JudikaturOLG Wien

8Rs32/25x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
08. März 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, den Richter Mag. Zechmeister und die Richterin Dr. Heissenberger, LL.M., sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Wolfgang Lederhaas und Erich Weisz in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Dr. Harald Kirchlehner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle B* , **, wegen Invaliditätspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 23.10.2024, **–21, gemäß den §§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.5.2023 zu gewähren, ab. Außerdem sprach es aus, dass vorübergehende Invalidität im Ausmaß von mindestens sechs Monaten jedenfalls nicht vorliegt und daher kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld sowie medizinische und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation besteht.

Das Erstgericht stellte den auf den Seiten 2 bis 6 des angefochtenen Urteils ersichtlichen Sachverhalt fest, auf den verwiesen wird.

Hervorzuheben sind folgende Feststellungen:

Die am ** geborene Klägerin hat keinen Lehrberuf erlernt. Sie war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag am 1.5.2023 als Produktionsmitarbeiterin sowie als Reinigungskraft beschäftigt.

Die Klägerin leidet ab Antragstellung unter diversen Gesundheitsstörungen. Leidensbedingte Krankenstände sind bei Kalkülseinhaltung nicht prognostizierbar. Dieser Zustand besteht seit Antragstellung. Eine kalkülsrelevante Verschlechterung des Gesundheitszustands ist in absehbarer Zeit nicht wahrscheinlich.

Der Klägerin ist die Tätigkeit als Bedienerin (Reinigungskraft) nicht weiter zumutbar, da das vorliegende medizinische Leistungskalkül hierbei überschritten wird.

Mit dem vorliegenden medizinischen Leistungskalkül sind der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beispielsweise noch folgende Berufstätigkeiten möglich und zumutbar:

- Verpackungsarbeiterin in diversen Branchen

- Wäschewarenlegerin

- Tagportierin

- einfache Aufsichtstätigkeiten im Liefereingangsbereich von beispielsweise Produktionsstätten.

Diese beispielhaften genannten Berufe kommen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt in ausreichender Zahl (jedenfalls mehr als 100 Posten) vor.

Rechtlich führte das Erstgericht zusammengefasst aus, dass die Klägerin keinen Berufsschutz genieße. Die Voraussetzungen einer Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG lägen nicht vor, weil die Klägerin ausgehend vom festgestellten Leistungskalkül noch in der Lage sei, die mit über 100 Dienstposten ausgestatteten Verweisungstätigkeiten wie etwa Verpackungsarbeiterin in diversen Branchen, Wäschewarenlegerin oder Tagportierin durchzuführen. Diese Verweisungstätigkeiten seien weit verbreitet und spielten sich vor den Augen der Öffentlichkeit ab. Die Anforderungen in diesen Berufen seien auch den Gerichten bekannt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung einschließlich rechtlicher Feststellungsmängel mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. Zur Berufung ist anzumerken, dass die Klägerin formal nur eine Rechtsrüge erhebt. Im Rahmen ihrer inhaltlichen Ausführungen behauptet die Klägerin jedoch darüber hinaus, dass das erstinstanzliche Verfahren mangelhaft gewesen sei. Außerdem bekämpft sie Feststellungen des Erstgerichts als unrichtig. Damit zeigt sich, dass die Klägerin auch eine Mängelrüge und eine Tatsachenrüge erhebt.

2. Weiters ist vorweg festzuhalten, dass die Klägerin in ihrer Berufung Berufungsgründe vermengt; sie verstößt damit gegen das Gebot, die Berufungsgründe getrennt darzustellen. Dies hat zur Folge, dass allfällige Unklarheiten zu ihren Lasten gehen ( Kodek in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 471 Rz 17; RS0041761), und Ausführungen, die nicht hinreichend deutlich einem Rechtsmittelgrund zugeordnet werden können, unbeachtet zu bleiben haben ( Kodek aaO; RS0041851).

Zur Mängelrüge und zur Tatsachenrüge:

1. Die Klägerin führt dazu im Wesentlichen aus, dass die Berufstätigkeiten, welche ihr nach den Feststellungen des Erstgerichts mit ihrem Leistungskalkül auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch möglich und zumutbar wären, auf dem Arbeitsmarkt nur so eingeschränkt vorkämen, dass von einem „allgemeinen“ Arbeitsmarkt gar nicht mehr gesprochen werden könne. Es sei keinesfalls offenkundig, dass diese Berufstätigkeiten in ausreichender Zahl vorlägen. Die Feststellung des Erstgerichts, dass die beispielsweise genannten Berufe auf dem österreichischen Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl (jedenfalls mehr als 100 Posten) vorhanden seien, werde daher ausdrücklich als unrichtig angefochten. Tatsächlich seien die angeführten Berufe nicht in ausreichender Zahl vorhanden, sodass das Erstgericht dies hätte feststellen müssen.

2. Das Verfahren sei auch mangelhaft, da das Erstgericht keine Erhebungen darüber abgeführt habe, ob die angeführten Berufe tatsächlich in ausreichender Zahl vorhanden seien.

3. Sogar wenn man zu Gunsten der Klägerin davon ausgeht, dass ihre Tatsachenrüge und ihre Mängelrüge gesetzmäßig ausgeführt sind, ist für sie nichts gewonnen.

3.1. Bei allgemein gängigen Verweisungsberufen bedarf es keiner detaillierten Erhebung über die Anzahl der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhandenen Arbeitsplätze (RS0085078; Sonntag in Sonntag, ASVG 15 § 255 Rz 12). Wie bereits das Erstgericht richtig aufgezeigt hat, handelt es sich bei den der Klägerin noch möglichen Verweisungstätigkeiten wie etwa Verpackungsarbeiterin in diversen Branchen, Wäschewarenlegerin oder Tagportierin um allgemein gängige Verweisungstätigkeiten. Dass für derartige Verweisungstätigkeiten österreichweit mehr als 100 Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, ist offenkundig (Näheres dazu siehe Sonntag aaO und RS0085078).

4. Da weder die Mängelrüge noch die Tatsachenrüge berechtigt ist, übernimmt das Berufungsgericht die erstgerichtlichen Feststellungen und legt sie seiner Entscheidung zugrunde (§§ 2 Abs 1 ASGG, 498 Abs 1 ZPO).

Zur Rechtsrüge:

1. Die Klägerin führt zunächst aus, das Erstgericht habe festgestellt, dass bei ihr leidensbedingte Krankenstände bei Kalkülseinhaltung nicht prognostizierbar seien. Daraus lasse sich nicht ableiten, ob und in welcher Dauer Krankenstände bei ihr auftreten könnten. Es fehlten diesbezüglich Feststellungen. Angesichts der vom Erstgericht festgestellten Erkrankungen und Leidenszustände der Klägerin sei keinesfalls zu erwarten, dass bei ihr überhaupt keine leidensbedingten Krankenstände auftreten würden. Vielmehr spreche vieles dafür, dass sie mit Krankenständen von mehr als sechs Wochen jährlich zu rechnen habe. So sei sie in der Zeit vom 1.8. bis 22.8.2024 von der PVA zur Behandlung und Rehabilitation in das Sonderkrankenhaus für Rehabilitation C* überwiesen worden. Aufgrund der Erkrankungen der Klägerin erscheine daher auch in Zukunft die Notwendigkeit weiterer Rehabilitationsaufenthalte als durchaus wahrscheinlich.

1.2. Diese Rechtsrüge geht bereits deswegen ins Leere, weil sie nicht gesetzmäßig ausgeführt ist.

Die Klägerin entfernt sich hier nämlich unzulässigerweise von den erstgerichtlichen Feststellungen. Wie die Klägerin selbst ausführt, hat das Erstgericht festgestellt, dass bei ihr leidensbedingte Krankenstände bei Kalkülseinhaltung nicht prognostizierbar sind. Inwiefern in diesem Zusammenhang ein rechtlicher Feststellungsmangel gegeben sein sollte, erschließt sich dem Berufungssenat nicht.

1.3. Soweit in der Berufung ausgeführt wird, dass angesichts der vom Erstgericht festgestellten Erkrankungen und Leidenszustände der Klägerin keinesfalls zu erwarten sei, dass bei ihr überhaupt keine leidensbedingten Krankenstände auftreten würden, erhebt die Klägerin inhaltlich eine Tatsachenrüge.

1.3.1. Diese Tatsachenrüge ist jedoch nicht berechtigt.

1.3.2. Der medizinische Sachverständige Dr. D* hat in seinem zusammenfassenden Gutachten vom 8.6.2024 (ON 15.1, S. 4) ausgeführt, dass „der zu erwartende Krankenstand selbst bei Kalkülseinhaltung nicht abschätzbar ist“. Damit hat der Sachverständige ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass bei der Klägerin leidensbedingte Krankenstände bei Kalkülseinhaltung nicht prognostizierbar sind. Die bekämpfte Feststellung findet damit Deckung im zusammenfassenden Gutachten des Sachverständigen Dr. D*.

2. Die Berufungswerberin argumentiert des weiteren, dass Versicherte nach ständiger Judikatur dann als vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen gelten würden, wenn es wegen der Art ihrer Gesundheitsbeeinträchtigung äußerst unwahrscheinlich sei, dass sie tatsächlich einen Arbeitsplatz finden könnten, was etwa dann der Fall sei, wenn der Versicherte wegen seines Leidens nur bei besonderem Entgegenkommen eines Arbeitgebers eine Arbeit finden könne. Ausgehend von den vom Erstgericht festgestellten Einschränkungen der Klägerin bei diversen Verrichtungen sei nicht zu erwarten, dass ein Arbeitgeber die Klägerin in den ihr angeblich noch möglichen Berufstätigkeiten jemals einstellen würde. Auch das Alter der Klägerin, verbunden mit ihren Erkrankungen und Einschränkungen, wäre diesbezüglich ein entscheidendes Hindernis.

2.1. Diese Rechtsrüge geht bereits deswegen ins Leere, weil auch sie nicht gesetzmäßig ausgeführt ist. Die Klägerin entfernt sich auch hier unzulässigerweise von den erstgerichtlichen Feststellungen. Auf Basis dieser Feststellungen ist es der Klägerin mit ihrem Leistungskalkül möglich, die vom Erstgericht festgestellten Verweisungstätigkeiten auszuüben. Auf ein besonderes Entgegenkommen von Dienstgebern in den festgestellten Verweisungsberufen ist sie nicht angewiesen.

2.2. Es ist zwar zutreffend, dass ein Versicherter grundsätzlich auf eine Berufstätigkeit dann nicht verwiesen werden darf, wenn er diese nur unter der Voraussetzung eines besonderen Entgegenkommens seines Arbeitgebers verrichten kann (RS0084389 [T6] ua). Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen ist jedoch keiner der Fälle gegeben, in denen nach der Rechtsprechung ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers notwendig wäre (zu den verschiedenen Judikaturbeispielen siehe Sonntag aaO Rz 21 ff mwN und RIS-Justiz RS0084414, RS0084447, RS0084383, RS0084389, RS0084568 ua).

2.3. Wie bereits das Erstgericht richtig aufgezeigt hat, kommt der Frage, ob ein Versicherter in einem ihm zumutbaren Verweisungsberuf tatsächlich einen Arbeitsplatz finden wird, für die Beurteilung, ob Invalidität vorliegt, keine Bedeutung zu. Ist ein Versicherter – wie hier die Klägerin - im Hinblick auf das erhobene Leistungskalkül imstande, eine Tätigkeit zu verrichten, für die am Arbeitsmarkt eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung steht, ist er jedoch nicht in der Lage, einen konkreten Arbeitsplatz zu erlangen, so ist der Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit, nicht jedoch der der Invalidität gegeben (RS0084863; Sonntag aaO Rz 8).

3. Der unberechtigten Berufung war daher spruchgemäß nicht Folge zu geben.

4. Für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich weder aus dem Vorbringen noch aus dem Akt Anhaltspunkte, weshalb die Klägerin die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat.

5. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil eine erhebliche Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zur Beurteilung vorlag, zumal eine in der Berufung unterlassene oder nicht gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgetragen werden kann (vgl RS0043573 ua), wobei dieser Grundsatz ungeachtet § 87 Abs 1 ASGG auch im Verfahren in Sozialrechtssachen gilt (RS0043480).

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