JudikaturOLG Wien

6R113/24t – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
10. Mai 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie den Richter Dr. Pscheidl und die Richterin Mag. Nigl, LL.M., in der Firmenbuchsache der gelöschten A* GmbH , FN **, **, wegen amtswegiger Löschung gemäß § 40 FBG, über den Rekurs 1. der Gesellschaft, 2. des Gesellschafters B*, geboren am **, **, vertreten durch Mag. Michael Löschnig-Tratner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 20.2.2024, 73 Fr 6315/24g-3, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos behoben.

Der Vollzug durch Wiedereintragung der Gesellschaft nach Rechtskraft obliegt dem Erstgericht.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung:

Die A* GmbH ( Gesellschaft ) mit Sitz in ** war zu FN ** im Firmenbuch eingetragen. Einziger Geschäftsführer und Gesellschafter mit einer zur Hälfte geleisteten gründungsprivilegierten Stammeinlage von EUR 10.000,- war B*, geboren am **.

Am 15.1.2024 übermittelte das Amt für Betrugsbekämpfung (ABB) dem Erstgericht zu 73 Fr 2017/24k einen rechtskräftigen Bescheid vom 15.12.2023, mit dem hinsichtlich der Gesellschaft die Scheinunternehmerschaft rechtskräftig festgestellt worden war und ersuchte, die Anmerkung „Scheinunternehmen“ im Sinn des § 3 Abs 1 Z 15a FBG im Firmenbuch zu setzen. Ein Antrag auf Löschung des Unternehmens werde vom zuständigen Finanzamt gesondert übermittelt. Der Eingabe war der erwähnte Bescheid angeschlossen.

Mit Beschluss vom 16.1.2024 kündigte das Erstgericht die Absicht auf amtswegige Löschung der Gesellschaft infolge Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG an. Die gesetzlichen Vertreter wurden aufgefordert, sich binnen vier Wochen dazu zu äußern, wobei im Fall der Nichtäußerung angenommen werde, dass der beabsichtigten Verfügung keine Einwendungen entgegengesetzt würden. Im Fall von Einwendungen sei der konkrete Nachweis zu erbringen, dass die Gesellschaft über Vermögen verfüge. Dieser Beschluss wurde dem Geschäftsführer der Gesellschaft durch Hinterlegung ab 26.1.2024 zugestellt und von diesem am 5.2.2024 behoben.

Mit weiterem Beschluss vom 16.1.2024, 73 Fr 2018/24m-4, nahm das Erstgericht folgende Eintragung im Firmenbuch vor:

Mitteilung der Finanzbehörde gemäß Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz vom 15.12.2023, GZ **

Der Rechtsträger gilt als SCHEINUNTERNEHMEN .“

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 20.2.2024 löschte das Erstgericht die Gesellschaft gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit im Firmenbuch.

Am 21.2.2024, somit nach Fassung des angefochtenen Beschlusses, langte beim Erstgericht zu 73 Fr 2017/24k eine Äußerung ein, wonach der beabsichtigten Löschung entgegengetreten werde, da das Unternehmen aktiv sei und beträchtliche Zahlungen an das Finanzamt und die Österreichische Gesundheitskasse geleistet habe. Das Unternehmen verfüge auch über Dienstnehmer. Für die ausgeübte Arbeitskräfteüberlassung bestehe eine aufrechte Gewerbeberechtigung. Mit dem Schriftsatz wurden Überweisungsbelege an Sozialversicherungsträger, die Stadt ** und das Finanzamt vorgelegt.

Gegen den angefochtenen Beschluss richtet sich ein Rekurs der Gesellschaft und des B* mit dem Antrag auf seine ersatzlose Behebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt .

1. Die Rekurswerber bringen unter anderem vor, dass, wie sich aus der Eingabe vom 21.2.2024 ergebe, die Gesellschaft über Vermögen verfüge und eine operative Tätigkeit ausübe. Das Gericht sei verpflichtet, zu überprüfen, ob eine Vermögenslosigkeit der Gesellschaft vorliege oder nicht, wenn konkrete Umstände dargetan würden, die die Vermutung der Vermögenslosigkeit widerlegen könnten. Zum Nachweis würden Kontoauszüge der Monate Oktober 2023 bis Februar 2024 und Verträge mit Auftraggebern der Gesellschaft vorgelegt.

1.1. Mit dem Rekurs wurden ein Konvolut an Kontoauszügen, der Entwurf eines Dienstleistungsvertrages für Subunternehmer der Gesellschaft mit der C* GmbH und eine Zusatzvereinbarung mit der D* GmbH vorgelegt.

2. Neben der Gesellschaft selbst kommt auch B* als Gesellschafter auf Grund des mit einer Löschung nach § 40 FBG verbundenen Verlustes seiner Gesellschafterstellung die Rekurslegitimation gegen den Löschungsbeschluss zu (vgl RS0116719; 6 Ob 168/02b).

3. Gemäß § 40 Abs 1 FBG kann eine Kapitalgesellschaft von Amts wegen gelöscht werden, wenn sie kein Vermögen besitzt (erster Tatbestand, Satz 1). Sofern das Vorhandensein von Vermögen nicht offenkundig ist, gilt eine Kapitalgesellschaft bis zum Beweis des Gegenteils auch dann als vermögenslos, wenn sie Jahresabschlüsse und gegebenenfalls die Lageberichte von zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren nicht vollständig vorlegt und seit dem Zeitpunkt, zu dem der Jahresabschluss für das zweite Geschäftsjahr einzureichen gewesen wäre, mindestens sechs Monate vergangen sind (zweiter Tatbestand, Satz 3). Gemäß § 277 Abs 1 UGB haben die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften die in den §§ 277 bis 281 UGB angeführten Unterlagen spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag beim Firmenbuchgericht des Sitzes der Gesellschaft einzureichen.

3.1. Materiell-rechtlicher Löschungstatbestand des § 40 Abs 1 FBG ist die Vermögenslosigkeit der Gesellschaft. Die in § 40 Abs 1 Satz 3 FBG normierte (widerlegbare) Vermutung soll dem Firmenbuchgericht die Feststellung des Löschungstatbestandes der Vermögenslosigkeit erleichtern. In diesem Fall bedarf es keiner amtswegigen Erhebungen über das Vorhandensein von Vermögen. Ebensowenig ist ein Verschulden von Organen der Gesellschaft an der Nichtvorlage der Jahresabschlüsse Voraussetzung für die Löschung nach § 40 Abs 1 Satz 3 FBG. Die Vorschrift bezweckt den Schutz des Rechtsverkehrs und die Bereinigung des Firmenbuchs ( Nowotny in Kodek/Nowotny/Umfahrer , FBG § 40 Rz 3, 13).

4. Im vorliegenden Fall wurde die Gesellschaft überhaupt erst mit 13.5.2023 im Firmenbuch eingetragen, sodass sie bei Fassung des Löschungsbeschlusses nicht einmal mit der Offenlegung des ersten Jahresabschlusses säumig sein konnte. Die Vermutung nach § 40 Abs 1 Satz 3 FBG konnte daher keinesfalls zur Anwendung kommen.

5. Für den Prüfungsmaßstab des Erstgerichtes bedeutet das folgendes:

5.1. Wegen der schwerwiegenden Folgen der Löschung sowohl für die Gesellschaft selbst als auch für deren Gläubiger muss das Gericht, wenn – wie hier – nicht die Vermutung der Vermögenslosigkeit nach § 40 Abs 1 Satz 3 FBG zum Tragen kommt, entsprechend dem in § 15 Abs 1 FBG iVm § 16 Abs 1 AußStrG verankerten Untersuchungsgrundsatz das Vorhandensein von Gesellschaftsvermögen eingehend prüfen (6 Ob 168/02b; OLG Wien, 6 R 45/94 = NZ 1995, 21; 6 R 94/95 = NZ 1996, 314; 28 R 291/05b = NZ 2006, G 36; 28 R 291/05b = NZ 2006, G 36; 28 R 294/16k; 6 R 226/18a ua; Zib in Zib/Dellinger, GroßKomm UGB § 40 FBG Rz 9).

5.2. Vermögen ist, was bilanzierungsfähig und bei kaufmännisch-wirtschaftlicher Betrachtungsweise verwertbar ist (OLG Wien 28 R 70/03z = NZ 2004, 90; 28 R 50/02g = NZ 2003, 158 ua; Koppensteiner/Rüffler , GmbHG 3 § 84 Rz 13). Vermögen muss ein zur Gläubigerbefriedigung oder gegebenenfalls zur Ausschüttung an die Gesellschafter geeignetes Aktivum darstellen. Auch geringe Vermögenswerte hindern die Anwendung des § 40 FBG ( Nowotny in Kodek/Nowotny/Umfahrer , FBG § 40 Rz 8; OLG Wien, 28 R 294/16k).

5.3. Die Tatsachenermittlung zum Fehlen von Vermögen durch das Firmenbuchgericht hat grundsätzlich auch dann zu erfolgen, wenn sich weder Gesellschaft, Geschäftsführer und Finanzamt noch die Interessenvertretung zu der angekündigten Löschung inhaltlich geäußert haben, weil die Vermögenslosigkeit im Zeitpunkt der Löschung vorhanden sein muss (6 Ob 168/02b; OLG Wien, 6 R 45/94 = NZ 1995, 21; 6 R 94/95 = NZ 1996, 314; 6 R 362/19b ua). Die Beweislast dafür, dass Vermögen vorhanden ist, trifft außerhalb der Vermutung nach § 40 Abs 1 zweiter Fall FBG jedenfalls nicht die Gesellschaft, die sich gegen die beabsichtigte Löschung wendet ( Pilgerstorfer in Artmann, UGB 3 § 40 FBG Rz 6 mwN).

5.4. Notwendige Erhebungen des Firmenbuchgerichtes zur Vermögenslosigkeit sind etwa eine Grundbuchabfrage, ob die Gesellschaft Liegenschaftsvermögen hat, die Einsichtnahme in Akten betreffend allfällige vorangegangene Insolvenzverfahren sowie Anfragen beim Exekutionsgericht oder bei den Sozialversicherungsträgern ( Nowotny in Kodek/Nowotny/Umfahrer , FBG § 40 Rz 11; OLG Wien 28 R 294/16k, 6 R 179/18i uva). Weiters ist durch eine Registerabfrage zu prüfen, ob ein Aktivprozess anhängig ist, weil dieser einer Vollbeendigung wegen Vermögenslosigkeit entgegensteht ( Jennewein , FBG § 40 Rz 15; P ilgerst orfer in Artmann, UGB 3 § 40 Rz 14). Das Gericht hat im Anwendungsbereich des § 40 Abs 1 Satz 1 FBG unter anderem auch von Amts wegen zu prüfen, ob Vermögen in Form einbringlicher Ansprüche auf ausständige Stammeinlagen vorliegt ( Zib in Zib/Dellinger, GroßKomm UGB § 40 FBG Rz 9; 6 Ob 168/02b).

6. Hier erweisen sich die vom Erstgericht durchgeführten Maßnahmen als nicht ausreichend. Soweit aktenkundig erfolgte lediglich eine Aufforderung zur Äußerung an den Geschäftsführer und die Wirtschaftskammer **. Die Gesellschaft verfügt schon nach der Aktenlage über Forderungen in Höhe von EUR 5.000,- gegen ihren Gesellschafter auf Leistung der restlichen Stammeinlage. Erhebungen, aus denen sich ergäbe, dass diese uneinbringlich sei, wurden nicht angestellt.

6.1. Nicht ausreichende amtswegige Untersuchungen der Vermögenslosigkeit begründen einen Verfahrensmangel, der auch ohne entsprechende Rüge im Rekurs gegen den Löschungsbeschluss vom Rekursgericht von Amts wegen wahrzunehmen ist ( Nowotny in Kodek/Nowotny/Umfahrer , FBG § 40 Rz 11 mwN).

6.2. Eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Verfahrensergänzung erübrigt sich allerdings, weil aufgrund der mit dem Rekurs vorgelegten Urkunden (die Äußerung erster Instanz wurde nach Fassung des angefochtenen Beschlusses aber noch vor Ablauf der Äußerungsfrist eingebracht und wurde vom Erstgericht nicht mehr berücksichtigt) Belege für Vermögen der Gesellschaft in Form eines Kontoguthabens und eines aufrechten Vertragsverhältnissen vorliegen. Damit steht bereits jetzt fest, dass die Voraussetzungen einer amtswegigen Löschung nach § 40 Abs 1 Satz 1 FBG derzeit nicht gegeben sind.

6.3. Auch aus § 8 Abs 11 SBBG folgt keine abweichende Einschätzung. Nach dieser Bestimmung ist bei vom ABB als Scheinunternehmen festgestellten Kapitalgesellschaften beim zuständigen Firmenbuchgericht „gegebenenfalls“ auch ein Antrag auf Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG zu stellen. Nach den Gesetzesmaterialien (EBRV 692 BlgNR 25. GP 6) dient diese Bestimmung nur der Klarstellung, dass die Abgabenbehörde auch einen Antrag gemäß § 40 FBG zu stellen hat, wenn sie im Zuge eines Verfahrens zur Feststellung der Scheinunternehmerschaft einer Kapitalgesellschaft zur Überzeugung gelangt, dass diese Kapitalgesellschaft vermögenslos ist. Ein abweichender Beurteilungsmaßstab zu § 40 FBG folgt daraus somit nicht, abgesehen davon, dass ein derartiger Antrag aktuell ohnehin (noch) nicht vorliegt.

7. In Stattgebung des Rekurses ist der angefochtene Beschluss daher ersatzlos zu beheben. Der Vollzug durch Wiedereintragung der Gesellschaft nach Rechtskraft der Rekursentscheidung obliegt dem Erstgericht (§ 20 Abs 2 FBG; vgl Pilgerstorfer in Artmann, UGB 3 § 20 FBG Rz 10).

8. Der ordentliche Revisionsrekurs war mangels Rechtsfragen von der in § 62 Abs 1 AußStrG iVm § 15 Abs 1 FBG geforderten Qualität nicht zuzulassen.

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