JudikaturOLG Wien

16R59/24z – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
17. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rechtsmittelgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Sonntag als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Mag. Iby und die Richterin des Oberlandesgerichts Mag. Ingemarsson in der Rechtssache der klagenden Partei A* B* GmbH , FN **, **, vertreten durch PUTZ RISCHKA, Rechtsanwälte KG in Wien, wider die beklagte Partei C* , geboren **, Unternehmerin, **, Polen, vertreten durch Mag. Thomas Gaj, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 43.398,10 sA, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29.2.2024, ** 43, gemäß §§ 471 Z 6 und 477 Abs 1 Z 3 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird als nichtig aufgehoben.

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert, sodass er lautet:

„Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ist international unzuständig. Die Klage wird zurückgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit EUR 6.392,85 bestimmten Verfahrenskosten (darin enthalten EUR 480, an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit EUR 5.962,10 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten EUR 2.888, an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

und Entscheidungsgründe :

Text

Die Klägerin begehrt von der Beklagten EUR 43.398,10 sA. Sie sei eine Unternehmerin und betreibe Tankstellen in mehreren Ländern in Europa. Sie sei ein Partnerunternehmen von D*, welches es vor allem Transportunternehmen ermögliche, bei bestimmten Tankstellen und Mautstellen in Europa bargeldlos zu zahlen. Die Klägerin bietet demgemäß die „A* Card mit D* Funktion“ an. Am 8.3.2021 habe die Beklagte durch die Übermittlung eines ausgefüllten Antragsformulars die Ausstellung einer solchen A* Card mit D* Funktion beantragt. Dieses Angebot zum Abschluss eines Vertrags habe die Klägerin durch die Übergabe solcher A* Cards faktisch angenommen. Der Vertrag zwischen den Streitteilen sei ausdrücklich unter Zugrundelegung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin geschlossen worden. Laut diesen AGB der Klägerin hätten die Streitparteien die ausschließliche Anwendung österreichischen Rechts mit Ausnahme des Übereinkommens der Vereinten Nationen über den internationalen Warenkauf sowie der Kollisionsnormen des internationalen Privatrechts vereinbart. Weiters sei laut den AGB vereinbart worden, dass für alle Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Vertrag ausschließlich die sachlich zuständigen Gerichte in E* ** zuständig seien.

Die Beklagte habe dann die von der Klägerin erhaltenen D* Karten vereinbarungsgemäß zur Abwicklung von bargeldlosen Zahlungsvorgängen verwendet. Für vier Leistungszeiträume zwischen dem 14.4. und dem 7.6.2021 habe die Klägerin an die Beklagte insgesamt den Klagsbetrag fakturiert. Die Beklagte habe diese Rechnungen nicht beglichen, sie hafteten weiterhin unberichtigt aus.

Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts berief sich die Klägerin auf eine Gerichtsstandsvereinbarung.

Die Beklagte erhob die Einrede der internationalen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Sie habe nach einem Anbieter von Tankkarten gesucht, deshalb sei es zu einem Beratungsgespräch mit dem Vertreter der F* GmbH in Polen gekommen. Das Beratungsgespräch sei in Polnisch geführt worden, auch das Antragsformular sei in polnischer Sprache vorverfasst gewesen. Der Vertreter der F* GmbH habe die Angebote von G* und H* mit dem Angebot der Klägerin verglichen und habe die Beklagte davon überzeugen können, sich für das Angebot der Klägerin zu entscheiden. In den Gesprächen sei auf die Gerichtsstandsklausel in den AGB nicht hingewiesen worden. Die Klägerin habe dann das Formular Beilage ./A übermittelt; die AGB der Klägerin seien der Beklagten aber weder übermittelt noch zugänglich gemacht und daher nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden. Eine Gerichtsstandsklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bewirke keine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art 25 EuGVVO, weil Allgemeine Geschäftsbedingungen in einer anderen Sprache als der Vertragssprache nicht zum Vertragsinhalt würden. Die Beklagte könne nicht Deutsch. Das sei für die Klägerin auch erkennbar gewesen, deshalb seien die Beratungsgespräche mit der Beklagten in Polnisch geführt worden, auch der Antrag vom 2.3.2021 sei in Polnisch verfasst.

Die Klägerin bestritt die Berechtigung dieses Einwands. Die beklagte Partei sei Unternehmerin, sie müsse nicht explizit auf jede einzelne Klausel der Allgemeinen Geschäftsbedingungen hingewiesen werden. Sie müsse bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch davon ausgehen, dass diese eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung enthielten. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen seien als Beilage dem Antragsformular Beilage ./A angeschlossen gewesen, was die Beklagte selbst auch unmittelbar über der Unterschrift bestätigt habe. Der Klagevertreter sei am 25.5.2023 vom Beklagtenvertreter angerufen worden, der angeboten habe, dass die Beklagte die aushaftende Forderung in zwölf Monatsraten bezahlen werde. Der Klagevertreter habe deshalb mit seiner Mandantin Rücksprache gehalten. Gerade als der Klagevertreter damit beschäftigt gewesen sei, den Ratenzahlungsvergleich zu formulieren, habe ihn der Beklagtenvertreter angerufen und informiert, er sei angewiesen, eine internationale Unzuständigkeit einzuwenden. Die Forderung sei damit von der Beklagten anerkannt worden.

Mit der angefochtenen Entscheidung verwarf das Erstgericht mit Beschluss die Einrede der Beklagten, das Landesgericht für Zivilrechtssachen E* sei international unzuständig, und gab mit Urteil dem gesamten Klagebegehren Folge. Es stellte den auf den Seiten 2 und 4 bis 5 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Sachverhalt fest, worauf verwiesen wird. In seiner rechtlichen Beurteilung kam es zum Ergebnis, die Beklagte habe die AGB der Klägerin zugestellt erhalten und im von der Beklagten unterschriebenen Antrag werde auch deutlich auf die AGB der Klägerin hingewiesen. Damit seien diese AGB und die darin enthaltene Gerichtsstandsklausel Vertragsinhalt geworden, und zwar ungeachtet dessen, ob die Beklagte Deutsch könne. Das Klagebegehren sei dem Grunde nach unbestritten geblieben, außerdem sei das Angebot der Beklagten als konstitutives Anerkenntnis zu qualifizieren, weshalb dem Klagebegehren Folge zu geben sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zurückzuweisen, hilfsweise es derart abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragt, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist berechtigt.

Die Beklagte bekämpft die Abweisung der Prozesseinrede zutreffend mit Berufung (vgl Kodek in Fasching/Konecny 3 , § 261 Rz 78).

In ihrer Rechtsrüge macht die Beklagte zu Recht geltend, dass die österreichischen Gerichte für dieses Verfahren international unzuständig sind:

1. Gemäß Art 4 Abs 1 EuGVVO müsste die Beklagte, die ihren Wohnsitz oder Sitz in Polen hat, vorbehaltlich einer anderen Regelung in der EuGVVO vor polnischen Gerichten geklagt werden. Eine Ausnahme besteht gemäß Art 25 EuGVVO bei Gerichtsstandsvereinbarungen; auf eine solche beruft sich die Klägerin und weist dazu auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen, in welchen eine Zuständigkeitsvereinbarung zugunsten österreichischer Gerichte enthalten ist.

Dabei reicht es grundsätzlich, wenn in dem von beiden Parteien unterschriebenen Vertragstext ausdrücklich auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwiesen wird und wenn diese der Gegenpartei spätestens im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorliegen ( Simotta in Fasching/Konecny , Kommentar 3 Art 25 EuGVVO 2012 Rz 133). Ob der andere Vertragspartner die Urkunde gelesen hat oder ob er sie ungelesen unterschreibt und ob er den Wortlaut des Vertrags gar nicht verstanden hat ist irrelevant (1 Ob 29/01y; 8 Ob 2172/96m).

2. Allerdings gilt anderes, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen in einer Sprache verfasst sind, die der Vertragspartner nicht versteht. In einem solchen Fall gelten die in fremder Sprache verfassten Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber dem Vertragspartner nur dann, wenn er in der Verhandlungs und Vertragssprache auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen hingewiesen worden ist und der Vertragspartner dann eine uneingeschränkte Annahmeerklärung abgegeben hat ( Simotta aaO Art 25 EuGVVO Rz 153/5). Unterscheidet sich die Verhandlungssprache von der Vertragssprache, dann bedarf es eines Hinweises des Anwenders der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der Verhandlungssprache, dass der fremdsprachige Vertragstext eine Gerichtsstandsvereinbarung bzw Allgemeine Geschäftsbedingungen (die eine Gerichtsstandsvereinbarung umfassen) beinhalte ( Simotta aaO Art 25 EuGVVO Rz 153/6). Nach der Rechtsprechung des OGH muss der Verwender der in der Vertragssprache gehaltenen AGB in einem solchen Fall den anderen Vertragsteil in einem durch dessen (abschließende) Unterschrift gedeckten Abschnitt der Vertragsurkunde in der Verhandlungssprache deutlich auf die Einbeziehung solcher AGB in das Vertragsverhältnis hinweisen. Tut er dies nicht, dann werden diese AGB nicht Vertragsbestandteil (1 Ob 30/04z; 10 Ob 17/04d).

3. Nach den Feststellungen des Erstgerichts und den vorgelegten Urkunden, deren Richtigkeit nicht bestritten worden ist, wurden die Vorgespräche von einer Arbeitnehmerin der F* GmbH mit dem Ehemann der Beklagten in Polen in polnischer Sprache geführt. Die Beratungsnotiz Beilage ./2, die von der F* GmbH nach den Feststellungen allerdings nicht an die Klägerin weitergeleitet worden ist, ist ein polnischsprachiges Formular; die F* GmbH hat nach den Feststellungen der Klägerin die darin festgehaltenen Daten mitgeteilt, ihr das Formular selbst aber nicht übermittelt. Die F* GmbH übermittelte nach der Zustimmung der Klägerin mit einem in Polnisch verfassten Mail dann das (deutschsprachige) Antragsformular und die (deutschsprachigen) Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin. Der Beginn des Mails lautet in deutscher Übersetzung: „Wir übersenden einen Antrag, ein Formular der unterschreibenden Person, ein Verzeichnis zusätzlicher Gebühren und die Allgemeinen Bedingungen der Zusammenarbeit“ (mit dem letzten Begriff sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemeint). Im Mail wurde dann nur ausgeführt, dass die F* GmbH auch diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen übersendet. Der Antrag und das Formular der unterschreibenden Person sei auf Papier auszudrucken, auszufüllen und zu unterschreiben und dann an das Büro der F* GmbH mit eingeschriebenem Brief zu senden. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen wurden im Mail nicht weiter erwähnt.

Im von der Beklagten unterschriebenen Antrag Beilage ./A, einem deutschsprachigen Formular, ist unmittelbar über ihre Unterschrift der Text abgedruckt: „Beilagen, die in ihrer jeweils gültigen Fassung Bestandteile dieser Vereinbarung bilden:

1. Allgemeine Geschäfts und Lieferbedingungen für die A* Card mit D* Funktion […]

4. SEPA Firmenlastschrift Mandat“.

In polnischer Sprache werden die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin daher nur im Mail der F* GmbH vom 8.3.2021 Beilage ./G erwähnt. Das Mail bringt aber noch nicht einmal klar zum Ausdruck, dass diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch Bestandteil des Vertrags werden. Schon gar nicht gibt es einen derartigen Hinweis in einem durch die Unterschrift der Beklagten gedeckten Abschnitt der Vertragsurkunde das wäre hier die Beilage ./A , worin in der Verhandlungssprache (also auf Polnisch) deutlich die Einbeziehung der AGB in das Vertragsverhältnis erklärt worden wäre, wie es etwa die Entscheidung 10 Ob 17/04d fordert.

4. Daraus folgt, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin nicht Vertragsbestandteil geworden sind. Damit erweist sich die Prozesseinrede der Beklagten als berechtigt. Das angefochtene Urteil ist daher als nichtig aufzuheben und der angefochtene Beschluss ist in eine Zurückweisung der Klage wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit abzuändern. Eine Nichtigerklärung des Verfahrens konnte unterbleiben, weil das Verfahren auch der Klärung des Prozesshindernisses diente.

5.1 Die Kostenentscheidung für das Verfahren erster Instanz beruht auf § 41 ZPO; nach dieser Bestimmung erhält die Beklagte grundsätzlich vollen Kostenersatz (vgl zur Klagszurückweisung Obermaier , Kostenhandbuch 4 , Rz 1.329 mwN). Allerdings sind die Einwendungen der Klägerin gegen die Kostennote der Beklagten berechtigt: Den vorbereitenden Schriftsatz ON 22 hat die Beklagte erst am Tag vor der Tagsatzung am 1.6.2023 eingebracht und somit die Frist des § 257 Abs 3 ZPO nicht eingehalten. Dieser Schriftsatz ist somit ganz im Sinne der Argumentation der Klägerin nicht zu honorieren (siehe Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 3.55). Von dem Kostenvorschuss von EUR 800, für die Gebühren der Dolmetscherin für die Teilnahme an der Verhandlung vom 14.11.2023 wurden nur EUR 480, verbraucht, der Rest wurde der Beklagten zurücküberwiesen.

5.2 Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 50 und 41 ZPO. Auch hier erhält die Beklagte grundsätzlich vollen Kostenersatz. Der ERV Zuschlag für den Rechtsmittelschriftsatz beträgt allerdings EUR 2,60 und nicht wie verzeichnet EUR 5, .

Gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ist gegen diese Entscheidung der Rekurs an den OGH zulässig ( Kodek aaO Rz 76 u 79 mwN).

Rückverweise