21Bs63/25f – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Richterin Mag. Sanda als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Maruna und Mag. Frigo als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A* wegen bedingter Entlassung aus einer Freiheitsstrafe über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 31. Jänner 2025, GZ **-6, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die bedingte Entlassung des A* gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StVG am 23. April 2025 angeordnet.
Gemäß § 48 Abs 1 StGB wird die Probezeit mit drei Jahren bestimmt.
Für die Dauer der Probezeit wird gemäß § 50 Abs 1 und Abs 2 Z 2 StGB Bewährungshilfe angeordnet.
Text
Begründung:
Der am ** geborene polnisch-us-amerikanische Staatsbürger A* verbüßt derzeit in der Justizanstalt Wien-Josefstadt die über ihn mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. Jänner 2025, rechtskräftig seit diesem Tag, wegen Jugendstraftaten sowie Straftaten junger Erwachsener nach § 278 Abs 1 zweiter Fall StGB; 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 3 und Abs 2, 148 zweiter Fall StGB verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr.
Das errechnete Strafende (§ 148 Abs 2 StVG) fällt auf den 22. August 2025, die zeitlichen Voraussetzungen nach Verbüßung der Hälfte der Strafzeit waren am 23. Februar 2025 erfüllt, jene nach zwei Dritteln der Strafzeit werden am 23. April 2025 vorliegen (ON 2.2, 2).
Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Landesgericht für Strafsachen Wien als zuständiges Vollzugsgericht nach Einholung einer die bedingte Entlassung aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen ablehnenden Stellungnahme der Staatsanwaltschaft (ON 1.2) sowie jener keine Bedenken gegen die bedingte Entlassung äußernde des Leiters der Justizanstalt (ON 5) sowohl zum Hälfte- als auch zum Zwei-Drittel-Stichtag zusammengefasst aus spezialpräventiven Erwägungen ab.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des A* (ON 7), mit der er zusammengefasst unter Hinweis darauf, dass er sich das erste Mal in Haft befinde, sofort nach Entlassung in sein Heimatland zurückkehren werde und er seine Taten bereue, neuerlich die bedingte Entlassung zum Zwei-Drittel-Stichtag beantragt.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.
Gemäß § 46 Abs 1 StGB iVm § 17 JGG ist einem wegen einer Straftat eines jugendlichen und eines Jungen Erwachsenen Verurteilten der Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen, wenn er die Hälfte der über ihn verhängten Freiheitsstrafe, mindestens jedoch einen Monat verbüßt hat, sobald unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen nach §§ 50 bis 52 StGB anzunehmen ist, dass er durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird.
Die Prognose künftigen Verhaltens erfordert eine Gesamtwürdigung aller dafür maßgeblichen Umstände, insbesondere der Art der Tat, des privaten Umfelds des Verurteilten, seines Vorlebens und seiner Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit. Besonderes Augenmerk ist auch darauf zu legen, inwieweit sich die Verhältnisse seit der Tat durch Einwirkung des Vollzugs positiv geändert haben bzw ob negative Faktoren durch Maßnahmen nach §§ 50 bis 52 StGB ausgeglichen werden können ( Jerabek/Ropper in WK² StGB § 46 Rz 15/1).
Da A* die den vollzugsgegenständlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Taten zum Großteil als Jugendlicher und zum Teil als Junger Erwachsener begangen hat, bleibt es der Ansicht der Staatsanwaltschaft zuwider für die bedingte Entlassung gemäß §§ 17 Abs 1 iVm 19 Abs 2 JGG außer Betracht, ob es der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.
Bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung ist nach § 46 Abs 4 StGB auf den Umstand Bedacht zu nehmen, inwieweit durch den bisherigen Vollzug der Strafe eine Änderung der Verhältnisse, unter denen die Tat begangen wurde, eingetreten ist oder durch Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB erreicht werden kann. Ist die Annahme berechtigt, dass der Verurteilte durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird und ihr somit zumindest gleiche Wirksamkeit zugebilligt werden kann, ist im Regelfall der Rest der Strafe bedingt nachzusehen.
Die vom Beschwerdeführer angestrebte Anwendung der bedingten Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit soll nach erkennbarer Intention des Strafrechtsänderungsgesetzes 2008 der Regelfall sein und der Vollzug der gesamten Freiheitsstrafe auf Ausnahmefälle evidenten Rückfallrisikos beschränkt bleiben ( Jerabek / Ropper in WK 2 StGB § 46 Rz 17).
Dies lässt sich aber weder aus dem Vorleben des erstmalig Verurteilten noch aus seinem Führungsverhalten ableiten.
Zwar stellen die der in Vollzug stehenden Verurteilung zugrundeliegenden Taten, bei denen A* sich als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung beteiligt hat und in diesem Rahmen unter der falschen Vorgabe, Staatsanwalt bzw Staatsanwältin oder Polizist bzw Polizistin zu sein, gewerbsmäßig betagte Opfer in zwei Angriffen durch die wahrheitswidrige Vorgabe, dass deren Tochter, deren Sohn oder ein sonst naher Angehöriger bzw eine sonst nahe Angehörige einen schweren Verkehrsunfall (mitunter mit Todesfolge) verursacht habe und deshalb deren bzw dessen Inhaftierung drohe, welche nur bei Bezahlung einer entsprechenden Kaution abgewendet werden könne, zur Übergabe von Wertgegegenständen im Wert von insgesamt 53.000 Euro verleitet hat, schwere Straftaten mit hohem sozialen Störwert dar, der aus spezialpräventiven Gründen eine Entlassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt entgegensteht.
Es ist aber zu berücksichtigen, dass es sich um die bisher einzige Verurteilung des Strafgefangenen handelt (siehe die Strafregisterauskunft ON 3 sowie die ECRIS-Auskunft im bezughabenden Akt GZ **-20, 22 und 33) und er das Haftübel erstmalig verspürt. Zudem ist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen der stetige Entwicklungsprozess zu beachten, der es grundsätzlich als verfehlt erscheinen lässt, gerade Personen dieser Altersgruppe ausschließlich an früheren Verfehlungen zu messen und erste Anzeichen positiver Entwicklung außer Acht zu lassen. Immerhin entspricht es gerade den Intentionen strafrechtlicher Sanktionierungen, Verbesserungen im Verhalten der Rechtsbrecher schließlich doch noch herbeizuführen. In diesem Sinne erscheint es angebracht, insbesondere im Zusammenhalt mit altersbedingt fortschreitender persönlicher Entwicklung stets die Erwartung aufrecht zu erhalten, dass die vom Strafvollzug intendierten erzieherischen Zwecke letztendlich erreichbar sind und ein Strafgefangener die an ihn gestellten Anforderungen am Ende erfüllen kann, obwohl er zuvor dazu womöglich noch nicht in der Lage war.
Der Äußerung des Anstaltsleiters ist zu entnehmen, dass er als Hausarbeiter beschäftigt sei, dabei eine zufriedenstellende Arbeitsleistung erbringe, seine Führung als der Hausordnung entsprechend bezeichnet werden könne und Ordnungsstrafen bis dato nicht verhängt hätten werden müssen.
Aus all dem ist abzuleiten, dass beim Beschwerdeführer der Vollzug von zwei Dritteln der Strafe ausreichen wird, um das Rückfallrisiko derart zu minimieren, dass es nicht mehr als evident anzusehen ist, sondern vielmehr in Verbindung mit der Anordnung von Bewährungshilfe davon ausgegangen werden kann, dass der weitere Vollzug nicht besser geeignet wäre, den Verurteilten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten, als die bedingte Entlassung.
An diesem Kalkül ändert auch die gegen A* bestehende (aus der Äußerung des Anstaltsleiters abzuleitende [ON 5, 4]) Festnahmeanordnung des BFA nichts, zumal die Ausreise nach Polen und somit in ein Mitgliedsland der EU erfolgen wird und eine Überwachung der in concreto zwingend anzuordnenden Bewährungshilfe durch § 95 EU-JZG gewährleistet werden kann.
Insgesamt werden nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit daher keine spezialpräventiven Gründe mehr gegen die bedingte Entlassung des A* sprechen.
Unter Berücksichtigung der Vorgabe des § 46 Abs 1 StGB, dem längeren Strafvollzug zur Sicherung des erzielten Erfolges noch einen „Vollzug in Freiheit“ anzuschließen, dadurch die Möglichkeit der Nachbetreuung bzw nachfolgenden Überwachung zu eröffnen und somit auf diese Weise als Mittel der Resozialisierung kontrollierte Freiheit zu schaffen, kann sich eine bedingte Entlassung samt angeordneten Unterstützungsmaßnahmen, die ihn gleichzeitig unter weitere Kontrolle stellt, im Ergebnis als wirksamer erweisen als der restlose Vollzug (vgl zu all dem Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 14 § 46 Rz 4).
Vor der Entlassung wird einerseits die Bewährungshilfe sowie die zuständige Fremdenbehörde umgehend zu verständigen und die entsprechenden Verfügungen zu treffen sein, um die Durchführung und Überwachung der Bewährungshilfe in Polen sicherzustellen (vgl. § 95 EU-JZG).