19Bs190/24s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung des A* wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 9. Juli 2024, GZ 64 Hv 33/24a-46, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Baumgartner, im Beisein der Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Dr. Lechner sowie in Anwesenheit des Angeklagten A* und seiner Verteidigerin Dr. Christa-Maria Scheimpflug durchgeführten Berufungsverhandlung am 6. November 2024 zu Recht erkannt:
Spruch
Die Berufung wegen Nichtigkeit wird zurückgewiesen , jener wegen Schuld und Strafe wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten A* auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des Mitangeklagten B* enthaltenden Urteil wurde der syrische Staatsangehörige A* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (I./ A./ und B./) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (II./A./1./) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem Strafsatz des § 28a Abs 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB ein zehnmonatiger Strafteil für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Gemäß § 19a Abs 1 StGB wurde das bei A* sichergestellte Handy INFINIX konfisziert, das sichergestellte Suchtgift gemäß § 26 Abs 1 StGB und 34 SMG eingezogen und gemäß § 20 Abs 1 und 3 StGB ein Betrag von EUR 30,-- bei A* für verfallen erklärt.
[2] Nach dem hier wesentlichen Inhalt des Schuldspruchs hat A* in ** vorschriftswidrig Suchtgift
I./ nämlich Kokain, enthaltend Cocain im jeweils nachgenannten Reinheitsgehalt in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen und zwar
A./ am 16. Jänner 2024 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit B* als Mittäter (§ 12 StGB) 18,9 Gramm Kokain (enthaltend 78,5 % Cocain) an C* zum Preis von EUR 1.400,--;
B./ zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt Ende 2023/Anfang 2024 0,5 Gramm Kokain (enthaltend zumindest 68,25 % Cocain) dem B* zum Preis von EUR 30,--,
II./ A./ 1./ erworben und besessen, und zwar am 16. Jänner 2024 11,08 Gramm Kokain (enthaltend zumindest 68,25 % Cocain), indem er 0,42 Gramm mit sich führte und 10,66 Gramm in seiner Wohnung aufbewahrte.
[3] Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht den bislang ordentlichen Lebenswandel und die teilweise geständige Verantwortung mildernd, das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen erschwerend.
[4] Gegen dieses Urteil richtet sich die unmittelbar nach Urteilsverkündung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe angemeldete (ON 46.2,14), in der Folge nicht schriftlich ausgeführte Berufung des A*.
Rechtliche Beurteilung
[5] Die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit war gemäß §§ 467 Abs 2, 489 Abs 1 StPO zurückzuweisen, weil Nichtigkeitsgründe in der Anmeldung oder Ausführung der Berufung einzeln und bestimmt bezeichnet werden müssen, der Angeklagte aber nicht erklärt hat, welche Nichtigkeitsgründe er geltend machen will. Von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgründe liegen nicht vor.
[6] Mit seiner Schuldberufung gelingt es dem Angeklagten nicht, Zweifel an der zutreffenden Beweiswürdigung des Erstgerichtes zu wecken.
[7] Im Rahmen der Schuldberufung ist vom Rechtsmittelgericht zu überprüfen, ob das Erstgericht für das Ver-fahren wesentliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse einer nachvollziehbaren und den Denkgesetzen entsprechenden Würdigung unterzog und die wesentlichen Gründe für die entsprechenden Tatsachenfest-stellungen in gedrängter Form zur Darstellung brachte.
[8] Die freie Beweiswürdigung ist ein kritisch-psychologischer Vorgang, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungsgrundsätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind ( Mayerhofer , StPO 6 § 258 E 30f; Kirchbacher , StPO 15 § 258 Rz 8). Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, so tut dies nichts zur Sache. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ stellt nämlich keine negative Beweisregel dar, die das erkennende Gericht – im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen – verpflichten würde, sich durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (RIS-Justiz RS0098336). Es ist daher als Akt der freien Beweiswürdigung durchaus statthaft, wenn sich der Tatrichter mit plausibler Begründung für eine für den Angeklagten ungünstigere Variante entscheidet ( Mayerhofer aaO § 258 E 45).
[9] Die Erstrichterin hat die erhobenen Beweise unter Ausschöpfung sämtlicher relevanten Beweismittel und Einbeziehung des von allen vernommenen Personen in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks mit schlüssiger Begründung – der sich das Oberlandesgericht im Rahmen der umfassenden Prüfung der Verfahrensergebnisse anschließt (vgl Ratz, WK-StPO § 67 Rz 2) – einer denkrichtigen und lebensnahen Würdigung unterzogen und dargelegt, wie sie zu den – vom Berufungsgericht übernommenen – Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite gelangte.
[10] Schon aufgrund der eigenen Einlassung des Angeklagten steht fest, dass er dem Mitangeklagten B* zwei Päckchen überbrachte, die dann in weiterer Folge in einem Hauseingang von diesem an den Polizeibeamten C* übergeben wurden. Die Verantwortung des Angeklagten, er habe nicht gewusst, dass sich in diesen Päckchen Kokain befände, er habe geglaubt, es handle sich um Süßigkeiten, Pralinen (ON 33,6), ist schon angesichts des Umstandes, dass anlässlich der Durchsuchung der Wohnung des A* auf dem Tisch ein weiteres Säckchen mit 10,6 Gramm Kokain gefunden wurde, wobei aus dem Lichtbild 5 in der Lichtbildbeilage ON 2.15 klar erkennbar ist, dass sich darin keinesfalls Pralinen oder Süßigkeiten befinden, unglaubwürdig. Zudem spricht auch der Umstand, dass beim Angeklagten selbst ein Päckchen mit 0,42g Kokain brutto gefunden wurden, gegen die Darstellung des Berufungswerbers, nichts von Kokain gewusst zu haben. Überdies steht der leugnenden Verantwortung des Angeklagten neben den belastenden Aussagen des Mittäters B* (ON 2.7; ON 46.2,4) und des Polizeibeamten C* (ON 33,7ff) entgegen, dass bei ihm EUR 1.000,-- und bei B* EUR 400,-- des zuvor von C* an B* übergebenen Scheinkaufgeldes aufgefunden wurden (ON 2.21,4; ON 33,8), was umso mehr gegen die behauptete Übergabe von Süßigkeiten spricht. C* hat angegeben, auf einem Videoanruf des B* gesehen zu haben, wie der Berufungswerber die Sackerl abgewogen hat (ON 2.2,3; ON 33, 8). Es widerspricht aber jeglicher Lebenserfahrung, dass man zu überbringende Süßigkeiten abwiegt. Dass sich in der Wohnung des A* weitere 10,66 Gramm Kokain brutto in einem Sackerl befanden, steht aufgrund der erfolgten Sicherstellung (ON 2.2,11) fest und ist auch aus dem Auffindungsort, dem Vorgesagten und auch aus der eigenen, wenn auch inkonsistenten Verantwortung des Angeklagten, nämlich einerseits, er habe gewusst, dass Kokain zu Hause gewesen sei (ON 33,6), andererseits aber nicht gewusst zu haben, dass es sich um Kokain handle (ON 33,5) abzuleiten, dass auch dieses ihm zuzurechnen ist. Die Übergabe der 0,5 Gramm Kokain durch A* an B* konnte die Tatrichterin aus der Aussage des Letztgenannten, die aufgrund der Übereinstimmung seiner sonstigen Einlassung mit jener des C* auch für das Berufungsgericht glaubwürdig ist, nachvollziehbar ableiten. Die subjektive Tatseite ergibt sich zwanglos aus dem objektiven Tatgeschehen.
[11] Da sohin die in der Berufungsverhandlung ausgeführte Schuldberufung nichts vorbrachte, was geeignet wäre, Zweifel an der Richtigkeit der Lösung der Schuldfrage hervorzurufen, war ihr der Erfolg zu versagen.
[12] Die Strafberufung ist ebenfalls nicht im Recht.
[13] Die erstgerichtlichen Strafzumessungsgründe sind dahingehend zu korrigieren, dass der Milderunsgrund des teilweisen Geständnisses zu entfallen hat. Der Angeklagte gab zwar in der Hauptverhandlung an, dass es stimme, dass er Kokain in der Wohnung gehabt habe (ON 33,4), relativierte dies jedoch unmittelbar danach, indem er angab, eigentlich mit dem Kokain nichts zu tun gehabt zu haben, er habe nur die Sachen des B* in der Wohnung gesehen, er habe nicht einmal gewusst, dass es sich um Kokain handle (ON 33,5), sodass von einem reumütigen Teilgeständnis nicht auszugehen ist. Zugunsten des Angeklagten wirkt sich marginal, da ohne sein Zutun erfolgt, die Sicherstellung des Suchtgiftes aus.
[14} Ausgehend von den solcherart ergänzten Strafzumessungserwägungen erweist sich bei einem Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren die vom Erstgericht verhängte Sanktion schuld – und tatangemesssen und dem sozialen Unwert Rechnung tragend. Eine gänzlich bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe kommt angesichts der Möglichkeit des Berufungswerbers, sich hochqualitatives Kokain zu beschaffen, schon aus spezialpräventiven Gründen nicht in Betracht. Aufgrund des gerichtsnotorischen stetigen Anstiegs des Kokainkonsums in Österreich ist auch aus generalpräventiven Erwägungen eine gänzlich bedingte Strafnachsicht nicht möglich, um keine Bagatel-
lisierungseffekte entstehen zu lassen.