JudikaturOLG Wien

9Rs142/24d – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
24. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Pöhlmann als Vorsitzenden, die Richter Mag. Kegelreiter und Mag. Falmbigl sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Barbara Holzer und Gottfried Wolfgang Sommer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geb. **, **, vertreten durch Mag. Ina Christin Stiglitz, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Friedrich Hillegeist Straße 1, 1020 Wien, wegen Invaliditätspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 18.6.2024, ** 51, gemäß § 2 ASGG, § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben und das angefochtene Urteil mit der Maßgabe bestätigt, dass es um folgende Aussprüche zu ergänzen ist:

„Vorübergehende Invalidität im Ausmaß von mindestens sechs Monaten liegt nicht vor. Es besteht kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.

Es besteht kein Anspruch auf medizinische oder berufliche Maßnahmen der Rehabilitation.“

Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 10.2.2023 den Antrag der Klägerin vom 20.6.2022 auf Gewährung einer Invaliditätspension abgelehnt.

Mit ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrte die Klägerin den Zuspruch einer Invaliditätspension, in eventu die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen und der „diesbezüglich gebührenden Geldleistungen“. Sie habe in den letzten 15 Jahren als Serviceassistentin im Krankenhaus, Reinigungskraft und Küchenhilfe gearbeitet. Über einen erlernten Beruf verfüge sie nicht. Aufgrund ihrer Leidenszustände sei sie nicht mehr im Stande, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Beklagte bestritt das Vorliegen von Invalidität.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren auf Zahlung einer Invaliditätspension ab 1.7.2022 sowie das Eventualbegehren auf Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen und der diesbezüglich gebührenden Geldleistungen ab. Es legte die auf den Seiten 3 bis 6 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen zugrunde, aus denen die nachstehenden als wesentlich hervorzuheben sind:

Die am ** geborene Klägerin hat eine Lehre zur Köchin begonnen, aber nicht abgeschlossen. Sie war in der Folge in verschiedenen Berufen, unter anderem als Serviceassistentin im Krankenhaus tätig. Sie erwarb im Zeitraum von 1.7.2007 bis 30.6.2022 89 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit sowie 82 Monate der Pflichtversicherung gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit a bis lit g ASVG. Außerdem liegen in diesem Zeitraum vier Monate einer neutralen Zeit. Die Klägerin übte in diesem Zeitraum nicht zumindest 90 Pflichtversicherungsmonate hindurch einen erlernten oder angelernten Beruf oder einen Beruf als Angestellte aus. Insgesamt erwarb die Klägerin im Zeitraum vom 1.1.1994 bis 30.6.2022 313 Versicherungsmonate nach dem ASVG, davon 193 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit.

Der Klägerin sind nur mehr leichte körperliche Arbeiten zumutbar. Arbeiten im Stehen und/oder Gehen sind maximal zweidrittelzeitig diskontinuierlich möglich, jedoch maximal 40 Minuten ununterbrochen. Arbeiten in gebückter/gebeugter Haltung oder in Zwangshaltung (längeres Verharren in endlagiger Rotation der Wirbelsäule) sind der Klägerin nur noch halbzeitig diskontinuierlich möglich, jedoch maximal 30 Minuten ununterbrochen. Arbeiten, die eine tiefe oder häufige Hocke erforderlich machen, sind der Klägerin nicht möglich. Arbeiten in knieender Körperhaltung sind nicht möglich. Nicht möglich sind der Klägerin auch Arbeiten bei Nässe und Kälte, Arbeiten bei Hitze sowie an höhenexponierten Stellen. Der Klägerin sind nur noch Arbeiten ohne besondere Anforderung an Konzentration und Aufmerksamkeit sowie Arbeiten mit einfachem psychischen Anforderungsprofil bis zu drittelzeitig unter besonderem Zeitdruck zumutbar. Dieser Zustand der Klägerin bestand so seit Antragstellung.

Ab Jänner 2024 ist die Klägerin nur noch für Tätigkeiten, für die kein besonders gutes Sehvermögen erforderlich ist, geeignet. Ausgeschlossen sind ab Jänner 2024 zudem Tätigkeiten an exponierten Stellen und gefährlichen Maschinen. Eine wechselseitige Leidensbeeinflussung oder Leidenspotenzierung besteht nicht. Die Anmarschwege sind nicht eingeschränkt. Im Anschluss an die im Zuge der stationären Aufnahme ab 6.2.2024 durchgeführte Implantation einer Knietotalendoprothese rechts lag Arbeitsunfähigkeit und ein Krankenstand im Ausmaß von sechs bis zwölf Wochen vor. Krankenstände darüber hinaus sind bei Kalkülseinhaltung nicht prognostizierbar. Es kann nicht festgestellt werden, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin mit Auswirkung auf das Leistungskalkül in absehbarer Zeit wahrscheinlich eintreten wird oder zu erwarten ist.

Der Klägerin ist die Tätigkeit als Abteilungshelferin bzw. Serviceassistentin nicht weiter zumutbar, da das vorliegende medizinische Leistungskalkül hierbei überschritten wird.

Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entsprechen ihrem medizinischen Leistungskalkül noch Hilfskraftberufstätigkeiten wie zum Beispiel in der Werbemittelbranche und Adressverlagen. Diese Hilfskraftberufstätigkeiten im Mengenleistungsbereich stellen sich als leichte körperliche Arbeiten vorwiegend im Sitzen dar. Weiters sind der Klägerin noch einfache Aufsichtstätigkeiten im Liefereingangsbereich von beispielsweise Produktionsstätten möglich.

Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind in den angeführten Berufstätigkeiten Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, die Klägerin, die nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 ASVG oder als Angestellte tätig war, sei aufgrund ihrer Verweisbarkeit auf die festgestellten Berufstätigkeiten nicht invalid im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG. Es seien daher weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Invaliditätspension noch von Rehabilitationsmaßnahmen erfüllt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im stattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

Die Klägerin macht unter Wiedergabe von Diagnosen aus den eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten geltend, das Erstgericht habe bei seiner Feststellung, dass sie noch am Arbeitsmarkt vermittelbar wäre, Erfahrungssätze unrichtig angewandt.

Darüberhinaus habe das Erstgericht die Erkrankungen der Klägerin im Urteil nicht festgestellt, weshalb eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorliege.

Schließlich moniert die Klägerin die Mangelhaftigkeit des berufskundlichen Sachverständigengutachtens. Der berufskundliche Sachverständige sei ohne nähere Begründung zum Ergebnis gelangt, die Verweisungsberufe seien auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Zahl vorhanden. Dagegen spreche die allgemeine Lebenserfahrung. Die diesbezügliche Feststellung werde als unrichtig bekämpft.

Den Berufungsausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Die Berufung bringt entgegen § 471 Z 3 ZPO die geltend gemachten Berufungsgründe nicht getrennt zur Darstellung. Allfällige Zuordnungsprobleme gehen daher zu Lasten der Klägerin (RS0041768; Kodek in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 471 Rz 17).

2. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Prüfung eines Pensionsanspruchs wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ausschließlich auf das medizinische Leistungskalkül des Versicherten, also das Ausmaß der Einschränkung der Arbeitsfähigkeit an (RS0084398, RS0084399, RS0084413). Grundsätzlich bedarf es daher nicht der Feststellung ärztlicher Diagnosen. Entscheidend für die Frage der Verweisbarkeit des Versicherten ist die aufgrund des ärztlichen Leistungskalküls getroffene Feststellung, in welchem Umfang der Versicherte im Hinblick auf die bestehenden Einschränkungen behindert ist bzw. welche Tätigkeiten er ausführen kann. Die von den Sachverständigen erhobenen Diagnosen bilden nur die Grundlage für das von ihnen zu erstellende Leistungskalkül, das wiederum die Basis für die Feststellungen bildet. Mangels eigener medizinischer Fachkenntnisse könnte das Gericht aus einer festgestellten Diagnose keinerlei Schlussfolgerungen ableiten, zumal je nach dem Schweregrad eines Leidens bei gleicher Diagnose der Umfang der Einschränkungen bezüglich der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit ganz unterschiedlich sein kann (RS0084399).

Das Erstgericht hat auf den Seiten 4 und 5 der Urteilsausfertigung ein detailliertes Leistungskalkül der Klägerin festgestellt. Dass die einzelnen Diagnosen, die zu diesem zusammenfassenden Leistungskalkül führen, nicht festgestellt worden sind, begründet weder einen primären Verfahrensmangel noch einen sekundären Feststellungsmangel.

3. Nach der Erhebung des medizinisches Leistungskalküls ist bei Prüfung eines Pensionsanspruchs wegen geminderter Arbeitsfähigkeit insbesondere in den Fällen des § 255 Abs 3 ASVG unter Bedachtnahme auf die Ergebnisse dieses Leistungskalküls das Verweisungsfeld zu prüfen und es sind die damit verbundenen Anforderungen in möglichst detaillierter Form festzustellen. Durch Vergleich des medizinischen Leistungskalküls mit den Feststellungen über die physischen und psychischen Anforderungen, die die Verweisungstätigkeiten stellen, ist sodann die Frage zu lösen, ob der Kläger zur Verrichtung der in Frage kommenden Verweisungstätigkeiten in der Lage ist (RS0084413).

Im hier zu beurteilenden Fall ist das von der Klägerin nicht bekämpfte Leistungskalkül mit dem ebenso unstrittigen Anforderungsprofil der festgestellten Verweisungstätigkeiten zu vergleichen. Das Erstgericht ist nach Subsumtion des Anforderungsprofils der festgestellten Verweisungsberufe unter das Leistungskalkül der Klägerin zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin Invalidität im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG nicht vorliegt. Für die von der Klägerin behauptete unrichtige Anwendung von Erfahrungssätzen bestehen keine Hinweise.

4. Die Berufung setzt sich weder mit den Feststellungen auseinander noch legt sie rechtlich dar, was an der Beurteilung durch das Erstgericht unrichtig sein soll. Worauf sich die Behauptung stützt, beim Zustandsbild der Klägerin wäre eine Vermittelbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich, ist nicht erkennbar. Sollte damit gemeint sein, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, einen konkreten Arbeitsplatz zu erlangen, so begründet dieser Umstand nicht den Versicherungsfall der Invalidität, sondern jenen der hier nicht zu prüfenden Arbeitslosigkeit (RS0084863).

5. Zum Berufungsvorbringen, das berufskundliche Sachverständigengutachten und damit das erstgerichtliche Verfahren sei mangelhaft geblieben, da der Gutachter keine Erhebungen über die Anzahl der vorhandenen Arbeitsplätze in den Verweisungsberufen gepflogen habe, sondern nur textbausteinartig ausgeführt habe, dass es in den Verweisungsberufen genug Arbeitsplätze gebe, ist zu erwidern, dass es bei allgemein gängigen Verweisungsberufen keiner detaillierten Erhebung über die Anzahl der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhandenen Arbeitsplätze bedarf. Dass für Tischarbeiten in der Werbemittelbranche österreichweit wenigstens 100 Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, ist offenkundig (RS008507 [T12]).

Der behauptete Verfahrensmangel ist daher nicht gegeben.

6. Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen. Mit der Klagsführung ist der angefochtene Bescheid zur Gänze außer Kraft geblieben, weshalb er mit Maßgabebestätigung zu wiederholen war (§ 71 Abs 1 ASGG; RS0084896).

Für einen Kostenzuspruch an die im Berufungsverfahren unterlegene Klägerin nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich keine Anhaltspunkte. Die Klägerin hat daher die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO abhing. Die Berufungsentscheidung hält sich im Rahmen der zitierten oberstge

richtlichen Rechtsprechung.

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