entscheidungswesentlicher Umstände von Bedeutung sein können. Diese sollen vom Protokoll vollständig und wahrheitsgemäß wiedergegeben werden; wenn dies nicht der Fall ist, muss es zu einer Berichtigung kommen. Hinsichtlich des Inhalts der Verantwortung des Angeklagten wie der Aussagen von Zeugen ist all das als erheblich anzusehen, das entweder aus Sicht des § 281 Abs 1 Z 5 StPO einer Erörterung im Urteil bedarf oder einen Einfluss auf die Straffrage haben könnte. Umstände, die nicht von der amtswegigen Protokollierungspflicht nach diesen Bestimmungen umfasst sind (so z.B. ungehörige Bemerkungen eines Richters), können nur dann Gegenstand eines Berichtigungsantrags sein, wenn diesbezüglich in der Hauptverhandlung ein entsprechender Protokollierungsantrag gestellt worden ist (RIS-Justiz RS0123941). Förmlichkeiten des Verfahrens, Verlesungen und Beteiligtenanträge betreffende Umstände sind dann als erheblich anzusehen, wenn ihr Vorliegen oder Nichtvorliegen für die Geltendmachung einer Urteilsnichtigkeit oder eines Berufungsgrunds von Bedeutung sein kann (13 Os 64/08y; Danek/Mann , WK-StPO § 271 Rz 44, 45).

Da es sich beim Auslieferungsverfahren um kein Strafverfahren im eigentlichen Sinne handelt, weil weder über Schuld- noch Straffrage entschieden wird, sind die Bestimmungen der StPO aber nur soweit heranzuziehen, als sie sinngemäß anzuwenden sind (§ 9 Abs 1 ARHG).

Vorweg ist dem Beschwerdeführer beizupflichten, dass gemäß dem in diesem Zusammenhang heranzuziehenden § 270 Abs 3 StPO relevante Schreib- und Rechenfehler vom Vorsitzenden jederzeit, allenfalls nach Anhörung der Beteiligten, zu berichtigen sind.

Somit bleibt es unverständlich, warum dies angesichts der von der Erstrichterin zugestandenen (BS 7) Vielzahl an aufgezeigten Schreib- und sonstigen Fehlern laut Akteninhalt bislang nicht geschah.

Jedoch ist dem Erstgericht im Ergebnis beizupflichten, dass die noch zu berichtigenden Fehler keine entscheidungswesentlichen Tatsachen für das Auslieferungsverfahren betreffen:

Die verfahrenseinleitenden Äußerungen des Verteidigers (ON 38, 2 f) müssen - wie eine allfällige Gegenäußerung zum Vortrag der Anklage - im Protokoll nicht im Einzelnen festgehalten werden, weil diese keine Beweismittel darstellen ( Kirchbacher , WK-StPO § 271 Rz 2). Besondere Relevanz kommt diesem Vorbringen somit nicht zu. Hinzu tritt, dass das Ziel des vom Verteidiger erstatteten Vorbringens trotz der bereits erwähnten Fehler vorliegend eindeutig erkennbar ist.

Was die Ankündigung des Betroffenen anbelangt, er wolle für den Fall entsprechender Angaben seines nordmazedonischen Verteidigers freiwillig in sein Heimatland reisen, ist festzuhalten, dass diesbezüglich eine Fang- oder Suggestivfrage gar nicht möglich ist, bezieht sie sich doch bloß auf eine mögliche zukünftige Handlung und und nicht auf einen in der Vergangenheit liegenden und noch festzustellenden Sachverhalt. Die Regelungen des § 164 Abs 4 (iVm § 245 Abs 2 StPO), die auf die Feststellung eines zurückliegenden Sachverhalts in einem Ermittlungs- bzw. Strafverfahren abzielen (vgl. dazu Kirchbacher/Keglevic , WK-StPO § 164 Rz 4, 41 und 42), greifen daher gegenständlich nicht. Außerdem wurde ein wörtliche Protokollierung der richterlichen Fragestellung vom Verteidiger auch nicht beantragt.

Was die Anwendung des § 22 ARHG anbelangt, ist überdies festzuhalten, dass diese im vorliegenden Auslieferungsverfahren gar nicht in Betracht kommt, weil hinsichtlich der Republik Nordmazedonien das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957, BGBl 1969/320 samt Zweitem Zusatzprotokoll, BGBl Nr. 297/1983, heranzuziehen ist (vgl. BGBl III Nr. 185/1999) und diese zwischenstaatliche Vereinbarung Vorrang gegenüber dem ARHG genießt (§ 1 ARHG; Göth-Flemmich in WK 2 ARHG § 22 Rz 4).

Allerdings wird das auf das Familienleben abzielende Vorbringen des Betroffenen im weiteren Auslieferungsverfahren gemäß Artikel 8 MRK jedenfalls zu beachten sein.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.

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