8Rs13/25b – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek, den Richter Mag. Zechmeister und die Richterin Dr. Heissenberger, LL.M., sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.BW MBA Michael Choc und Christian Römer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. A* , **, vertreten durch Mag. B* ua, Angestellte der Kammer für Arbeiter und Angestellte für **, **, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 7.6.2024, **-34, gemäß den §§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger ab 1.2.2023 die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß bzw in eventu zumutbare Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation zu gewähren, ab.
Das Erstgericht stellte den auf den Seiten 2 bis 5 des angefochtenen Urteils ersichtlichen Sachverhalt fest, auf den verwiesen wird.
Rechtlich kam das Erstgericht - soweit für das Berufungsverfahren relevant - zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass der Kläger seine aufgrund seiner bisherigen Verwendung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in den festgestellten juristischen Angestelltentätigkeiten (wie etwa als Jurist in Wirtschaftsunternehmungen), bei denen kein einwandfreies Hörvermögen erforderlich sei, einsetzen und daher auf diese Berufe verwiesen werden könne. Es liege demzufolge keine Berufsunfähigkeit vor.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, „unrichtiger Würdigung der aufgenommenen Beweise“, sowie „unrichtiger rechtlicher Beurteilung und infolge dieser auch mangelhafte Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts“ mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte hat auf die Erstattung einer Berufungsbeantwortung verzichtet.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1. Vorweg ist festzuhalten, dass der Kläger in seiner Berufung Berufungsgründe vermengt; er verstößt damit gegen das Gebot, die Berufungsgründe getrennt darzustellen. Dies hat zufolge, dass allfällige Unklarheiten zu seinen Lasten gehen ( Kodek in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 471 ZPO Rz 17; RIS-Justiz RS0041761), und Ausführungen, die nicht hinreichend deutlich einem Rechtsmittelgrund zugeordnet werden können, unbeachtet zu bleiben haben ( Kodek aaO; RIS-Justiz RS0041851).
Die Berufung des Klägers weist nicht einmal ansatzweise eine getrennte Darstellung der Berufungsgründe auf.
2. Außerdem führt der Kläger zum Teil Berufungsgründe an, die es in dieser Form in der ZPO nicht gibt.
2.1. So gibt es nicht den vom Berufungswerber angegebenen Berufungsgrund der „unrichtigen Würdigung der aufgenommenen Beweise“. Der Kläger will damit offenbar eine Tatsachenrüge erheben. Mit einer Tatsachenrüge werden die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts bekämpft; im Gegensatz zur Aktenwidrigkeitsrüge jedoch mit der Darlegung, dass die angegriffenen Feststellungen das Ergebnis einer unrichtigen Würdigung der aufgenommenen Beweise oder einer unrichtigen Anwendung von Erfahrungssätzen oder der Heranziehung unzutreffender Erfahrungssätze seien ( Kodek aaO § 471 ZPO Rz 15).
2.2. Auch der vom Kläger geltend gemachte Berufungsgrund der „mangelhaften Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung“ stellt keinen Berufungsgrund im Sinne der ZPO dar. Der Kläger macht damit keine Tatsachenrüge geltend, weil eine solche - wie soeben aufgezeigt wurde - Tatsachenfeststellungen des Ersturteils mit der Darlegung bekämpft, dass die angegriffenen Feststellungen das Ergebnis einer unrichtigen Würdigung der aufgenommenen Beweise oder einer unrichtigen Anwendung von Erfahrungssätzen oder der Heranziehung unzutreffender Erfahrungssätze seien. Eine Tatsachenrüge kann demzufolge mit einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung - wie dies aber der Berufungswerber macht - nicht begründet werden.
2.3. Offenbar will der Kläger mit dem „Berufungsgrund“ einer „mangelhaften Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung“ rechtliche Feststellungsmängel geltend machen, die mit Rechtsrüge geltend zu machen sind (vgl Kodek aaO § 496 ZPO Rz 10 mwN).
3. Das Berufungsgericht versucht im Folgenden die Berufungsausführungen den verschiedenen Berufungsgründen zuzuordnen.
3.1. Der Kläger bringt mit seiner Berufung den Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht gesetzmäßig zur Ausführung.
Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist nur dann gegeben, wenn der behauptete Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz abstrakt geeignet war, eine erschöpfende und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (RIS-Justiz RS0043049; RS0043027). Der Rechtsmittelwerber hat die abstrakte Eignung darzutun, wenn die Erheblichkeit des Mangels nicht offenkundig ist (RIS-Justiz RS0043049 [T6]). Er muss in seiner Verfahrensrüge nachvollziehbar ausführen, welche für ihn günstigen Verfahrensergebnisse zu erwarten gewesen wären, wenn der Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre (RIS-Justiz RS0043039 [T4, T5]).
Der Kläger unterlässt es, ausreichend konkret anzugeben, hinsichtlich welcher Tatsachenfeststellungen den behaupteten Verfahrensmängeln überhaupt Relevanz zukommen soll. In diesem Zusammenhang genügt es daher nicht, dass der Kläger Widersprüche in den eingeholten Sachverständigengutachten behauptet und zur Aufklärung dieser Widersprüchlichkeiten „ganz genaue Erhebungen und Feststellungen“ als erforderlich erachtet.
3.2. Der Berufung lässt sich auch keine gesetzmäßig ausgeführte Tatsachenrüge entnehmen.
Um die Tatsachenrüge iSd ständigen Rechtsprechung „gesetzmäßig“ auszuführen, muss der Rechtsmittelwerber nämlich deutlich zum Ausdruck bringen, welche konkrete Feststellung bekämpft wird, infolge welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde, welche Feststellung begehrt wird und aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen die begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre (RIS-Justiz RS0041835 [T5]; 10 ObS 129/02x; 10 ObS 15/12x; 1 Ob 202/13g; 1 Ob 85/15d; 3 Ob 118/18a).
Die Berufung weist keine gesetzmäßig ausgeführte Tatsachenrüge auf, weil sie weder konkrete Feststellungen anführt, die sie bekämpft, noch angibt, welche Ersatzfeststellungen sie konkret begehrt. Die Berufung begnügt sich vielmehr im Wesentlichen damit, sich mit verschiedenen Beweisergebnissen des erstinstanzlichen Verfahrens auseinanderzusetzen und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die eingeholten Sachverständigengutachten zu behaupten. Dies reicht jedoch für eine gesetzmäßig ausgeführte Tatsachenrüge nicht aus.
3.3. Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass auch bei Vorliegen einer gesetzmäßig ausgeführten Mängelrüge oder Tatsachenrüge diesen Berufungsgründen keine inhaltliche Berechtigung zukäme.
Die erstgerichtlichen Feststellungen finden Deckung in den eingeholten Gutachten. Ein entscheidungsrelevanter Widerspruch in den eingeholten Sachverständigengutachten liegt nicht vor. In der Tagsatzung vom 7.6.2024 (vgl ON 33, S 2) fand unter anderem im Beisein des Klägers und seines Rechtsvertreters eine Erörterung und Ergänzung der eingeholten Gutachten statt. Der HNO-Sachverständige Dr. C* stellte dabei klar, dass die Hörstörung des Klägers den Hochfrequenzbereich betreffe, unter ruhigen Umgebungsbedingungen eine mehr oder weniger normale Verständigung möglich sei und auch bei Lippenkontakt oder 1:1-Kontakt eine im Wesentlichen uneingeschränkte Verständigung möglich sei. Die berufskundliche Sachverständige Mag. D* hielt auch nach der Erörterung und Ergänzung der medizinischen Gutachten in der Tagsatzung vom 7.6.2024 ihr schriftliches Ergänzungsgutachten ON 27 aufrecht, wonach der Kläger die Erwerbstätigkeit eines Juristen in der Wirtschaft ohne Gefährdung seiner Gesundheit ausüben könne (vgl ON 27, S 8).
Klarstellend ist festzuhalten, dass auch kein Widerspruch zwischen den erstgerichtlichen Feststellungen zum Anforderungsprofil an Juristen in der Wirtschaft und dem Leistungskalkül des Klägers besteht. Teil des Anforderungsprofils eines Juristen in der Wirtschaft ist es, dass das Hörvermögen soweit erhalten sein muss, dass eine Verständigung bei relativ ruhiger Umgebung in einer Entfernung bis drei Meter möglich ist (vgl S 3 Mitte des angefochtenen Urteils). Nach den Feststellungen zum Leistungskalkül des Klägers betrifft die Hörstörung beim Kläger nur den Hochfrequenzbereich. Unter ruhigen Umgebungsbedingungen bzw bei Lippenkontakt oder 1:1-Kontakt ist eine im Wesentlichen uneingeschränkte Verständigung möglich. Diese Feststellungen finden Deckung in den eingeholten Sachverständigengutachten und sind unbedenklich.
Da dem Kläger somit unter ruhigen Umgebungsbedingungen eine im Wesentlichen uneingeschränkte Verständigung möglich ist, erfüllt er auch das Anforderungsprofil eines Juristen in der Wirtschaft, bei dem das Hörvermögen soweit erhalten sein muss, dass eine Verständigung bei relativer ruhiger Umgebung in einer Entfernung bis 3 m möglich ist.
Soweit der Kläger in der Berufung auf frühere Ausführungen des HNO-Sachverständigen Dr. C* Bezug nimmt und damit seinen Prozessstandpunkt zu begründen versucht, ist ihm zu entgegnen, dass - wie oben bereits näher dargelegt wurde - Dr. C* in der Tagsatzung vom 7.6.2024 zu dieser Thematik näher Stellung genommen und klargestellt hat, dass die Hörstörung des Klägers den Hochfrequenzbereich betrifft und ihm unter ruhigen Umgebungsbedingungen (oder bei Lippenkontakt bzw bei 1:1-Kontakt) eine mehr oder weniger normale Verständigung möglich ist (vgl ON 33, S 2).
3.4. Der Berufung ist auch keine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge zu entnehmen.
Die gesetzmäßige Ausführung des Rechtsmittelgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erfordert nämlich die Darlegung, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache unrichtig erscheint. Die bloße, in verschiedenen Formulierungen ausgedrückte, auch begründungslos bleibende Behauptung, es sei eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgelegen, genügt nicht (vgl Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 471 ZPO Rz 16 mwN; RIS-Justiz RS0043603). Eine Rechtsrüge ist nicht gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie sich darauf beschränkt, allgemein die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen rechtlichen Beurteilung zu behaupten, ohne dies (nachvollziehbar) zu konkretisieren (vgl RIS-Justiz RS0043603 [T12]; 2 Ob 84/12k). Wird die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, was insbesondere auch dann zutrifft, wenn der Rechtsmittelwerber - wie hier - nicht von den getroffenen Feststellungen ausgeht, dann liegt in Wahrheit keine Rechtsrüge vor, sodass die rechtliche Beurteilung des Ersturteiles nicht überprüft werden darf ( Kodek aaO mwN).
Eine gesetzmäßige Ausführung des Rechtsmittelgrunds der unrichtigen rechtlichen Beurteilung liegt in mehrfacher Hinsicht nicht vor. Zum einen geht der Berufungswerber nicht von den getroffenen Feststellungen aus. Zum anderen setzt er sich mit der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Urteils nicht ausreichend substantiiert auseinander.
Der Rechtsrüge ist zusammengefasst entgegenzuhalten, dass das Erstgericht - vom Kläger nicht oder zumindest nicht gesetzmäßig bekämpft - festgestellt hat, dass der Kläger mit seinem medizinischen Kalkül weiterhin juristische Angestelltentätigkeiten, etwa als Jurist in Wirtschaftsunternehmen, eingeschränkt auf Arbeiten unter üblichen akustischen Umgebungsbedingungen verrichten kann und es für derartige Tätigkeiten auf dem gesamtösterreichischen Arbeitsmarkt jedenfalls mehr als 100 Arbeitsplätze gibt. Ausgehend von dieser Feststellung ist das Erstgericht zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Kläger keine Berufsunfähigkeit im Sinn des § 273 Abs 1 ASVG vorliegt.
3.5. Die Berufung zeigt auch keinen sekundären Verfahrensmangel im Sinn des § 496 Abs 1 Z 3 ZPO auf. Somit gelingt es dem Kläger auch in diesem Zusammenhang nicht, eine Rechtsrüge gesetzmäßig auszuführen.
4. Der hinsichtlich aller geltend gemachten Berufungsgründe nicht gesetzmäßig ausgeführten Berufung war daher nicht Folge zu geben (vgl 1 Ob 99/03w).
5. Ein Kostenausspruch konnte entfallen, weil Kosten nicht verzeichnet wurden.
6. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil eine Rechtsfrage von der im § 502 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG geforderten Qualität nicht zur Beurteilung stand, zumal der Kläger keine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge erhoben hat und eine im Berufsverfahren versäumte oder nicht gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgetragen werden kann, wobei dieser Grundsatz ungeachtet § 87 Abs 1 ASGG auch im Verfahren in Sozialrechtssachen gilt (RIS-Justiz RS0043480).