JudikaturOLG Wien

17Bs15/24s – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
21. Februar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht im Verfahren zur Unterbringung der A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB über die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 6. September 2023, GZ 32 Hv 47/23y-27.4, nach der am 21. Februar 2024 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Dr. Röggla, im Beisein der Richterin Mag. Schneider-Reich und des Richters Ing.Mag. Kaml als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Dr. Verena Lechner und der Betroffenen A* sowie ihrer Verteidigerin Mag. Elisabeth Gößler durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die strafrechtliche Unterbringung der am ** geborenen österreichischen Staatsbürgerin A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum angeordnet, weil sie am 10. Jänner 2023 in ** unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, in einem dadurch bedingten, die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand (§ 11 StGB), ihre Erwachsenenvertreterin B* in wiederholten Angriffen gefährlich mit dem Tod bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem sie ihr zahlreiche SMS-Nachrichten mit dem sinngemäßen Inhalt, dass sie das Opfer umbringen bzw abstechen werde und das Messer schon auf sie warte, übermittelte, sohin Taten begangen, „die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind“ und die ihr, wäre sie zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen, als die Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 (zu ergänzen:) erster Fall StGB zuzurechnen wären, wobei nach Person und Zustand der Betroffenen sowie der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass sie sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss ihrer psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen, die gegen Leib und Leben gerichtet und mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, nämlich zumindest eine schwere oder absichtlich schwere Körperverletzung, begehen werde.

Die Voraussetzungen für ein vorläufiges Absehen vom Vollzug der Unterbringung im Sinne des § 434g Abs 5 StPO waren für das Erstgericht schon aufgrund der fehlenden Krankheits- und Behandlungseinsicht der Betroffenen, die deshalb nicht außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums behandelt und betreut werden könne, nicht gegeben.

Nach Zurückweisung ihrer Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 20. Dezember 2023, GZ 13 Os 110/23k-5, war nunmehr über die zu ON 30 ausgeführte, sich gegen die Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose richtende Berufung der Betroffenen zu entscheiden.

§ 21 Abs 1 StGB setzt für die strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum - neben einer unter dem maßgeblichen Einfluss einer im Zeitpunkt der Tat die Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) bedingenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung begangenen, mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Anlasstat im Sinn des Abs 3 leg cit - eine ungünstige Prognose dahin voraus, dass der Rechtsbrecher nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

Als wichtige in der Person des Rechtsbrechers gelegene Umstände kommen seine Eigenschaften, früheres Verhalten im Krankheitszustand und die Gründe für die Begehung zurückliegender Delikte, als Zustand des Rechtsbrechers seine Krankheitseinsicht und sein Krankheitsbild im Urteilszeitpunkt in Betracht (vgl Ratz in WK² StGB § 21 Rz 25).

Da die gegenständlichen Anlasstaten nicht mit mehr als drei Jahre Freiheitsstrafe bedroht sind, muss sich die Befürchtung auf eine gegen Leib und Leben (oder die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung) gerichtete mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung richten. Dies trifft auf das Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB ebenso wie auf die Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB zu (vgl 13 Os 89/23x). Die vom Gesetz verlangten schweren Folgen müssen aus einer einzelnen Tat resultieren, wobei nicht nur die tatbestandsmäßigen Folgen, sondern darüber hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit - sohin auch Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch die Gesellschaft im Ganzen sowie der gesellschaftliche Störwert - zu berücksichtigen sind (vgl Ratz, aaO Rz 27, RIS-Justiz RS0108487).

Entgegen dem Vorwurf, das Schöffengericht habe die Gefährlichkeitsprognose unrichtig gelöst, weil es nur eine abstrakte Gefährdung konstatiert habe, wurde das Kriterium hoher Wahrscheinlichkeit zukünftiger Begehung der im Urteil genannten Prognosetat – wie auch bereits der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung ausführte - unmissverständlich bejaht (US 5). Diese für die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB erforderliche Prognose konnte das Erstgericht zutreffend – neben dem von der Betroffenen selbst gewonnenen Eindruck, die sich während der Hauptverhandlung durchwegs gereizt verhielt und einen unberechenbaren Eindruck vermittelte (US 8; vgl etwa auch PS 2: „ Was soll der Scheiß?“ ) aus dem schlüssigen, in der Hauptverhandlung erörterten und aufrecht erhaltenen Gutachten des Sachverständigen Univ.Doz.Dr. C* (ON 7.2; ON 18.2; ON 27.3 S 11 ff) deduzieren, der der Betroffenen eine schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung in Form einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10, F 20) sowie einer Kleptomanie (ICD 10, F 65) attestierte, wobei das Krankheitsbild einer chronischen Schizophrenie mit ausgeprägten Denkstörungen, Wahninhalten und Konfabulationen entspricht. Unter Einbeziehung, dass bei der Betroffenen zahlreiche prognostische Parameter negativ besetzt sind, nämlich der fulminante Verlauf der Psychose in den letzten sechs Jahren und der Steigerung des delinquenten Verhaltens hin zu den Anlasstaten, die mangelnde Kritikfähigkeit, die Unfähigkeit, Deliktarbeit zu machen, es niemanden gibt auf den die Betroffene hört oder der soziale Kontrolle über sie ausüben könnte, ist nach seiner Expertise die Gefährlichkeitsprognostik in der Gesamtbeurteilung als ungünstig zu beurteilen und sind in naher Zukunft (innerhalb weniger Wochen) mit Strafe bedrohte Taten mit schweren Folgen - wie schwere und absichtlich schwere Körperverletzungen - mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Im Zustand der eskalierenden, aggressiven Psychose ist sie – so der Sachverständige - letztlich nicht steuerbar und sind deliktmäßig nach oben hin keine Grenzen zu sehen.

Einem vorläufigen Absehen vom Vollzug der Unterbringung gemäß § 434g Abs 1 StPO stand zunächst der fachärztliche Befundbericht vom 17. Mai 2023 entgegen (ON 10 AS 3), demzufolge A* an einer paranoiden Schizophrenie (F20.0) leidet, sie eine deutliche paranoide Wahnsymptomatik, vorrangig aus dem Sexualbereich, aufweist, keinerlei Krankheitseinsicht vorliegt und auch keine Bereitschaft besteht, trotz Zuredens, eine Medikation in oraler Form oder als Depotinjektion zu nehmen sowie eine durch minimale Trigger ausgelöste Fremdgefährlichkeit gegeben ist, weshalb sie eine stationäre psychiatrischen Behandlung benötigt. Damit im Einklang stehend kommt auch der Sachverständige angesichts des Krankheitsverlaufes, des aktuellen, hoch psychotischen Zustandsbildes und der Entwicklung in jüngerer Vergangenheit nachvollziehbar zum Schluss, dass eine Substituierbarkeit einer intramuralen Behandlung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum durch Schaffung entsprechender Voraussetzungen und Formulierung von Bedingungen nicht möglich ist, da sich die Betroffene krankheitsbedingt nicht daran halten könnte (ON 18.2 S 41; ON 27.3 S 14 f).

Da dem Erstgericht sohin kein Ermessensfehler (vgl RIS-Justiz RS0113980, RS0090341) unterlaufen ist und seit dem Urteil erster Instanz auch keine wesentliche Änderung der Umstände eingetreten ist, war der Berufung der Betroffenen ein Erfolg zu versagen.

Rückverweise