Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Schaller als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Nigl und die Richterin Mag. Felbab in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A* , geboren am **, **, vertreten durch Dr. Verena Schimka-Gohn, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei B* AG , **, wegen Feststellung, in eventu rückwirkende Aufhebung eines Versicherungsvertrages (Streitwert EUR 34.938,87), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 4.12.2024, **-8, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Begründung:
Am 11.11.2024 brachte der Kläger beim Erstgericht zu C* eine Klage auf Feststellung, in eventu Vertragsaufhebung, gegen die beklagte Partei ein. Dieses sprach mit Beschluss vom 13.11.2024 seine Unzuständigkeit aus, weil es sich auf Seiten der Beklagten um ein unternehmensbezogenes Geschäft handle und diese Sache vor die Handelsgerichte gehöre.
Dieser Beschluss wurde der Klagevertreterin am 14.11.2025 zugestellt.
Am 25.11.2024 brachte der Kläger die vorliegende inhaltsgleiche Klage beim Handelsgericht Wien ein. Dieses wies die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit mit Beschluss vom 26.11.2024, D*–2, zurück. Es handle sich um kein unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft, weil der Kläger seine Ansprüche nicht aus dem Geschäftsinhalt ableite, sondern auf das Fehlen von Vereinbarungen stütze.
Dagegen erhob der Kläger zunächst Rekurs mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss zur Gänze aufzuheben und dem Handelsgericht [Wien] die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen, in eventu wolle das Rekursgericht gemäß § 47 JN über den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den beiden angerufenen Gerichten entscheiden, zumal aufgrund des Streitwertes dem Rekurswerber neben Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien und Handelsgericht Wien kein weitere Gericht zur Verfügung stünde.
Am 28.11.2024 hielt der Richter am HG Wien mit Aktenvermerk Nachstehendes fest:
Ich halte Rücksprache mit KV. Wir besprechen die Problematik, dass offenbar zwei Verfahren mit demselben Verfahrensgegenstand anhängig sind. Ich erörtere, dass mE eine der beiden Klagen (auch jetzt noch) ohne Anspruchsverzicht zurückgezogen werden kann und dass dies (wobei ich an dieser Stelle offenlege, mit den gebührenrechtlichen Details nicht vertraut zu sein) zur Rückzahlung von drei Vierteln der Pauschalgebühr führen müsste.
Ich weise darauf hin, dass ein Überweisungsantrag nach § 230a ZPO in einem der beiden Verfahren den Rekurs und den eventualiter gestellten Antrag auf Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt rasch und zuverlässig erübrigen würde. Es kommt die Frage auf, ob die Frist für einen Rekurs oder einen Überweisungsantrag im Verfahren vor dem LGZ noch offen ist. Ich weise auf § 89d Abs 2 GOG hin.
KV kündigt an, im Verfahren vor dem HG Wien den Rekurs zurückziehen und die Überweisung an das LGZ Wien beantragen zu wollen.
Mit Schriftsatz im Verfahren C* des Erstgerichts vom 28.11.2024 – also noch vor Rechtskraft des dort gefassten Zurückweisungsbeschlusses – zog der Kläger die dort erhobene Klage ohne Anspruchsverzicht zurück. Diese Klagsrücknahme wurde vom Erstgericht mit Beschluss vom 28.11.2024 zur Kenntnis genommen.
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 28.11.2024 zog der Kläger im vorliegenden Verfahren seinen Rekurs gegen den Zurückweisungsbeschluss des Handelsgerichts Wien zurück und beantragte gemäß § 230a ZPO, dieses möge die Klage vom 25.11.2024 an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien überweisen und unter einem die Zurückweisung aufheben.
Mit Beschluss vom 28.11.2024, D*-6, hob das Handelsgericht Wien die Zurückweisung der Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit gemäß § 230a erster Satz ZPO auf und überwies die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Erstgericht aus, dass es für die gegenständliche Klage unzuständig sei. Mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom 13.11.2024, C*-2, sei die am 11.11.2024 bereits einmal eingebrachte, selbe Klage aufgrund der handelsgerichtlichen Zuständigkeit zurückgewiesen worden. Der Kläger habe keinen Überweisungsantrag gestellt, sondern die Klage neuerlich beim Handelsgericht Wien eingebracht.
Nach Darlegung des weiteren Verfahrensverlaufs führte das Erstgericht aus, eine Überweisung der Klage an das Gericht, das aktenkundig bereits rechtskräftig seine Unzuständigkeit ausgesprochen habe, sei unzulässig, ganz angesehen davon, dass zweifelsohne eine handelsgerichtliche Zuständigkeit für diese Klage gegeben sei. Das Handelsgericht Wien hätte den Rekurs vorlegen müssen und selbst bei einer Zurückziehung des Rekurses den Akt von Amts wegen dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonfliktes vorlegen müssen. Jedenfalls sei über die Unzuständigkeit des Erstgerichts für die gegenständliche Klage bereits rechtskräftig entschieden worden.
Dagegen richtet sich der rechtzeitige Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss zur Gänze aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme „der Beschlussbegründung“ aufzutragen; in eventu wolle das Rekursgericht gemäß § 47 JN über den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den beiden angerufenen Gerichten entscheiden, zumal aufgrund des Streitwertes dem Rekurswerber neben dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien und dem Handelsgericht Wien kein weiteres Gericht zur Verfügung stünde.
Der Rekurs ist berechtigt .
Gemäß § 230a ZPO hat, wenn die sachliche oder örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ausgesprochen und die Klage zurückgewiesen wird, ohne dass der Kläger Gelegenheit hatte, einen Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 zu stellen - und dieser binnen der Notfrist von vierzehn Tagen nach der Zustellung dieses Beschlusses die Überweisung der Klage an ein anderes Gericht beantragt - das ursprünglich angerufene Gericht die Zurückweisung aufzuheben und die Klage dem vom Kläger namhaft gemachten Gericht zu überweisen, wenn es das andere Gericht nicht für offenbar unzuständig erachtet. Das Adressatgericht, also das Gericht, an das die Klage überwiesen worden ist, kann einen Mangel seiner Zuständigkeit nur noch wahrnehmen, wenn der Beklagte rechtzeitig die Einrede der (sachlichen oder örtlichen) Unzuständigkeit erhebt. Es darf seine allfällige Unzuständigkeit nicht mehr von Amts wegen, sondern nur noch aufgrund einer rechtzeitigen Einrede des Beklagten wahrnehmen.
Mit dem letzten Satz des § 230a ZPO wird klargestellt, dass das Adressatgericht seine Zuständigkeit nicht mehr von Amts wegen prüfen darf. Insoweit entfaltet der Überweisungsbeschluss nach § 230a ZPO auch Bindungswirkung, jedenfalls soweit die Überweisung nicht in einer dem Gesetzeszweck klar widersprechenden Form beantragt und bewilligt wurde - was hier nicht der Fall ist (vgl Planitzer in Kodek/Oberhammer , ZPO-ON § 230a ZPO Rz 16). Diese gesetzliche Anordnung ist als lex specialis zur allgemeinen Regelung über die Wahrnehmung der Unzuständigkeit zu betrachten und gilt auch im Fall unprorogabler Unzuständigkeit ( Mayr in Fasching/Konecny 3 § 230a ZPO Rz 22; Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack , ZPO-PraxKom § 230a ZPO Rz 6; Planitzer aaO Rz 17; RS0039105; RS0039103; **). Der Beklagte, der am Verfahren bisher nicht beteiligt war, darf hingegen jede Art der Unzuständigkeit des Adressatgerichts einwenden. Er kann seine Unzuständigkeitseinrede auch darauf stützen, dass das zuerst angerufene Gericht zuständig sei.
Hat das Adressatgericht in einem solchen Fall die Klage mit der Begründung rechtskräftig zurückgewiesen, dass das ursprünglich angerufene Gericht zuständig ist, so liegt ein negativer Kompetenzkonflikt iSd § 47 JN vor. Gleiches gilt, wenn das Adressatgericht die Klage auf Antrag des Klägers nach § 261 Abs 6 ZPO an das zuerst angerufene Gericht zurücküberwiesen hat. Die Anrufung des gemeinsam übergeordneten Gerichtshofs in einem negativen Kompetenzkonflikt nach § 47 JN setzt aber voraus, dass die konkurrierenden Gerichte rechtskräftig ihre Unzuständigkeit zur Entscheidung über die Rechtssache ausgesprochen haben (vgl RS0046299, RS0046354 [T5], RS0046332; vgl auch Schneider in Fasching/Konecny 3 § 47 JN Rz 15, 16).
Das Erstgerichts übersieht mit seiner Begründung, dass sein Zurückweisungsbeschluss zu C*-2 infolge Klagerücknahme während offener Rechtsmittelfrist nicht in Rechtskraft erwachsen ist. Über seine Unzuständigkeit wurde somit nicht rechtskräftig abgesprochen. Da auch der Zurückweisungsbeschluss des Handelsgerichts Wien und der hier angefochtene Beschluss nicht in Rechtskraft erwachsen sind, liegt auch kein negativer Kompetenzkonflikt vor. Ein Zuständigkeitsstreit im Sinne des § 47 JN ist - wie ausgeführt - erst gegeben, wenn rechtskräftige, die Zuständigkeit verneinende Beschlüsse der für die Zuständigkeit in Betracht kommenden Gerichte vorliegen (RS0046354; vgl auch RS0046332).
Mit seinem amtswegig gefassten Beschluss hat das Erstgericht somit gegen § 230a ZPO verstoßen. Die Zurückweisung der Klage durch das Erstgericht erfolgte rechts-irrig, weshalb der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens aufzutragen ist.
Kosten wurden im Rekursverfahren nicht verzeichnet, sodass eine Kostenentscheidung unterbleiben konnte.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig, weil der im Rekursverfahren erfolgreiche Kläger durch die Entscheidung nicht beschwert ist und die bisher nicht einbezogene beklagte Partei den a limine gefassten Beschluss nicht anfechten kann. Dieser Grundsatz gilt für alle a-limine-Zurückweisungen von Klagen (vgl RS0039200; 1 Ob 263/15f).
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