JudikaturOLG Wien

9Rs143/24a – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
25. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Pöhlmann als Vorsitzenden, die Richterinnen Mag. Oberbauer und Mag. Dr. Vogler sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Barbara Holzer und Mag. Reinhold Wipfel in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Mag. Georg Mitteregger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, **, vertreten durch Mag. Ines Pawloy u.a., ebendort, wegen Feststellung und Versehrtenrente, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 6.5.2024, **-14, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

Text

Mit Bescheid vom 2.1.2024 sprach die Beklagte aus, dass das Ereignis vom 25.5.2022 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde und kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren auf Feststellung, dass näher angeführte Gesundheitsbeeinträchtigungen Folge eines Arbeitsunfalls vom 25.5.2022 seien, sowie auf Gewährung einer Versehrtenrente.

Die Beklagte wendet ein, es habe am 25.5.2022 kein Unfallereignis stattgefunden. Darüber hinaus fehle ein Feststellungsinteresse, weil die kausalen Unfallfolgen bereits folgenlos abgeklungen seien. Die beim Kläger weiterhin bestehenden Beschwerden seien auf akausale Abnützungserscheinungen zurückzuführen und stünden mit dem angegebenen Ereignis in keinem Zusammenhang.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht sowohl das Feststellungsbegehren als auch das Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente in Bezug auf das Ereignis vom 27.5.2022 [gemeint wohl: 25.5.2022] ab.

Es legte dieser Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Am 25.5.2022 stellte sich der bei B* GmbH beschäftigte Kläger im Zuge von Malerarbeiten auf einen Tisch, um eine Türe zu streichen. Der Tisch stürzte um und der Kläger stürzte aus ungefähr einem Meter Höhe auf den Tisch.

Wegen anhaltender Beschwerden suchte der Kläger zwei Tage später den Hausarzt auf. Er wurde zum Röntgen des linken Brustkorbes und zum niedergelassenen Facharzt für Orthopädie überwiesen. Dieser veranlasste weitere Röntgenuntersuchungen und eine ambulante physikalische Therapie.

Der Kläger erlitt beim gegenständlichen Unfall am 25.5.2022 Prellungen der linken Schulter, des linken Ellbogens und des linken Brustkorbs, die folgenlos abgeheilt sind.

Zu diesem Zeitpunkt bestanden mit dem Ereignis vom 25.5.2022 in keinem Zusammenhang stehende Vorschäden, nämlich Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule über mehrere Etagen und eine angeborenen Flüssigkeitsansammlung im Halsmark. Ebensowenig im Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehen die Arthrosen in den Kniegelenken und das Einklemmungssyndrom in der linken Schulter.

Durch die Unfallfolgen aus dem Ereignis vom 25.5.2022 besteht über das dritte Monat nach Eintritt des Unfallereignisses hinaus am allgemeinen Arbeitsmarkt eine MdE von 0%.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, es fehle für die Stattgebung des Feststellungsbegehrens an einer zumindest bei Schluss der Verhandlung erster Instanz bestehenden Gesundheitsstörung, weil die vom Kläger am 25.5.2022 erlittenen Prellungen folgenlos abgeheilt seien. Eine unfallkausale Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe nicht. Die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen seien auf Vorschäden und nicht auf das Ereignis vom 25.5.2022 zurückzuführen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, in eventu, es aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. Zum Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens:

1.1. Als Verfahrensmangel macht der Kläger geltend, dass das Erstgericht keine Gutachten aus den Fachbereichen der Neurologie und der Orthopädie eingeholt habe. Es habe dadurch seine amtswegige Beweisaufnahmepflicht nach § 87 Abs 1 ASGG verletzt. Da es den Kläger auch nicht darüber belehrt habe, die Einholung solcher Gutachten zu beantragen, liege auch ein Verstoß gegen die Manuduktionspflicht vor.

Weiters rügt der Kläger, dass das Erstgericht von ihm in der Tagsatzung vom 6.5.2024 vorgelegte Urkunden, nämlich unter anderem orthopädische Befunde, als verspätet zurückgewiesen habe, ohne dies im Protokoll festzuhalten. Bei entsprechender Manuduktion hätte der Kläger zudem weitere Urkunden, insbesondere orthopädische Befunde, vorgelegt und die Einvernahme seiner betreuenden Hausärztin Dr. C* sowie seiner Gattin D* beantragt.

Bei mängelfreiem Verfahren hätte das Erstgericht erhebliche weitere Verletzungen, insbesondere der Schulter und der Knie, aufgrund des Unfalls vom 25.2.2022 sowie eine erhebliche Einschränkung der Erwerbsunfähigkeit feststellen können.

Hilfsweise moniert der Kläger im Hinblick auf die als verspätet zurückgewiesenen Urkunden einen Stoffsammlungsmangel.

1.2. Im sozialgerichtlichen Verfahren geht die Reichweite der richterlichen Anleitungspflicht bei unvertretenen Parteien gem § 39 Abs 2 Z 1 ASGG iVm §§ 432, 435 ZPO über die allgemeine Anleitungspflicht des § 182 ZPO hinaus. Zusätzlich hat das Gericht gemäß § 87 Abs 1 ASGG sämtliche notwendig erscheinenden Beweise auch von Amts wegen aufzunehmen, sodass es der Anleitung zum Stellen von Beweisanträgen gar nicht bedarf.

Die vom Berufungswerber behaupteten Stoffsammlungsmängel sind daher im Hinblick auf einen allfälligen Verstoß des Erstgerichts gegen § 87 Abs 1 ASGG zu prüfen.

Die Verpflichtung zur amtswegigen Beweisaufnahme sowie zur darauf aufbauenden Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage besteht jedoch nur in Bezug auf Umstände, für deren Vorliegen sich aus den Ergebnissen des Verfahrens Anhaltspunkte ergeben. Nur dann, wenn sich aus dem Vorbringen der Parteien, aus Beweisergebnissen oder dem Inhalt des Aktes Hinweise auf das Vorliegen bestimmter entscheidungswesentlicher Tatumstände ergeben, ist das Gericht verpflichtet, diese in seine Überprüfung einzubeziehen (RS0086455). Das Gericht ist hingegen nicht verpflichtet, sein Verfahren auf alle denkbaren Umstände zu erstrecken, für deren Vorliegen keine ausreichenden Hinweise bestehen (RS0042477 [T4, T6, T7, T10]).

1.3. Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass medizinische Sachverständige die Notwendigkeit allfälliger weiterer Untersuchungen oder auch die Notwendigkeit der Einholung weiterer Sachverständigengutachten beurteilen können ( Neumayr in ZellKomm 3 § 75 ASGG Rz 9).

Unfallkausale Folgen bei einem Vorfall wie dem vorliegenden (Sturz von einem Tisch) können von einem Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Unfallchirurgie abschließend beurteilt werden, ohne dass es eines orthopädischen Gutachtens bedürfte (vgl OLG Wien 9 Rs 35/23t zum Sturz von einem Dach oder 10 Rs 86/24a zum Sturz von einem Sessel). Dasselbe gilt für die Frage der Notwendigkeit zur Einholung eines neurologischen Gutachtens.

In diesem Sinn führte der unfallchirurgische Sachverständige Dr. E* auch ausdrücklich und nachvollziehbar aus, dass keine zusätzlichen Gutachten erforderlich seien (ON 7, Seite 10). Dem Kläger gelingt es nicht, Zweifel an der Richtigkeit dieser Einschätzung zu erwecken.

Zur vom Kläger ins Treffen geführten Entscheidung des OLG Wien zu 7 Rs 375/96k ist anzumerken, dass diese nicht den Bereich der Unfallversicherung betraf, sondern ein Verfahren wegen Invaliditätspension, bei dem ein medizinisches Leistungskalkül zu ermitteln war.

1.4. Medizinische Fachfragen, wie etwa die Frage, ob eine bestimmte Verletzung bzw Gesundheitsstörung Folge eines bestimmten Ereignisses ist, sind im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nicht durch Zeugenvernehmung, sondern durch gerichtlich bestellte medizinische Sachverständige zu klären.

Es bedarf daher nicht der Einvernahme der behandelnden Ärzte im Allgemeinen, zumal ein sachverständiger Zeuge im Prozess nur über Wahrnehmungen berichten, aber keine Bewertungen vornehmen darf, sodass durch seine Vernehmung ein Sachverständigengutachten nicht entkräftet werden kann (RS0040598).

Kann der gerichtlich bestellte Sachverständige aufgrund der Beweisergebnisse schlüssig und nachvollziehbar ein Gutachten zu den tatsächlichen Verhältnissen erstatten, bedarf es sohin weder der Einvernahme behandelnder Ärzte noch des Versicherten oder seiner Ehegattin.

Dem Sachverständigen stand aufgrund der eigenen Untersuchung, den Angaben des Klägers bei der Untersuchung und den eingesehenen Befunden eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage zur Verfügung, die ihm ein schlüssiges Gutachten zu den entscheidungswesentlichen Fragen ermöglichte. Insbesondere berücksichtigte er auch den Befund einer Magnetresonanzuntersuchung des linken Schultergelenkes vom 21.06.2022, den Befund einer Röntgenuntersuchung beider Kniegelenke vom 15.03.2023, den Befund einer Röntgenuntersuchung der linken Schulter vom 24.05.2023 und eine Ultraschalluntersuchung der linken Schulter vom 24.05.2023 (ON 7, Seiten 8 f).

1.5. Welche zusätzlichen Befunde der Kläger in der Tagsatzung vorlegen hätte wollen bzw zur Vorlage welcher zusätzlichen Befunde er seiner Ansicht nach angeleitet werden hätte sollen, legt er selbst in der Berufung nicht dar, sodass die Relevanz dieses behaupteten Verfahrensmangels nicht erkennbar ist.

Zur vom Kläger behaupteten Zurückweisung der von ihm in der Tagsatzung vorgelegten Urkunden ist darauf zu verweisen, dass dies keine Deckung im Verhandlungsprotokoll findet. Darin ist sogar festgehalten, dass der Kläger auf Befragen der Vorsitzenden (unter Beiziehung einer Dolmetscherin) angab, keine orthopädischen Befund mitzuhaben (ON 12.2, Seite 2). Das gerichtliche Protokoll ist eine öffentliche Urkunde gem § 292 ZPO (RS0037323 [T16]), die nach § 215 ZPO, sofern nicht ein ausdrücklicher Widerspruch vorliegt, vollen Beweis über den Verlauf und Inhalt der Verhandlung liefert. Infolge der abschließenden Regelung der Protokollberichtigung in § 212 und § 498 Abs 2 ZPO ist § 292 Abs 2 ZPO auf Verhandlungsprotokolle nicht anzuwenden (RS0037315 [T3]).

Da der Kläger keinen Widerspruch gegen das Protokoll erhoben hat und auch keine Protokollberichtigung erfolgte, kann er sich im Berufungsverfahren nicht mehr auf eine unrichtige oder unvollständige Protokollierung berufen. Es ist daher im Sinne des Protokollierten davon auszugehen, dass er bei der Tagsatzung keine Urkunden bei sich hatte, deren Vorlage das Erstgericht zurückwies bzw deren Berücksichtigung es unterließ.

1.6. Da sohin die behaupteten Verfahrensmängel nicht vorliegen, übernimmt das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichts als das Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens und legt sie seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde.

2. Zum Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung:

2.1. Der Kläger moniert in der Rechtsrüge erneut einen Verstoß gegen § 87 ASGG und verweist auf seine Ausführungen im Rahmen der Mängelrüge. Die Unterlassung der Einholung neurologischer und orthopädischer Sachverständigengutachten habe auch dazu geführt, dass entscheidungswesentliche Tatsachen nicht festgestellt worden seien.

2.2. Die gesetzmäßige Ausführung des Berufungsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erfordert die Darlegung, aus welchen Gründen ausgehend vom konkret festgestellten Sachverhalt die rechtliche Beurteilung der Sache unrichtig erscheint (RS0043603, RS0041719; Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 471 Rz 16).

Insofern der Berufungswerber nicht vom festgestellten Sachverhalt, insbesondere der Feststellung, wonach die beim Unfall vom 25.5.2022 erlittenen Verletzungen folgenlos abgeheilt seien, ausgeht, ist die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Zum behaupteten sekundären Feststellungsmangel ist zu ergänzen, dass die Feststellungsgrundlage nur dann mangelhaft ist, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317).

Sekundäre Feststellungsmängel liegen nur dann vor, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen nicht festgestellt wurden (RS0053317 [T5]), nicht jedoch, wenn das Erstgericht zu einem bestimmten Thema – hier den Unfallfolgen - ohnehin (von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichende) Feststellungen getroffen hat (RS0053317 [T1, T3]).

Soweit der Kläger inhaltlich seine Mängelrüge wiederholt, wird auf die Ausführungen in Punkt 1. verwiesen.

3. Der unberechtigten Berufung war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 ASGG. Für einen Kostenzuspruch an den zur Gänze unterliegenden Kläger nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergaben sich keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat daher die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhing. Eine in der Berufung unterlassene (gesetzmäßig ausgeführte) Rechtsrüge kann zudem in der Revision nicht nachgeholt werden (RS0043573; RS0043480).

Rückverweise