JudikaturOLG Wien

8Ra6/25y – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Derbolav-Arztmann und den Richter MMag. Popelka (Dreiersenat gemäß § 11a Abs 2 Z 2 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dipl.-BW A* , MBA, **, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Plankel, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei B* C* GmbH , D*, vertreten durch Loescher Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen EUR 65.267,17 s.A. (hier: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 18. Dezember 2024, **-6, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.263,80 (darin enthalten EUR 377,30 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Begründung:

Text

Der Kläger begehrte von der Beklagten EUR 65.267,17 samt Anhang für Provisionsentgelte und Auszahlung aus Long-Term Incentive Plan gemäß Forderungsschreiben vom 12.8.2024.

Das Erstgericht erließ am 15.10.2024 antragsgemäß einen Zahlungsbefehl (ON 2) und veranlasste dessen Zustellung an die Beklagte an die in der Mahnklage genannte Adresse D*. Die Zustellung des Zahlungsbefehls ist ausgewiesen durch Übernahme durch einen Arbeitnehmer am 21.10.2024, wobei am Zustellnachweis ein Nachsender an die Adresse E*, ** F* vermerkt ist.

Am 20.11.2024 brachte die Beklagte einen Einspruch gegen den Zahlungsbefehl ein (ON 3).

Mit Beschluss vom 21.11.2024 (ON 4) wies das Erstgericht den Einspruch als verspätet zurück. Dies mit der Begründung, dass die Einspruchsfrist am 18.11.2024 abgelaufen sei. Dieser Beschluss wurde der beklagten Partei am 22.11.2024 zugestellt und blieb unbekämpft.

Mit Schriftsatz vom 6.12.2024 beantragte die Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist hinsichtlich des Zahlungsbefehls vom 15.10.2024 und erhob unter einem neuerlich Einspruch (ON 5). Sie brachte im Wesentlichen vor, sie verfüge über keine Büroräumlichkeiten in Österreich, sondern lediglich über ein Postfach an der Adresse E*, welches von der Firma G* betreut werde. Der Zahlungsbefehl sei an diese Postadresse am 21.10.2024 zugestellt worden. Ein Mitarbeiter der Firma G* habe den Zahlungsbefehl übernommen und die Zustellbestätigung unterfertigt. Einmal wöchentlich würde die gesamte Eingangspost der Beklagten von der Firma G* an die deutsche Gesellschaft der Beklagten, der B* H* GmbH in ** zugestellt. Vorgegebenes Prozedere dabei sei, bei sämtlichen von G* erhaltenen Poststücken, welche von Behörden oder Gerichten stammen, mit der Firma G* Rücksprache nach dem ursprünglichen Eingangsdatum in F* zu halten. Einem/r der sonst außerordentlich gewissenhaft, einwandfrei und zuverlässig arbeitenden Mitarbeiter/innen der Abteilung I* der deutschen Gesellschaft der Beklagten sei ein Fehler unterlaufen und übersehen worden, dass der bedingte Zahlungsbefehl an die Postadresse der österreichischen Gesellschaft der Beklagten ergangen sei. Es sei keine Rücksprache mit der Firma G* über das eigentliche Zustelldatum gehalten worden. Ein Mitarbeiter der Abteilung I* habe das gerichtliche Schreiben offensichtlich irrtümlich mit dem Eingangsdatum vom 30.10.2024 abgestempelt. Aufgrund dieses Eingangsstempels sei schließlich die Einspruchsfrist mit vier Wochen ab 30.10.2024 berechnet worden, weswegen es zur Verspätung des Einspruchs gekommen sei. Es sei bisher noch nie vorgekommen, dass einer der Mitarbeiter/innen der Abteilung der deutschen Gesellschaft der Beklagten die Eingangsposten nicht mit jenem Eingangsdatum versehen hätte, an dem das Schriftstück bei der österreichischen Adresse eingelangt sei. Die Beklagte treffe am Übersehen des früheren Zustellzeitpunkts und dem Abstempeln mit dem falschen Eingangsdatums kein Verschulden. Es handle sich um eine verhältnismäßige „einfache“ Tätigkeit, bei welcher der Arbeitgeber seiner Organisation und den Mitarbeitern vertrauen dürfe.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist ab und sprach aus, dass diese die Kosten ihres Wiedereinsetzungsantrages selbst zu tragen hat.

Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, den Angaben des Wiedereinsetzungsantrages sei zu entnehmen, dass die rechtsfreundliche Vertretung der beklagten Partei es unterlassen habe, die Richtigkeit des Eingangsstempels zu überprüfen bzw. in Frage zu stellen. Dies stelle nach der Rechtsprechung eine auffallende Sorglosigkeit dar, die der Bewilligung der Wiedereinsetzung entgegenstehe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten aus den Rekursgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinn einer Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages abzuändern; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt .

1. Mangelhaftigkeit des Verfahrens:

Die Beklagte rügt, dass entgegen ihrem Antrag nicht die Zeugen J* sowie K* einvernommen wurden. Diese seien zum Beweis dafür, dass der Fehler des unrichtig verwendeten Eingangsstempels irrtümlich unterlaufen sei und nur ein geringes Verschulden vorliege, beantragt worden. Die Nichtzulassung des Beweisantrags stelle eine vorgreifende Beweiswürdigung dar.

Eine vorgreifende Beweiswürdigung besteht darin, dass der Richter ohne Aufnahme des Beweises Erwägungen darüber anstellt, ob der aufzunehmende Beweis glaubhaft sein werde oder nicht (RS0043308). Das Erstgericht hat überhaupt keine Beweise gewürdigt bzw. aufgenommen, sondern vielmehr aufgrund des Vorbringens bereits rechtlich beurteilt, dass kein Wiedereinsetzungsgrund vorliegt. Da sich diese rechtliche Beurteilung im Ergebnis als zutreffend erweist, wie im Rahmen der Rechtsrüge näher ausgeführt wird, und sich für die rechtliche Beurteilung die Frage, ob der beklagten Partei nur ein geringes Verschulden aufgrund des Verhaltens ihrer Mitarbeiter beim Anbringen des Eingangsstempels zuzurechnen ist, gar nicht stellt, liegt auch kein Verfahrensmangel gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO vor.

2. Unrichtige rechtliche Beurteilung:

2.1. Eingangs ist auszuführen, dass nach dem Vorbringen der beklagten Partei im erstinstanzlichen Verfahren nicht klar ist, ob tatsächlich die Einspruchsfrist versäumt wurde.

Nach § 13 Abs 1 ZustG ist ein Dokument dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Unter Abgabestelle versteht man jenen Ort, an dem eine konkrete „postalische“ Zustellung stattfinden darf. Als „Abgabestelle“ bestimmt § 2 Z 4 ZustG idF BGBl I 2008/5 die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, den Sitz, den Geschäftsraum, die Kanzlei oder den Arbeitsplatz des Empfängers, im Fall einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder einen vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebenen Ort. Eine postalische Zustellung, die nicht an einer Abgabestelle erfolgt, ist, sofern nicht andere Vorschriften Abweichendes bestimmen, gesetzwidrig, gilt als nicht erfolgt und ist daher rechtsunwirksam (10 Ob 42/12t mwN).

Der Sitz kommt bei juristischen (nicht physischen) Personen als Abgabestelle in Betracht. Darunter ist jener Raum zu verstehen, an dem die (zentrale) Verwaltung der juristischen (nicht physischen) Person tatsächlich geführt wird. Unter jener Anschrift sind grundsätzlich Zustellungen in dem die juristische (nicht physische) Person betreffenden gerichtlichen Verfahren vorzunehmen. Ist der handelsrechtliche Sitz einer Gesellschaft eine „Briefkastenadresse“, dann ist dies nicht als Sitz iSd ZustG anzusehen; Sitz ist dann der Ort der Hauptverwaltung (Stumvoll in Fasching/Konecny 3 II/2 § 2 ZustG Rz 30 mwN).

Nach § 18 Abs 1 Z 1 ZustG ist ein Dokument, wenn sich der Empfänger nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, an eine andere inländische Abgabestelle nachzusenden, wenn dieses (unter anderem) durch Organe eines Zustelldienstes zugestellt werden soll und nach den für die Beförderung von Postsendungen geltenden Vorschriften die Nachsendung vorgesehen ist. Nach der Rechtsprechung kann auch eine Zustellung im Rahmen eines Nachsendeauftrages nur an eine taugliche Abgabestelle im Sinn des § 2 Z 4 ZustG erfolgen, an der sich der Empfänger tatsächlich regelmäßig aufhält (10 Ob 69/15t; 1 Ob 3/17y). Im Erteilen eines Nachsendeauftrages darf keine Automatik in dem Sinn gesehen werden, dass an der „neuen“ Abgabestelle gleichsam fiktiv auch dann zugestellt werden kann, wenn etwa Umstände vorlägen, die eine Zustellung auch an der „alten“ Abgabestelle nicht möglich gemacht hätten. Die Ansicht, dass allein durch die Erteilung eines Nachsendeauftrages an eine nicht als Abgabestelle genutzte Adresse eine „fiktive Abgabestelle“ begründet wird, wurde vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt (10 Ob 69/15t).

Nach dem Vorbringen der Beklagten gab es offenbar unstrittig einen wirksamen Nachsendeauftrag, wobei die angegebene Nachsendeadresse nicht die Adresse der Beklagten, sondern jene eines dritten Nachsende-Empfängers war. Bei dieser Adresse handelte es sich nach dem Vorbringen daher um keine zulässige Abgabestelle der Beklagten, weshalb dort die Zustellung nach den Grundsätzen der zitierten Entscheidung (10 Ob 69/15t) nicht wirksam erfolgen konnte. Die Beurteilung würde nur anders ausfallen, wenn dem Dritten als Nachsende-Empfänger (die Firma G*) von der Beklagten eine umfassende Vollmacht erteilt wurde und eine wirksame Zustellungs-Bevollmächtigung im Sinn der § 9 Abs 1 und § 13 Abs 2 ZustG vorliegen würde (3 Ob 229/23g mwN). Andernfalls wäre die Zustellung des Zahlungsbefehls aufgrund des Nachsendeauftrages und durch Übernahme eines Mitarbeiters der Firma G* nicht rechtswirksam und wäre der Zustellmangel erst durch tatsächliches Zukommen des Zahlungsbefehls an die Beklagte iSd § 7 Abs 1 ZustG geheilt.

Allerdings waren keine weiteren Erhebungen zur Frage der rechtswirksamen Zustellung des Zahlungsbefehls erforderlich, da in dem Fall, dass der Einspruch rechtzeitig erfolgt wäre, dem Rekurs gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages der Beklagten ohnehin nicht Folge zu geben wäre. Die Bestimmungen über die Wiedereinsetzung kommen nur dann zu Anwendung, wenn die gesetzlichen Vorschriften über die Zustellung eingehalten wurden (RS0107394), die Partei aber dennoch von der Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat. Nur die (unverschuldete) Unkenntnis einer ordnungsgemäßen Zustellung bildet einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund. Sollte daher der Zahlungsbefehl rechtswirksam der beklagten Partei erst am 30.10.2024 zugekommen sein, wäre der Einspruch rechtzeitig erfolgt. Die Beklagte hätte damit die Einspruchsfrist nicht versäumt, und würde es damit auch an einem Wiedereinsetzungsgrund fehlen. Auch in diesem Fall wäre daher dem Rekurs der beklagten Partei gegen den angefochtenen Beschluss (Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages) nicht Folge zu geben (allerdings mit der Maßgabe, dass der Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen wäre) (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 3 II/3 § 149 ZPO Rz 9).

2.2. Die Beklagte argumentiert in ihrem Rekurs, dass in ihrem Fall der Beklagtenvertreter nicht eine Privatperson vertrete, sondern einen autonom agierenden Wirtschaftsakteur mit entsprechend ausgestalteten eigenständigen Organisationsabläufen. Diesem sei jedenfalls ein weitaus größeres Vertrauen entgegenzubringen als privat handelnden Personen. Insbesondere wenn die Zusammenarbeit zwischen der Rechtsvertretung und der Beklagten bereits seit Jahren bestehe und sämtliche Fristenangaben stets zuverlässig das korrekte Datum aufgewiesen hätten. Diesbezüglich könne nicht erwartet werden, dass jeder von der Beklagten gesetzte Eingangsstempel von der Rechtsvertretung automatisch unabhängig zu prüfen sei, sondern es dürfe den Angaben vertraut werden. Auch habe zwischen den Daten nicht eine derart auffallende Divergenz bestanden, dass sie der Rechtsvertretung zwingend hätte auffallen müssen. Die Rechtsvertretung der Beklagten habe daher keinen Anlass gehabt, am Eingangsstempel der Beklagten zu zweifeln.

Soweit die Beklagte Vorbringen zur Zusammenarbeit zwischen ihr und ihrer Rechtsvertretung und der ständigen Zuverlässigkeit sämtlicher Fristangaben der Beklagten gegenüber dem Rechtsvertreter erstattet, ist dieses aufgrund des im Rechtsmittelverfahren geltenden Neuerungsverbotes unbeachtlich (Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 153 Rz 6).

Im Übrigen ist auf die zutreffenden rechtlichen Überlegungen des Erstgerichts zu verweisen.

Grobes Verschulden eines Parteienvertreters bei der Versäumung einer befristeten Prozesshandlung ist im Wiedereinsetzungsverfahren der Partei zuzurechnen (RS0111777). Ein solches wird regelmäßig darin erblickt, wenn der unterlaufene Fehler auf einer mangelhaften Organisation beruht (RS0127149). Berufsmäßige Parteienvertreter (Rechtsanwälte) unterliegen dabei dem erhöhten Haftungsmaßstab des § 1299 ABGB (1 Ob 119/17g; 7 Ob 18/13t). Ein Rechtsanwalt muss eine Organisation schaffen, die es ermöglicht, auch offensichtlich leicht vorkommende Versehen im Nachhinein nachzuvollziehen und kontrollieren zu können (1 Ob 119/17g). Gerade in Bezug auf die Einhaltung prozessualer Präklusivfristen – wie hier die rechtzeitige Einbringung des Einspruchs gegen den vom Erstgericht erlassenen Zahlungsbefehl – sind insbesondere wegen der gravierenden Folgen der Nichteinhaltung dieser Präklusivfristen besonders hohe Anforderungen an den Sorgfaltsmaßstab eines berufsmäßigen Parteienvertreters zu stellen. Demzufolge wird in diesem Zusammenhang judiziert, dass sich der Rechtsanwalt nicht auf mündliche Auskünfte rechtsunkundiger Personen oder auf das Vorliegen einer von seinen Klienten auf dem zugestellten Schriftstück angebrachten Einlaufstampiglie verlassen darf, sondern den Sachverhalt durch telefonische Anfrage bei Gericht oder Akteneinsicht selbst zu klären hat (RW0000144; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 3 II/3 § 146 ZPO Rz 27).

Nachdem die beklagte Partei gar nicht behauptet hat, dass ihr Rechtsvertreter die auf dem zugestellten Schriftstück angebrachte Einlaufstampiglie durch telefonische Anfrage bei Gericht oder Akteneinsicht selbst abgeklärt hat, begründet dies eine grobe Fahrlässigkeit, die einer Bewilligung der beantragten Wiedereinsetzung entgegensteht. Warum dies nicht gelten soll, wenn es sich beim Mandanten um eine GmbH handelt, deren Organisationsabläufe sehr wohl auch fehleranfällig sein können, ist für das Rekursgericht nicht nachvollziehbar.

3. Dem unberechtigten Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 154 ZPO.

Der Revisionsrekurs ist gemäß §§ 2 ASGG, 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

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