10Rs103/24a – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Atria als Vorsitzenden, die Richter Dr. Schober und Mag. Marchel sowie die fachkundigen Laienrichter Christoph Guserl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Regina Müller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, geboren am **, LKW Fahrer, **, vertreten durch Mag. Isabella Bucher, Rechtsanwältin in Horn, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , **, vertreten durch Mag. Matthias Pölzer, ebendort, wegen Invaliditätspension, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits und Sozialgericht vom 22. August 2024, ** 30, in der korrigierten Fassung vom 14.10.2024 (ON 30.1), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es unter Einschluss des in Rechtskraft erwachsenen Teils lautet:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei eine Invaliditätspension in gesetzlichem Ausmaß ab 1.12.2023 zu gewähren und ihr eine vorläufige Leistung im gesetzlichen Ausmaß zu erbringen, wird abgewiesen.
Vorübergehende Invalidität im Ausmaß von mindestens sechs Monaten liegt ebenfalls nicht vor. Daher besteht kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.
Es besteht kein Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation.
Es besteht kein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation.
Die klagende Partei hat ihre Verfahrenskosten selbst zu tragen.“
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Berufungsbeantwortung selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Text
Mit Bescheid vom 1.2.2024 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 23.11.2023 auf Gewährung einer Invaliditätspension ab, weil Invalidität nicht dauerhaft vorliege. Sie sprach weiters aus, dass auch vorübergehende Invalidität im Ausmaß von mindestens sechs Monaten nicht vorliege und daher kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung bestehe; weiters bestünde weder ein Anspruch auf medizinische Maßnahmen, noch ein solcher auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation.
Dagegen richtet sich die Klage mit dem Antrag, dem Kläger eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.12.2023 zu gewähren sowie eine vorläufige Leistung im gesetzlichen Ausmaß zu erbringen. Aufgrund seines Leidenszustandes sei dieser nicht mehr im Stande, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen und wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein geistig und körperlich gesunder Versicherter regelmäßig zu erzielen pflege.
Die Beklagte wandte ein, der Kläger sei im Beobachtungszeitraum des § 255 Abs 2 ASVG nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig gewesen. Er sei infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht außer Stande, durch eine Tätigkeit, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch bewertet werde und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden könne, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflege. In Bezug auf seine in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 157 Monate hindurch ausgeübte Tätigkeit als LKW Fahrer sei Tätigkeitsschutz gemäß § 255 Abs 4 ASVG nicht anzunehmen, weil der Kläger noch in der Lage sei, eine fahrende Tätigkeit auszuüben.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren auf Gewährung einer Invaliditätspension für den Zeitraum vom 1.12.2023 bis 31.5.2024 – unbekämpft – ab und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger ab 1.6.2024 eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und bis zur Rechtskraft des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Leistung von EUR 1.000 monatlich zu erbringen. Es traf die auf den Urteilsseiten 3 bis 7 ersichtlichen Feststellungen, auf die grundsätzlich zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Zusammengefasst wird davon hervorgehoben:
Der am ** geborene Kläger hat insgesamt 470 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben. In den letzten 15 Jahren vor dem 1.12.2023 war er bei diversen Dienstgebern als Zustellfahrer mittels LKW tätig; für seine Arbeit war stets der Führerschein der Klasse C bzw CE erforderlich. Von 12.11.2004 bis 16.11.2011 transportierte er für seinen Dienstgeber Staubgut mit einem Silo Lkw, den er selbst zu be und entladen hatte. Halbzeitig lenkte und fuhr er dabei den LKW; in der anderen Hälfte seiner Arbeitszeit war er mit der Be und Entladung sowie der Reinigung des Silo LKW beschäftigt. Von 22.3. bis 20.4.2012 und von 3.4. bis 28.9.2014 beförderte er als Lkw-Fahrer Güter für ein Transportunternehmen. Vom 23.4.2012 bis 10.10.2013 verrichtete er regelmäßig LKW Fahrten im Raum ** oder ** und belud den LKW am Abfahrtsort eigenständig. Bei den Kunden wurden die Güter teilweise selbstständig entladen; der Kläger hatte dafür eine Elektroameise bzw einen Hubwagen oder Stapler zur Verfügung. Von 1.12.2014 bis 3.1.2023 war er schließlich als LKW Fahrer im Milchtransport beschäftigt. Er brachte Rohmilch mit einem Hänger oder Sattelzug zur Molkerei, kontrollierte sie mittels Hemmstoff Schnelltest, lud sie ab und reinigte danach das Fahrzeug. Im Normalfall führte er zwei Abtransporte pro Tag durch; bei einer 12- bis 13-stündigen Einsatzzeit pro Tag kam er auf eine ca 9 stündige Fahrzeit mit dem LKW.
Der Kläger ist aufgrund diverser Leiden in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt; so sind ihm beispielsweise nur mehr leichte körperliche Arbeiten zumutbar. Arbeiten im Sitzen ist ihm vollzeitig möglich; die notwendigen Haltungswechsel sind nicht zwingend in einer gehenden oder stehenden Arbeitshaltung auszuführen. Tätigkeiten mit mehr als drittelzeitig besonderem Zeitdruck sind unter anderen ausgeschlossen. Das Minimalleistungsprofil eines Berufskraftfahrers/LKW Lenkers sieht maximal leichte Arbeiten im überwiegenden (Dauer )Sitzen ohne die Möglichkeit zu regelmäßigen Ausgleichsbewegungen vor; die psychische und geistige Eignung zum berufsbedingten KFZ Lenken und ein gutes Sehvermögen sind erforderlich; nur bei Terminlieferung, wie etwa von einem Zustellfahrer gefordert, kommt es auch zu Arbeiten unter fallweise überdurchschnittlichem Zeitdruck. Bei LKW Lenkern mit Ladetätigkeiten kommt es in Bezug auf das Lenken des Kraftfahrzeuges zweidrittelzeitig zu maximal leichten körperlichen Arbeiten; hinsichtlich der Be und Entladetätigkeit, der Ladungssicherungstätigkeiten und der Wartungsarbeiten kommt es – abhängig von Ladegut und technischen Hilfsmitteln zu körperlich leichten und fallweise mittelschweren (punktuellen) Belastungen; in spezifischen Verwendungen, wie zum Beispiel als Zustellfahrer für Möbel, Sperrgut, Getränke, sind fallweise auch schwere Arbeiten zu verrichten. Dem Kläger ist daher eine Tätigkeit als LKW Lenker im Sinne eines Zustellfahrers mit manueller Ladetätigkeit nicht mehr zumutbar, weil dabei sein medizinisches Leistungskalkül überschritten wird. Zumutbar wäre ihm aber eine Tätigkeit als LKW Lenker im Containertransport oder unter Verwendung von Hakenlastsystemen oder Ladekränen, im Baustellenverkehr oder im Speditionsverkehr bzw im Bereich der Güterbeförderung ohne Ladevorgänge, weil dabei das Erfordernis fehlt, Güter durch Ziehen, Tragen oder Schieben zu manipulieren. Zwischen der Tätigkeit als LKW Lenker mit und jener ohne Ladetätigkeit gibt es vom soziokulturellen Umfeld oder den Einkommenschancen her keine Unterschiede. Kalkülsentsprechend könnte der Kläger auch als Fuhrparkleiter in der Betriebslogistik eingesetzt werden, wobei dann nur mehr im geringen Umfang ein Kfz zu lenken wäre. Es handelt sich dabei um eine Angestelltentätigkeit, die vorwiegend in einem Büro und somit in einem anderen soziokulturellen Umfeld als bisher auszuüben wäre. Weiters wäre die Tätigkeit eines Apothekenzustellers zumutbar, bei der der Kläger die Güter mit einem PKW oder einem Kleinbus, jedoch nicht mit einem LKW zustellen würde.
Die genannten Verweisungstätigkeiten sind am österreichischen Arbeitsmarkt jeweils in ausreichender Anzahl vorhanden.
In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht für den Zeitraum von 1.12.2023 bis 31.5.2024 einen Anspruch auf Invaliditätspension, weil der Kläger als ungelernter Arbeiter iSd § 255 Abs 3 ASVG noch auf Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden könne, die seinem medizinischen Leistungskalkül entsprächen. Durch Vollendung des 60. Lebensjahres im Mai 2024 sei allerdings zum 1.6.2024 ein neuer Stichtag ausgelöst worden. Da er in den letzten 15 Jahren vor diesem Stichtag mehr als 120 Monate lang als LKW Fahrer mit Ladetätigkeiten beschäftigt gewesen sei, die manuellen Manipulationsarbeiten dabei auf fast die Hälfte seiner Arbeitszeit entfallen seien und zusammen mit dem LKW Lenken den Kern seiner früheren Tätigkeit ausgemacht hätten, ihm aber nur mehr das LKW Fahren ohne Ladevorgänge zugemutet werden könne, greife der Tätigkeitsschutz des § 255 Abs 4 ASVG. Andere Verweisungen kämen auch nicht in Frage; so unterscheide sich die (Angestellten-)Tätigkeit eines Fuhrparkmitarbeiters wesentlich von jener eines LKW Lenkers; für die Tätigkeit als Zustellfahrer mit PKW reiche ein Führerschein der Klasse B; dagegen habe der Kläger für seine Beschäftigungen immer einen Führerschein der Klassen C oder CE benötigt und dadurch über das durchschnittliche Maß (im Sinne eines Führerscheins der Klasse B) hinausgehende Fähigkeiten und Kenntnisse erworben. Mangels Verweisbarkeit sei daher von dauerhafter Invalidität ab 1.6.2024 auszugehen und die Invaliditätspension ab diesem Datum zu gewähren.
Gegen den zusprechenden Teil des Urteils richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des Urteils im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist berechtigt .
1. Der Berufung zufolge habe der Kläger in seinen Dienstverhältnissen der letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in ausreichendem Ausmaß auch die Tätigkeit des Lenkens eines LKW an sich ausgeführt, sodass selbst bei Wegfall der mit diesen Anstellungen verbundenen Be , Entlade und Reinigungsvorgänge eine Verweisung des Klägers auf die Teiltätigkeit Lenken eines LKW ohne Ladetätigkeit im Rahmen des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG erlaubt sei. Für die nicht bloß untergeordnete Teiltätigkeit des Fahrens eines LKW, die dem medizinischen Leistungskalkül des Klägers noch entspreche, gebe es am bundesweiten Arbeitsmarkt ausreichend Berufe. Ob der Kläger auf Tätigkeiten verwiesen werden könne, die nicht berufsschutzerhaltend seien, sei hier mangels Berufsschutzes nicht relevant. Ein LKW Fahrer, der bislang auch Ladetätigkeiten verrichtet habe, dürfe jedenfalls auf eine Tätigkeit als LKW Fahrer ohne Ladevorgänge verwiesen werden, weil die damit einhergehende Änderung der bisherigen Tätigkeit wesentlich geringer ausfalle, als dies bei der vom OGH im Rahmen des Tätigkeitsschutzes gebilligten Verweisbarkeit eines LKW Fahrers auf die Tätigkeit eines Kleinlastkraftwagenfahrers oder Zustellers der Fall sei. Zudem träten vom soziokulturellen Umfeld und den Einkommenschancen keine Unterschiede ein.
2. Diese Ausführungen sind im Ergebnis berechtigt:
2.1. Als invalid gilt gemäß § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG auch der (die) Versicherte, der (die) das 60. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei handelt es sich nicht um einen Arbeitsplatzschutz, sondern um eine besondere Form des Berufsschutzes. § 255 Abs 4 ASVG stellt nicht auf die Anforderungen an einen bestimmten Arbeitsplatz ab, sondern auf die „Tätigkeit“ mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (10 ObS 40/22p; RS0087658 [T2]; RS0087659 [T9]).
2.2. Während des Verfahrens hat der Kläger das 60. Lebensjahr vollendet, wodurch, wie das Erstgericht zutreffend festhielt, zum 1.6.2024 ein neuer Stichtag ausgelöst wurde (vgl RS0084533). In die letzten 15 Jahre vor dem neuen Stichtag fallen nunmehr 151 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit. Die festgestellten Beschäftigungen weisen unstrittig als wesentliches Tätigkeitselement das Lenken eines LKW auf. Im ersten hier nur mehr mit 24 Monaten zu berücksichtigenden Dienstverhältnis machte das Lenken eines LKW die Hälfte der Arbeitszeit aus. Die andere Hälfte entfiel auf Be , Entlade sowie Reinigungsvorgänge. Bei den folgenden Dienstverhältnissen überwog die LKW Fahrzeit aber deutlich jene Arbeitszeit, die für Ladevorgänge und diverse andere Tätigkeiten aufging.
2.3. Dem Erstgericht ist darin beizupflichten, dass an das Kriterium „eine Tätigkeit“ iSd § 255 Abs 4 ASVG nicht allzu strenge Maßstäbe anzulegen sind, um nicht von vornherein die Neuregelung nur in Ausnahmsfällen anwendbar werden zu lassen. Unter dem Begriff der „einen“ Tätigkeit ist nicht nur eine einzige (einheitliche) Tätigkeit zu verstehen; sondern es können bei mehreren ausgeübten Tätigkeiten – unter Bedachtnahme auf die wesentlichen Tätigkeitselemente (den Kernbereich) – auch sehr ähnliche Tätigkeiten zu einer Tätigkeit zusammengefasst werden (RS0117063 [T2]).
Gemäß § 255 Abs 4 Satz 2 ASVG sind „zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit“ zu berücksichtigen. Der Begriff der zumutbaren Änderung ist nach der Rechtsprechung eng zu interpretieren (RS0100022 [T3, T6]). Eine Verweisung (bzw Änderung der Tätigkeit) wird dann als zumutbar angesehen, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine Teiltätigkeit ausgeübt wurde, keine gravierende Lohneinbuße damit verbunden und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist (RS0100022; 10 ObS 40/22p).
2.4. Was die zumutbare Änderung der Tätigkeit von Berufskraftfahrern im Rahmen des § 255 Abs 4 ASVG betrifft, billigte der OGH beispielsweise die Verweisung eines bisher überwiegend im Gütertransport tätigen LKW Fahrer auf die Tätigkeit als Übersteller von Neuwagen und in der Personenbeförderung (10 ObS 72/12d). Zu 10 ObS 21/04t – betreffend einen Lieferwagenfahrer, dem kein Berufsschutz zukam – sprach er aus, dass Tätigkeiten im Personentransport (Direktionschauffeur oder Lenker im Behindertenfahrtendienst) eine zumutbare Änderung der bisherigen Tätigkeit im Gütertransport iSd § 255 Abs 4 ASVG darstellen. In gleicher Weise gelangte er in der Entscheidung 10 ObS 113/08b zum Ergebnis, dass die Tätigkeit eines Apothekenzustellers im innerstädtischen Bereich eine „zumutbare Änderung“ der Tätigkeit des (damaligen) Klägers als Buschauffeur sei. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass als arbeitskulturelles Umfeld der weite Bereich von Verkehr und Transport auf öffentlichen Straßen in Betracht komme, der keine wesentliche Änderung erfahre. Der Erwerb neuer Kenntnisse sei nicht erforderlich. Der Kernbereich der Tätigkeit (Lenken von Kraftfahrzeugen) erfahre keine Änderung. Kontakte mit Kunden seien wenn auch in unterschiedlicher Form bei beiden Tätigkeiten gegeben. In der Entscheidung 10 ObS 186/03f wurde ausgesprochen, dass die Tätigkeit als LKW Fernfahrer und die Tätigkeit als Zustellfahrer sehr ähnliche Tätigkeiten seien, welche das Lenken von Kraftfahrzeugen sowie den Transport und die Zustellung von Gütern zum wesentlichen Inhalt hätten.
2.5. Davon ausgehend ist hier zu prüfen, ob der Kernbereich der bisher vom Kläger ausgeübten Tätigkeit als Lkw-Fahrer mit Ladevorgängen durch deren Wegfall eine unzumutbare Änderung erfährt. Unstrittig ist, dass sich dadurch weder die arbeitskulturellen Umstände noch die Einkommenschancen ändern. Aber auch der Entfall der Ladetätigkeiten modifiziert den Kernbereich der bisherigen „einen“ Tätigkeit des Klägers nicht wesentlich. Für diese war charakteristisch, dass er für Kunden/Auftraggeber der ihn beschäftigenden Unternehmen Waren oder Güter, die am Abfahrtsort auf den LKW geladen und am Ankunftsort wieder abgeladen wurden, von einem Ort zum anderen brachte. Diese Arbeitsabläufe ändern sich nur unerheblich dadurch, dass die Ladevorgänge mit technischen Hilfsmitteln so etwa im Containertransport, im Speditionsverkehr oder bei LKW mit Hakenlastsystem oder Ladekran vorgenommen werden. Der einzige Unterschied besteht darin, dass nicht der Kläger selbst diese seinem medizinischen Leistungskalkül nicht mehr entsprechenden Arbeitsschritte setzt, sondern sie von anderen bzw technischen Hilfsmitteln ausführen lässt.
Eine Tätigkeit, die einerseits als „eine“ Tätigkeit zu qualifizieren ist, stellt andererseits jedenfalls auch eine zumutbare Verweisungstätigkeit dar (10 ObS 280/03d). Die Frage der zumutbaren Änderung stellt sich daher gar nicht, wenn zum Beispiel ein Textilarbeiter (Hilfskraft) am konkreten Arbeitsplatz das Scheren von Stoffspannen nicht mehr durchführen, jedoch für Zuschneidearbeiten noch diverse Maschinen bedienen kann (10 ObS 367/02x). In diesem Sinne kann nach der Rechtsprechung die „Einheitlichkeit“ einer Tätigkeit auch dann bejaht werden, wenn die vom Versicherten verrichtete Arbeit durch technische Hilfsmittel leichter und damit die körperliche Beanspruchung reduziert wird (SSV NF 18/8).
Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen und der unter Pkt 2.4. dargestellten Entscheidungen, die grundsätzlich von der Ähnlichkeit von Tätigkeiten eines Berufskraftfahrers ausgehen, solange diesem – wie hier – das Lenken eines Kraftfahrzeugs zumutbar ist, bleibt der Kernbereich der Tätigkeit des Klägers – das Lenken eines LKW mit Ladevorgängen, wobei die Fahrzeit wie bisher meist überwiegt – nahezu gleich. Dass er den LKW dabei nicht mehr selbst be- und entlädt, ist daher eine zumutbare Änderung der „einen“ Tätigkeit des Klägers iSd § 255 Abs 4 Satz 2 ASVG.
2.6. Zu 10 ObS 19/09f wurde zwar festgehalten, dass eine Verweisung des (damaligen) Klägers, der Berufsschutz als gelernter Berufskraftfahrer nach § 255 Abs 1 ASVG hatte, auf die von den Vorinstanzen genannten – unqualifizierten Tätigkeiten im Personentransport nicht in Betracht komme, weil der (damalige) Kläger dadurch seinen Berufsschutz verlieren würde; der Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG solle für qualifizierte Versicherte günstiger wirken als der Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG. Entgegen der Berufungsbeantwortung trifft diese Erwägung auf den Kläger hier nicht zu, weil er unbestritten keinen Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG genießt (vgl auch 10 ObS 72/12d). Aber auch aus der vom Erstgericht herangezogenen Entscheidung 10 ObS 12/04v ist für ihn nichts zu gewinnen: Dass ein in einem Steinbruch tätig gewesener Muldenkippenfahrer nicht auf die Tätigkeit als Zusteller auf öffentlichen Straßen mit leichten Zustellfahrzeugen verwiesen werden darf, ist vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass es sich bei diesen beiden Tätigkeiten um bereits in ihrem Kernbereich unterschiedliche Tätigkeiten handelt.
3. Damit ist der Berufung Folge zu geben und das Ersturteil entsprechend dem Berufungsantrag unter Bescheidwiederholung dahin abzuändern, dass der Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension zur Gänze abgewiesen wird und ein Kostenersatz entfällt (siehe gleich Pkt 4.).
4. Kosten rechtsanwaltlicher Vertretung waren weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Berufungsverfahren zuzusprechen. Nach dem Wortlaut des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG setzt ein Kostenersatz nach Billigkeit voraus, dass sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen, als auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten einen Kostenersatz nahelegen (10 ObS 63/13g mwN uva). Dass diese Voraussetzungen gegeben wären, wurde nicht geltend gemacht und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt ( Neumayr in Neumayr/Reissner , Zellkomm 3 § 77 ASGG Rz 13). Von einer erheblichen Rechtsfrage, die erst die Annahme tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten rechtfertigen würde, ist nicht auszugehen (siehe unten Pkt 5.) (vgl Neumayr aaO Rz 14).
5. Die Frage, ob eine Verweisungstätigkeit eine „zumutbare Änderung“ der im Sinne des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG maßgebenden „einen“ Tätigkeit darstellt, kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und bildet regelmäßig keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage (vgl 10 ObS 125/09v; 10 ObS 72/12d; RS00117063 [T7]). Die ordentliche Revision war daher nicht zuzulassen.