6R234/24m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende, den Richter Dr. Pscheidl und die Richterin Mag. Nigl, LL.M., in der Rechtssache der Antragstellerin Österreichische Gesundheitskasse , **, wider die Antragsgegnerin A * GmbH , FN **, **, wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin, über den Rekurs des B* , **, vertreten durch MMag. Dr. Stephan Vesco, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 16.2.2024, 4 Se 60/24m-7, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss ersatzlos behoben .
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung
Die A* GmbH ( Antragsgegnerin ) ist seit 15.5.2021 zu FN ** im Firmenbuch eingetragen. B* ( Rekurswerber ) war als Geschäftsführer ab 1.11.2021 gemeinsam mit einem weiteren Geschäftsführer und ab 23.3.2023 selbständig vertretungsbefugt. Seine Löschung als Geschäftsführer im Firmenbuch erfolgte am 17.11.2023. Mit Vertretungsbefugnis seit 24.10.2023 sind nunmehr DI (FH) C* und D* als Geschäftsführer im Firmenbuch eingetragen.
Am 30.1.2024 beantragte die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) unter Vorlage zweier Rückstandsausweise vom 29.1.2024 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin.
Mit dem angefochtenen Beschluss forderte das Erstgericht den Rekurswerber als ehemaligen Geschäftsführer der Antragsgegnerin unter Verweis auf § 72a IO auf, binnen 14 Tagen einen Kostenvorschuss von EUR 4.000,- zu erlegen (Punkt 1.) bzw das angeschlossene Vermögensverzeichnis vollständig und wahrheitsgemäß ausgefüllt vorzulegen (Punkt 2.).
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des B* mit dem Antrag, ihn ersatzlos zu beheben. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Er sei mit am 9.10./11.10./24.10.2023 unterfertigtem Umlaufbeschluss der Gesellschafter als Geschäftsführer abberufen worden. Spätestens seit 24.10.2023 sei er nicht mehr Geschäftsführer der Antragsgegnerin, sodass die Dreimonatsfrist des § 72a Abs 2 IO bei Antragstellung durch die ÖGK am 30.1.2024 bereits abgelaufen gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt .
1. Die organschaftlichen Vertreter einer juristischen Person sind zur Leistung eines Kostenvorschusses für die Anlaufkosten, höchstens jedoch zu EUR 4.000,-, zur ungeteilten Hand verpflichtet (§ 72a Abs 1 IO). Zur Leistung dieses Kostenvorschusses sind auch sämtliche Personen, die innerhalb der letzten drei Monate vor der Einbringung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens organschaftliche Vertreter des Schuldners waren, verpflichtet, nicht jedoch Notgeschäftsführer (§ 72a Abs 2 IO).
2. Maßgeblich ist die tatsächliche Stellung als organschaftlicher Vertreter, weil die Rechtsscheinhaftung des § 17 Abs 3 GmbHG/§ 15 UGB nicht greift (Schneider in Konecny , InsG § 72a IO Rz 8).
Da der Beschluss über den Erlag des Kostenvorschusses selbständig anfechtbar ist (§ 72b Abs 5 IO), kann der vermeintliche organschaftliche Vertreter seine fehlende Organstellung im Rekurs geltend machen. Dieser Einwand ist gemäß § 72b Abs 4 IO zulässig und hat – bei zutreffender Behauptung des Rekurswerbers – notwendig die Aufhebung des Erlagsauftrags zur Folge (Schneider aaO § 72a IO Rz 10; vgl auch Schumacher in KLS 2 § 72b IO Rz 20, 21). Im Insolvenzverfahren gilt gemäß § 254 Abs 5 IO der Untersuchungsgrundsatz. Dieser bedeutet zwar keine uferlose Nachforschungspflicht, sodass das Insolvenzgericht zunächst vom Firmenbuchstand ausgehen wird. Durch die Vorlage eines Gesellschafterbeschlusses über die Abberufung als Geschäftsführer trifft das Insolvenzgericht eine weitere Erhebungspflicht, sofern es Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses hegt (Schneider aaO § 72a IO Rz 13). Das abberufene Organ hat freilich keine Bescheinigungspflicht, es trägt aber die Bescheinigungslast, wenn es den vom Firmenbuch abweichenden Sachstand dem Insolvenzgericht nicht nachweisen kann ( Schumacher in KLS 2 § 72a IO Rz 5).
Der Abberufungsbeschluss wirkt nach ganz allgemeiner Ansicht idR konstitutiv und unabhängig von der Eintragung in das Firmenbuch ( Feltl , GmbHG § 17 E9a). Dem Beschluss des Firmenbuchgerichts auf Eintragung der Abberufung kommt somit keine rechtsbegründende, sondern nur deklarative Wirkung zu (RS0006938 [T5]).
3. B* legte mit dem Rekurs den im Um laufweg gefassten schriftlichen, jeweils beglaubigt unterfertigten Gesellschafterbeschluss über seine Abberufung vor. Die Unterschriften und Beglaubigungen datieren vom 9.10., 11.10. und 24.10.2023. Der Antrag auf Löschung des Rekurswerbers als Geschäftsführer im Firmenbuch langte beim Firmenbuchgericht am 13.11.2023 ein. Die Löschung selbst erfolgte am 17.11.2023.
4. Der Rekurswerber verweist somit zutreffend darauf, dass die Dreimonatsfrist des § 72a Abs 2 IO bei Antragstellung durch die ÖGK am 30.1.2024 bereits abgelaufen war. Hinsichtlich des im Umlaufweg gefassten Gesellschafterbeschlusses bestehen beim Rekursgericht keine Zweifel an dessen Richtigkeit und auch dessen unmittelbarem Zugang an den Rekurswerber. Die tatsächliche Stellung des Rekurswerbers als organschaftlicher Vertreter endete somit jedenfalls vor dem 30.10.2023.
5. Infolge der fehlenden tatsächlichen Organstellung des Rekurswerbers innerhalb der letzten drei Monate vor der Antragstellung war dem Rekurs Folge zu geben und der angefochtene Beschluss ersatzlos zu beheben.
6. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses gründet auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO iVm § 252 IO. Aufträge zum Erlag eines Kostenvorschusses nach § 72b Abs 4 IO sind Kostenentscheidungen, in Ansehung derer der Rechtszug an den Obersten Gerichtshof nicht offen steht ( Mohr , IO 11 § 72b IO E 22).