17Bs89/24y – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Richterin Mag. Schneider Reich als Vorsitzende sowie den Richter Ing.Mag. Kaml und die Richterin Mag. Primer als weitere Senatsmitglieder in der Privatanklagesache des Privatanklägers und Antragstellers (idF Privatankläger) A* gegen die Angeklagte und Antragsgegnerin (idF Angeklagte) B* wegen §§ 111 Abs 1 und 2 StGB; 6 ff MedienG über die Beschwerde des Privatanklägers gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt vom 22. Februar 2024, GZ 12 Hv 12/24d-3, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.
Text
Begründung:
Gegenstand des Verfahrens ist (wie bereits aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt) ein hundertfach auf Facebook - darunter auch auf dem weltweit abrufbar gehaltenen Account der Angeklagten B*, **, ab 24. Februar 2021 - veröffentlichter und geteilter Beitrag, der sich wie Beilage ./A (ON 2.3) gestaltete:
Nachdem A* deshalb Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Leoben gegen B* wegen §§ 111 Abs 1 und 2; 117 StGB erstattet hatte, und zu AZ 5 St 111/22f ein Ermittlungsverfahren geführt und am 6. März 2023 von der Verfolgung vorläufig für eine Probezeit von zwei Jahren zurückgetreten wurde (§ 203 Abs 1 StPO), zog er am 5. Februar 2024 die Ermächtigung zur Strafverfolgung zurück, worauf die Staatsanwaltschaft selbentags das Verfahren fortsetzte und nach § 190 Z 1 StPO einstellte (Nachschau im VJ-Register). Mit Schriftsatz vom 20. Februar 2024 (ON 2) erhob A* sodann wegen des genannten, auf der Facebook Seite der Angeklagten veröffentlichten Beitrags Privatanklage nach § 111 Abs 1 und 2 StGB und beantragte – neben deren Bestrafung - die Veröffentlichung einer Mitteilung nach § 37 Abs 1 MedienG, die Einziehung durch Löschung der die strafbare Handlung begründenden Stellen der Website nach § 33 MedienG und den Zuspruch einer Entschädigung nach §§ 6 ff MedienG.
Dazu ist initial auszuführen, dass der vorläufige Rücktritt von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft Leoben der Erhebung der Privatanklage nach Rückziehung der Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht entgegenstand, weil nur eine abgeschlossene Diversion ( endgültige Verfahrenseinstellung) eine Sperrwirkung („ne bis in idem“) entfaltet (siehe OLG Graz zu 1 Bs 65/22a). Diesfalls hätte die Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde auf die Verfolgung nämlich nicht materiell verzichtet (OLG Wien 17 Bs 90/22t; Lambauer/Unger , SbgK § 117 Rz 22).
Die Anklagelegitimation der Staatsanwaltschaft kann durch die Zurückziehung der Ermächtigung zur Strafverfolgung (§ 117 Abs 2 StGB) bis zum Schluss des Beweisverfahrens erster Instanz beseitigt werden (§ 117 Abs 2 StGB, vgl Rami in WK 2 § 117 Rz 3/1). Wird die Ermächtigung verweigert oder später zurückgezogen, stellt dies ein Verfolgungshindernis dar (vgl RIS-Justiz RS0125455); das Verfahren ist einzustellen (RIS-Justiz RS0094925; Vogl , WK-StPO § 92 Rz 13).
Gemäß § 71 Abs 4 erster Satz StPO ist das Opfer in den Fällen des § 117 Abs 2 und 3 StGB dann zur Privatanklage berechtigt, wenn es oder seine vorgesetzte Stelle die Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht erteilt oder zurückzieht (§ 92 StPO; siehe dazu auch Korn/Zöchbauer , WK StPO § 71 Rz 28; Rami , WK² StGB § 117 Rz 29).
Im Lichte dieser Grundsätze war A* infolge Rückziehung der Ermächtigung vor endgültigen Rücktritts der Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zur Einbringung der Privatanklage legitimiert (so auch bereits eingehend OLG Wien zu 18 Bs 190/22f, 17 Bs 253/23i uva).
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Privatanklage sowie den Antrag auf medienrechtliche Entschädigung gemäß § 485 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 212 Z 1 StPO (im Übrigen ohne die in diesem Fall dann gebotene Verfahrenseinstellung) zurück und führte begründend aus, dass der hier anzuwendende § 51 MedienG nur auf Medien mit „menschlichen“ Medieninhabern abstelle, zumal hier auf den „Sitz“ Bezug genommen werde, während das Gesetz andernorts zwischen „Sitz“, „Wohnsitz“ und „Aufenthaltsort“ differenziere. Somit fehle es aber an der inländischen Gerichtsbarkeit.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Privatanklägers (ON 4), der Berechtigung zukommt.
Die Tatbildlichkeit des gegenständlichen Postings wurde österreichweit in zahlreichen gleichgelagerten Verfahren bejaht (beispielsweise OLG Linz 10 Bs 285/23t, OLG Innsbruck 6 Bs 195/23m, OLG Graz 10 Bs 304/22s, OLG Wien 17 Bs 190/23z und 18 Bs 229/22s). Verschiedene Medieninhaber von Facebook Accounts wurden wegen Veröffentlichung (Verlinkung) des gegenständlichen Postings bereits rechtskräftig verurteilt (beispielsweise OLG Wien 18 Bs 123/23d, 17 Bs 30/23w, 17 Bs 208/22w, OLG Graz 9 Bs 210/22h, OLG Linz 8 Bs 80/22d). Bedeutungsinhalt des Postings sei demnach, dass ein Polizeibeamter zumindest völlig unangebrachte Gewalt ausgeübt habe und schuldig sei, was diesem ein unehrenhaftes und gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten unterstelle, das geeignet sei, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen (§ 111 StGB).
Das Erstgericht, das in seine Erwägungen die den Kern des Verfahrens bildende Privatanklage nach § 111 Abs 1 und 2 StGB nicht einbezieht, verkennt, dass die in Rede stehende Äußerung (auch) in Österreich abrufbar war. Die üble Nachrede (§ 111 Abs 1 und 2 StGB) wurde daher in Österreich begangen (§ 67 Abs 2 StGB; OLG Wien 17 Bs 149/06w = MR 2006, 246 [Zöchbauer]; Rami , WK² StGB [2021] § 111 Rz 2/1; Salimi , WK² StGB [2022] § 67 Rz 50; Lambauer/Unger , SbgK [2023] Vor §§ 111 ff Rz 107), weil es sich bei diesem Delikt nach gesicherter Rechtsprechung um ein Erfolgsdelikt in dem Sinn handelt, dass als Erfolgsort jeder Ort anzusehen ist, an dem – im Sinn einer abstrakten Gefahr einer tatsächlichen Ehrverletzung – die Äußerung für einen Dritten wahrnehmbar (§ 111 Abs 1 StGB) oder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich (§ 111 Abs 2 StGB) wird (OGH 13 Ns 75/11z; 12 Ns 33/14w; 13 Ns 80/23b; siehe auch Zerbes in ÖJZ 2017/118, “Tatort: Internet Zuständigkeit bei virtuell begangenen Äußerungsdelikten“).
Steht aber ein solcher materiellrechtlicher Sanktionsanknüpfungspunkt des österreichischen Rechts in Geltung, gibt das Strafverfahrensrecht den Strafgerichten keine Möglichkeit, die Entscheidung darüber unter Berufung auf die örtliche Zuständigkeit eines ausländischen Gerichtes abzulehnen (14 Os 118/02). Die objektive Strafbarkeitsbedingung der inländischen Gerichtsbarkeit (11 Os 41/19t) liegt daher vor.
Nach § 50 Z 1 MedienG sind – soweit hier relevant – die §§ 1 sowie 28 bis 42 MedienG auch auf die Medien ausländischer Medieninhaber anzuwenden. Mit dem HiNBG (BGBl I 2020/148) wurde in § 50 Z 1 MedienG der frühere Begriff "Medienunternehmen" durch "Medieninhaber" ersetzt. Dabei ist dem Gesetzgeber ein Schreibfehler unterlaufen; siehe Art 9 Z 39 in BGBl I 2020/148, wonach "das Wort 'Medienunternehm er ' (richtig wäre 'Medienunternehm en ' gewesen, Anm) durch das Wort 'Medieninhaber' ersetzt" werde. Dieser Schreibfehler wird im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) mit den Worten 'Die Anweisung konnte nicht durchgeführt werden.' kommentiert. Der Wille des Gesetzgebers ist aber eindeutig, siehe ErlRV 481 BlgNR 27. GP, 25: "Auch hier soll lediglich ein Redaktionsversehen (der Mediengesetz-Novelle 2005) beseitigt werden, indem an die Stelle der Medienunternehmen Medieninhaber treten sollen."
Die Angeklagte ist Medieninhaberin ihres Profils auf Facebook (RIS-Justiz RS0125859). Gemäß § 50 Z 1 MedienG sind daher in Bezug auf die inkriminierte Veröffentlichung die §§ 1, 33, 34, 37, 40, 41 MedienG anzuwenden.
Nach § 51 MedienG sind (unter den dort genannten Bedingungen) auf Mitteilungen oder Darbietungen in einem Medium, dessen Medieninhaber seinen Sitz im Ausland hat (ausländisches Medium), über § 50 Z 1 MedienG hinaus auch – soweit hier relevant – die §§ 6 bis 7c MedienG anzuwenden. Das Erstgericht meint unter Hinweis auf eine Literaturstelle ( Rami , WK² MedienG § 51 Rz 3), dass § 51 MedienG nur juristische Personen erfasse, weil § 40 Abs 1 MedienG zwischen Sitz, Wohnsitz und Aufenthaltsort differenziere, der Begriff des "Sitzes" aber, der in § 51 MedienG alleine gebraucht werde, nur für juristische Personen gelte. Für eine derartige Auslegung bleibt aber kein Raum, wäre eine solche doch gleichheitswidrig (Art 2 StGG, Art 7 B-VG), weil kein sachlicher Grund ersichtlich ist, warum die Haftung gemäß §§ 6 bis 7c MedienG ausländische Medieninhaber lediglich dann treffen sollte, wenn sie als juristische Person organisiert sind. Verfassungskonform (ohne Verstoß gegen § 1 Abs 1 StGB, der nur die strafrechtliche Haftung betrifft) interpretiert erfasst § 51 MedienG somit juristische und natürliche Personen als Medieninhaber gleichermaßen (so im Ergebnis auch die Gesetzesmaterialien zur MedienG-Novelle 2005 [ErlRV 784 BlgNR 22. GP 29: "Es wird daher vorgeschlagen, einen neuen § 51 anzufügen, nach dem die strafrechtlichen Bestimmungen des Mediengesetzes – einschließlich des Entschädigungsverfahrens und des Verfahrens über eine Gegendarstellung oder eine nachträgliche Mitteilung – unter bestimmten Voraussetzungen auch auf ausländische Medien anwendbar sein sollen. Diese Anwendbarkeit soll sich auf alle Medieninhaltsdelikte beziehen."; zur Abgrenzung zwischen inländischen und ausländischen Medien soll wie bei der örtlichen Zuständigkeit auf den Sitz des Medieninhabers {bzw dessen Wohnsitz oder Aufenthalt} abgestellt werden.“; ErlRV 784 BlgNR 22. GP 3: „Die örtliche Zuständigkeit soll zur besseren Übersichtlichkeit in § 40 abschließend geregelt werden und soll sich grundsätzlich nach dem Sitz des Medieninhabers richten.“]).
Der Beschwerde war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.
Gegen diesen Beschluss steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.