JudikaturOLG Wien

6R129/24w – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
14. Mai 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende, den Richter Dr. Pscheidl und die Richterin Mag. Nigl, LL.M., in der Rechtssache der Antragstellerin A* GmbH , FN **, **, vertreten durch Mag. Andreas Steger, Rechtsanwalt in Wien, wider die Antragsgegnerin B* , geboren am **, **, wegen Insolvenzeröffnung, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 27.2.2024, 11 Se 26/24w-5, berichtigt mit Beschluss vom 18.3.2024, 11 Se 26/24w-7, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Antragstellerin hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung

Die A* GmbH ( Antragstellerin ) beantragte am 12.1.2024 beim Bezirksgericht Neunkirchen zu 24 Se 1/24x die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B* ( Antragsgegnerin ) mit dem Vorbringen, diese schulde aufgrund des vollstreckbaren Versäumungsurteils des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien zu 29 C 600/20g vom 6.11.2020 sowie der vollstreckbaren Kostentitel des Bezirksgerichtes Neunkirchen zu 24 E 99/21h vom 12.1.2021, vom 19.1.2022, vom 14.9.2022 und vom 9.5.2023 an Kapital, Zinsen und Kosten insgesamt EUR 712,54. Die Antragsgegnerin habe ihre Zahlungen eingestellt und sei zahlungsunfähig. Beim zuständigen Vollzugsgericht laufe seit Jahren erfolglos Exekution. Die unterbliebene Zahlung sei nicht bloß auf Nachlässigkeit oder Zahlungsunwilligkeit zurückzuführen, sondern, wie die erfolglose Exekution ergebe, als Zeichen des Mangels ausreichender Zahlungsmittel zu bewerten. Bescheinigungsmittel waren dem Antrag nicht beigelegt, es wurde auf „ Titel und Urkunden “ verwiesen.

Das Bezirksgericht Neunkirchen erhob, dass die Schuldnerin selbstständig erwerbstätig ist und ein Handelsgewerbe betreibt, weshalb es mit Beschluss vom 15.1.2024 die Insolvenzantragssache gemäß § 44 JN dem Erstgericht überwies (ON 3).

Das Erstgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss ohne weitere Erhebungen den Insolvenzeröffnungsantrag ab. In seiner Begründung führte es aus, die Antragstellerin habe nicht nur ihren Anspruch, sondern auch die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin zu behaupten und zu bescheinigen. Das Vorbringen, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig sei, sei eine Rechtsbehauptung, die nicht genüge. Fehle es an einem einigermaßen ausreichenden Vorbringen oder einer wenigstens dem ersten Anschein nach ausreichenden Glaubhaftmachung hinsichtlich der Eröffnungsvoraussetzungen, sei der Konkursantrag schon aufgrund der ersten Antragsprüfung sofort, also ohne Verbesserungsverfahren, abzuweisen. Da von der Antragstellerin weder das Vorliegen eines Exekutionstitels noch die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin bescheinigt worden seien, sei der Antrag ohne Ausschreibung einer Tagsatzung sofort abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Antragstellerin mit einem auf die Stattgebung ihres Antrags gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Rekurswerberin macht geltend, im Antrag sei das Vorliegen vollstreckbarer Kostentitel beim Bezirksgericht Neunkirchen zur AZ 24 E 99/21h, welchen ein Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien zur AZ 29 C 600/20g vom 6.11.2020 zugrunde liege, ausdrücklich benannt und die erwähnten Titel als Bescheinigungsmittel angeführt worden. Die seit mehreren Jahren laufende Exekution habe zu keiner Zahlung geführt. Dieser Umstand sei bei sämtlichen Gerichten Österreichs außerhalb des Sprengels Wiener Neustadt ausreichend, um eine Zahlungsunfähigkeit bzw Zahlungsunwilligkeit jedenfalls zu bescheinigen. Die Abweisung ohne Ausschreibung einer Tagsatzung sei demnach nicht gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt .

1. Gemäß § 70 Abs 1 IO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung hat und der Schuldner zahlungsunfähig ist.

Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Schuldner infolge eines nicht bloß vorübergehenden Mangels an bereiten Zahlungsmitteln seine fälligen Schulden in angemessener Frist nicht erfüllen und sich die dafür erforderlichen Mittel auch nicht alsbald verschaffen kann (RS0064528). Die Beurteilung, ob Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist eine aufgrund konkreter Tatsachenbehauptungen zur wirtschaftlichen Situation zu beantwortende Rechtsfrage (RS0043677).

2. Nach § 70 Abs 2 Satz 3 IO hat das Gericht den Schuldner und sonstige Auskunftspersonen zu vernehmen, wenn es rechtzeitig möglich ist; jedoch ist der Antrag ohne Anhörung sofort abzuweisen, wenn er offenbar unbegründet ist, insbesondere wenn die Glaubhaftmachung nicht erbracht ist, oder wenn der Antrag offenbar missbräuchlich gestellt wurde ( Übertsroider in Konecny, InsG, § 70 IO Rz 67). Die offenbar fehlende Begründetheit kann sich dabei sowohl auf die Behauptungs- als auch die Bescheinigungsebene beziehen ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , InsR 4 § 70 KO Rz 58).

2.1. Der antragstellende Gläubiger hat seine Eigenschaft als Insolvenzgläubiger sowie die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners sowohl zu behaupten als auch zu bescheinigen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Antrag-stellung. Die Glaubhaftmachung (Bescheinigung) hat das gegenüber der Beweisführung im engeren Sinn eingeschränkte Ziel, dem Richter die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit einer Tatsache zu vermitteln. Das Verfahren zur Glaubhaftmachung ist summarisch und nicht an die Förmlichkeiten des Beweisverfahrens im engeren Sinn gebunden; es muss rasch durchgeführt werden, weshalb die Bescheinigungsmittel parat sein müssen (RS0040276; 8 Ob 282/01f mwN; Mohr , IO 11 § 70 E 116; vgl auch Übertsroider in Konecny , InsG § 70 IO Rz 51).

2.2. Im Insolvenzverfahren ist daher schon mit dem Eröffnungsantrag eine „erste Glaubhaftmachung“ der zu bescheinigenden Umstände vorzunehmen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Rekursgerichtes muss sie mit dem Antrag bereits erbracht sein (OLG Wien 6 R 16/19w, 6 R 63/20h, 6 R 21/21h uva), sodass die hierzu erforderlichen Bescheinigungsmittel bereits mit dem Insolvenzeröffnungsantrag vorzulegen sind. Dadurch soll dem Insolvenzgericht die im Gesetz geforderte unverzügliche Beurteilung ermöglicht werden, ob der Antrag nicht offenbar unbegründet ist ( Mohr , IO 11 § 70 E 137 mwN; Überts r oide r aaO § 70 IO Rz 40; Schumacher in KLS 2 § 70 Rz 12; derselbe in Bartsch/Pollak/Buchegger InsR 4 § 70 KO Rz 13, 15). Für das Insolvenzeröffnungsverfahren wird damit eine Ausnahme von dem sonst im Insolvenzverfahren geltenden Prinzip der Amtswegigkeit (§ 254 Abs 5 IO) statuiert. Fehlt es an einer wenigstens dem ersten Anschein nach ausreichenden Glaubhaftmachung auch nur einer der genannten Eröffnungsvoraussetzungen, so ist der Insolvenzantrag infolge der Sonderbestimmung des § 70 Abs 2 Satz 3 IO schon aufgrund der ersten Antragsprüfung sofort, also ohne Verbesserungsverfahren, abzuweisen ( Mohr , IO 11 § 70 E 125). Amtswegige Erhebungen oder die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens kommen erst bei positivem Ausgang der ersten Antragsprüfung in Betracht (OLG Wien 6 R 16/19w, 6 R 21/21h uva; vgl auch Übertsroider aaO § 70 IO Rz 100) und sind bei mangelhafter Behauptung und/oder Bescheinigung nicht durchzuführen (vgl Schumacher in KLS 2 § 70 Rz 20).

2.3. Überzogene Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes im Gläubigerantrag sind zwar abzulehnen ( Übertsroider aaO § 70 IO Rz 51). Es ist aber nicht überzogen, sondern für eine erste Glaubhaftmachung nötig, eine urkundliche Bescheinigung im schriftlichen Insolvenzantrag zu verlangen. Selbst wenn der Gläubiger mangels eigenen Prozessaktes oder mangels eigener Exekutionsakten auf Gerichtsakte anderer Gläubiger verweist, ohne diesbezüglich Urkunden vorzulegen, hat er die erste Glaubhaftmachung nicht ausreichend erbracht; dies vor dem Hintergrund, dass er die Möglichkeit hat, bei Darlegung seines rechtlichen Interesses Einsicht in fremde Prozess- und Exekutionsakten zu nehmen und Abschriften anzufertigen ( Übertsroider aaO § 70 IO Rz 52).

3.1. Im konkreten Fall verwies die Antragstellerin zu ihrer Insolvenzforderung auf Exekutionstitel des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien sowie des Bezirksgerichtes Neunkirchen. Die Forderung wurde von ihr somit individualisiert, womit sie ihrer Behauptungs last zum Bestehen einer Insolvenzforderung grundsätzlich entsprochen hat (vgl Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , InsR 4 § 70 KO Rz 25).

3.2. Zur Zahlungsunfähigkeit brachte die Antragstellerin vor, die Antragsgegnerin habe trotz eines bereits seit mehreren Jahren geführten Exekutionsverfahrens keine Zahlungen geleistet.

Dieses Vorbringen ist für die behauptete Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht ausreichend.

3.3. Die Nichtbezahlung (auch) einer titulierten Forderung stellt noch keinen ausreichenden Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners dar ( Mohr , IO 11 § 70 E 78, 90). Zahlungsunfähigkeit wird aber auch nicht allein durch die Tatsache, dass gegen den Schuldner Exekutionsverfahren anhängig sind, indiziert. Zur Überwindung der Nachlässigkeit des Schuldners in der Erfüllung seiner Verpflichtungen oder seines Zahlungsunwillens dient das Exekutionsverfahren, nicht aber das Insolvenzverfahren, wenn nicht auch Zahlungsunfähigkeit gegeben ist ( Mohr, IO 11 § 66 E 1; vgl 8 Ob 23/95, 8 Ob 18/12y). Ebenso wenig genügt die Behauptung einer gegen den Schuldner erwirkten Exekutionsbewilligung ( Mohr , IO 11 § 70 E 83), weil sie auch Folge einer bloßen Zahlungsunwilligkeit des Schuldners sein kann. Selbst das Vorbringen einer erfolglos geführten Exekution kann für die Behauptung der Zahlungsunfähigkeit nicht ausreichen, weil wie häufig zu beobachten ist der Vollzug einer Pfändung auch an der Unauffindbarkeit des Schuldners an der vom Gläubiger angegebenen Adresse scheitern kann und damit lediglich den Schluss auf das Fehlen eines Vollzugsortes an jener Adresse zulässt.

3.4. Für die Zahlungsunfähigkeit des Verpflichteten bedarf es vielmehr weiterer Hinweise. Sie kann etwa dann indiziert sein, wenn mehrere Exekutionen über einen längeren Zeitraum ergebnislos verfolgt wurden ( Mohr , IO 11 § 70 E 88, E 95). Auch der wiederholte Vollzug von Fahrnispfändungen stellt ein Indiz für eine Zahlungsunfähigkeit dar, ebenso ein am Fehlen pfändbarer Gegenstände gescheiterter Vollzugsversuch ( Mohr aaO E 92ff; vgl auch Schumacher in KLS 2 § 66 Rz 37).

3.5. In Anwendung dieser Grundsätze wurde die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin von der Antragstellerin somit nicht einmal ausreichend behauptet.

4.1. Zur Bescheinigung sowohl ihrer Insolvenzforderung als auch der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin verwies die Antragstellerin auf die Aktenzahlen des gegen die Schuldnerin geführten Zivil und Exekutionsverfahrens. Sie legte weder die im Antrag angeführten Exekutionstitel vor, noch einen Exekutionsbericht (etwa über einen erfolglosen Versuch der Fahrnispfändung) oder ein Vermögensverzeichnis der Antragsgegnerin aus diesem Verfahren. Vielmehr vertritt sie im Rekurs die Ansicht, das Erstgericht hätte sowohl die Exekutionstitel als auch den aktuellen Verfahrensstand des von ihr betriebenen Exekutionsverfahrens selbst abzufragen und gegebenenfalls die Anhängigkeit weiterer Exekutionsverfahren zu erheben gehabt.

4.2. Dies entspricht nicht der ständigen Rechtsprechung des Rekursgerichtes (vgl 28 R 15/10x, 28 R 83/10x = ZIK 2010, 190, 6 R 220/17t uva).

Die Aktenbeischaffung sowie insbesondere die Interpretation eines Auszugs aus dem VJ Register zu den Verfahrensdaten eines laufenden Exekutionsverfahrens sollen schon aus grundsätzlichen Erwägungen im Bescheinigungsverfahren über das Vorliegen der Insolvenzvoraussetzungen nicht auf das Insolvenzgericht verlagert werden, weil wie sehr häufig bei einer Verkettung mehrerer, unter Umständen auch zahlreicher Exekutionsverfahren oft mehrseitige Auszüge zu interpretieren und auf ihre Aktualität zu hinterfragen wären (Betreiben ein und derselben Forderung zu verschiedenen Aktenzeichen, Berücksichtigung von Teilzahlungen, Aufschiebungen, Einstellungen etc). Dies würde aber häufig Abgrenzungsfragen darüber aufwerfen, ob mit dem Verweis eines Gläubigers auf ein Aktenzeichen die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ausreichend bescheinigt ist oder nicht.

4.3. Einem Gläubiger ist es hingegen problemlos möglich, die relevanten Aktenbestandteile, wie etwa ein ihm übersandtes Vermögensverzeichnis oder Vollzugsberichte aus dem von ihm betriebenen Exektuionsakt dem Insolvenzgericht vorzulegen. Von einem paraten Bescheinigungsmittel ist daher nur auszugehen, wenn es bereits mit dem Insolvenzeröffnungsantrag vorgelegt wird, und nicht erst vom Insolvenzgericht beizuschaffen und auszuwerten ist (vgl ausführlich OLG Wien 28 R 15/10x).

5. Das Rekursgericht teilt nicht die Rechtsansicht der Oberlandesgerichte Innsbruck und Graz, wonach bei einer mangelhaften Behauptung und Bescheinigung ein Verbesserungsverfahren durchzuführen ist (siehe dazu Mohr , IO 11 § 70 E 127ff). Vielmehr ist aus § 70 Abs 2 Satz 3 IO abzuleiten, dass ein Insolvenzgläubiger die Verfahrens und Rechtsschutzvoraussetzungen für den Insolvenzeröffnungsantrag bereits mit diesem zu behaupten und zu bescheinigen hat. Amtswegige Erhebungen oder die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens kommen erst bei positivem Ausgang der ersten Antragsprüfung in Betracht (1 Ob 7/91 = SZ 64/45; 8 Ob 20/91 = JBl 1992, 528).

6. Das Erstgericht hat daher zu Recht den Insolvenzeröffnungsantrag in Ermangelung einer ausreichenden Bescheinigung der Insolvenzforderung sowie einer ausreichenden Behauptung und Bescheinigung der Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin abgewiesen.

Dem unbegründeten Rekurs musste damit ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 254 Abs 1 Z 1 IO, wonach im Insolvenzverfahren generell kein Kostenersatz stattfindet.

Der Revisionsrekurs ist gemäß § 252 IO iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

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