JudikaturOLG Wien

8Rs5/25a – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, den Richter Mag. Zechmeister und die Richterin Dr. Heissenberger LL.M. sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Marianne Zeckl Draxler und Michael Grandinger in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Dr. Peter Böck, Rechtsanwalt in Neusiedl am See, wider die beklagte Partei BVAEB , **, vertreten durch Mag. B*, ebendort, wegen Versehrtenrente, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 6.11.2024, **-13, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erlitt am 21.11.2023 einen Dienstunfall, als sie sich beim Stiegensteigen den Fuß verdrehte und stürzte. Sie war zu diesem Zeitpunkt als Elementarpädagogin im Kindergarten C* beschäftigt.

Mit Bescheid vom 21.08.2024 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 21.11.2023 als Dienstunfall gemäß §§ 90 f B-KUVG und lehnte die Gewährung einer Versehrtenrente ab. Sie stellte fest, die Klägerin habe eine Zerrung des linken Knies erlitten, die folgenlos ausgeheilt sei.

In ihrer dagegen gerichteten Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass eine Teilruptur des medialen Seitenbandes und eine Quetschung des medialen Meniskus samt ausgeprägtem Erguss, eine Ruptur der Meniskuswurzel, eine Innenmeniskusläsion und ein Lappenriss des medialen Meniskus sowie ein Knochenmarksödem medial korrespondierend zum radialen Riss Folge des Dienstunfalls seien und die Beklagte schuldig zu erkennen, ihr ab dem gesetzlichen Stichtag eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei als Folge des Dienstunfalles durch die genannten Gesundheits-störungen in einem Ausmaß beeinträchtigt, das die Beklagte zur Zuerkennung einer Versehrtenrente verpflichte.

Die Beklagte bestritt. Es liege keine Minderung der Erwerbsfähigkeit vor. Die Beschwerden der Klägerin seien auf degenerative Veränderungen zurückzuführen.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab.

Es ging dabei neben dem eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt von den Feststellungen auf Seite 2 der Urteilsausfertigung aus, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

Rechtlich verneinte es einen Anspruch auf Versehrtenrente, da der Dienstunfall vom 21.11.2023 keine Körperschädigung zur Folge gehabt habe, welche eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bewirkt hätte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. Die Klägerin moniert mehrere Verfahrensmängel. Einen Mangel erblickt sie in der fehlenden Entscheidung des Erstgerichts über ihren Ablehnungsantrag. Mit Schriftsatz vom 9.10.2024 stellte sie den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dr. D*. Sie begründete diesen mit der Mitteilung des Sachverständigen, die Klägerin sei ohne Angabe von konkreten Gründen nicht zum geplanten Untersuchungstermin erschienen. Dies habe nicht den Tatsachen entsprochen. Der Sachverständige habe dem Gericht mitgeteilt, dass der Sachverhalt auch ohne klinische Untersuchung beurteilt werden könne, was er gegenüber der Klägerin hingegen verneint habe. Der Sachverständige habe gegen den gerichtlichen Auftrag verstoßen, erst nach Untersuchung der Klägerin ein Gutachten zu erstellen. Der Sachverständige habe die Notwendigkeit einer Untersuchung nur deshalb als nicht notwendig bezeichnet, um keinen Ersatztermin anbieten zu müssen.

Mit Beschluss vom 25.10.2024 (ON 11) verwarf das Erstgericht die von der Klägerin erklärte Ablehnung des Sachverständigen Dr. D*. Der Beschluss wurde dem Klagevertreter am 29.10.2024 zugestellt. Entgegen der Behauptung der Klägerin hat daher das Erstgericht über den Ablehnungsantrag entschieden. Aus einer fehlenden Entscheidung über ihren Antrag kann daher kein Verfahrensmangel abgeleitet werden. Aber selbst wenn man das Vorbringen der Klägerin als Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 25.10.2024 werten würde (gemäß § 366 Abs 1 ZPO ist ein Beschluss, mit dem die Ablehnung eines Sachverständigen verworfen wird, nicht abgesondert anfechtbar. Er kann daher mit der Berufung bekämpft werden und unterliegt der Überprüfungsbefugnis des Berufungsgerichts, §§ 515 und 462 Abs 2 ZPO), wäre dieser nicht berechtigt. Dass der Sachverständige nach Durchsicht der Krankengeschichte eine Untersuchung der Klägerin für nicht erforderlich erachtete, begründet keine Befangenheit. Sachverständige können aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen (§ 355 Abs 1 ZPO). Ein Ablehnungsgrund liegt in jeder Tatsache, die bei verständiger Würdigung ein auch nur subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen rechtfertigen kann. Die Klägerin zeigt keinerlei Tatsachen oder Umstände auf, die Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen und dass dieser sich nicht bloß von sachlichen Motiven leiten ließ rechtfertigen könnten.

2. Die Klägerin rügt das Unterbleiben einer Untersuchung durch den Sachverständigen als Verfahrensmangel. Mit Beschluss vom 20.9.2024 sei dem Sachverständigen der Auftrag erteilt worden, die Klägerin zu untersuchen und hierauf Befund und Gutachten zu erstellen. Ohne Abänderung dieses Beschlusses habe der Sachverständige die Untersuchung der Klägerin unterlassen und das Gericht zu einer vorgreifenden Beweiswürdigung veranlasst.

Die gesetzmäßige Ausführung des Berufungsgrunds der Mangelhaftigkeit erfordert, dass der Berufungswerber die für die Entscheidung wesentlichen Feststellungen anführt, die bei Durchführung eines mangelfreien Verfahrens zu treffen gewesen wären (RS0043039). Um einen Verfahrensmangel gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO erfolgreich geltend zu machen, muss der Berufungswerber in der Berufung grundsätzlich behaupten, welche für die Entscheidung des Rechtsfalles relevanten Ergebnisse ohne den Mangel hätten erzielt werden können ( Pimmer in Fasching/Koncecny 3 IV/1 § 496 ZPO Rz 37; RS0043039).

Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist dann gegeben, wenn der Verstoß gegen die Verfahrensgesetze abstrakt geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern; eines Nachweises, dass der Mangel in concreto eine unrichtige Entscheidung zur Folge gehabt hat, bedarf es nicht (vgl RS0043049 [T1]).

Die Klägerin bringt lediglich vor, dass die Durchführung einer Untersuchung durch den Sachverständigen ergeben hätte, dass die Verletzungen wie in der Klage angeführt vorhanden sind. Allein aus dem Vorhandensein dieser Verletzungen wäre aber nichts zu gewinnen, vielmehr müsste festgestellt werden, dass die Verletzungen Folge des Dienstunfalls sind. Die Klägerin vermag daher keinen relevanten Verfahrensmangel aufzuzeigen.

Im Übrigen ist es eine medizinische Frage, welche Untersuchungen zur Feststellung des Leidenszustandes notwendig sind. Das Gericht kann davon ausgehen, dass keine notwendige oder zweckdienliche Erweiterung der Untersuchung unterbleibt, wenn sie vom Sachverständigen nicht angeregt oder vorgenommen wird. Wenn daher aufgrund der Ergebnisse des Gutachtens der Sachverständigen keine weiteren Gutachten oder Untersuchungen veranlasst wurden, liegt darin keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens (SVSlg 39.532, SVSlg 41.698 ua). Dies muss auch im vorliegenden Fall gelten, da auch die Frage, ob für die Befundaufnahme des Sachverständigen eine Untersuchung der Klägerin erforderlich ist, eine medizinische Frage darstellt. Wenn das Gericht dieser Beurteilung des Sachverständigen aus fachkundiger Sicht folgt, liegt darin keine vorgreifende Beweiswürdigung. Da die konkreten Aufträge an den Sachverständigen über den Umfang seiner Begutachtung zum Zweck der Beweisaufnahme getroffene Verfügungen darstellen, die mit abgesondertem Rechtsmittel nicht angefochten werden können (2 Ob 64/16z ua), konnte der Bestellungsbeschluss auch nicht in Rechtskraft erwachsen.

3. Die Klägerin moniert weiters einen Stoffsammlungsmangel. Sie habe die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Chirurgie samt vorzunehmender Untersuchung beantragt zum Beweis dafür, dass die Verletzungen nicht ausgeheilt sind und die Notwendigkeit der Operation als Folge des Sturzes zu werten ist.

Nach § 362 Abs 2 ZPO ist eine neuerliche Begutachtung von anderen Sachverständigen nur anzuordnen, wenn das abgegebene Gutachten ungenügend oder unvollständig erscheint oder von den Sachverständigen verschiedene Ansichten ausgesprochen wurden. Das Gericht hat von Amts wegen dafür zu sorgen, dass das Gutachten vollständig abgegeben wird. Schon aus Kostengründen ist aber von der Möglichkeit neuerlicher Begutachtung sparsam Gebrauch zu machen (SVSlg 62.270). Sofern das Gericht das Sachverständigengutachten für schlüssig und überzeugend hält, ist es nicht gezwungen, ein Kontrollgutachten einzuholen (SVSlg 44.541 ua). Dafür ist ausschlaggebend, dass es nach völlig einhelliger Auffassung nicht Aufgabe der Rechtsprechung ist, solange Sachverständigenbeweise einzuholen, bis ein bestimmtes, von einer Partei angestrebtes Ergebnis erzielt wird (SVSlg 50.082, 50.095).

Eine vorgreifende Beweiswürdigung besteht darin, dass der Richter ohne Aufnahme des Beweises Erwägungen darüber anstellt, ob der aufzunehmende Beweis glaubhaft sein werde oder nicht (RS0043308).

Der Sachverständige Dr. D* hat im Rahmen der Erörterung seines schriftlichen Gutachtens (PA ON 12, S. 3) schlüssig dargelegt, dass eine klinische Untersuchung der Klägerin für die Beurteilung der Frage der Kausalität nicht erforderlich war, weil sich aus dem Operationsbericht und dem MR-Befund dritt- bis viertgradige Knorpelschäden der Klägerin ergeben haben und eine komplexe Meniskusruptur. Er erachtete es medizinisch für unmöglich, dass diese Schäden traumatisch verursacht worden sind. Sie sind das Ergebnis eines langjährigen Degenerationsprozesses. Der Sachverständige legte auch dar, dass es durchaus möglich sei, dass die Klägerin vor dem Ereignis kaum oder keine Beschwerden hatte, daraus lasse sich aber nicht auf die Kausalität des Ereignisses schließen. Der Sachverständige verwies auch darauf, dass im Rahmen einer klinischen Untersuchung der Zustand nicht unmittelbar nach dem Ereignis befundet werden könne, da zwischenzeitlich schon eine Operation stattgefunden habe. Eine klinische Untersuchung wäre erforderlich, wenn es darum gehe, den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu ermitteln, wenn eine Kausalität zu bejahen wäre.

Es ist daher auszuschließen, dass ein Sachverständiger den ursprünglichen Zustand im Rahmen einer Befundaufnahme erheben könnte. Er könnte lediglich angeben, welche Schädigungen bei der Klägerin vorliegen.

Das Erstgericht durfte den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen folgen und war nicht gehalten, ein weiteres Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Chirurgie einzuholen. Da es – wie dargelegt - eine medizinische Frage darstellt, welche Untersuchungen zur Feststellung des Leidenszustandes notwendig sind, durfte das Erstgericht auch hinsichtlich der Erforderlichkeit einer weiteren Untersuchung der Klägerin der Einschätzung des Sachverständigen Dr. D* folgen, die dieser auch ausführlich und nachvollziehbar begründete. Eine vorgreifende Beweiswürdigung liegt nicht vor.

Die Klägerin vermag keinen Verfahrensmangel gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO aufzuzeigen.

4. Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf § 77 ASGG. Die Voraussetzungen für einen Kostenzuspruch an die im Berufungsverfahren unterlegene Klägerin nach Billigkeit (§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG) liegen nicht vor.

Die ordentliche Revision war mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen. Insbesondere kann eine unterlassene Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgetragen werden (RS0043573).

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