19Bs127/24a – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20. März 2024, GZ 44 Hv 25/24b-43a, sowie seine (implizierte) Beschwerde gegen einen gleichzeitig gefassten Beschluss gemäß § 494a StPO, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Baumgartner, im Beisein der Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart des Oberstaatsanwaltes Mag. Hinterleitner sowie in Anwesenheit des Angeklagten A* und seines Verteidigers Mag. Florian Kreiner durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 29. Juli 2024
I./ zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben und die verhängte Freiheitsstrafe auf viereinhalb Jahre herabgesetzt.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
II. den
Beschluss
gefasst:
a) Aus Anlass der Abänderung des Strafausspruchs wird der gemäß § 494a StPO gefasste Beschluss aufgehoben.
b) Gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO wird vom Widerruf der A* mit Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 10. Mai 2022 zu AZ 38 U 10/22p gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit gemäß § 494a Abs 6 StPO auf fünf Jahre verlängert.
c) Mit seiner (implizierten) Beschwerde wird der Angeklagte auf die zu a) und b) ergangene Entscheidung verwiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Verfalls-, Konfiskations- und Einziehungserkenntnisse enthaltenden Urteil wurde der russische Staatsangehörige A* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (I.A.) sowie der Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster Satz erster und zweiter Fall SMG (I.B.) und der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (II.) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB unter aktenkonformer Vorhaftanrechnung zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechseinhalb Jahren verurteilt. Mit unter einem gefassten Beschluss wurde vom Widerruf der A* mit Urteil des Bezirksgericht Döbling vom 10. Mai 2022 zu AZ 38 U 10/22p gewährten bedingten Strafnachsicht gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO abgesehen und die Probezeit gemäß § 494a Abs 6 StPO auf fünf Jahre verlängert.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* in ** und an anderen Orten im Bundesgebiet (Punkt I./A./3./)
I./ vorschriftswidrig Suchtgift
A./ in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge anderen überlassen, nämlich Heroin (beinhaltend den Wirkstoff Heroin mit einem zumindest durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 17,14 %), Kokain (beinhaltend den Wirkstoff Cocain mit einem zumindest durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 68,25 %), Cannabiskraut (beinhaltend die Wirkstoffe Delta-9-THC mit einem zumindest durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 0,90 % und THCA mit einem zumindest durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 11,85 %) und Ecstasy (beinhaltend den Wirkstoff MDMA mit einem zumindest durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 38,60 %), und zwar
1./ ab Mai 2023 bis zum 11. September 2023 der am ** geborenen B* zumindest 124 Gramm brutto Heroin, zumindest 20 Gramm brutto Kokain und zumindest 4,5 Gramm brutto Cannabiskraut;
2./ der am ** geborenen C*
a./ ab einem unbekannten Zeitpunkt im Sommer 2022 bis zum 20. September 2023 zumindest 56 Gramm brutto Cannabiskraut, 10 Tabletten Ecstasy zu je 1 Gramm und eine nicht mehr feststellbare Menge an Kokain;
b./ seit dem Frühjahr 2023 in zumindest zehn Angriffen zumindest 20 Gramm brutto Heroin;
3./ im August 2023 in ** D* 0,3 Gramm brutto Cannabiskraut;
4./ im September 2023 E* zwei Gramm brutto Kokain zum Preis von EUR 160,00;
5./ im Zeitraum zwischen einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2021 und September 2023 F* in rund 50 Angriffen zumindest 15 Tabletten Ecstasy zu je 1 Gramm um einen nicht mehr feststellbaren Preis sowie zumindest 125 Gramm brutto Kokain um einem Grammpreis von zumindest EUR 70,00;
6./ am 19. September 2023 G* 25 Gramm brutto Kokain zum Preis von EUR 1.250,00;
B./ in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt mit dem Vorsatz erworben und bis zum 20. September 2023 besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, nämlich 37,2 Gramm brutto Kokain (beinhaltend den Wirkstoff Cocain mit einem Reinheitsgehalt von 75,5 %) und 5,3 Gramm brutto Cannabiskraut (beinhaltend die Wirkstoffe Delta-9-THC mit einem zumindest durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 0,90 % und THCA mit einem zumindest durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 11,85 %);
II./ am 15. September 2023 eine falsche ausländische Urkunde, nämlich einen totalgefälschten russischen Führerschein mit der Führerscheinnummer 53 13 89302 lautend auf A*, geboren am **, im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlicher seiner Lenkberechtigung und Identität gebraucht, indem er sich anlässlich einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle durch Beamte der PI ** mit diesem Dokument auswies.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht als mildernd das teilweise reumütige Geständnis, die (in verhältnismäßig geringem Ausmaß erfolgte) Sicherstellung des Suchtgiftes sowie des Falsifikats, erschwerend hingegen das Zusammentreffen eines Verbrechens mit zwei Vergehen, vier einschlägige Vorstrafen, den langen Tatzeitraum und den raschen Rückfall. Im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen wertete das Erkenntnisgericht die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit sowie den Umstand, dass der Angeklagte mehreren Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglichte, als schulderhöhend. Zudem fand in die Strafzumessung Eingang, dass der Angeklagte durch seine kostenfreie Überlassung von Suchtgiften an minderjährige Mädchen diese teilweise erstmals gewissen Wirkstoffen (Heroin bei C*) zuführte und nicht nur eine Abhängigkeit im Bezug auf die überlassenen Suchtgifte, sondern auch ihm gegenüber begründete, wodurch zumindest B* gezwungen war, sich dem Angeklagten sexuell hinzugeben, um weiter Suchtgift zu erhalten.
Nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 26. Juni 2024, GZ 15 Os 54/24s-4 (ON 53.1), liegt nunmehr die Berufung des Angeklagten sowie dessen implizierte Beschwerde gegen den gemäß § 494a StPO gefassten Beschluss zur Entscheidung vor.
Die erstgerichtlichen Strafzumessungsgründe sind da-gingehend zu ergänzen, dass im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen das (für die Verwirklichung des Tatbestands nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG nicht erforderliche) teilweise (Fakten I./A./4./ bis 6./) gewinnbringende Handeln schulderhöhend zu berücksichtigen ist.
Wiederholte sexuelle Kontakte zwischen dem Angeklagten und B* wurde vom Erstgericht festgestellt (US 7) und vom Angeklagten auch nicht bestritten. Dass der Angeklagte sexuelle Dienste von B* als Gegenleistung für die Überlassung von Suchtmitteln eingefordert (und somit aus einem besonders verwerflichen Motiv gehandelt) hätte, wurde nicht festgestellt und ist dem Akteninhalt auch nicht zu entnehmen. Dass (die mündig Minderjährige) B* solche Handlungen durch den Angeklagten im Gegenzug für die erhaltenen Suchtgifte an und mit sich vornehmen ließ, wie es das Erstgericht in seinen beweiswürdigenden Überlegungen anführt (US 16) und sie sich aufgrund ihrer Abhängigkeit gezwungen sah, sich dem Angeklagten auch sexuell hinzugeben (US 23), ist spekulativ und wirkt sich nicht schuldaggravierend aus.
Angesichts der Urteilskonstatierung, wonach der Angeklagte den Entschluss zum gewinnbringenden Verkauf von Suchtgiften fasste, um seine finanzielle Situation zu verbessern und seinen Lebensstandard zu erhöhen (US 5), kommt dem Umstand, dass er selbst an Suchtgift gewöhnt war, keine mildernde Wirkung zu. Die Therapiebereitschaft ist dem Berufungsvorbringen zuwider nicht als mildernd zu werten.
Zutreffend hat das Erstgericht auch ein bloß teilweises reumütiges Geständnis als mildernd gewertet, zumal der Angeklagte tatsächlich vehement große Teile der Suchtgiftübergaben bestritt.
Ausgehend von den solcherart ergänzten und korrigierten Strafzumessungserwägungen erweist sich die verhängte Freiheitsstrafe auch mit Blick auf die überlassenen Suchtgiftmengen als überhöht, weshalb sie auf das spruchgemäße Ausmaß zu reduzieren war.
Bei Beschlüssen nach § 494a StPO handelt es sich um „bedingte“ Beschlüsse, deren rechtlicher Bestand von der Rechtskraft des Urteils abhängig ist, das den Anlass für ihr Ergehen bildet (SSt 61/119; RIS-Justiz RS0101886). Jede Aufhebung – oder (wie in casu) Abänderung – (auch) des Strafausspruchs der Anlassverurteilung durch das Rechtsmittelgericht macht diese Beschlüsse daher – unabhängig davon, ob auch sie angefochten wurden oder nicht – hinfällig und bedingt deren Aufhebung. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht dem Konzept der Gesamtregelung in der Straffrage Rechnung zu tragen und – unter Beachtung des Verschlimmerungsverbots – mit der neuen Straffestsetzung auch eine neue Entscheidung iSd § 494a StPO zu treffen. Diese neue Entscheidung kann durchaus in einer Wiederholung des weiterhin als sachgerecht erachteten Vorbeschlusses bestehen; eine derartige Kassierung und darauf folgende Wiederherstellung stellt keinen „überflüssigen Formalakt“ dar, sondern ist Ergebnis konsequenter Gesetzesanwendung, erst nach der Straffestsetzung zu prüfen, ob etwa iSd § 53 Abs 1 StGB zusätzlich eine weitere Veranlassung geboten ist ( Jerabek/Ropper, WK-StPO § 494a Rz 11 und § 498 Rz 8, 10; RIS-Justiz RS0101886).
Zufolge der im Spruch angeführten Abänderung des Strafausspruchs war daher zugleich auch der gemäß § 494a StPO gefassten erstgerichtliche Beschluss aufzuheben und mit der neuen Straffestsetzung auch (grundsätzlich in den durch das Verschlechterungsverbot [§ 290 Abs 2 StPO] gezogenen Grenzen) eine neue Entscheidung iSd § 494a StPO zu treffen.
Gemäß § 53 Abs 1 StGB hat das Gericht die bedingte Strafnachsicht oder die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe zu widerrufen und die Strafe bzw den Strafteil oder Strafrest vollziehen zu lassen, wenn der Rechtsbrecher wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung verurteilt wird und dies in Anbetracht der neuerlichen Verurteilung zusätzlich zu dieser geboten erscheint, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Angesichts der aus den Vorverurteilungen und dem raschen Rückfall ersichtlichen Neigung des Angeklagten, normgetreues Verhalten zu verweigern, erscheint die Verlängerung der Probezeit zur dem Angeklagten mit Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 10. Mai 2022 zu AZ 38 U 10/22p gewährten bedingten Strafnachsicht geboten, um ihn solcherart länger unter Beobachtung halten und eine deliktsfreie Lebensführung erreichen zu können.