Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen § 105 Abs 1 StGB über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Krems an der Donau vom 28. November 2024, GZ **-7.3, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Jilke, im Beisein der Richterinnen Mag. Neubauer und Mag. Wolfrum, LL.M., als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart des Oberstaatsanwalts Mag. Hinterleitner, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Marchini durchgeführten Berufungsverhandlung am 11. März 2025 zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* zweier Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hierfür nach dieser Bestimmung zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt.
Darnach hat er am 3. Oktober 2024 in ** auf der Kremser Schnellstraße S 33 Fahrtrichtung ** als Lenker des PKW Marke Volvo, Kennzeichen **,
a) B* als Lenker des PKW Seat Leon, ** dadurch, dass er ihn mit seinem PKW überholte, sich unmittelbar vor ihn einreihte und ohne verkehrsbedingte Notwendigkeit sein Fahrzeug bis auf 30 km/h abbremste, sohin durch Gewalt, zu einer Handlung, nämlich zu einem über die normale Betriebsbremsung hinausgehenden abrupten Abbremsen des von ihm gelenkten PKW genötigt, um einen Unfall zu vermeiden;
b) einen unbekannt gebliebenen LKW Lenker, der hinter dem Fahrzeug des B* fuhr, durch die unter a) beschriebene Handlung zum abrupten Abbremsen und Spurwechsel genötigt.
Bei der Strafzumessung wurden erschwerend das Zusammentreffen zweier Vergehen, mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel gewertet.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig - im Sinne eines umfassenden Anfechtungswillens („volle Berufung“; RIS-Justiz RS0099951 [T3]) - wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe angemeldete (ON 8) und fristgerecht zu ON 9 in den Punkten „Nichtigkeit und Strafe“ ausgeführte Berufung des Angeklagten, die vereinzelt auch Ausführungen zur Schuld enthält.
Zur der Reihenfolge nach zunächst zu behandelnden Berufung wegen Schuld ( Ratz aaO § 476 Rz 9) ist vorweg festzuhalten, dass die freie Beweiswürdigung ein kritisch-psychologischer Vorgang ist, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungssätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind (SSt 39/41; Mayerhofer , StPO 6 § 258 E 30f; Kirchbacher/Fabrizy , StPO 14 § 258 Rz 8). Die Frage der Glaubwürdigkeit von Angeklagten und Zeugen sowie der Beweiskraft ihrer Aussage ist der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten, wobei das Gericht nur zu einer gedrängten Darlegung seiner Gründe, nicht jedoch dazu verhalten ist, jedes Verfahrensergebnis im Einzelnen zu analysieren (RIS-Justiz RS0104976). Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, so tut dies nichts zur Sache. Selbst der Grundsatz „in dubio pro reo“ stellt keine negative Beweisregel dar, die das erkennende Gericht – im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen – verpflichten würde, sich durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (RIS-Justiz RS0098336).
Ausgehend von diesen Erwägungen gelingt es dem Berufungswerber nicht, Zweifel an der Beweiswürdigung zu erwecken. Denn die Erstrichterin hat - nachdem sie sich in der Hauptverhandlung von den Beteiligten einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte - nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, aufgrund welcher Erwägungen sie zur Überzeugung von der Schuld des Angeklagten gelangt ist. Dabei gründete sie ihre Feststellungen zum objektiven Tathergang auf die Angaben des Zeugen B*, der auf sie einen durchwegs authentischen und um die Wahrheit bemühten Eindruck hinterlassen hat. Auch die Tatsache, dass er anschaulich das Ausweichmanöver des LKW auf den Pannenstreifen schilderte, sprach für sie für die Richtigkeit von dessen Angaben, erschien dies angesichts der Masse des LKW und des sich daraus erschließenden Bremsweges die einzig logische Erklärung zu sein, warum nach der Notbremsung eine Kollision zwischen dem PKW des Zeugen B* und dem LKW ausgeblieben war. Ein spontanes Komplott zur gezielten Verleumdung des ihm bisher völlig fremden Angeklagten aufgrund eines Vorfalles im Straßenverkehr schien wenig lebensnah zu sein. Die Erstrichterin setzte sich auch mit dem Aussageverhalten des Angeklagten auseinander, erachtete dieses aber als nicht geeignet, die für äußerst lebensnah, widerspruchsfreien und logisch nachvollziehbar erachteten Schilderungen des Zeugen zu erschüttern (US 3f).
Die subjektive Tatseite leitete sie - gerade bei leugnenden Tätern ohne weiteres rechtsstaatlich vertretbar und methodisch gar nicht zu ersetzen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 452; RIS-Justiz RS0116882) - aus dem äußeren Geschehen ab. Denn wie auch das Erstgericht in seiner Beweiswürdigung ausführt, lässt allein schon der Umstand, dass der Angeklagte das Überholmanöver mit der darauffolgenden Vollbremsung durchführte, dessen zielgerichtete Vorgehensweise erkennen und bei vernünftiger Würdigung des sich Zugetragenen auch keinen anderen Schluss als den zu, dass es ihm darauf ankam, sowohl den Zeugen B* als auch den dahinter fahrenden LKW-Fahrer mit Gewalt jeweils zu einer heftigen Bremsung zu nötigen. Im Übrigen leuchtet schon aus dem in ON 3.2 ersichtlichen, eine kurze Zeit nach den Taten aufgenommenen Video die überaus rücksichtslose Fahrweise des Angeklagten hervor.
Indem der Berufungswerber im Rahmen der Berufung wegen Nichtigkeit und Strafe moniert, es sei nicht maßgeblich, dass er sich nicht erinnern könne, ob er seine Fahrgeschwindigkeit beim „Herunterbremsen“ auf 70 km/h oder 30 km/h verringert habe, zudem habe er lediglich ein schnelleres Einreihen erzwingen wollen und aufgrund zuvor stattgefundener beleidigender Gesten des Zeugen überreagiert bzw. sei überhaupt nicht klar, warum der LKW-Fahren einen Spurwechsel vollziehen musste, vermag er die kritische erstrichterliche Beweiswürdigung sowie die darauf gegründeten Feststellungen in objektiver und subjektiver Hinsicht nicht zu erschüttern. Letztlich entwickeln sich Begegnungen im Straßenverkehr gerichtsnotorisch immer wieder zu hitzigen Situationen, in denen (auch unbescholtene) Bürger die Grenze des strafbaren Verhaltens überschreiten und räumt der Angeklagte selbst ein, sich „bereits vor dem Zusammentreffen mit dem Opfer in einer aufgeheizten Stimmung“ befunden zu haben (ON 9.2, 5).
Da die erstrichterlichen Deduktionen mit den Denkgesetzen im Einklang stehen und auch das Berufungsgericht bei der im Rahmen der Überprüfung der Beweiswürdigung anzustellenden Gesamtbetrachtung keine Zweifel an der Richtigkeit der erstrichterlichen Lösung der Schuldfrage hegt, kann der Berufung des Angeklagten wegen Schuld kein Erfolg beschieden werden.
Aber auch die Diversionsrüge nach Z 10a des § 281 Abs 1 StPO schlägt fehl.
Die gesetzmäßige Ausführung einer Diversionsrüge (Z 10a des § 281 Abs 1 StPO) erfordert eine methodisch korrekte Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen im Urteilszeitpunkt (RIS-Justiz RS0124801 und RS0116823). Diese Kriterien verfehlt die Berufung, indem sie das Fehlen einer von entsprechendem Unrechtsbewusstsein getragenen Bereitschaft des Angeklagten zur Verantwortungsübernahme übergeht (vgl US 3f; die gänzlich leugnenden Angaben des Angeklagten vor der Polizei in ON 2.5: „.. habe mich ebenfalls wieder auf der rechten Spur eingereiht. Zirka einen Kilometer später bin ich auf einen weiteren LKW aufgelaufen und musste daraufhin die Fahrgeschwindigkeit verringern. Jedoch sicher nicht wie angegeben auf 30 km/h. Ich habe mit Sicherheit den Lenker des Seat nicht ausgebremst. Ich setzte anschließend meine Fahrt fort. Warum es zu dieser Anzeige kommt kann ich mir nicht erklären.“; vgl. weiters die Angaben in der Hauptverhandlung in ON 7.2, 1ff, wonach es ihm zwar leid tue und er „eine Schuld“ habe, er jedoch sicher nicht auf 30 km/h „runtergebremst“, sondern lediglich „normal“ von 100 km/h auf 70 km/h abgebremst, dies auch auf dem Tacho verfolgt habe, sodass der LKW nicht ausweichen musste, und die Angaben des Zeugen nicht stimmen würden), diese aber für die diversionelle Erledigung erforderlich ist (vgl RIS-Justiz RS0126734, RS0116299).
In Übereinstimmung mit der Oberstaatsanwaltschaft Wien bleibt mit Blick auf die Ausführungen in US 5 der Vollständigkeit halber anzumerken, dass ein diversionelles Vorgehen keine „echte Reue“, sondern (bloß) eine Verantwortungsübernahme in Bezug auf die Tat erfordert, fallkonkret die bloßen Lippenbekenntnisse des Angeklagten, der durchgehend ein mehr oder minder konformes Fahrverhalten seinerseits behauptet, jedenfalls nicht hinreichen, um spezialpräventiven Überlegungen Rechnung zu tragen. Entgegen dem Berufungsvorbringen kann von einer auch nur partiellen Unrechtseinsicht gegenständlich keine Rede sein, verantwortete er sich doch selbst in der Berufungsschrift noch damit, lediglich unter Zeitdruck gestanden zu sein und wegen seiner aufgeheizten Stimmungslage in Folge von Beleidigungen abgebremst zu haben, wobei die tatsachliche Geschwindigkeit unerheblich sei. Zudem stehen einer Diversion generalpräventive Erwägungen entgegen, ist doch für die Allgemeinheit in aller Deutlichkeit klarzustellen, dass Rücksichtslosigkeit und gefährdendes Fahrverhalten im Straßenverkehr nicht zu bagatellisieren sind.
Schließlich überzeugt auch die Berufung wegen Strafe nicht. Das Berufungsargument, allfällige wirtschaftliche Nachteile einer Verurteilung müssten (sinngemäß im Sinn des § 34 Abs 1 Z 19 StGB) mildernd einfließen und zu einer geringeren Strafe führen, verkennt, dass Nachteile wegen der Verfolgung der Tat grundsätzlich nicht als strafmildernd gewertet werden (Riffel in WK 2 StGB § 34 mwN). Die Ausführungen über die allenfalls vom Angeklagten angestrebte Ausführung eines nicht näher bezeichneten Gewerbes sind dermaßen unkonkret, dass sich ein Eingehen darauf erübrigt. Eine Tatprovokation durch das Opfer lässt sich den Feststellungen ebenso wenig entnehmen wie Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte die Tat lediglich aus Unbesonnenheit (§ 34 Abs 1 Z 7 StGB) begangen habe. Unbesonnen handelt nur, wer spontan einem augenblicklichen Willensimpuls folgt, der aus besonderen Gründen der Lenkung durch das ruhige Denken entzogen ist und ohne diesen unterdrückt worden wäre (OGH RIS-Justiz RS0091000). „Unbesonnenheit“ setzt dabei nicht nur voraus, dass das Delikt nicht aufgrund reiflicher Überlegung verübt worden ist, sondern auch, dass der Tat keine kriminelle Neigung oder grundsätzliche Geringschätzung fremder Interessen zugrunde liegt (OGH RIS-Justiz RS0091026; vgl auch Tipold in Leukauf/Steininger, StGB 4 § 34 Rz 13). Vorliegend lassen die Aussagen des Zeugen B*, vor allem aber das in der Hauptverhandlung erörterte Video (ON 3.2; ON 7.2, 2f) auf eine rücksichtslose Fahrweise und verfestigte und grundsätzliche Geringschätzung fremder Interessen schließen, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Tat nach der charakterlichen Beschaffenheit des Angeklagten in der Regel unterblieben wäre.
Ausgehend von der von der Erstrichterin zutreffend dargestellten Strafzumessungslage erweist sich die mit einem Drittel des möglichen Strafausmaßes gewählte, ohnehin bedingt nachgesehene Sanktion durchaus als schuld- und tatangemessen, damit nicht korrekturbedürftig. Einer geringeren Freiheitsstrafe oder der Verhängung einer Geldstrafe stehen spezialpräventiv die zweifache Deliktsverwirklichung aus nichtigem Anlass bei einer gefahrengeneigten Tätigkeit, generalpräventiv die sich häufenden Aggressionsdelikte im Straßenverkehr, denen nur durch wirkungsvolle Sanktionen entgegengewirkt werden kann, entgegen.
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