13R123/24i – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Häckel als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Reden und den Richter Mag. Wessely in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A* B* und 2. C* B* , beide **, beide vertreten durch Dr. Christian Lang, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei D* Company , **, Bulgarien, vertreten durch die Tramposch Partner Rechtsanwälte KG in Wien, wegen EUR 10.605,80 s.A. (erstklagende Partei), EUR 20.570,- s.A. (zweitklagende Partei) und Feststellung (zweitklagende Partei; Streitwert: EUR 5.000,-), über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse: gegenüber der erstklagenden Partei: EUR 2.000,-; gegenüber der zweitklagenden Partei: EUR 5.500,-) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 19.6.2024, ** 71, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, jeweils binnen 14 Tagen der erstklagenden Partei deren mit EUR 427,85 (darin EUR 71,31 USt) und der zweitklagenden Partei deren mit EUR 1.176,38 (darin EUR 196,06 USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.
In Ansehung der erstklagenden Partei ist die Revision jedenfalls unzulässig , in Ansehung der zweitklagenden Partei ist die ordentliche Revision nicht zulässig .
Text
Entscheidungsgründe:
Am 16.7.2021 ereignete sich auf bulgarischem Staatsgebiet ein Verkehrsunfall, an dem der Erstkläger als Lenker und die Zweitklägerin als Beifahrerin eines im Eigentum des Erstklägers stehenden PKW („Klagsfahrzeug“) sowie E* als Lenker eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten KFZ beteiligt waren. Die Haftung der Beklagten ist unstrittig.
Der Erstkläger und die Zweitklägerin wurden bei dem Unfall verletzt, am Klagsfahrzeug entstand Totalschaden.
Der Verkehrsunfall ereignete sich auf dem Weg in den Urlaub. Der Erstkläger, die Zweitklägerin und deren beide im Unfallzeitpunkt elf und 13 Jahre alten Kinder wollten für zwei Tage die Mutter der Zweitklägerin in F* besuchen und anschließend eine Woche am Meer verbringen.
Der Erstkläger erlitt bei dem Verkehrsunfall eine schwere Prellung des Brustkorbs und wurde im Krankenhaus behandelt. Er musste das Krankenhaus bereits am Unfalltag verlassen, um die Kinder zu beruhigen und sich um diese zu kümmern. Er quartierte sich dazu bei seiner Schwiegermutter in F* ein, die ihn und die Kinder versorgte. Der Erstkläger war nach dem Unfall ein bis zwei Wochen bettlägerig; jede Bewegung empfand er als schmerzhaft. Komprimiert auf einen 24 h-Tag litt er einen Tag an starken, sechs Tage an mittelstarken und 26 Tage an leichten Schmerzen. Er war ein Monat im Krankenstand; wegen seiner Schmerzen konnte er circa eineinhalb Monate seinen gewohnten Freizeitaktivitäten (bspw Spazierengehen) nicht nachgehen.
Die Zweitklägerin erlitt bei dem Unfall eine massive Verletzung der Halswirbelsäule und eine damit verbundene diffuse rotationsbedingte Hirnschädigung. Weiters erfolgte eine Überdehnung jenes Nervs, der den Oberschultergrätenmuskel innerviert, woraus eine Verschmächtigung dieses Muskels resultierte. Sie wurde nach dem Unfall im Krankenhaus behandelt und am 18.7.2021 in häusliche Pflege entlassen. Zur Therapie der Halswirbelsäulenverletzung musste die Zweitklägerin vier Wochen eine Schanzkrawatte tragen. Komprimiert auf einen 24 h-Tag litt sie einen Tag an starken, 12 Tage an mittelstarken und 85 Tage an leichten körperlichen Schmerzen. Hinzu kommt eine noch immer bestehende milde Hirnleistungsstörung, die als psychische Alteration insgesamt weitere 50 Tage körperlich gleichzusetzende leichte Schmerzen zur Folge hatte. Die Zweitklägerin hat nach wie vor Schmerzen und befindet sich bis dato in Physiotherapie. Spätfolgen aus dem gegenständlichen Unfall sind nicht auszuschließen; insbesondere degenerative Veränderungen im Bereich der betroffenen Bandscheibe mit degenerativer Veränderung im Bereich der Wirbelgelenke und Irritationen der Nervenaustrittszonen. In Zukunft ist mit Restbeschwerden und Funktionseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule zu rechnen; insgesamt sind zukünftige leichte Schmerzen im Ausmaß von 5 Tagen zu erwarten.
Der Erstkläger und die Zweitklägerin wurden nach dem Unfall bei der täglichen Haushaltsführung sowie bei der Pflege und Erziehung der Kinder unentgeltlich von der Mutter der Zweitklägerin unterstützt.
Der Erstkläger begehrt zuletzt (Klageausdehnung ON 33) die Zahlung von EUR 10.605,80 samt Zinsen (EUR 5.136,50 KFZ- und sonstiger Sachschaden; EUR 219,30 An- und Abmeldekosten; EUR 5.000,- Schmerzengeld [darin Ersatz für entgangene Urlaubsfreude und indirekte Kosten für Pflege- und Unterstützungsleistungen der Mutter der Zweitklägerin]; EUR 70,- Generalunkosten; EUR 180,- unklar).
Die Zweitklägerin begehrt zuletzt (Klageausdehnung ON 33) die Zahlung von EUR 20.570,- samt Zinsen (EUR 20.500,- Schmerzengeld; EUR 70,- Generalunkosten) und die Feststellung der mit der Versicherungssumme des KFZ-Haftpflichtversicherungsvertrags begrenzten Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden aufgrund des Verkehrsunfalls.
Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Soweit im Berufungsverfahren von Bedeutung, wendete sie ein, die Schmerzengeldansprüche seien in Anbetracht des eher restriktiven bulgarischen Rechts nicht, jedenfalls nicht in dieser Höhe berechtigt.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Begehren des Erstklägers mit EUR 8.355,80 samt Zinsen und dem Zahlungsbegehren der Zweitklägerin mit EUR 20.500,- samt Zinsen sowie dem Feststellungsbegehren (unangefochten) der Zweitklägerin zur Gänze statt und wies das Mehrbegehren des Erstklägers von EUR 2.070,- sowie jenes der Zweitklägerin von EUR 70,- ab.
Es ging dabei von dem oben, eingangs der Entscheidungsgründe wiedergegebenen Sachverhalt und weiteren auf den Seiten 2 bis 4 des Ersturteils getroffenen Feststellungen aus, auf die verwiesen wird.
Die Abweisung von EUR 2.070,- samt Zinsen (EUR 1.000,- KFZ Schaden; EUR 1.000,- Schmerzengeld; EUR 70,- Generalunkosten) gegenüber dem Erstkläger und von EUR 70,- (Generalunkosten) gegenüber der Zweitklägerin ist rechtskräftig.
In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht die Haftungsvoraussetzungen und das Recht auf Direktklage gegen die beklagte Haftpflichtversicherung. Zu den noch verfahrensgegenständlichen Schmerzengeldansprüchen führte es in unstrittiger Anwendung bulgarischen materiellen Rechts aus wie folgt:
„Zur Pflege, Haushaltsführung und Erziehung der Kinder steht fest, dass kein Pflegepersonal angestellt wurde, sondern dass sich die Mutter der Zweitklägerin unterstützend einbrachte, die für ihre Leistungen keinerlei Entgelt verlangte. In einem solchen Fall ist der Mehraufwand innerhalb des Schmerzengelds zu berücksichtigen und bei der Bemessung desselben miteinzubeziehen (mündliche Erörterung des Rechtsgutachtens in der Streitverhandlung vom 23.4.2024, ON 69.2, 3).
Auch im bulgarischen Recht haben Personen, die infolge eines Verkehrsunfalls am Körper verletzt wurden, Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung für die erlittenen Schmerzen und Leiden (Entscheidung Nr. 260008 vom 23.6.2023, Handelssache Nr. 16/2021 des Landesgerichts Kjustendil). Anders als in Österreich wird dieser Ausgleich für immaterielle Schäden aber nicht nach Schmerzgraden und Tagessätzen bestimmt, sondern wird gemäß Art 52 des Gesetzes über die Verpflichtungen und Verträge vom Gericht nach „Gerechtigkeit“ bzw „Billigkeit“ festgelegt.
Der Begriff der „Billigkeit" ist kein abstrakter Begriff, sondern bezieht sich auf die Bewertung mehrerer konkreter, objektiv bestehender Umstände, die das Gericht bei der Festsetzung des Entschädigungsbetrags zu berücksichtigen hat (Rechtsgutachten ON 58, 7). Bei Körperverletzungen hängt die Höhe des Schadenersatzes unter anderem von der Art und Schwere der Verletzung, der Dauer und der Intensität der Schmerzen, der Genesungszeit, dem Vorliegen bleibender gesundheitlicher Folgen, dem Alter des Opfers, der Art und Weise des Unfallgeschehens, den Umständen der Verletzung, dem verursachten seelischen Leid, allfälligen Verstümmelungen, Bewegungseinschränkungen, ästhetischen Beeinträchtigungen oder Deformationen, möglichen Operationen, negativen Folgen in persönlicher beruflicher, sozialer und psychologischer Hinsicht, der Inflation, allfälliger Mitschuld, dem Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit und anderen Faktoren ab (Rechtsgutachten ON 58, 7).
Beispielsweise wurde von einem bulgarischen Instanzgericht für eine Prellung des Brustkorbs ohne Schädigung von Organen in der Brust- und Bauchhöhle, die neben anderen Verletzungen (subkutanes Hämatom im linken Stirnbereich des Kopfes, Prellung im Scheitel-Hinterkopfbereich) zu einer vorübergehenden, nicht lebensbedrohlichen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands mit einer maximalen Genesungszeit von etwa zwei bis drei Wochen führte, ein Schmerzengeld in Höhe von BGN 2.000,- als angemessen erachtet (Entscheidung Nr. 260458 vom 10.3.2023 г. Zivilrechtssache No 7256/2020 г. Sofioter Stadtgericht, 4. Abteilung als zweite Instanz). Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Geldentwertung in Bulgarien würde dies heute einem Betrag von circa BGN 2.054,- entsprechen. Umgerechnet in Euro ergibt dies circa EUR 1.050,21. Derselbe BGN-Schadensbetrag wurde vom Landesgericht Vidin für eine Prellung der linken Brustkorbhälfte, ohne Beschädigung der Rippen und der tiefen Strukturen zugesprochen (Entscheidung Nr. 133 vom 13.10.2023, Zivilrechtssache No 264/2023 г. Landesgericht Vidin). Unter Berücksichtigung der Inflation entspricht dies heute circa BGN 2.026,- bzw EUR 1.035,89. Für ähnliche, nicht lebensbedrohliche Verletzungen (Brustkorbprellung, Schwellungen und Prellungen am Kinn und im oberen Drittel des Halses, tiefe lineare Abschürfung auf Höhe des linken Schlüsselbeins), die binnen zwei bis drei Wochen vollständig ausheilten, sprach das Landesgericht Varna BGN 3.000,- zu (Entscheidung Nr. 1700 vom 16.11.2021, Zivilrechtssache No 2289/2021 des Landesgerichts Varna). Inflationsangepasst entspricht dies heute einem Betrag von rund BGN 3.729,-. Umgerechnet in Euro ergibt dies circa EUR 1.906,64.
Für eine Verletzung der Halswirbelsäule (Prellung und Verstauchung der Halswirbelsäule, traumatische Bandscheibenvorfälle auf den Ebenen C4-C5 und C5-C6, Trauma der Nervenwurzeln) sowie für mehrere Verletzungen und Schürfwunden der Gliedmaßen, die anhaltende Schmerzen und Leiden sowie motorische Einschränkungen für mindestens 4 Monate und eine motorische Schwäche der oberen Gliedmaßen zur Folge hatten, wurde von einem bulgarischen Erstgericht ein Schmerzengeldbetrag in Höhe von BGN 45.000,- als angemessen erachtet (Entscheidung Nr. 5355 vom 23.10.2023, Zivilrechtssache No 12133/2022, Sofioter Stadtgericht). Unter Berücksichtigung der Geldentwertung entspricht dies heute einem Betrag von circa BGN 45.585,- bzw EUR 23.307,60. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall musste die Verletzte für drei Wochen eine angepasste halbstarre Halskrause tragen; die Behandlung wurde unter häuslich-ambulanten Bedingungen von einem Hausarzt, einem Neurologen und einem Physiotherapeuten für die Dauer von Monaten fortgesetzt. Die Klägerin klagte unter anderem über anhaltende Kopf- und Nackenschmerzen, Taubheitsgefühle des Kopfs und beider Hände sowie über verminderte Griffkraft und eingeschränkten Bewegungsumfang in beiden oberen Gliedmaßen. Nach den Angaben der Klägerin hätte der langwierige Heilungsprozess auch psychische Beeinträchtigungen hervorgerufen. Bei der Bemessung des Schmerzengelds wurde vom Gericht besonders berücksichtigt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin durch den Unfall dauerhaft verändert hat und auch ein Restdefizit verblieb, das die Klägerin im Alltag beeinträchtigt.
Für ein unklares leichtes Schädel-Hirn-Trauma und eine Nackenverstauchung mit posttraumatischer zervikaler Radikulopathie (= Schädigung der Halsnervenwurzel) mit langwierigem Genesungsprozess, wobei nicht vollständig geklärt werden konnte, ob die Beschwerden des Klägers auf ein erlittenes Trauma oder krankheitsbedingten Veränderungen des Gehirns bzw der Wirbelsäule zurückzuführen sind, wurden BGN 30.000,- zugesprochen (Entscheidung Nr. 84 vom 20.7.2022, Handelssache No 1561/2021 г. Landesgericht Sofia). Inflationsangepasst entspricht dies heute rund BGN 33.210,- bzw EUR 16.980,26. Hingegen wurden für ein Schädel-Hirn-Trauma, das zu einer schweren Schädel-Hirnverletzung mit einer Vielzahl neurologischer Symptome (epileptische Anfälle, emotionale Störungen, Verhaltenssymptome, häufiger intellektueller Abbau, Apathie, Gleichgültigkeit, sexuelle und vegetative Störungen) führte, sowie eine Nackendistorsion (Verstauchung), die mit Schmerzen, Steifheit und Bewegungseinschränkung im Hals-Schulter-Bereich und Taubheitsgefühlen in den Händen einherging, BGN 100.000,- als angemessen erkannt (Entscheidung Nr. 541 vom 14.4.2022, Zivilrechtssache No 28/2022 г. Appellationsgericht Sofia). Dies entspricht heute rund BGN 114.300,- bzw EUR 58.441,56.“
Die aufgezeigten Billigkeitskriterien und die zitierten Gerichtsentscheidungen auf die Verletzungen des Erstklägers umgelegt erachtete das Erstgericht ein Schmerzengeld von EUR 4.000,- für angemessen.
Der im Vergleich zu den zitierten Gerichtsentscheidungen höhere Schmerzengeldbetrag ergebe sich daraus, dass der Erstkläger verhältnismäßig lange an zumindest leichten Schmerzen gelitten habe, ein bis zwei Wochen bettlägerig gewesen sei, rund einen Monat seiner Arbeit nicht habe nachgehen können und auch bei seiner Freizeitgestaltung beeinträchtigt gewesen sei. Miteinzubeziehen sei weiters der unfallkausale Mehrbedarf an Pflege und Unterstützung, insbesondere hinsichtlich der Versorgung und Erziehung der Kinder. Im Sinn der gesetzlichen Vorgabe an das Gericht, den Schmerzengeldbetrag nach „Gerechtigkeit“ festzusetzen (Art 52 des bulgarischen Gesetzes über die Verpflichtungen und Verträge), solle es dem Erstkläger nicht zum Nachteil gereichen, dass seine Schwiegermutter ihre Unterstützungsleistungen unentgeltlich erbracht habe. Im Übrigen habe sich in der bulgarischen Spruchpraxis zwar offenbar ein Kriterienkatalog zur einfacheren und einheitlicheren Festsetzung des Schmerzengelds herausgebildet, der den Ersatz entgangener Urlaubsfreude nicht explizit nenne. Dieser Kriterienkatalog sei aber gerade nicht als abschließend zu verstehen ist (arg: „und andere Faktoren“). Aus diesem Grund habe auch die entgangene Urlaubsfreude des Erstklägers als durch den Unfall erlittene Unbill im Schmerzengeldbetrag entsprechend mitabgegolten werden können.
Hinsichtlich der Zweitklägerin sei jedenfalls der langwierige Heilungsprozess besonders zu berücksichtigen; die Zweitklägerin habe rund vier Wochen eine Schanzkrawatte tragen müssen, leide nach wie vor an Kopf- und Nackenschmerzen und befinde sich noch immer in physiotherapeutischer Behandlung. Hinzu komme die Verschmächtigung des Oberschultergrätenmuskels als Dauerfolge sowie die noch immer bestehende milde Hirnleistungsstörung als psychische Alteration. Insgesamt habe die Zweitklägerin über einen sehr langen Zeitraum hinweg an Schmerzen gelitten; auch die Art und Intensität der Verletzung (massive Verletzung der Halswirbelsäule, Hirnschädigung) rechtfertige einen im Vergleich zum Erstkläger wesentlich höheren Schmerzengeldbetrag. Es sei daher ein Schmerzengeld von EUR 20.500,- angemessen. Auch hier sei der Mehrbedarf an Pflege und Unterstützung sowie die entgangene Urlaubsfreude der Zweitklägerin bereits im Schmerzengeld berücksichtigt.
Gegen den klagsstattgebenden Teil dieses Urteils richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag auf Reduktion des Zuspruchs an den Erstkläger um EUR 2.000,- und an die Zweitklägerin um EUR 5.500,-. Hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungsantrag.
Der Erstkläger und die Zweitklägerin beantragen, der Berufung keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Vorweg ist festzuhalten: Der Erstkläger schränkte sein ursprüngliches Zahlungsbegehren in der Tagsatzung am 7.2.2023 (ON 18.1, 2) um EUR 180,- (vorprozessuale Gutachtenskosten) auf EUR 11.425,80 und zuletzt im Schriftsatz ON 33 auf EUR 10.605,80, jeweils samt Zinsen, ein. Auch wenn im Schriftsatz ON 33 erkennbar eine weitere Einschränkung um EUR 1.000,- beabsichtigt gewesen sein mag, woraus sich richtigerweise ein eingeschränktes Begehren von EUR 10.425,80 samt Zinsen ergeben hätte, und das Erstgericht auch über diesen Betrag entschieden hat, blieb das zuletzt formulierte Klagebegehren des Erstklägers von EUR 10.605,80 Prozessgegenstand. Bei einem eindeutig formulierten Zahlungsbegehren besteht kein Grund für dessen (stillschweigende) Korrektur durch das Gericht etwa im Sinn einer verdeutlichenden Umformulierung (vgl RS0039357).
Im Ergebnis hat das Erstgericht somit im Umfang von EUR 180,- samt Zinsen nicht über das Begehren des Erstklägers entschieden. Wurde gegen die Nichterledigung eines Sachantrages weder durch Ergänzungsantrag nach § 423 ZPO noch durch Berufung nach § 496 Abs 1 Z 1 ZPO Abhilfe gesucht, scheidet dieser Anspruch aus dem Verfahren aus (RS0041490; RS0042365 [T4]).
2. Vor der Behandlung der Rechtsrüge ist auf die in der Berufung nicht in Zweifel gezogene Darstellung der bulgarischen Rechtslage in Ansehung von Schmerzengeldansprüchen und die beispielsweise Wiedergabe von Entscheidungen bulgarischer Gerichte zur Illustration der einschlägigen Spruchpraxis durch das Erstgericht zu verweisen (§ 500a ZPO).
2.1. Zum Erstkläger steht die Beklagte unter Bezugnahme auf die vom Erstgericht zitierten Entscheidungen bulgarischer Gerichte auf dem Standpunkt, ein Schmerzengeld von EUR 4.000,- sei nicht gerechtfertigt und liege außerhalb des Beurteilungsspielraums des Gerichts.
Auch wenn der angesprochene Kriterienkatalog nicht als abschließend zu verstehen sei, seien primär Art und Schwere der Verletzung, die Dauer und Intensität der Schmerzen, die Genesungszeit sowie das Vorliegen bleibender gesundheitlicher Folgen maßgeblich. Auch wenn andere Kriterien mitberücksichtigt würden, seien diese sicherlich weniger entscheidend. Begehrt werde ein um EUR 2.000,- verringerter Zuspruch an Schmerzengeld.
2.1.1. Gemessen am Schmerzengeldzuspruch in der vom Erstgericht zitierten Referenzentscheidung (Nr. 1700 vom 16.11.2021, Zivilrechtssache No 2289/2021 des Landesgerichts Varna) für eine nicht lebensbedrohliche Brustkorbprellung, Schwellungen und Prellungen am Kinn und im oberen Drittel des Halses, tiefe lineare Abschürfung auf Höhe des linken Schlüsselbeins, die binnen zwei bis drei Wochen vollständig ausheilten, von inflationsangepasst und umgerechnet EUR 1.906,64, erscheint der Schmerzengeldzuspruch von EUR 4.000,- an den Erstkläger auf den ersten Blick tatsächlich als hoch, zumal der Geschädigte im Vergleichssachverhalt neben einer Brustkorbprellung noch weitere Verletzungen erlitten hat (deren tatsächliche Schwere sich jedoch nicht quantifizieren lässt). Dennoch erscheint die Schmerzengeldbemessung des Erstgerichts nicht als unvertretbar und korrekturbedürftig, hat doch der Erstkläger eine schwere Brustkorbprellung erlitten und war der Heilungsverlauf (ein bis zwei Wochen Bettlägerigkeit, ein Monat Arbeitsunfähigkeit, eineinhalb Monate Ausschluss von Freizeitaktivität) deutlich länger als im Vergleichssachverhalt. Wie vom Erstgericht ebenfalls zutreffend veranschlagt, litt der Erstkläger verhältnismäßig lange an zumindest leichten Schmerzen und war der Mehrbedarf an Pflege und Unterstützung – auch im Hinblick auf die Betreuung der beiden minderjährigen Kinder – ebenso zu berücksichtigen wie die entgangene Urlaubsfreude (gegen deren grundsätzliche Berücksichtigung sich die Berufung nicht ausspricht).
Wiewohl die Bemessung des Schmerzengelds auf Grundlage der ermittelten bulgarischen Rechtslage durch das Gericht zu erfolgen hat, kann die Einschätzung der Verfasserin des im Verfahren eingeholten Rechtsgutachtens in der Tagsatzung am 23.4.2024 (ON 69.2, 3), bei den aktenkundigen Verletzungen des Erstklägers und unter Betrachtung der gängigen Spruchpraxis in Bulgarien dürfte ein Zuspruch im Rahmen der eingeklagten EUR 5.000,- gerechtfertigt sein, als Anhaltspunkt dafür dienen, dass der vom Erstgericht als angemessen angenommene Betrag von EUR 4.000,- nicht außerhalb des Beurteilungsspielraums des Gerichts liegt.
2.2. In Ansehung der Zweitklägerin erachtet die Beklagte insbesondere unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Sofioter Stadtgerichts Nr. 5355 vom 23.10.2023, Zivilrechtssache No 12133/2022, mit einem Schmerzengeldzuspruch von valorisiert und umgerechnet EUR 23.307,60 und eine von der Rechtsgutachterin referierte Entscheidung aus dem Juli 2022, in welcher für ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma mit einer Nackenverstauchung mit posttraumatischer zervikaler Radikulopathie und Schwindel mit einem Schmerzengeldzuspruch von BGN 30.000,- [rund EUR 15.000,-] zugesprochen wurde, ein Schmerzengeld von EUR 15.000,- für angemessen.
2.2.1. Während die Verletzungen der Geschädigten in der erstgenannten Entscheidung auf dem Papier gravierender erscheinen als jene der Zweitklägerin, war auch bei dieser der Heilungsverlauf langwierig und über lange Zeit mit Schmerzen verbunden; bei der Zweitklägerin bestehen fortdauernde unfallverursachte Gesundheitseinschränkungen als Dauerfolgen und bedarf diese nach wie vor physiotherapeutischer Behandlung. Auch in Zukunft ist mit Restbeschwerden und Funktionseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule zu rechnen. Demgegenüber erscheinen die Verletzungen der geschädigten Person in der zweitgenannten Entscheidung prima facie als weniger schwerwiegend als jene der Zweitklägerin, wobei eine Beurteilung dadurch erschwert ist, dass dem herangezogenen Präjudiz keine Aussage über den Heilungsverlauf und über Dauerfolgen zu entnehmen ist.
Das Berufungsgericht erachtet den Zuspruch eines betraglich zwischen den Zusprüchen in den herangezogenen Vergleichsentscheidungen liegenden Schmerzengelds an die Zweitklägerin durch das Erstgericht nicht als unangemessen und korrekturbedürftig.
2.3. Der unberechtigten Berufung war nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 46 Abs 1, 50 ZPO. Die von der Beklagten zu ersetzenden Kosten der Berufungsbeantwortung waren auf die Ersatzberechtigten im Verhältnis der Anteile ihrer berufungsgegenständlichen Ansprüche am Gesamtberufungsinteresse aufzuteilen.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision in Ansehung des Erstklägers beruht auf § 502 Abs 2 ZPO. Die Berufungsentscheidung hing nicht von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des österreichischen materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts ab, in Ansehung der Zweitklägerin war die ordentliche Revision daher nicht zuzulassen (vgl RS0042948 [T1]).