21Bs65/25z – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Krenn als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Maruna und Mag. Frigo als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 4. Dezember 2024, GZ **-4, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
2. Aus Anlass der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss in Bezug auf die gerichtliche Bewilligung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung der Sicherstellungen (Punkt II./ und IV./) ersatzlos aufgehoben.
Text
Begründung
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt führt zu ** gegen den am ** in ** geborenen österreichischen Staatsbürger A* ein Ermittlungsverfahren wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG.
Am 4. Dezember 2024 erließ die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt unter Punkt I. die Anordnung der Durchsuchung an der Wohn- und Meldeadresse des A* in ** samt Nebenräumlichkeiten und Kellerabteil, beantragte bei der zuständigen Haft- und Rechtsschutzrichterin deren Bewilligung (ON 1.3) und ordnete unter Punkt II. und IV. die Sicherstellung der im Zuge der Durchsuchung gefundenen persönlichen Mobiltelefone des Beschuldigten A* sowie aller im kausalen Zusammenhang mit der Tatbegehung verfahrensrelevanten Gegenstände und Beweismittel, wie Suchtmittel und Bargeld, an und beauftragte unter Punkt III. mit dem Vollzug der Anordnung und der Auswertung der sichergestellten Mobiltelefone des Beschuldigten die Beamten der PI B*, wobei die Auswertung der Mobiltelefone des A* auf den Zeitraum von 1. Dezember 2023 bis dato zum Zwecke der Auffindung von Unterhaltungen, insbesondere Chatnachrichten bzw SMS-Nachrichten zwischen dem Beschuldigten und dessen bislang ausgeforschten Suchtgiftabnehmern C* und D* sowie weiteren bislang unbekannten Suchtmittelabnehmern, die zur Erhärtung bzw Entkräftung des gegen den Beschuldigten bestehenden Tatverdachts geeignet sind, beschränkt wurde (ON 4).
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 4. Dezember 2024 bewilligte das Erstgericht die Anordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt - befristet bis 4. März 2025 - aus den in der Anordnung angeführten Gründen.
Die Durchführung der Hausdurchsuchung wurde von der Staatsanwaltschaft am 5. Dezember 2024 angeordnet (ON 4, 4) und am 4. Februar 2025 vollzogen. Beim Vollzug wurde dem Beschuldigten auch die Anordnung der Durchsuchung samt gerichtlicher Bewilligung ausgefolgt (ON 5).
Zufolge dieser staatsanwaltschaftlichen Anordnung – deren Begründung sich die Erstrichterin durch Verweis auf diese zu eigen machte (RIS-Justiz RS0124017) – ist A* verdächtig, im Zeitraum von Dezember 2023 bis Februar 2024 vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich 60 Gramm Cannabiskraut, an bislang zwei namentlich bekannte Abnehmer gewinnbringend überlassen zu haben.
Nach der Verdachtslage habe A* dadurch das Vergehen nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG begangen.
Der Tatverdacht gründe sich auf die Ermittlungen der PI B* vom 25. November 2024 zu **, insbesondere auf die belastenden Aussagen der Abnehmer C* und D* im Rahmen ihrer Beschuldigtenvernehmungen.
Es sei davon auszugehen, dass sich an dem zu durchsuchenden Ort, bei dem es sich um die Meldeadresse des Beschuldigten A* handle, die zu Punkt II. angeführten Mobiltelefone befinden, deren Sicherstellung und Auswertung für die weitere Aufklärung der ihm zur Last gelegten Straftat sowie aus Beweisgründen erforderlich sei. Durch die Auswertung der sichergestellten Mobiltelefone des Beschuldigten könnten insbesondere Unterhaltungen, welche der Beschuldigte mit seinen Suchtmittelabnehmern geführt habe, eruiert werden, die zur Erhärtung bzw allenfalls Entkräftung des gegen den Beschuldigten bestehenden Tatverdachts dienen. Die Vorgehensweise stünde zur Bedeutung der Sache nicht außer Verhältnis, weil geeignete gelindere Mittel nicht zur Verfügung stehen.
Gegen die gerichtliche Bewilligung der Hausdurchsuchung richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Beschwerde des A*, indem er die Unverhältnismäßigkeit der Durchführung der Hausdurchsuchung, bei der sein elfjähriger Bruder anwesend gewesen und aus dem Schlaf gerissen worden sei, moniert (ON 7).
Rechtliche Beurteilung
Zur Beschwerde:
Voranzustellen ist, dass aufgrund des bereits erfolgten Vollzugs der Durchsuchung das Beschwerdegericht die richtige Anwendung des Gesetzes zu prüfen hat ( Tipold , WK StPO § 89 Rz 15). Die Prüfung der Rechtmäßigkeit hat sich auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Erstgericht zu beziehen ( ex ante-Perspektive : RIS-Justiz RS0131252; Kirchbacher , StPO 15 § 89 Rz 3/6). Nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Umstände, die aus späterer Sicht zur Annahme führen, es fehle an einer Durchsuchungsvoraussetzung, machen die seinerzeitige Entscheidung nicht rechtswidrig (RIS Justiz RS0131252).
Gemäß § 119 Abs 1 StPO ist die Durchsuchung von Orten und Gegenständen zulässig, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sich dort eine Person verbirgt, die einer Straftat verdächtigt ist, oder Gegenstände oder Spuren befinden, die sicherzustellen oder auszuwerten sind. Die Sicherstellung war - zum Zeitpunkt der Anordnung, sohin vor Inkrafttreten des StPRÄG 2024 (vgl § 516 Abs 13 StPO) - nach § 110 Abs 1 StPO zulässig, wenn sie aus Beweisgründen erforderlich erschien. Eine Einschränkung, wonach diese beiden grundlegenden Maßnahmen zur Erlangung von Beweisen nur zur Aufklärung schwerer Straftaten zur Verfügung stünden, war und ist dem Gesetz (auch idgF) nicht zu entnehmen.
Selbst nach der nun geltenden Rechtslage wäre nach gerichtlicher Bewilligung die Beschlagnahme von Datenträgern und Daten nach § 115f Abs 1 StPO zulässig, welche zusätzlich bloß voraussetzt, dass aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dadurch Informationen ermittelt werden können, die – was im konkreten Fall zu bejahen wäre - zur Aufklärung einer Straftat wesentlich sind.
Der erforderliche Anfangsverdacht ist dann zu bejahen, wenn aus konkreten Anhaltspunkten darauf geschlossen werden kann, dass eine strafbare Handlung begangen wurde (§ 1 Abs 3 StPO). Darüber hinaus muss ein entsprechender, auf bestimmten Tatsachen beruhender Verdachtsgrad („begründete Wahrscheinlichkeit“) dahingehend vorliegen, das sich an der geschützten Örtlichkeit Gegenstände oder Spuren befinden, die aus Beweisgründen sicherzustellen oder auszuwerten sind. Diese Verdachtsmomente müssen vor dem Eingriff bestimmt und hinreichend sein. Auch der Gegenstand, nach dem gesucht werden soll, muss bereits vor der Durchsuchung feststehen. Wie konkret dieser beschrieben werden muss, hängt vom Stand der Ermittlungen ab. Eine gewisse Konkretisierung muss aber auch zu Beginn des Ermittlungsverfahrens bereits vorliegen. Schließlich muss die Bedeutung des Gegenstands für die Untersuchung nachvollziehbar sein und müssen Tatsachen vorliegen, aus denen sich die Verhältnismäßigkeit der Durchführung ergibt ( Tipold/Zerbes , WK StPO § 119 Rz 5, 17f). Eine bloß zu Gewinnung von Verdachtsgründen angeordnete Maßnahme ist unzulässig.
Die Durchsuchung kann jede natürliche oder juristische, verdächtige oder auch unverdächtige Person treffen, die als Inhaber das Hausrecht über die Räume hat, in denen die Behörde Gegenstände oder Spuren sucht, oder die das Grundstück, die sonstigen Räume, das Fahrzeug oder das Behältnis innehat ( Tipold/Zerbes , aaO § 119 Rz 9).
Das Beschwerdegericht geht in Übereinstimmung mit dem Erstgericht von der von der Staatsanwaltschaft in ihrer Anordnung zur Durchsuchung aktenkonform dargelegten, gegen A* gerichteten Verdachtslage der Begehung des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG aus und teilt auch die Erwägungen für deren Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
Angesichts der gegebenen Verdachtslage lagen konkrete Anhaltspunkte für die begründete Annahme vor, dass mit dem Auffinden der gesuchten, in der unter einem ergangenen Sicherstellungsanordnung (Punkt II. und IV.) deutlich bezeichneten Gegenstände zu rechnen ist. Gerade zur Aufklärung des Verdachts fortgesetzter (gewinnbringender) Überlassung von Suchtgift an mehrere Abnehmer kann die Relevanz der Sicherstellung des Mobiltelefons, angesichts der (regelmäßig mit Unsicherheiten behafteten) belastenden Angaben der Suchtgiftabnehmer, nicht in Zweifel gezogen werden.
Ebenso war aufgrund der Angaben der beiden Abnehmer und der notorischen Tatsache, dass Beschuldigte regelmäßig relevante Beweisgegenstände in ihren Wohnräumlichkeiten aufbewahren, auch konkret zu erwarten, dass sich in den zu durchsuchenden Räumlichkeiten Gegenstände, vor allem weiteres Suchtgift und sonstige Gegenstände, die mit dem Besitz und dem Verkauf von Suchtgiften im Zusammenhang stehen (Suchtgiftutensilien, Verpackungsmaterial und dergleichen) oder aus denen sich zumindest Rückschlüsse auf (weitere) Abnehmer und/oder Lieferanten ziehen lassen (Bargeld, Mobiltelefon und andere Datenträger), befinden, die aus Beweisgründen zur Aufklärung der dargestellten strafbaren Handlung (Verkauf von Suchtgift) sicherzustellen bzw auszuwerten sein würden. Damit lag zum beurteilungsgegenständlichen Zeitpunkt ein für eine Durchsuchung ausreichender Verdacht vor. Dass lediglich der Verdacht einer in die bezirksgerichtliche Zuständigkeit fallenden Straftat bestand, hindert eine Hausdurchsuchung nicht, sieht doch das Gesetz eine derartige Einschränkung wohlweislich nicht vor. Das Gewicht einer strafbaren Handlung und deren sozialer Störwert messen sich nicht ausschließlich an der Strafdrohung.
Sofern der Beschwerdeführer vermeint, er sei zum Tatzeitpunkt Jugendlicher iS des § 1 Abs 1 Z 2 JGG gewesen, weshalb das Strafmaß gemäß § 5 Abs 1 Z 4 und Z 5 JGG um die Hälfte vermindert werde, sodass die Strafdrohung maximal sechs Monate Freiheitsstrafe oder 180 Tagessätze betrage, ist ihm entgegenzuhalten, dass § 5 JGG eine Strafrahmenvorschrift darstellt, die als solche den Strafsatz unberührt lässt und keinen Einfluss auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung hat.
Zusammengefasst war die vorliegend gewählte Zwangsmaßnahme im Hinblick auf den ausgeprägten Verdacht auf den gewinnbringenden Verkauf von Suchtgift und die daraus resultierenden nachteiligen gesundheitlichen Auswirkungen für die potenziellen Abnehmer angesichts des dadurch zu erwartenden unmittelbaren Beitrags zur Sachverhaltsaufklärung verhältnismäßig (§ 5 Abs 1 StPO). Andere (gelindere, jedoch gleichermaßen effiziente) Ermittlungsmaßnahmen standen nicht zur Disposition. Denn eine erfolgversprechende Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität setzt gerade die unangekündigte Sicherstellung von Suchtgift oder utensilien voraus, weil nur dadurch die Verbringung bzw die Vernichtung von Beweisgegenständen verhindert werden kann (so ausdrücklich OGH 14 Os 46/09k [14 Os 47/09g]). Daher kam auch eine – entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers – alternativ in Erwägung gezogene bloße Vernehmung des Beschuldigten nicht in Betracht.
Da das Erstgericht im angefochtenen Beschluss den Tatverdacht zutreffend aus den im Anlassbericht der Kriminalpolizei zusammengefassten Beweisergebnissen ableitete und die aufzufindenden und sicherzustellenden Gegenstände konkret bezeichnete, ist die vom Beschwerdeführer monierte Verhältnismäßigkeit gegeben, sodass die Bewilligung der Zwangsmaßnahme rechtmäßig war.
Zum weiteren Vorbringen, wonach der elfjährige Bruder zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchung um 6.20 Uhr aus dem Schlaf gerissen worden sei, weshalb das Schonungsgebot nach § 121 Abs 3 StPO verletzt worden sei, ist auszuführen, dass dieses Vorbringen auf einen - ausdrücklich nicht erhobenen - Einspruch wegen Rechtsverletzung abzielt.
Ein auf § 106 Abs 1 Z 2 StPO gestützter Einspruch wegen Rechtsverletzung steht jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt worden zu sein, weil eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung der Bestimmungen der StPO angeordnet oder durchgeführt wurde. Soweit – wie hier – gegen die Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme Beschwerde erhoben wird, ist der Einspruch gegen deren Anordnung oder Durchführung mit der Beschwerde zu verbinden, wobei in einem solchen Fall das Beschwerdegericht auch über den Einspruch entscheidet (§ 106 Abs 2 StPO).
Soweit sich A* mit seinem Vorbringen gegen die Durchführung der Hausdurchsuchung wendet und dabei inhaltlich gegen das Schonungsgebot nach § 121 Abs 3 StPO richtet, ist ihm entgegenzuhalten, dass nach seinem Vorbringen nicht er in seinen subjektiven Rechten durch die Durchführung der gerichtlich bewilligten Hausdurchsuchung verletzt wurde, weshalb der – nicht ausdrücklich erhobene - Einspruch wegen Rechtsverletzung zurückzuweisen gewesen wäre.
Zu Punkt II. und IV./ des angefochtenen Beschlusses:
Infolge des nicht näher konkretisierten Wortlauts des angefochtenen Beschlusses bezieht sich die erstrichterliche Bewilligung – pauschal - „auf die Anordnung“, sohin auch auf die von der Staatsanwaltschaft zu Punkt II. und IV./ angeordnete Sicherstellung. Die Sicherstellung ist gemäß § 110 Abs 2 StPO von der Staatsanwaltschaft – ohne gerichtliche Bewilligung - anzuordnen. Da das Erstgericht diesbezüglich zu Unrecht eine Kompetenz zur Bewilligung der Sicherstellungsanordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt in Anspruch genommen und dadurch gegen grundlegende Verfahrensvorschriften verstoßen hat, war aus Anlass der Beschwerde der angefochtene Beschluss im Umfang der – rechtsirrigen – Bewilligung der Sicherstellung ersatzlos aufzuheben.
Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.