JudikaturOLG Wien

7Rs139/24y – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
30. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richter Mag. Derbolav-Arztmann und Mag. Zechmeister sowie die fachkundigen Laienrichter DI Beate Ebersdorfer und MinR Mag. Angela Weilguny in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Mag. Kathrin Hetsch, Dr. Werner Paulinz, Mag. Verena Schwarzinger, Rechtsanwälte in 3430 Tulln an der Donau gegen die beklagte Partei BVAEB, **, **, wegen Kostenübernahme über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. November 2024, **-9, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

Text

Mit Bescheid vom 9.9.2024 stellte die beklagte Partei fest, dass die Kostenübernahme einer Gleitsichtbrille laut Verordnung Dris. B*, Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie, ** vom 17.4.2024, bzw. einer Gleitsichtbrille mit phototropen Kunststoffgläsern laut dem Kostenvoranschlag von C*, ** vom 29.4.2024 über EUR 1.540,-- nicht gewährt werde.

Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage brachte der Kläger vor, dass eine Gleitsichtbrille mit phototropen Kunststoffgläsern beim Kläger das Maß des Notwendigen nicht überschreiten würde. Aufgrund einer Perforation der Hornhaut parazentral und des Kontusionskatarakts der Linse sowie der extrem weiten Pupille am rechten Auge, welche durch das Unvermögen sich bei Lichteinfall zusammenziehen zu können, eine erhebliche Blendempfindlichkeit verursache, trage der Kläger seit einer Verletzung im Jahr 1985 eine phototrope Brille, um bei Helligkeitswechsel jener Empfindlichkeit entgegenwirken zu können und das Entstehen erheblicher Kopfschmerzen zu verhindern.

Die beklagte Partei bestritt, beantragte Klageabweisung und führte – soweit für das Berufungsverfahren besonders relevant – aus, dass im gegenständlichen Fall eine Versorgung mit Brillengläsern aus Kunststoff bzw. mit phototropen Brillengläsern weder verordnet noch anderweitig begründet worden sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Seiner Entscheidung legte es nachstehenden Sachverhalt zugrunde:

Mit Verordnung vom 17.4.2024 wurde dem Kläger von Dr. B* eine Gleitsichtbrille verordnet (Beilage ./B).

Am 3.5.2024 beantragte der Kläger die Kostenübernahme einer Gleitsichtbrille mit phototropen Kunststoffgläsern laut dem Kostenvoranschlag von C*, ** vom 29.4.2024 über EUR 1.540,-- (Beilage ./C).

Disloziert (im Rahmen der rechtlichen Beurteilung) stellte das Erstgericht weiters fest, dass aus der vom Kläger vorgelegten Verordnung (Beilage ./B) keine Verordnung für Kunststoffgläser oder phototrope Brillengläser ersichtlich ist.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass gemäß § 62 B-KUVG die Krankenbehandlung ärztlicher Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe und Hilfsmittel umfasse.

Gemäß § 65 Abs 2a B-KUVG 1967 würden von der Versicherungsanstalt die Kosten für Brillen und Kontaktlinsen nur dann übernommen, wenn sie höher seinen als 60% der täglichen Höchstbeitragsgrundlage (§ 108 Abs 3 ASVG). Die Kosten für Dreistärkengläser (Gleitsicht oder Trifokalgläser) würden nicht übernommen. Die Kosten für Brillengläser aus Kunststoff würden nur dann übernommen, wenn eine Versorgung mit mineralischen Gläsern nicht möglich sei. Die Kosten für phototrope Brillengläser würden nur dann übernommen, wenn eine Versorgung mit herkömmlichen Brillengläsern nicht möglich sei.

Gemäß § 22 Abs 1 der Krankenordnung der beklagten Partei sei für die Kostenübernahme durch den Versicherungsträger jedenfalls eine von einem Arzt oder einer Krankenanstalt ausgestellte Verordnung erforderlich.

Mangels Verordnung sei das Klagebegehren abzuweisen gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag „der Berufung Folge zu geben und dem Klagebegehren vollinhaltlich stattzugeben“, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Als Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO macht der Berufungswerber geltend, dass aufgrund der spärlichen Feststellungen des Erstgerichts nicht davon ausgegangen werden könne, dass das Erstgericht alle Urkunden (Beilagen ./A bis ./G) gewürdigt habe.

Aus der Beweiswürdigung gehe nicht hervor auf welche Urkunden sich die Tatsachenfeststellungen gründen, insbesondere erhärte sich der Eindruck, dass die Beilagen ./B bis ./G nicht gewürdigt worden seien und keinen Einfluss auf die Beurteilung hätten.

Der vom Rechtsmittelwerber herangezogene Nichtigkeitsgrund liegt nicht vor.

Der Tatbestand des § 477 Z 9 ZPO betrifft nur das Urteil selbst, nicht aber das vorangehende Verfahren.

Er umfasst drei Fälle:

a) die Fassung des Urteils ist zu mangelhaft, dass dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann;

b) das Urteil steht mit sich selbst im Widerspruch; c) für die Entscheidung sind keine Gründe angegeben.

Von mangelnder Begründung ist nach ständiger Rechtsprechung nur dort zu sprechen, wo die Entscheidung gar nicht (Fall c)) oder so unzureichend begründet ist, dass es sich nicht überprüfen lässt (Fall a)); 8 Ob 508/94; Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 478 Rz …). Der Fall b) betrifft nur den Spruch; ein Widerspruch in den Gründen reicht nicht aus.

Vorliegend hat das Erstgericht sämtliche seiner Entscheidung zugrunde gelegten Beilagen ordnungsgemäß zum Akt genommen. Zudem hat es die für seine Feststellungen wesentlichen Urkunden auch bereits im Sachverhalt angeführt.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund liegt somit nicht vor.

2. Als Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt der Rechtsmittelwerber, dass das Erstgericht den Antrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens wegen behaupteter Spruchreife abgewiesen habe. Der Kläger habe ein Vorbringen erstattet, dass die im Kostenvoranschlag vom 29.4.2024 angegebene Brille das Maß des Notwendigen (gemäß § 133 ASVG) nicht überschreite und der Kläger aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen (Perforation der Hornhaut parazentral und des Kontusionskatarakts der Linse sowie der extrem weiten Pupille rechts die eine erhebliche Lichtempfindlichkeit verursachen (auf eine Gleitsichtbrille mit phototropen Kunststoffgläsern angewiesen sei).

Auch wenn die gegenständliche Verordnung (Beilage ./B) jene phototropen Kunststoffgläser nicht wortwörtlich beinhalte, sei für den zuständigen Optiker aus dieser Urkunde eindeutig hervorgegangen, dass eine Brille mit solchen Gläsern für den Kläger erforderlich sei.

Diese Ausführungen scheitern schon daran, dass es dem Berufungswerber nicht gelingt, die Rechtserheblichkeit des gerügten Mangels darzutun.

Abgesehen davon, dass das Erstgericht die nicht bekämpfte dislozierte Feststellung getroffen hat, dass aus der vom Kläger vorgelegten Verordnung (Beilage ./B) keine Verordnung für Kunststoffgläser oder phototrope Brillengläser ersichtlich ist, wurde der Sachverständige auch nicht zum Beweis dazu geführt, wie ein Optiker die Verordnung interpretiert hätte, sondern vielmehr dazu, dass eine (allfällige) Verordnung einer Gleitsichtbrille mit phototropen Kunststoffgläsern das Maß des Notwendigen nicht überschreite und der Kläger aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen auf diese Brille angewiesen sei (so auch der Berufungswerber S 4 der Berufung).

Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt somit nicht vor.

3. Unter dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gesteht der Berufungswerber zwar zu, dass gemäß § 22 Abs 1 der Krankenordnung der beklagten Partei sowie der Rechtsprechung (RS0106404) eine Verordnung (gemeint: ärztliche Verordnung) erforderlich ist, damit von einem Heilmittelersatz (oder Hilfsmittel) gesprochen werden könne.

Im Zug der rechtlichen Beurteilung gehe das Erstgericht jedoch fälschlicher Weise davon aus, dass die Verordnung den genauen Wortlaut „Gleitsichtbrille mit phototropen Kunststoffgläsern“ beinhalten müsse.

Wie bereits ausgeführt gehe für einen Fachmann aus der gegenständlichen Verordnung eindeutig hervor, dass der Kläger eine Gleitsichtbrille mit phototropen Kunststoffgläsern aufgrund seiner Sichteinschränkung benötige.

Damit entfernt sich der Rechtsmittelwerber allerdings vom festgestellten Sachverhalt, womit die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt ist und dem Berufungsgericht ein weiteres Eingehen darauf verwehrt ist.

Bei dem Argument, dass der zuständige Optiker ansonsten eine solche Brille wohl kaum verkauft hätte, wenn ihm der Umstand bekannt gewesen wäre, dass die Kosten für die Brille bei der beklagten Partei in weiterer Folge eingereicht würden und der Kläger dies dem Optiker klar und deutlich kommuniziert habe, handelt es sich um eine auch in Sozialrechtssachen unzulässige Neuerung. Mit den Ausführungen, dass „davon auszugehen sei, dass die vom Optiker empfohlene Brille das Maß des notwendigen nicht überschreite und dass dies selbstverständlich aus der ärztlichen Verordnung ersichtlich sei“, entfernt sich der Rechtsmittelwerber wiederum vom festgestellten Sachverhalt.

Mit seinen weiteren Ausführungen, dass es das Erstgericht verabsäumt habe, auf die Rechtsnorm des § 133 ASVG und insbesondere auf das Maß des Notwendigen einzugehen, weil die Verwendung einer Gleitsichtbrille mit phototropen Kunststoffgläsern für den Kläger notwendig sei, übergeht er neuerlich das Erfordernis einer ärztlichen Verordnung.

Die beklagte Partei weist in ihrer Berufungsbeantwortung zutreffend darauf hin, dass sich die Frage der ausreichenden und zweckmäßigen Krankenbehandlung, die das Maß des Notwendigen nicht überschreitet, nur stellt, wenn eine entsprechende (eindeutige) ärztliche Verordnung vorliegt.

Abschließend rügt der Rechtsmittelwerber als sekundären Verfahrensmangel das Fehlen von seiner Ansicht nach relevanten Feststellungen.

Resultierend aus der unrichtigen rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts, dass die Verordnung (Beilage ./B) konkretere Informationen benötigt hätte, habe das Erstgericht nicht das Vorliegen der Notwendigkeit phototroper Brillengläser festgestellt. Selbst wenn eine Versorgung mit Brillengläsern aus Kunststoff nicht ärztlich verordnet worden sei, ergebe sich die Notwendigkeit aus dem Grad der Fehlsichtigkeit des Klägers. Die Versorgung des Klägers mit Brillengläsern aus Kunststoff sei somit nicht das Maß des Notwendigen überschreitend anzusehen. Dies sei bereits mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits und Sozialgericht zu ** (Beilage ./B) festgestellt worden. Im dortigen Verfahren sei ein Sachverständigengutachten eingeholt worden, das dezidiert angegeben habe, dass im konkreten Fall des Klägers eine Gleitsichtbrille aus phototropem Glas (Hervorhebung durch den Berufungssenat) für die Krankenbehandlung zweckmäßig und das Maß des Notwendigen nicht überschreitend sei. Mit diesen Ausführungen widersprecht der Rechtsmittelwerber seinem eigenem rechtlichen Standpunkt.

Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass es der vom Rechtsmittelwerber begehrten Feststellungen zum „Maß des Notwendigen“ im vorliegenden Verfahren nicht bedarf, weil es an einer ausreichenden ärztlichen Verordnung mangelt.

Die Berufung erweist sich daher in allen Punkten als unberechtigt, sodass ihr nicht Folge gegeben werden konnte.

Billigkeitsgründe gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage, sodass der Kläger die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil vorliegend eine Frage von der Qualität des § 502 Abs 1

ZPO nicht zur Beurteilung stand.

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