10R8/25g – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Atria als Vorsitzenden sowie die Richter Mag. Schmoliner und Mag. Marchel in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Mag. Wolfgang Kleinhappel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B* AG C* , **, vertreten durch Mag. Viktoria Ute Maria Weihs-Caviola, Rechtsanwältin in Wien, wegen EUR 22.840 sA, über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse: EUR 8.100) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31.10.2024, GZ **-30, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei EUR 9.720 samt 4% Zinsen seit 31.5.2023 binnen vierzehn Tagen zu zahlen.
2. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer EUR 13.120 samt 4% Zinsen seit 24.4.2023 sowie 4% Zinsen aus EUR 9.720 von 24.4.2023 bis 30.5.2023 binnen vierzehn Tagen zu zahlen, wird abgewiesen.
3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 535,72 bestimmten saldierten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 195,87 bestimmten saldierten Kosten des Berufungsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.
Die Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Text
Am 6.3.2023 um etwa 07:00 Uhr ereignete sich bei Tageslicht und trockener Fahrbahn in **, auf der Autobahnauffahrt (**) zur A22 und A23 ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit dem von ihm gelenkten und von D* gehaltenen PKW Seat Alhambra und der bei der Beklagten haftpflichtversicherte und von E* gelenkte LKW Scania P420 beteiligt waren. Der Kläger fuhr ursprünglich von der **straße kommend am linken Fahrstreifen, der als Geradeausfahrstreifen gekennzeichnet ist und in weiterer Folge auf die A23 in Fahrtrichtung Süden führt. Da sich auf diesem linken Fahrstreifen ein Rückstau mit Kolonnenverkehr bildete, wich er auf den rechten Fahrstreifen aus, der mit Bodenmarkierungspfeilen als Rechtsabbiegestreifen markiert ist und in weiterer Folge auf die A22 führt. Auf diesem Fahrstreifen kam der Lenker des Beklagtenfahrzeuges bei der roten Ampel vor der Autobahnauffahrt hinter dem Klagsfahrzeug zum Stehen. Nach dem Umschalten der Ampel auf Grün beschleunigte der Beklagtenlenker sein Fahrzeug kontinuierlich auf maximal etwa 41 km/h bei einem Tiefenabstand von rund zwölf Meter bzw. zwei bis drei Fahrzeuglängen zum Klagsfahrzeug. Der Kläger beschleunigte sein Fahrzeug zunächst etwa genauso, reduzierte aber dann sein Tempo, weil er versuchen wollte, auf den linken Fahrstreifen zu wechseln. Dabei beobachtete er nicht den Verkehr hinter seinem Fahrzeug, sondern konzentrierte sich auf die Fahrzeuge im linken Fahrstreifen, weil ihn kein Fahrzeuglenker „reinlassen“ wollte. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Kläger dabei links blinkte. Erst auf Höhe der Sperrlinie ließ ihn die Lenkerin eines Seat Ibiza den Fahrstreifen wechseln. Nachdem für den Kläger nicht ausreichend Platz war, um sich komplett in den linken Fahrstreifen einzureihen, musste er für dieses Fahrmanöver stärker abbremsen, wobei nicht festgestellt werden kann, wie abrupt er abbremste und ob er dabei zur Gänze zwischen den beiden Fahrstreifen zum Stillstand kam oder noch mit geringer Geschwindigkeit nach links fuhr (siehe Beweisrüge, Punkt 2.). Der Beklagtenlenker bemerkte zu spät, dass der Kläger sein Fahrtempo reduziert hatte, um den Fahrstreifen zu wechseln, sodass er von diesem Fahrmanöver überrascht wurde. Er bremste sein Fahrzeug – ohne eine Vollbremsung zu erreichen – stark ab, konnte aber ein Auffahren auf das Klagsfahrzeug nicht mehr verhindern und kollidierte mit seiner linken Front mit dem Heck des Klagsfahrzeuges mit einer Restgeschwindigkeit von 35 bis 38 km/h. Der Beklagtenlenker reagierte mit einer Verzögerung von zumindest 0,9 Sekunden. Hätte er nur wenige Zehntelsekunden früher reagiert und nach rechts ausgelenkt, wäre es ihm aufgrund der freien Durchfahrtsbreite von 1,6 Meter und dem gesamten Pannenstreifen jedenfalls möglich gewesen, kollisionsfrei am Klagsfahrzeug vorbeizufahren. Der vom Beklagten gewählte Tiefenabstand war bei einer Geschwindigkeit von bis zu 41 km/h – selbst mit einer Vollbremsung – zu gering, um eine Kollision zu vermeiden. Für den Kläger wäre der Unfall vermeidbar gewesen, wenn er bereits deutlich früher begonnen hätte, sich links einzuordnen.
Der Kläger erlitt als Unfallsfolge eine Zerrung der Nackenmuskulatur mit einer – im Berufungsverfahren unstrittigen – angemessenen Schmerzensgeldhöhe von EUR 600. Der Totalschaden am Klagsfahrzeug belief sich unstrittig auf EUR 18.840. Dieser Schadenersatzanspruch wurde dem Kläger abgetreten.
Der Kläger begehrte von der Beklagten als Haftpflichtversicherer den Fahrzeugschaden sowie EUR 4.000 an Schmerzensgeld. Er sei vor dem Beklagtenfahrzeug auf dem Rechtsabbiegestreifen gefahren und habe den linken Blinker gesetzt, um einen Spurwechsel zu vollziehen. Da ein solcher aufgrund der Verkehrslage nicht sogleich möglich gewesen sei, habe er mit normaler Betriebsbremsung abgebremst, worauf sich sein Fahrzeug mehrere Sekunden im Stillstand befunden habe. Der Lenker des Beklagtenfahrzeugs habe sein Fahrzeug übersehen und sei auf dessen Heck aufgefahren. Diesen treffe das Alleinverschulden am Verkehrsunfall.
Die Beklagte bestritt und wandte ein, der Kläger sei am Rechtsabbiegestreifen gefahren und habe entgegen der vorgegebenen Fahrtrichtung eine Sperrlinie überfahrend beabsichtigt, auf den linken Fahrstreifen zu wechseln. Da dies aufgrund des Stop-and-go-Verkehrs nicht möglich gewesen sei, habe er abrupt abgebremst. In der Folge habe der Lenker des Beklagtenfahrzeugs sofort gebremst, ein Auffahren jedoch nicht mehr verhindern können. Den Kläger treffe das überwiegende Verschulden am Unfall, wobei ein Mitverschulden des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs im Ausmaß von einem Drittel zugestanden werde.
Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Erstgericht dem Kläger EUR 6.480 samt 4% Zinsen ab 31.5.2023 zu und wies das Mehrbegehren von EUR 16.360 sowie das Zinsenmehrbegehren ab. Dabei legte es seiner Entscheidung den eingangs im Wesentlichen wiedergegebenen Sachverhalt zugrunde. In seiner rechtlichen Beurteilung kam es zum Ergebnis, dass der Kläger die Bestimmungen des § 9 Abs 1 StVO (Verhalten bei Bodenmarkierungen) und § 11 Abs 1 und 2 StVO (Änderung der Fahrtrichtung und Wechsel des Fahrstreifens) verletzt habe. Dem Lenker des Beklagtenfahrzeugs sei ein Verstoß gegen § 18 StVO (Hintereinanderfahren) vorzuwerfen, da er nicht den notwendigen Tiefenabstand eingehalten habe, um eine Kollision vermeiden zu können. Auch habe er mit einer Verzögerung von zumindest 0,9 Sekunden auf die Bremsung des Klagsfahrzeugs reagiert. Die Verantwortlichkeit für Auffahrunfälle liege in der Regel beim Auffahrenden, hier wiege das Verschulden des Klägers jedoch insgesamt schwerer, weil er sich vorsätzlich in Annäherung an die Auffahrt nicht in den für seine Route richtigen Fahrstreifen eingeordnet habe und dabei das Risiko eines gefährlichen Fahrmanövers kurz vor der Sperrlinie in Kauf genommen habe. Dass ein Umspuren auf den richtigen Fahrstreifen erst auf der Autobahnauffahrt im dichten Morgenverkehr an dieser Stelle besonders schwierig sein würde, könne den Kläger, der die Route seit zwanzig Jahren auf seinem Weg in die Arbeit benütze, nicht überrascht haben. Er habe sich dennoch für diese Route entschieden und damit eine Gefahrensituation in Kauf genommen. Hingegen habe der Beklagtenlenker lediglich fahrlässig gehandelt, sodass den Kläger ein überwiegendes Verschulden von zwei Dritteln treffe, den Lenker des Beklagtenfahrzeugs ein Mitverschulden von einem Drittel. Der Kläger habe Zinsen ab 24.4.2023 geltend gemacht. Der Zahlungsbefehl sei der Beklagten jedoch erst am 31.5.2023 zugestellt worden. Ein Vorbringen zu einer früheren Kenntnis der Forderung durch die Beklagte habe der Kläger nicht erstattet, sodass die Zinsen erst ab Klagszustellung zuzusprechen seien.
Gegen die Abweisung der begehrten Zahlung von EUR 8.100 wendet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne eines Zuspruchs von weiteren EUR 8.100 (Gesamtzuspruch: EUR 14.580) abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist teilweise berechtigt.
1. Der Kläger geht in seiner Berufung von einer Verschuldensteilung von 3:1 zu Lasten des Beklagtenlenkers (ein Viertel eigenes Mitverschulden) aus. Ausgehend vom Fahrzeugschaden in der Höhe von EUR 18.840 und einem Schmerzengeld von EUR 600 errechne sich daraus ein ihm zustehender Anspruch von gesamt EUR 14.580.
2. In seiner Beweisrüge bekämpft der Kläger die eingangs unterstrichene Feststellung und begehrt stattdessen die Feststellung, dass er sich mit seinem Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits im Stillstand befand.
2.1. Zunächst ist bereits die rechtliche Relevanz der begehrten Feststellung im Vergleich zur bekämpften Feststellung nicht erkennbar. Auch die angefochtene Feststellung geht – in Übereinstimmung mit den diesbezüglichen Ausführungen des verkehrstechnischen Sachverständigen – davon aus, dass das Klagsfahrzeug unmittelbar vor der Kollision entweder schon zum Stillstand gekommen ist oder noch mit geringer Geschwindigkeit nach links fuhr. Wesentlich ist, dass in diesem Zusammenhang unangefochten festgestellt wurde, dass einerseits der Kläger bei seinem versuchten Wechsel in den linken Fahrstreifen „stärker“ abbremsen musste und sich das Klagsfahrzeug zum Kollisionszeitpunkt jedenfalls noch zum Teil am rechten Fahrstreifen befand, und andererseits der Beklagtenlenker zumindest 0,9 Sekunden verzögert mit einer Bremsung bzw. einem unterlassenen Rechtsausweichen reagierte. Vor diesem Hintergrund ist rechtlich kein Unterschied zu erkennen, ob sich das Klagsfahrzeug im Zeitpunkt der Kollision noch mit geringer Geschwindigkeit nach links bewegte oder schon im Stillstand befand.
2.2. Darüber hinaus überzeugt auch die Begründung der Beweisrüge nicht. Wohl ist es richtig, dass der Kläger über Vorhalt seines Rechtsvertreters aussagte, dass er bereits drei bis fünf Sekunden gestanden sei, als ihm der LKW „reingefahren“ sei (Protokoll ON 15, Seite 4). Zuvor sagte er jedoch bei freier Schilderung des Unfallablaufs aus, dass im linken Fahrstreifen Stop-and-Go-Verkehr gewesen sei, am rechten Fahrstreifen sei alles leer gewesen, zunächst habe ihn keiner „reingelassen“, dann habe ihn eine Frau noch vor der Sperrlinie „reingelassen“, er sei mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 10 km/h unterwegs gewesen, diese Geschwindigkeit habe er konstant eingehalten „bis es gekracht hat“ (Protokoll ON 15, Seite 3). Auch die Aussagen des als Zeugen einvernommenen Beklagtenlenkers decken sich mit der beide Möglichkeiten offen lassenden Feststellung des Erstgerichts (Protokoll ON 15, Seiten 5 und 6). Überdies gab der Zeuge an, bei dem Unfall einen „Schock“ erlittenen zu haben und sich nicht mehr an Details erinnern zu können.
3. In seiner Rechtsrüge hebt der Kläger hervor, dass die Verantwortlichkeit für Auffahrunfälle in der Regel beim Auffahrenden liege. Das Verbot, eine Sperrlinie zu überfahren, diene grundsätzlich dem Schutz des Gegenverkehrs, nicht aber des nachfolgenden Verkehrs. Selbst wenn der Schutzzweck der Sperrlinie auch dem Nachfolgeverkehr diene, sei hier zu berücksichtigen, dass der Kläger die Sperrlinie erst ab deren Beginn überfahren habe. Der Beklagtenlenker habe nicht nur verspätet, sondern auch falsch reagiert. Er habe gemessen an seiner Fahrgeschwindigkeit einen zu geringen Tiefenabstand zum Klagsfahrzeug eingehalten und habe auf das stärkere Abbremsen des Klagsfahrzeugs auch nicht mit einer Vollbremsung reagiert. Gerade im Frühverkehr auf der Zufahrt zur A23 Südosttangente sei jederzeit mit einem Fahrstreifenwechsel und auch einem Bremsmanöver des vorausfahrenden Fahrzeugs zu rechnen, dies insbesondere vor dem Hintergrund des Stop-and-Go-Verkehrs am linken Fahrstreifen und des grundsätzlich bis zum Bereich der Sperrlinie zulässigen Fahrstreifenwechsels vom rechten Fahrstreifen. Den Beklagtenlenker treffe daher ein erheblich höheres Verschulden als den Kläger. Gerechtfertigt sei eine Verschuldensaufteilung von 3:1 zu Lasten des Beklagtenlenkers.
3.1. Liegt beiderseitiges Verschulden vor, so bestimmen sich die Verschuldensanteile nicht nach der Zahl der Ursachen, die ein Teil gesetzt hat, sondern nach der Schwere des Gesamtverschuldens. Entscheidend für die Gewichtung des Verschuldens ist vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und der Grad der Fahrlässigkeit des einzelnen Verkehrsteilnehmers (RS0026861 [T1 und 2]).
3.2. Zum Verschulden des Beklagtenlenkers ist zunächst festzuhalten, dass diesem eine verzögerte Reaktion auf das Bremsmanöver des Klagsfahrzeugs im Ausmaß von 0,9 Sekunden vorzuwerfen ist. Aufgrund der diesbezüglichen Beweislast des Klägers kann auch bei der festgestellten Reaktionsverzögerung von „zumindest“ 0,9 Sekunden nicht von einer längeren Verzögerung ausgegangen werden.
Selbst bei einer rechtzeitigen Reaktion hätte der vom Beklagtenlenker gewählte Tiefenabstand bei der von ihm gewählten Geschwindigkeit auch mit einer Vollbremsung nicht ausgereicht, um eine Kollision zu vermeiden. Ausgehend von einer Vollbremsung als rechtmäßigen Alternativverhalten ist dem Beklagtenlenker daher eine Reaktionsverzögerung in Verbindung mit einem zu gering gewählten Tiefenabstand, somit ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 20 Abs 1 StVO, vorzuwerfen.
Der Beklagtenlenker hätte jedoch auch – aus den Feststellungen erkennbar selbst bei dem von ihm gewählten Tiefenabstand und der von ihm gewählten Geschwindigkeit – unfallvermeidend reagieren können, wenn er wenige Zehntelsekunden früher reagiert und beim Klagsfahrzeug rechts vorbeigefahren wäre. Ausgehend von diesem rechtmäßigen Alternativverhalten ist dem Beklagtenlenker eine Reaktionsverzögerung und ein fahrtechnisches Fehlverhalten vorzuwerfen.
Nicht zutreffend sind insofern die Berufungsausführungen, wenn sie behaupten, dem Beklagtenlenker wäre ein dreifaches Fehlverhalten vorzuwerfen (Reaktionsverspätung, zu geringer Tiefenabstand und Nichtvornahme einer Vollbremsung bzw eines Rechtsvorbeifahrens am Klagsfahrzeug). Konkret ist dem Beklagtenlenker jedenfalls vorzuwerfen eine Reaktionsverspätung, dies in Kombination mit einem zu gering gewählten Tiefenabstand oder der Nichtvornahme eines Rechtsvorbeifahrens am Klagsfahrzeug.
3.3. Das Erstgericht hat dem Kläger einen Verstoß gegen das Verbot des Überfahrens von Sperrlinien (§ 9 Abs 1 StVO), einen Fahrstreifenwechsel unter Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer (§ 11 Abs 1 StVO) sowie einen Fahrstreifenwechsel ohne Anzeige der bevorstehenden Änderung der Fahrtrichtung (§ 11 Abs 2 StVO) vorgeworfen.
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass nicht festgestellt werden konnte, ob der Kläger bei seiner Fahrtrichtungsänderung links blinkte. Diese Negativfeststellung geht zu Lasten der ein Mitverschulden des Klägers behauptenden Beklagten (RS0022560). Von einem Verstoß gegen § 11 Abs 2 StVO kann daher rechtlich nicht ausgegangen werden.
Primär dient das Verbot des Überfahrens einer Sperrlinie dem Schutz des Gegenverkehrs, nicht des nachfolgenden Verkehrs (RS0027607). In der jüngeren Rechtsprechung wird jedoch betont, dass bei Ermittlung des Schutzzwecks der Norm dem durch § 3 Abs 1 StVO geschützten Vertrauen jedes Straßenbenützers, dass andere Personen die für die Benützung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften befolgen, entscheidende Bedeutung zukommt (2 Ob 57/22d). So kann auch der Querverkehr oder auch ein überholtes Fahrzeug abhängig von der konkreten Konstellation vom Schutzzweck des § 9 Abs 1 StVO umfasst sein (2 Ob 17/14k; 2 Ob 237/18v; 2 Ob 57/22d).
Ob das Verbot des Überfahrens der Sperrlinie auch dem Schutz des Nachfolgeverkehrs am selben Fahrstreifen vor einem so nicht erwartbaren Fahrmanöver dient, muss hier isoliert betrachtet nicht beurteilt werden, verstieß doch der Kläger mit seinem Fahrverhalten massiv gegen zwei weitere Vorschriften zur Fahrtrichtungsänderung:
Zum einen verstieß er gegen das Gebot der Beachtung von Richtungspfeilen (§ 9 Abs 6 StVO: „Sind auf der Fahrbahn für das Einordnen zur Weiterfahrt Richtungspfeile angebracht, so haben die Lenker ihre Fahrzeuge je nach der beabsichtigten Weiterfahrt einzuordnen. Die Lenker von Fahrzeugen müssen jedoch auch dann im Sinne der Richtungspfeile weiterfahren, wenn sie sich nicht der beabsichtigten Weiterfahrt entsprechend eingeordnet haben.“ ). Diese Bestimmung dient vor allem dem sicheren und klar erkennbaren Einordnen und damit der Unfallvermeidung im Zuge von Einbiegevorgängen, also überhaupt der Ordnung der Verkehrsströme (2 Ob 54/07s = RS0122646) und damit offensichtlich auch dem im selben Fahrstreifen nachfolgenden Verkehr.
Zum anderen hat sich der Kläger vor seinem beabsichtigten Fahrstreifenwechsel nicht davon überzeugt, dass er diesen zur Gänze ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer (hier des Nachfolgeverkehrs am rechten Fahrstreifen) durchführen kann, gelang es ihm doch nicht, sich komplett in den linken Fahrstreifen einzureihen. Der Kläger hat somit auch gegen § 11 Abs 1 StVO ( „Der Lenker eines Fahrzeuges darf die Fahrtrichtung nur ändern oder den Fahrstreifen wechseln, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist.“ ) verstoßen.
3.4. Für die vorzunehmende wechselseitige Verschuldensabwägung stehen sich somit im Wesentlichen die Reaktionsverspätung von einer knappen Sekunde verbunden mit der Einhaltung eines zu geringen Tiefenabstandes bzw. einer nicht vorgenommenen Abwehrhandlung (rechts Vorbeilenken) auf Seite des Beklagtenlenkers und der Verstoß gegen das Gebot des Einhaltens von Bodenmarkierungen (Richtungspfeilen) verbunden mit einem gefährdenden bzw behindernden Fahrstreifenwechsel auf Seite des Klägers gegenüber. Wertungsmäßig entspricht diese Konstellation dem in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung bereits in mehreren Fällen bewerteten gleichteiligen Verschulden zwischen dem Lenker eines Personenkraftwagens, der sich bei seinem Fahrstreifenwechsel vorschriftswidrig „hineinzwängt“, sodass die Kolonne stark abbremsen muss, und einem in dieser mit zu geringem Tiefenabstand fahrenden Personenkraftwagenlenker (RS0027291; teilweise auch unter Berücksichtigung einer geringfügigen Reaktionsverspätung [8 Ob 19/82 = ZVR 1983/159]).
4. Der Berufung war daher insoweit Folge zu geben, als dem Kläger von den soweit berechtigten Schadenersatzansprüchen (EUR 18.840 an Fahrzeugwert und EUR 600 an Schmerzengeld) die Hälfte, somit EUR 9.720 zusteht.
Die begehrten Zinsen waren dem Kläger ab Klagszustellung zuzusprechen. Ein Sachvorbringen zu einem früheren Zinsenlauf hat der Kläger nicht erstattet.
5. Infolge Abänderung des Urteils in der Hauptsache war auch über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens neu zu entscheiden.
Insgesamt hat der Kläger mit 42% seiner Forderung obsiegt, sodass er gemäß § 43 Abs 1 ZPO Anspruch auf 42% der von ihm verzeichneten Barauslagen (Pauschalgebühr, Dolmetscher- und Sachverständigengebühren) hat, die Beklagte hat Anspruch auf 16% ihrer Vertretungskosten und 58% der von ihr verzeichneten Barauslagen (Dolmetscher- und Zeugengebühren).
Im Berufungsverfahren hat der Kläger ausgehend von einem Berufungsinteresse von EUR 8.100 mit EUR 3.240 gewonnen und somit zu 40% obsiegt. Er hat demnach Anspruch auf 40% der von ihm getragenen Pauschalgebühr, die Beklagte hat Anspruch auf 20% ihrer Vertretungskosten (Kosten der Berufungsbeantwortung).
Insgesamt ergibt dies rechnerisch die im Spruch ersichtliche Kostenentscheidung.
6. Bei der Verschuldensteilung handelt es sich in der Regel wie auch hier um eine Ermessensentscheidung, für die die Umstände des Einzelfalles entscheidend sind (RS0044241 [T15]). Die Revision war daher nicht zuzulassen (§ 502 Abs 1 ZPO).